Heftige Diskussion um Nanotechnologie

Teil I: Visionen und Horrorszenarien

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Die potenziellen Risiken der Nanotechnologie rücken immer mehr in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Es hat sich gezeigt, dass eigentlich harmlose Stoffe in Form winziger Partikel plötzlich giftig werden. Die Zukunftstechnologie, die vieles revolutionieren soll, steht im Kreuzfeuer der Kritik.

Größenvergleich - vom Meter zum Picometer, Bild: The National Science Foundation

Die kritischen Stimmen gegen den Nanotechnologie-Hype ertönen schon seit Jahren und sie finden zunehmend Gehör in der Öffentlichkeit. 2000 erregte Bill Joy, Mitbegründer der Computerfirma Sun Microsystems, viel Aufmerksamkeit, als er im Magazin Wired auf das "Gray Goo"-Szenario hinwies: Die Horrorvision von sich selbst replizierenden Nanorobotern, die eine breite Spur der Verwüstung in Form grauer Schmiere hinterlassen, nachdem sie alles Lebende in Nanosubstanzen umgewandelt haben (Angst vor der Zukunft).

Die Idee stammt ursprünglich vom Nanoforscher K. Eric Drexler, dem Mitbegründer des Foresight Institutes in Palo Alto, der sich kürzlich einen heftigen öffentlichen Schlagabtausch mit dem Nobelpreisträger Richard E. Smalley darüber lieferte, ob solche Nano-Assembler - also Maschinen, die etwas produzieren und sich auch selbst zusammensetzen können - überhaupt mit den Grundlagen der Naturwissenschaft vereinbar seien (Riesenstreit im Zwergenland). Smalley geht davon aus, dass hier eine reine Gespensterdebatte geführt wird, weil es solche Nanoroboter niemals geben wird, für ihn ist das reine Science Fiction. Deshalb fordert er: "... das Licht anzuschalten und unseren Kindern zu zeigen, dass unsere Zukunft in der realen Welt eine Herausforderung mit echten Risiken bedeutet, während es keine solchen Monster wie sich selbst replizierende mechanische Nanobots aus der Traumwelt geben wird."

Auch der Thriller "Beute" von Michael Crichton thematisiert die Gefahr winziger Nanoroboter. Vom Militär als mechanische Mini-Spione entwickelt, entkommen sie einem Labor in der Wüste, schließen sich zu Schwärmen zusammen und greifen Menschen an (Die Angst des Lesers vor der Nanotechnologie). Natürlich haben sich auch andere Schriftsteller mit Visionen dieser Schlüsseltechnologie beschäftigt, aber seit 2003 kommen verstärkt warnende Stimmen aus der Wissenschaftswelt dazu.

Die Industrie fürchtet eine Public-Relations-Katastrophe

Die "Action Group on Erosion, Technology and Concentration (ETC-Group) legte einen Bericht vor, in dem sie die Forschungsergebnisse der letzten Jahre dokumentierten und darauf hinwiesen, dass die Konsequenzen des Nano-Booms nie systematisch durchleuchtet wurden. Nachweislich kann der menschliche Organismus die winzigen Teilchen durch Einatmen, über den Verdauungstrakt und durch die Haut aufnehmen. Nano-Partikel haben in vieler Hinsicht andere Eigenschaften als ihre "großen Brüder" aus dem selben Material; sie sind oft sehr giftig, obwohl ihr Ausgangsstoff völlig harmlos ist (Je kleiner, desto giftiger). Aktuelle Studien bestätigen die Schädlichkeit von Nanoröhrchen im Organismus (vgl. Teil II: Gefährliche Winzlinge).

Die ETC-Group, die sich früher schon eine Namen im Kampf gegen die Gentechnik und den Konzern Monsanto (Genetische Information soll nicht patentierbar sein) gemacht hat, fordert ein weltweites Nano-Moratorium. Auch Prominente meldeten sich 2003 warnend zu Wort, darunter Prinz Charles (Wie Chemie - heißt nur anders).

