Pflanzen können sich erinnern

Dementsprechend schalten sie bestimmte Gene an und aus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für Pflanzen ist es überlebenswichtig, nicht zu früh nach großer Kälte wieder zu blühen, denn nächtlicher Frost würde die Bemühungen vernichten. Aber wie merkt das Grünzeug, dass es warm genug ist, um Blüten zu treiben? Der Mechanismus wird von Genen gesteuert, denen Wissenschaftler nun auf die Spur gekommen sind.

Arabidopsis thaliana in Schnee, Bild: Caroline Dean

Die Ackerschmalwand oder Arabidopsis thaliana ist eine kleine, unauffällige Blühpflanze, die von der Arktis bis zum Äquator überall am Wegesrand als Unkraut gedeiht. Sie wächst schnell und ist ziemlich anspruchslos. Deswegen ist sie auch ein heißer Kandidat für Pläne zur Terraforming des Mars (vgl. Pflanzen für den Mars). Fans hat diese Verwandte des Kohls und des Rettichs vor allem unter den Pflanzengenetikern. Sie ist ein Modellorganismus für die Wissenschaft, ein Lieblingsforschungsobjekt, weil sie stellvertretend für andere Gewächse studiert werden kann. Arabidopsis thaliana ist für die Botaniker das, was die Fruchtfliege für die Biologen darstellt.

Im Jahr 2000 gelang es, ihr gesamtes Erbgut mit rund 25 000 Genen zu identifizieren (vgl. Datenbanken für Arabidopsis thaliana). Das war die erste komplette Gensequenzierung einer Pflanze. Weltweit beschäftigen sich viele Forschergruppen intensiv mit dem weiß blühenden Kraut, das im Deutschen auch Mausohrkresse genannt wird (vgl. The Arabidopsis Information Resource).

Im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichten jetzt zwei Botaniker-Teans neue Erkenntnisse über die Abläufe, die das Blühverhalten der Ackerschmalwand steuern. Sibung Sung and Richard M. Amasino von der University of Wisconsin-Madison berichten über ihre Entdeckung des Gens VIN3. Seit Jahren ist bekannt, dass das Protein FLC (Flowering Locus C) eine Steuerungsfunktion des Blühverhaltens inne hat. FLC hemmt unter bestimmten Umständen das Austreiben von Blüten, z.B. im Winter. Die Kälte führt zu einem Reiz, den die Botaniker Vernalisation nennen.

Durch Vernalisation stoppt die Pflanze ihr Wachstum und verharrt in einem generativen Zustand. Sie wartet auf den Frühling und die einsetzende Wärme. Unklar war aber bisher, wie sich der molekulare Ablauf in ihrem Innern wirklich gestaltet. Sung und Amasino zeigen, dass das Gen VIN3 dafür zuständig ist, FLC zu deaktivieren und damit den Blühvorgang zu beginnen. Es funktioniert als eine Art biochemischer Wecker. Kälte ist auch für VIN3 ein entscheidender Faktor, nur bei andauernden niedrigen Temperaturen (etwa ein Monat bei 4 Grad Celsius) wie im Winter schaltet sich dieses Kontrollelement schließlich selbst ein. Richard Amasino kommentiert:

Wir wissen nicht, wie es funktioniert, aber ich würde sagen, eine der faszinierenden Eigenschaften von VIN3 ist es, dass es tatsächlich einen kompletten kalten Winter braucht, um es einzuschalten. Und VIN3 muss eingeschaltet sein, um FLC auszuschalten.

Die zweite Forschergruppe, bestehend aus Ruth Bastow, Joshua S. Mythe, Clare Lister und Caroline Dean vom John Innes Centre im englischen Norwich sowie Zachary Lippman und Robert A. Martienssen vom Cold Spring Harbor Laboratory im Staat New York hat sich mit den Vernalisation-Genen VRN1 und VRN2 beschäftigt. Die beiden Gene steuern Proteine und sorgen dafür, dass im Frühling, wenn die Luft sich erwärmt, FLC ausgeschaltet wird und die Ackerschmalwand ihre Blütenstängel austreibt. Sind diese beiden Gene beschädigt, wird FLC auch bei Kälte ausgeschaltet.

Caroline Dean ist überzeugt, dass die neuen Forschungsergebnisse grundlegend für ein besseres Verständnis für das Verständnis der Frühlingsgefühle von Pflanzen sind:

Es ist eine sehr aufregende Entdeckung, weil sie unser Verständnis darüber vertieft, wie Pflanzen und andere Organismen chemische Modifikationen nutzen, um Gene an- und auszuschalten und so ihr Wachstum und ihre Entwicklung zu kontrollieren. Mitten im britischen Winter sehnen wir uns alle nach dem kommenden Frühjahr, der uns die Kälte vergessen lassen wird. Aber viele Pflanzen werden sich an den Winter 'erinnern', um sicher zu stellen, dass wenn das Frühjahr kommt, zur richtigen Zeit zu blühen. Diesen Prozess zu verstehen, ist von enormer wissenschaftlicher Bedeutung, aber auch von praktischem Interesse, weil die Blütezeit einen großen Effekt auf die Ernte haben kann.

Das genaue Zusammenspiel der Gene zur Steuerung des blütehemmenden Proteins muss jetzt weiter erforscht werden. Wie genau Arabidopsis thaliana dauerhafte Kälte registriert, ist noch ungeklärt. Sibung Sung sieht in diesem Bereich noch Forschungsbedarf:

Das ist eine faszinierende Frage. Ohne ein Nervensystem müssen Pflanzen über einen anderen Mechanismus verfügen, mit dem sie sich daran erinnern können, dass sie die winterliche Jahrezeit hinter sich gebracht haben.