Junkie Business

Über Monopole und Abhängigkeiten von Wirtschaftsteilnehmern sowie die Frage: Quo vadis, Wirtschaftssystem?

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"Freiheit" wird oft gleichgesetzt mit wirtschaftlicher Freiheit. Diese Annahme ist eng verknüpft mit dem Mythos "Vom Tellerwäscher zum Millionär", nach dem jeder, der es will, mit harter Arbeit reich werden kann. Freiheit geht durch Abhängigkeiten verloren, wirtschaftliche Abhängigkeiten können im großen Stil zu Erpressung führen und finden ihren Höhepunkt in Monopolen.

Welche Freiheit bietet unser kapitalistisches Wirtschaftssystem dem Einzelnen wirklich? Quo vadis, Wirtschaftssystem?

Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ja zur Bausparkasse, sag ja zur ersten Eigentumswohnung, sag ja zu den richtigen Freunden. Sag ja zur Freizeitkleidung mit passenden Koffern, sag ja zum dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung in Hunderten von Scheiß-Stoffen. Sag ja zu Do-it-yourself und dazu, auf Deiner Couch zu hocken und Dir hirnlähmende Gameshows reinzuziehen. Und Dich dabei mit Scheiss-Junk-Fraß vollzustopfen. Sag ja dazu, am Schluss vor Dich hinzuverwesen, Dich in einer elenden Bruchbude vollzupissen und den missratenen Ego-Ratten von Kindern, die Du gezeugt hast, damit sie Dich ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben.

Aber warum sollte ich das machen?

Mantra des Films "Trainspotting" (1996) über gesellschaftlich akzeptierte und gesellschaftlich nicht akzeptierte Abhängkeiten

addicted to jobs

Handel ist der partnerschaftliche Austausch von Leistungen. Was der eine nicht Braucht, tauscht er beim anderen gegen Dinge ein, die dieser gern hergibt. Zum Schluss haben beide einen Vorteil - sonst würden sie es ja nicht tun. Ein Arbeitnehmer handelt mit seiner Arbeitskraft. Mit Hilfe von Geld in Form von Lohn, den der Arbeitgeber ihm im Gegenzug gibt, kann der Arbeitnehmer dann seine Bedürfnisse auf dem Markt durch weiteren Handel befriedigen. Viele Millionen solcher Handelsvorgänge finden täglich statt.

Abhängigkeiten entstehen, wenn einer der handelnden Partner keine wirkliche Wahl hat, sondern seine Leistung hergeben muss, weil er beispielsweise eine andere Leistung/Ware dringend benötigt. So sind die meisten Menschen abhängig davon, für sich Nahrung zu erhandeln, sonst würden sie verhungern. Die wenigsten haben die Alternative, auf ihrem eigenen Stück Land unabhängig vom etablierten Wirtschaftssystem zu wirtschaften. Durch diese Abhängigkeit von Nahrung sind wir demnach zum Handeln bzw. zum Wirtschaften gezwungen und wir sind zugleich vollständig abhängig vom heutigen Wirtschaftssystem, denn ein Ausbrechen ist extrem schwierig. Als Mensch, der nicht durch die Erbfolge als Landbesitzer begünstigt ist, ist somit jeder hochgradig abhängig von Jobs, die in unserem Wirtschaftssystem angeboten werden bzw. von selbständigem oder freiberuflichem Tun im Rahmen der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten.

Big Business Monopoly

Monopole entstehen, wenn einer oder sehr wenige der handelnden "Partner" gegenüber den Kunden eine Übermacht besitzen. Monopole werfen immer eine Monopolprämie ab. Diese Monopolprämie liefert dem Monopolisten Einkommen, für die er keine Leistung erbringt (leistungslose Einkommen). Sie ist die Abhängigkeits-Prämie, die die Kunden über die Produktpreise zahlen müssen, um überhaupt an das Monopolgut zu kommen. Monopolisten optimieren ihre Produktion deshalb anders, als dies in einer wirklich freien Marktwirtschaft der Fall wäre. Monopolisten produzieren Knappheit, denn je knapper ein Gut ist, umso mehr sind die abhängigen Kunden bereit, dafür zu zahlen - schließlich haben sie nicht wirklich eine Wahl.

