Hutton-Bericht zieht sich aus der Affäre

Lordrichter Hutton entlastet im Kelly-Fall den britischen Premier Blair und erklärt, das Dossier über die irakischen Massenvernichtungswaffen sei nicht "sexed-up" gewesen - zumindest nicht in Form einer bewussten Lüge

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Der Lordrichter Hutton hat seinen Bericht zum Selbstmord des britischen Waffenexperten David Kelly vorgelegt. Die Schuld an dessen Tod wird niemandem konkret angelastet, es sei ein unvorhersehbarer Selbstmord gewesen. Während die BBC aber wegen mangelnder Aufsichtspflicht gerüffelt wird, geht Hutton auch davon aus, dass die britische Regierung nicht absichtlich die Gefahren, die von angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen ausgehen sollen, im Waffendossier aus dem Jahr 2002 aufgebläht ("sexed up") habe (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Blair ist - natürlich - "unglaublich dankbar" dafür, während BBC-Chef zurück getreten ist und nun die Schelte der Medien beginnen kann.

Aus dem strittigen Waffendossier vom Seotember 2002

Premier Tony Blair und andere Regierungsmitglieder können tatsächlich aufatmen. Lord Hutton hat sie in gewisser Weise von aller Schuld freigesprochen. Dass niemand für den Selbstmord des Waffenexperten David Kelly verantwortlich gemacht wird, ist nachvollziehbar. Dass aber Hutton die britische Regierung von aller Schuld entlastet, was das Aufbauschen des Gefahrenpotenzials vor allem durch die Behauptung betrifft, dass der Irak innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen könne - auch die Ente mit dem Urankauf in Nigeria ist dort enthalten -, ist doch erstaunlich.

Der BBC-Journalist Andrew Gilligan hatte in einem BBC-Bericht im Mai 2003 gesagt, dass nach einer "Quelle", die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatte, die Behauptung, Saddam Hussein könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen zum Einsatz bringen, nachträglich und gegen den Willen der Geheimdienste eingefügt worden sei (Sexed up?). Daraufhin setzte das britische Verteidigungsministerium die BBC unter Druck, den Namen des Informanten zu nennen. Schließlich musste die BBC einräumen, dass es sich bei dem Informanten um Kelly handelte, der sich dann nach einer Anhörung im Verteidigungsministerium das Leben nahm. Blair setzte schließlich Lordrichter Hutton an, um die Umstände seines Todes zu klären. Letztlich musste Hutton zwar einräumen, man könne nicht wissen, was Kelly Gilligan wirklich gesagt habe, aber er verließ sich doch sehr auf die Aussagen der Regierungsmitarbeiter für seinen Bericht.

Auch Hutton kam zu dem Schluss, dass die hauptsächlich umstrittene Behauptung nicht schon von Anfang an im Bericht aufgeführt worden ist. In der Entwurfsfassung, die am 20. Juni vorlag, ist davon noch nicht die Rede: "The dossier contained no reference to Iraq's ability to deploy chemical or biological weapons within 45 minutes of an order to use them (which I shall hereafter term 'the 45 minutes claim')." Am 3. September kündigte Blair, unter hohem Druck, ein Dossier über Iraks Massenvernichtungswaffen an - und am 5. September fand sich die Behauptung:

Iraq has probably dispersed its special weapons, including its CBW weapons. Intelligence also indicates that from forward-deployed storage sites, chemical and biological munitions could be with military units and ready for ?ring within 45 minutes.

Schon im nächsten Entwurf (später hieß es dann auch "zwischen 20 und 40 Minuten"). Schließlich hielt US-Präsident Bush am 12.9.2002 seine Rede vor der UN und, noch wichtiger, stand die Irak-Resolution des Kongresses an, die Bush benötigte, um freie Hand gegenüber der UN und für den Krieg zu haben. Dazu waren eine beweiskräftige oder zumindest medientaugliche Unterstützung für die Rechtfertigung des geplanten Kriegs hilfreich und notwendig.

Hutton erklärt, die Kritik von Gilligan treffe nicht zu, dass britische Regierung "wahrscheinlich" wusste, dass die 45-Minuten-Bahuptung nicht richtig ist. Das sei eine schwere Anschuldigung, die die Integrität der Regierung und des Joint Intelligence Committee angreife. Vielmehr stamme die Behauptung aus einem Bericht, den der Geheimdienst erhalte hatte und den er für verlässlich hielt, auch wenn sich später herausgestellt hatte, dass dies nicht zutraf. Hutton verlässt sich da schon etwa auf die Aussage von Sir Richard Dearlove, dem Chef des SIS und Mitglied des Joint Intelligence Committee, der sagte, man habe die Information am 29. August erhalten:

Q. In the Foreign Affairs Committee report at FAC/3/26 we can see, at paragraph 62, that the Foreign and Commonwealth Office had told the Committee that the intelligence on which the claim was based came from "an established, reliable and long-standing line of reporting". Can you comment on that?
A. Well, I can except I would not normally comment in public on the status of an SIS source; but a certain amount of this is already in the public domain.
Q. I am only seeking comments that are already in the public domain.
A. Yes, it did come from an established and reliable source equating a senior Iraqi military officer who was certainly in a position to know this information.

