150 Jahre Abstand zur Mehrheit der Bevölkerung

Iran: Die streikenden Parlamentsabgeordneten suchen mit einem Weblog den Anschluss an die Jugend

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Nicht mehr zwanzig sondern 15O Jahre betrage mittlerweile die "echte Distanz" zwischen zwei Generationen, konkludiert der iranische Vizepräsident, Muhammad Ali Abtahi, der derzeit mit der Rücktrittsdrohung der Regierung den Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen anheizt, seine Beobachtungen der iranischen Generationskluft: "Wie die frühre Generation die Worte, die 150 Jahre vor ihrer Zeit gesprochen wurden, nicht verstehen konnte, so kann die jetzige Generation die Worte der früheren nicht verstehen." Möglicherweise liegt darin ein Grund, weshalb sich die Jugend im Iran derzeit nicht merklich am politischen Kräftemessen der beiden großen Lager beteiligt.

Abtahi hatte zufällig einem Gespräch beigewohnt, das ein 21-Jähriger mit einem 24-Jährigen über Computer geführt hat. Dabei habe der Jüngere den kenntnisreichen Ausführungen des Älteren staunend zugehört und gesagt, dass ihm sein Alter die Dinge nicht so sehen lassen könnte. Was Abtahi zu dem Gedanken geführt hat, dass vor der "Revolution der Kommunikation" mindestens 50 Jahre zwischen zwei Personen liegen mussten, um zu behaupten, das Alter gestatte es nicht, bestimmte Dinge zu sehen. Durch die Geschwindigkeit der neuen Kommunikationsmittel würde die Generationskluft jetzt schon sehr viel früher auftauchen.

Dass die neuen Kommunikationsmittel vielleicht ein Weg sind, die Kluft zu den Jüngeren - immerhin 70% der Gesamtbevölkerung - zu überbrücken, haben jetzt auch die iranischen Abgeordneten erkannt, die seit mehr als einer Woche einen Sitzstreik (vgl. dazuDer Streich der Wächter) im Parlament abhalten: Sie haben vor einigen Tagen einen eigenen Weblog eingerichtet. Leider bislang nur in persisch. Und eine E-mail-Adresse: sitin@hotmail.com.

Nach Meinung des berühmtesten iranischen Exil-Bloggers Hossein Derakhshan, der in einem Brief an den Bruder des Präsidenten und Vorsitzenden der größten Reformfraktion, Reza Khatami, die Gründung eines Weblogs angeregt hatte, damit sie "in der Welt gehört" würden, sei dies ein gutes Mittel, um die Jugend zu erreichen, die ihr Interesse an der Politik verloren habe. Umso mehr als staatliche Rundfunk-und Fernsehsender unter der Kontrolle der konservativen Kräfte stünden.

Jedoch sei der Blog der Streikenden weit davon entfernt ein guter und interessanter Blog zu sein. Es gäbe nichts interessantes darin zu lesen, tröstet Derakhshan diejenigen, die kein Farsi verstehen. Veröffentlicht würden nur Verlautbarungen, keine Links zu interessanten Quellen. Dennoch hofft Derahshan, der Weblogs als wichtiges "politisches Werkzeug" (vgl. dazu Der Streich der Wächter) begreift, dass diese Aktion auch den Reformern zu dieser Einsicht verhilft.