In einer monopolisierten Wirtschaft herrschen somit immer Knappheiten - es geht nicht mehr darum, die Nachfrage zu befriedigen (was in einer idealisierten Wirtschaft Ziel wäre), sondern darum, die Produktionsmenge genau dahingehend zu optimieren, um möglichst hohe Preise herauszuschlagen. Da Monopole extrem lohnende "Geschäftszweige" sind, wird jeder Monopolist alles dafür tun, um es aufrecht zu erhalten. Die ungewöhnlich hohen Einnahmen, denen keine ausgleichenden Kosten gegenüberstehen, bringen ihn dazu in eine extrem vorteilhafte Position. Als Beispiel sei die Firma Microsoft genannt, die nahezu ein Drittel ihres Umsatzes als Reingewinn verbuchen kann.

Wir sind kein Wohltätigkeitsverein, wir sind ein Unternehmen!

Das größte Monopol ist ein Nicht-Materielles: Es ist ein Interessensmonopol. Gesellschaftlich haben wir es längst akzeptiert: Renditestreben. Die Wirtschaft wird heute durch die großen Konzerne (meist Kapitalgesellschaften) dominiert, deren einziges Interesse eine "anständige" Rendite ist. Die gesamte Wirtschaft ist auf die Befriedigung dieses Monopols ausgerichtet: Eine Investition, die keine Rendite abwirft, findet nicht statt. Keine Rendite heißt jedoch nicht, Verluste zu realisieren. Auch Geschäfte, die kostendeckend arbeiten sind aus kapitalistischer Sicht nicht wirtschaftlich - da sie eben für das investierte Kapital keine Rendite, keinen Zins, abwerfen.

Kapitalinvestitionen sind jedoch für den Neuaufbau von Unternehmungen nahezu unentbehrlich. Durch die gesellschaftliche Akzeptanz des Rendite-Prinzips entfallen demnach alle Investitionen, die zwar gesellschaftlich wünschenswert (Kindergärten, gute Unis, Ausbildungs- und Drogenaufklärungsprogramme) sind, aber keine Rendite größer 0% auf das eingesetzte Kapital abwerfen. Daraus ergibt sich eine erneute Abhängigkeit der Wirtschaftsteilnehmer, denn ihre eigene Arbeit muss sich ebenfalls an Renditemaßstäben messen lassen. Werfen ihre Aktivitäten keine Rendite ab, so gefährden sie ihren eigenen Arbeitsplatz.

Dies führt dazu, dass der Rendite-Junkie alles tut, um die Kapitalansprüche zu befriedigen, selbst wenn dabei gesellschaftlich schädigende Aktivitäten stattfinden. Neben der Produktion von Waffen, dem Verkauf von Versicherungen und anderen Produkten, die niemand braucht, bekommt der Betrug im großen Stil immer größere Wichtigkeit, um die Renditeansprüche der immer größer werdenden Kapitalanhäufungen zu befriedigen (vgl. Wachstum, Wachstum über alles)

Betrug? Es ist oft schwer vorstellbar, dass viele inzwischen gesellschaftlich akzeptierte Vorgänge im Grunde betrügerischer Art sind. Wer kennt sich schon wirklich mit dem Sinn der Börse aus und den Aktivitäten, die dort stattfinden (vgl. Der Terror der Ökonomie)? Klarer wird der Betrug, wenn man sich die in letzter Zeit verstärkt auftretenden Berichte über erfundene Krankheiten durch die Pharmaindustrie anschaut. Aus Sicht des angesprochenen Renditezwanges ist dies jedoch verständlich: Eine Industrie schafft sich ihre eigene, renditesteigernde Nachfrage, um sie daraufhin mit ihren eigenen Produkten befriedigen zu können. Dieser Betrug ist die logische Konsequenz aus der gesellschaftlichen Akzeptanz des Rendite-Prinzips. So wird Junkie Business sehr schnell zu Monkey Business.

Für naive Geister ist es unvorstellbar, dass auch alle anderen Industriezweige mit ähnlichen Mitteln arbeiten könnten. Man könnte meinen, nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit im IT-Sektor sollten Produkte inzwischen lange halten, trotzdem fallen Drucker seltsamerweise immer öfter kurz nach Ablauf der Garantiezeit aus. Die Qualität der Produkte wird immer schlechter - aus Renditegesichtspunkten ist dies jedoch von Vorteil. Denn woher soll die Rendite und Umsatzsteigerung kommen, wenn der Kunde ewig mit den gleichen Geräten arbeitet? Was liegt also näher, Produkte mit Ausfallgarantie herzustellen?