Auch nach Auskunft von anderen war bekannt, dass die Information nur von einem einzigen Informanten stammte. Der wurde offenbar einfach als zuverlässig eingestuft, vermutlich auch deswegen, weil die Aussage so schön ins Konzept passte und der Regierung gefallen musste. Eine Email an die Mitglieder des Joint Intelligence Committee vom 11.September macht den Druck auf die Geheimdienste deutlich:

But No 10 through the Chairman want the document to be as strong as 132 possible within the bounds of available intelligence. This is therefore a last (!) call for any items of intelligence that agencies think can and should be included.

Auch wenn es durchaus Bedenken in mehreren Hinsichten gab, wie etwa Brian Jones, der Leiter der ABC-Waffenabteilung bei Defence Intelligence Analysis Staff (DIAS), ausführte, wollte man vielleicht auch einfach nichts riskieren. So sagte Jones:

W thought it was important intelligence. I personally thought that the word used in the main body of the text, that the intelligence indicated this was a little bit strong but I felt I could live with that.

Es wurde offenbar schon um die Wortwahl wegen der Unsicherheit der Aussage gerungen. Anstatt aber zu schreiben, dass Informationen darauf hinweisen, dass Hussein Massenvernichtungswaffen - die weiter gar nicht beschrieben wurden - einsetzen könnte, setzte man bei der Zusammenfassung, die am ehesten gelesen wird, auf die Tatsachenbehauptung, weil auch der Informant keine Möglichkeit beschrieben habe. Erstaunlich ist auch die Vielzahl der Umschreibungen der Passagen mit der 45-Minuten-Behauptung, was schon darauf hinweist, dass man sehr wohl die Bedeutung von dieser gebührend medientauglich wollte (während ganz offenbar keine Versuche angestellt wurden, diese zu überprüfen). Manchmal kommen Passagen hinzu, dass beispielsweise Saddam den Befehl zu deren Anwendung auch seinem Sohn Uday übertragen habe. Dass diese Information nur aus einer Quelle und zudem noch aus zweiter Hand stammt, nämlich über eine irakische Oppositionsgruppe im Exil vermittelt wurde, hat man lieber ausgelassen.

Lordrichter Hutton zieht sich jedenfalls mehr oder weniger elegant aus der Affäre. Er hat beschlossen, dass die Frage, ob der Irak wirklich Massenvernichtungswaffen hatte, nicht zu seiner Untersuchung gehöre. Und er trennt säuberlich die Bedeutung des Begriffs "sexed-up" als "Aufbauschen" von der des Lügens oder Erfindens. Die Regierung und die Geheimdienste haben also nicht gelogen, sondern vielleicht nur etwas aufgebauscht und zugespitzt, auch wenn sie die doch fragwürdige Information nicht weiter hinterfragt haben.

The term "sexed-up" is a slang expression, the meaning of which lacks clarity in the context of a discussion of the dossier. It is capable of two different meanings. It could mean that the dossier was embellished with items of intelligence known or believed to be false or unreliable to make the case against Saddam Hussein stronger, or it could mean that whilst the intelligence contained in the dossier was believed to be reliable, the dossier was drafted in such a way as to make the case against Saddam Hussein as strong as the intelligence contained in it permitted. If the term is used in this latter sense then, because of the drafting suggestions made by 10 Downing Street for the purpose of making a strong case against Saddam Hussein, it could be said that the Government "sexed-up" the dossier. However, having regard to the other allegations contained in Mr Gilligan's broadcasts of 29 May I consider that those who heard the broadcasts would have understood the allegation of "sexing-up" to be used in the first sense which I have described, namely that the Government ordered that the dossier be embellished with false or unreliable items of intelligence.

Kurz vor der Veröffentlichung des Hutton-Berichts hatte sich derjenige gemeldet, der die Information an den britischen Geheimdienst weiter gegeben hatte (Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen). Stimmt es, was dieser sagt, dann wirft dies kein gutes Licht auf Regierung und Geheimdienste, was die Qualität ihrer Information und deren Überprüfung betrifft, auch wenn es um Krieg und Frieden geht. Selbst wenn Blair und Co. unbeschadet aus der Hutton-Untersuchung hervorgehen, ist das Ansehen der Regierung und der Geheimdienste nachhaltig beschädigt, wenn ein gewisses Vertrauen in diese überhaupt noch vorhanden war.

Der Guardian berichtet, wie die Formulierungen von Lordrichter Hutton zur Entlastung bei den Journalisten angekommen sind:

"Otherwise, the closest Lord Hutton came to laying a glove on the government was his suggestion that "the possibility cannot be completely ruled out" that the PM's desire to have a strong dossier on Iraqi weapons of mass destruction had "subconsciously influenced" John Scarlett and his joint intelligence committee.

Subconsciously! Forget all those memos from Mr Campbell to the intelligence chief asking for multiple changes in wording. There was no pressure to harden the dossier, Lord Hutton decided, just a possible twitch of Mr Scarlett's subconscious - and even that tiny "possibility" was remote. It was more likely that Mr Scarlett's sole concern had been to reflect accurately the intelligence available.

For the press benches, this was all too much. Several journalists began first to sniff, then to snort and finally to chuckle their derision. Jeremy Paxman, for once barred from asking questions, was shaking his head in bemusement as each new finding in favour of the government came down from the bench. When Mr Scarlett's subconscious was introduced, the room seemed to vibrate with mockery."