Aufwertung der Hisbollah

In der arabischen Welt gilt der Gefangenenaustausch mit Israel als Sieg der "bewaffneten Widerstandsbewegung"

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Vor gut einer Woche noch bombardierte die israelische Luftwaffe vermeintliche Stellungen der Hisbollah im Südlibanon, nachdem die Organisation bei einem Angriff auf einen Bulldozer einen israelischen Soldaten getötet und einen weiteren verwundet hatte. Eine für Israel typische Vergeltungsmassnahme, die wie immer ihre unnachgiebige Haltung gegenüber "terroristischen Aktionen" deutlich machen sollte.

Mit dem gestrigen Gefangenenaustausch von 4 Israelis gegen 430 Gefangene und 59 Leichen getöteter "Terroristen" aus dem "bewaffneten anti-israelischen Widerstand" bekommt diese "Non-tolerance"-Politik einen großen Riss und verliert an Glaubwürdigkeit. So die einhellige Meinung vieler politischer Kommentatoren in Israel, die bereits im Vorfeld der Verhandlungen zum Gefangenenaustausch eine " bestimmende und starke israelische Haltung" vermissten.

Die Freigelassenen wurden im Laibanon mit militärischen Zeremoniell begrüsst

"Die Hisbollah kletterte einfach über den israelischen Grenzzaun", so hieß es im November letzen Jahres in der israelischen Tageszeitung Haaretz. "Sie legten bewusst leicht zu entdeckende Landminen und beschossen israelische Verteidigungskräfte bei den Shebaa Farmen." So etwas Provokatives, hieß es zum Abschluss des Artikels, würde sich sonst kein arabisches Land trauen. "Und Israel schweigt dazu".

In der arabischen Welt, insbesondere im Libanon, sieht man die Sache nicht anders. Der Gefangenaustausch ist, nach der Vertreibung der Israelis aus dem besetzten Südlibanon im Jahr 2000, der "zweite große Sieg" für die Hisbollah und die "bewaffnete Widerstandsbewegung". Ein "historischer pan-arabischer Sieg", nannte es ein libanesischer Regierungsangehöriger. Der pathetische Tonfall ist verständlich, gab es doch in der gut 50jährigen Geschichte des Nahost-Konflikts für die arabische Seite nicht viel zu feiern. Nur eine unzählige Abfolge von Niederlagen, die besonders schwer wiegen, wenn man sich moralisch absolut im Recht fühlt. Der Gefangenaustausch ist nun Balsam für die "gedemütigte arabische Seele", die nach Afghanistan und insbesondere nach der Besetzung des Iraks spezieller Zuwendung bedarf. Endlich wieder etwas, das man als "Sieg" begreifen und vor allen Dingen fühlen kann.

Der Präsident des Libanons, Emil Lahoud, geht noch einen Schritt weiter. Für ihn bedeutet dieser Gefangenenaustausch "eine klare Anerkennung von israelischer Seite, dass der Widerstand legitim und national ist und keine ausländische terroristische Bewegung".

Soweit wird man aber, am allerwenigsten in Israel und auch kaum im Westen, der Argumentation des Präsidenten folgen. Der internationale Ruf der Hisbollah als "blutrünstige Terroristengruppe" wird höchstens etwas positiver aufpoliert. "Sieger" wirken in den Medien immer gut. Hinzu kommt die Vermittlung der Bundesrepublik Deutschland, die quasi ihren offiziellen Segen dazu gab. Die Aussage des deutschen Botschafters in Beirut, Günter Kniess, ist zu bezweifeln, dass Deutschland "gerade durch seine Geschichte prädestiniert ist", Verhandlungen zwischen diesen beiden schwierigen Kontrahenten durchzuführen. Etwas zynisch könnte man formulieren, dass man auf Seiten Israels das Vertrauen als "Wiedergutmacher" hat und auf Seiten der Hisbollah das des Antisemitismus. Es ist der berühmte Gang durch das Nadelöhr.

Die Aufwertung der Hisbollah durch die Anerkennung als gleichwertiger Verhandlungspartner dürfte insbesondere auch Syrien freuen, das in den letzten Monaten zunehmend in die Schusslinie der US-amerikanischen Politik und dem "Krieg dem Terror" geriet. Vielleicht bekommt der syrische Präsident Bashar Assad eine kleine Verschnaufpause. Wenigstens für kurze Zeit werden die Amerikaner von der nächsten "Eskalationsstufe" absehen und ihre "militärischen Sondereinsätze" verschieben. Wie kürzlich die Washington Post berichtete, erwägt die US-Regierung weltweit Spezialmissionen von Elitesoldaten gegen "Terroristenzellen". Zum Einsatzgebiet gehört auch das libanesischen Bekaa Tal, in dem Ausbildungs- und Waffenlager der Hisbollah sein sollen. Was die Lage noch prekärer macht, dort sind auch syrischen Truppen stationiert.