Für Nano-Wissenschaftler ist die Debatte durchaus real bedrohlich: schnell könnte die Furcht vor den Risiken zu Beschränkungen ihrer Forschung und zur Reduzierung von Fördermitteln führen. Alle haben die Gen- und Biotechnik als warnendes Beispiel vor Augen, sie befürchten ähnliche Image-Problemen, hemmende Sicherheitsauflagen und gesetzliche Grenzziehungen. "Wir können es nicht riskieren, die gleichen Fehler zu machen, die bei der Einführung der Biotechnologie gemacht wurden," warnte Rita Colwell von der National Science Foundation kürzlich.

Auch die Industrie fürchtet eine Public-Relations-Katastrophe, die sehr viel Geld kosten würde. Nanopartikel sind längst in Produkten auf dem Markt enthalten. Die Kleinstteilchen verbessern die Eigenschaft von Oberflächen, so dass Schmutz und Wasser abperlt; sie finden sich in Tinte, Sonnenkrem und Kosmetika ebenso wie in Tennisschlägern, Computern oder Reinigungsmitteln. Selbst Wundverbände bekommen durch Nanotechnologie jetzt schon verbesserte Eigenschaften.

Viele Perspektiven und die Hoffnung auf einen großen Markt

Allein vergangenes Jahr wurden in den USA in Laboratorien und Fabriken schon hunderte Tonnen Nanomaterialien hergestellt. Und das ist erst der Anfang. Die Kommunikations- und Informationstechnik soll durch sie revolutioniert werden, ebenso die Optik und Sensorik; neue Werkstoffe ermöglichen leichtere Flugzeuge und Autos. Die Medizin träumt von winzigen Molekularmaschinen, die im Körper selbst Diagnosen erstellen und anschließend operieren, z.B. Arterien von Ablagerungen befreien, Knochen oder Nervengewebe wiederaufbauen, Krebszellen von innen heraus zerstören. Und die Arzneimittelhersteller stellen sich Medikamente vor, die gezielt an den gewünschten Ort im Organismus eilen und dort dann nur die passende Menge eines Wirkstoffs freisetzen. Das Militär forscht intensiv: Eine Vision ist der komfortable Kampfanzug, der die Körperfunktionen überwacht und sich im gewünschten Moment als stahlharte Rüstung bewährt (Nanotechnologie für das Militär). Panzer sollen Selbstheilungskräfte entwickeln und auf dem Schlachtfeld die Farbe wechseln (Chamäleon-Panzer).

Große Perspektiven und ein zu erwartender Markt mit vielen hunderten Millionen Dollar Umsatz. Spekulanten haben die Nanotechnologie entdeckt; die Aktien vieler Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, haben ihren Wert in der letzten Zeit vervielfachen können, obwohl von großen Umsätzen, geschweige denn Gewinnen keine Rede sein kann. Die öffentliche Hand fördert großzügig. In Deutschland gibt es in diesem Jahr der Technik rund 250 Millionen Euro, in den USA hat der Präsident im Dezember einen neuen Förderungsplan unterschrieben und die Unterstützung auf 849 Millionen Dollar jährlich angehoben.

Die Nanotechnologie kann beim Stand der Dinge einem kritischen Dialog und besseren Risikostudien dennoch nicht ausweichen, dafür ist bereits zu viel an bedrohlichen Szenarien in die Öffentlichkeit gelangt. Das öffentliche Bewusstsein ist heute kritisch und verlangt nach den vielen Skandalen der Vergangenheit eine konstante Technikfolgenabschätzung. Bislang ist das Wissen über die Konsequenzen dieser Schlüsseltechnologie aber noch sehr gering (vgl. TAB-Studie Nanotechnologie). Auf der Konferenz Nanotex 2004, die vergangenen Monat im englischen Warrington stattfand, wurde lebhaft darüber diskutiert, dass die biologische Abbaubarkeit von Nanopartikeln sichert gestellt werden muss. Besondere Sorgen macht den Forschern dabei Ruß und Gold, die lange nicht abgebaut werden. Die Umweltauswirkungen der Nanotechnologie sollten künftig umfassend erforscht werden, darüber waren sich die Experten einig.

Heftige Diskussion um Nanotechnologie: Teil II: Gefährliche Winzlinge am Mittwoch, den 11.02.