Der Fluch des Internet

Den Kino-Sneaks droht das Aus. Und Schuld haben die Piraten

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Eine der beliebtesten Kinoveranstaltungen droht auszubluten: Die so genannten Sneaks, die wöchentlich in zahlreichen Lichtspielhäusern Deutschlands Tausende von Besuchern anlocken. Gezeigt wird dabei stets ein vorher dem Publikum nicht bekannter Film Wochen vor seinem eigentlichen Bundesstart. Und dieser Überraschungseffekt ist einer der Reize der Sneaks, die von den Verleihern bisher auch gern als Testveranstaltungen genutzt worden sind.

Allein in Hannover beispielsweise besuchen jeden Mittwoch um 20.30 Uhr im Cinemaxx-Raschplatz durchschnittlich rund 400 Zuschauer die Sneak. Doch das könnte nun bald vorbei sein. Immer mehr Verleiher sind nämlich nicht mehr bereit, ihre Filme in den Sneaks zu zeigen. Und daher droht auch der hannoverschen Veranstaltung, die zu den erfolgreichsten in Deutschland zählt, jetzt das finale Ende.

Heiko Engel, der im hannoverschen Cinemaxx dafür zuständig ist, befürchtet jedenfalls, dass er seine Sneak noch vor dem zweijährigen Jubiläum im kommenden Mai aus Filmmangel einstellen muss. "Inzwischen stellen drei US-Verleiher sowie ein deutscher Verleih bei US-Produktionen keine Filme mehr für Sneaks zur Verfügung. Das ist im Übrigen kein Geheimnis, das Ende der Sneaks weltweit gilt bereits als beschlossene Sache", erzählt Engel. Und beschlossen wurde dies in Deutschland offensichtlich auf Drängen der amerikanischen Mutterfirmen der bei uns ansässigen Verleiher.

Diese Entscheidung bedauert Engel zwar, aber er kann sie inzwischen gut verstehen. Tests von Verleihern hätten kürzlich ergeben, dass die Quelle für die im Netz angebotenen deutschsprachigen Fassungen von US-Filmen, augenscheinlich die Sneaks seien. Dort wird lediglich der Ton mitgeschnitten, der dann später in das englischsprachige Original hineinkopiert wird. Das ist zwar kein Kinderspiel, lässt sich aber mit der entsprechenden Software relativ leicht bewerkstelligen. Bei einem der Tests ­ so Engel - sei, nachdem der Film erstmalig auf Sneaks gezeigt wurde, bereits 24 Stunden später die erste deutschsprachige Kopie im Netz aufgetaucht, bei dem zweiten Film habe dies dann zwei Tage gedauert. Zuvor, sagt Engel, seien die beiden Filme nur in der Originalfassung in Pressevorstellungen gezeigt wurden.

Dass die Filmwirtschaft alle Versuche unternimmt, die Filmpiraterie zu unterbinden, ist zwar verständlich, aber die Weigerung, Filme für Sneaks anzubieten, trägt dennoch hysterische Züge. Derzeit steigen nämlich die Besucherzahlen in den Kinos wieder ­ dank Produktionen wie "Herr der Ringe", "Mona Lisas Lächeln" oder dem letzten Samurai. Also Filme, die allesamt als deutschsprachige Raubkopien kostenlos erhältlich sind. Und die gleichwohl die Leute in die Kinos ziehen, obwohl der dort gebotene Service aus Personaleinspargründen immer miserabler wird.

Und manchmal verlieren die Leute, die es eigentlich besser wissen müssten, in ihrem unerbittlichen Kampf gegen Filmpiraten den Überblick. Das beweist eine kleine Meldung, die kürzlich in einer hannoverschen Tageszeitung zu lesen gewesen ist. In einem Cinemaxx-Kino der niedersächsischen Landeshauptstadt wurde Ende vergangener Woche nämlich jemand erwischt, der mit einem Gerät den Ton des dort laufenden Films "Last Samurai" aufnehmen wollte. Und damit hätte er, so hieß es in dem Bericht, ein recht gutes Geschäft machen können, weil dieser Film bisher nur als englische Kopie imNetz vorhanden sei.

Genau das ist leider falsch: Der Film "Last Samurai" ist in der deutschsprachigen Fassung bereits seit dem 9. Januar kostenlos (!) im Netz erhältlich. Und er ist allein in den letzten Tagen rund 9000-mal über ein Raubkopiererforum heruntergeladen wurden. Die Aufregung samt Hausdurchsuchung hätten sich die polizeilichen Ermittler in diesem konkreten Fall also sparen können. Und gefunden haben sie bei dem Tonbandamateur dann sowieso nichts.

Wie einfach zudem das Weltbild von Vertretern der Filmwirtschaft bisweilen ist, zeigt ein im April 2003 veröffentlichtes Papier der "Spitzenorganisation der Filmwirtschaft" und der Vereinigung "film20". Unter der Überschrift "Es geht an die Substanz!" heißt es dort:

'Anatomie 2' hatte ca. insgesamt 800.000 Besucher, 'Anatomie', der Vorläufer und erste Teil kam auf 1,9 Mio. Besucher. Dieser drastische Rückgang ist wohl im Wesentlichen auf die zahlreichen Raubkopien im Netz zurückzuführen.

Dass die Leute vielleicht deswegen nicht ins Kino gegangen sind, weil die Fortsetzung des auch nicht gerade überragenden Films "Anatomie" so dürftig war, das erwähnen die Verfasser mit keinem Wort. Und dass der allgemeine Besucherrückgang im vergangenen Jahr unter anderem auf die durchweg schlechte oder mangelnde Attraktivität des Filmangebots zurückzuführen ist, wird natürlich in dem Papier auch verschwiegen. Schließlich kennt man ja längst die Schuldigen: Die bösen Filmpiraten. Und der Fluch des Internet.