Hisbollah: Kampftruppe und soziale Organisation

Durch den Gefangenenaustausch ist die Popularität und die Unterstützung der "islamischen Widerstandsbewegung" Hisbollah im Libanon wie in der gesamten arabischen Welt so groß wie nie zuvor. In den letzten zehn Jahren, nach dem Ende des Bürgerkriegs, hat sich die Gruppe von einer wenig kontrollierbaren "Militia" zu einer modernen Organisation verändert. Sie unterhält kostengünstige Krankenhäuser und Schulen, zahlreiche soziale Wohlfahrtsorganisationen, ein Internetbüro mit 52 Websites, sie produziert Computerspiele und hat eine eigene, über Satellit zu empfangende Fernsehstation. Obendrein sitzen 12 Abgeordnete im libanesischen Parlament. Hisbollah gilt als die einzige Partei ohne Korruption, was im Libanon schon etwas bedeuten soll. Ein Verbot der Partei, wie es die USA fordern, würde im Libanon ein soziales Desaster einleiten. Die verarmte Bevölkerung in den Vorstädten Beiruts oder in Tripolis könnten sich medizinische Versorgung oder Schulen für ihre Kinder nicht mehr leisten. Hisbollah bietet ein großangelegtes soziales Netz gegen eine nur symbolische Bezahlung.

Nicht vergessen darf man die rund 5.000 aktiven Hisbollah-Soldaten des militärischen Flügels der Partei, die binnen weniger Tage zu einem Heer von 40.000, 50.000 oder 60.000 Mann aufgestockt werden können. Gerade beim großinszenierten Empfang der befreiten Gefangenen hat man gesehen, wie schnell und wohl geordnet die Hisbollah ohne Problem Zehntausende von Menschen mobilisieren kann. Zudem kommt eine qualitativ wie quantitativ ausgezeichnete Bewaffnung, meist aus dem Iran und zum Teil aus Syrien. Eine reale Bedrohung für Israel. Nicht umsonst sprach der Generalsekretär Hassan Nasrallah am Donnerstag beim Empfang der befreiten Gefangenen von mehreren Optionen, die Hisbollah offen stünden. Um die noch in israelischer Haft befindlichen "Freiheitskämpfer" freizubekommen, meinte der sichtlich gut aufgelegte Generalsekretär, gäbe es die Möglichkeit von Verhandlungen, aber auch den Einsatz von Gewalt, sprich die Gefangennahme von israelischen Soldaten. Breit grinsend erklärte er unter lautem Beifall, dass man aber dann dafür Sorge tragen werde, dass die israelischen Soldaten nicht tot, sondern lebend gefangen genommen werden.

Eine für die Hisbollah in den letzten Jahren so typische Drohgebärde, die, wie die Israelis sehr ungern eingestehen wollen, nur allzu schnell Realität werden kann. Die Hisbollah besitzt beste Kontakte zum israelischen Militär, von dem sie in Regel im Austausch von großzügigen Drogenlieferungen logistische Informationen bekommt. Das mache auch, laut Nasrallah, den großen Unterschied aus. Bisher hätten die Araber immer "aus einer Position der Schwäche verhandelt" und das musste scheitern.

Durch den erfolgreichen Gefangenenaustausch fühlt sich die Hisbollah in ihrer Politik bestätigt. Im Gegensatz etwa zur "Hamas" oder zum "Islamischen Dschihad" lehnt sie Racheakte ab. Sie versucht, dem "zionistischen Feind" ihre Taktik aufzuzwingen, was ihr dieses Mal gelungen ist. In der vorgesehenen zweiten Runde des Gefangenaustauschs, wo es um Informationen um den 1986 über dem Libanon abgestürzten Piloten Ron Arad geht, will man noch mehr Gefangene "befreien". "Der Kampf geht weiter", wie Generalsekretär Hassan Nasrallah versicherte. Heute hat auch der Führer der Hamas, Scheich Ahmed Jassin, angedroht, das Vorbild von Hisbollah zu übernehmen und israelische Soldaten gefangen zu nehmen, um sie gegen palästinensische Gefangene auszutauschen. Auch er kam durch Austausch aus israelischer Haft wieder frei.