In Freiheit, aber wie im Gefängnis

Nach 18-jähriger Gefängnisstrafe wird Vanunu, der 1986 Informationen über das israelische Atomwaffenprogramm weiter gegeben hat, aus der Haft entlassen - doch er bleibt ein ebenso heikles Problem wie die israelischen Atomwaffen selbst

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Alle wissen es - und sollen es auch wissen -, doch offiziell hat Israel noch nicht erklärt, dass das Land Atombomben besitzt - geschweige denn wie viele und welcher Art (Avner Cohen: The bomb that never is). Es ist ein heikles Thema, da Israel das einzige Land im Nahen Osten ist, das nukleare Massenvernichtungswaffen besitzt und demgemäß auch den Atomsperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Israel versucht, mit allen Mitteln zu verhindern, dass arabische Ländern in den Besitz von Atomwaffen kommen. 1981 hatte man den mit französischer Hilfe erbauten irakischen Atomreaktor mit Bombern zerstört, gedroht hat Israel zuletzt mit einer entsprechenden Attacke auch dem Iran.

Die Dimona-Anlage. Den Reaktor sieht man unten links. Satellitenbild aus dem Jahr 2000 von Ikonos

Israel hat in den fünfziger Jahren mit der nuklearen Aufrüstung begonnen (Israels Atompolitik). Kern des Atomwaffenprogramms ist der ebenfalls mit französischer Hilfe erbaute Reaktor Dimona, mit dem waffenfähiges Plutonium hergestellt werden kann. Die Amerikaner haben die Aufrüstung geduldet und Israel stets vor Kritik oder UN-Resolutionen in Schutz genommen sowie davor bewahrt, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Israel versteht die Atomwaffen als letztes Pfand gegen die zwar nicht technisch, aber zahlenmäßig übermächtigen Gegner der benachbarten arabischen Ländern. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 soll Israel mit dem Einsatz von Atombomben gedroht haben. 1988 hat Israel den ersten Satelliten im Weltraum stationiert, so dass auch ohne Mithilfe der USA Ziele in den benachbarten Ländern mit Jericho-Raketen getroffen werden können. Angeblich haben die Israelis auch taktische Mini-Nukes entwickelt.

Um die Deckung der US-Regierungen zu erhalten, die zumindest nicht zu deutlich der Einseitigkeit bezichtigt werden wollten. musste sich Israel verpflichten, öffentlich nicht zuzugeben, Atomwaffen und entsprechende Rüstungsprogramme zu haben. Vehement ging man also in den 80er Jahren gegen den Nukleartechniker Mordechai Vanunu vor, der in Dimona gearbeitet und 1986 nach seinem Weggang aus Israel der britischen Sunday Times Bilder und Informationen über das israelische Atomwaffenprogramm und die Dimona-Anlage geliefert hatte. 1986 wurde er - wohl auch zur Abschreckung - wegen Landesverrats zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt und meist in Einzelhaft gehalten.

Bei der Festnahme scheute man sich nicht, Vanunu aus dem Ausland gewaltsam zu entführen. Man lockte in aus London mit einer weiblichen Mossad-Agentin fort - Sex macht unvorsichtig! Er sollte sie in Rom treffen, wo er aber vom israelischen Geheimdienst festgenommen und nach Israel verschleppt wurde, um dort in einem nicht-öffentlichen Prozess verurteilt zu werden.

Mordechai Vanunu

Im April hat Vanunu seine Strafe abgedient und muss frei gelassen werden. Aber noch immer hat die israelische Regierung Angst, er könne nach 18 Jahren Geheimnisse verraten. Daher wird er, wie die Zeitung Yediot Aharonot berichtet, wohl weiterhin unter strenger Überwachung in Israel wie in einem Gefängnis leben müssen. Er wird, so planen zumindest Sicherheitskräfte, das Land nicht verlassen dürfen und keinen Pass erhalten. Und er muss sich regelmäßig bei der Polizei melden. Er darf keine Interviews geben, keine Bücher oder Artikel schreiben, seine Briefe werden zensiert. Angeblich habe nämlich Vanunu vor, wie er in Briefen aus dem Gefängnis geschrieben habe, nach seiner Freilassung weitere Geheimnisse zu verraten, beispielsweise wie Israel zu Atomwaffen gekommen ist. Vor sechs Jahren wurde das sogenannte Vanunu-Gesetz verabschiedet, dass es den Vollzugsbehörden ermöglichte, auch die von Vanunu an Knesset-Abgeordnete geschriebenen Briefe zu öffnen, was davor aufgrund von deren Immunität verboten war.

Die Sicherheitskräfte scheinen aber lieber Vanunu in die (Schein)Freiheit entlassen, als ihn weiterhin gefangen halten zu wollen, weil das noch schwieriger zu erklären wäre. Zudem müsste für eine weitere Haft jedes halbe Jahr ein Gericht die Haft mit der Begründung verlängern, dass er ein nationales Sicherheitsrisiko darstellt. Das würde jedes Mal für unerwünschte Publizität sorgen. Die geplanten "restriktiven Maßnahmen" zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann man unbegrenzt auferlegen. Vanunu würde anscheinend gerne in die USA auswandern und dort Geschichte lehren.

Der Fall Vanunu steht für die israelischen Atomwaffen. Derzeit ist in der aufgeheizten Situation im Nahen Osten das Problem noch schwieriger (Neuorganisation des Nahen Ostens), nachdem die USA wegen angeblich existierender Massenvernichtungswaffen, die sich jetzt aber endgültig als Vorwand herausstellen, in den Irak einmarschiert sind, und massiven Druck auf den Iran ausüben, während Libyen demonstrativ sein gar nicht wirklich ernsthaft begonnenes Atomwaffenprogramm einstellt. Auch wenn er keine Geheimnisse verrät, dürfte Vanunu zu einem Dauerproblem werden.