Mit Vorsicht sollte man von "Wettbewerb" in Zeiten der Dominanz durch Großkonzerne sprechen. Die Handvoll immer größer werdende Firmen haben nämlich ein gemeinsames Interessensmonopol: Rendite. Verglichen mit der Wirtschaft vor einigen Jahrzehnten, als viele Tausende mittelständische Firmen vielen Millionen Kunden gegenüberstanden gibt es heute nur noch wenige Wirtschaftsbereiche, in denen den Kunden mehr als eine Handvoll riesige Firmen gegenüberstehen. Und aus Renditesicht macht es Sinn, die Produktion so zu optimieren, dass die Kunden möglichst häufig wiederkommen. Alles andere wäre "irrationales Mäzenatentum". "Wir sind kein Wohltätigkeitsverein, wir sind ein Unternehmen!" - welcher Mannesmann würde dies wohl nicht unterschreiben?

Mir gefiel das gut, wie sich das alles anhörte. Profit, Verlust, Gewinnspannen, Übernahmen, Verleihen, Vermieten, Untervermieten. Parzellieren, Betrügen, Aufsplitten, Abspalten. Hier gabs nur die Gesellschaft und nichts anderes. Und wenn doch, hatte ich garantiert nichts damit zu tun.

"Trainspotting"

Opium fürs Volk

Die gesamtgesellschaftliche Verschwörung aller gegen alle, um möglichst selbst nicht "unrentabel" zu werden, treibt interessante Blüten. Beispielsweise wird das Patent-Recht weiterhin als vorteilhaft angesehen, obwohl die Laufzeit der Patente meist die Dauer des Produktlebenszyklus der daraus entstehenden Produkte überschreitet und dadurch den Patentinhabern ein Monopol sichert, welches alle Kunden und dadurch die Gesellschaft zu ertragen und zu bezahlen haben. Patente zementieren zudem den Status Quo der Monopolwirtschaft, da immer mehr Patente nicht im Mittelstand sondern in den Konzernen angemeldet und/oder mit viel Geld aufgekauft werden können. Patente können nämlich nicht nur dazu benutzt werden, um damit das zu bauen, was sie monopolisieren, sondern auch um es gerade nicht zu bauen - um bereits vorhandene, vielleicht renditeträchtigere Produkte ("Cash Cows") zu vertreiben, die sonst keine Chance hätten.

Kritisch beleuchten könnten solche - unter Umständen veraltete - Konzepte im Grunde nur die Massenmedien, weil es hier um ein gesellschaftliches Problem geht. Doch die meisten Massenmedien sind heute privatisiert und unterliegen deshalb ebenfalls dem Renditezwang. Sie sind Werkzeug der Monopolwirtschaft und selbst Monopole - denn die Eintrittsbarrieren für wirklich unabhängige Medien sind durch hohe Kosten und knappe Verbreitungsressourcen (z.B. Frequenzen) extrem hoch. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, weshalb die Unterhaltungskonzerne ihre Werbekunden kaum freiwillig mit geschäftsschädigenden Sendungen verprellen werden. So lehnten die "Berliner Zeitung" und der "Tagesspiegel" soeben Anzeigen einer Bürgerinitiative zum Berliner Bankenskandal ab und auch Google wird Zensur vorgeworfen (vgl. Zensur bei Google?), wenn es darum geht, unternehmenskritische Werbung zuzulassen.

Im Gegenteil kommen derzeit verstärkt Kampagnen aus der Privatwirtschaft, die den Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien als überholt darstellen. Man stützt sich dabei auf Umfragen in der Bevölkerung, die jedoch durch die Macht der Medien selbst beeinflusst wird - denn es liegt schlicht im Eigeninteresse der Privatmedien, die unliebsame öffentlich-rechtliche Konkurrenz aus dem "Markt" zu drängen (vgl. Alles für den Markt, nichts für die Menschen ).

Allgemein gilt: Der neue Privatisierungswahn ist nichts anderes als eine neue Qualität der Monopolisierung. Während die öffentliche Hand keinen Grund hat, auf Rendite zu optimieren (jedoch stattdessen zu Verschwendung und Korruption neigt), wird die Privatwirtschaft mit jeder gekauften Autobahn, jedem Abwasser- oder Kraftwerk, mit jedem cross-border-geleasten Schulgebäude ( vgl. Wundermittel oder Scheingeschäft?) genau dies tun. Und je knapper diese Produkte durch die neuen Eigner gehalten werden, umso höher sind die erzielbaren Monopolprämien. Monopolkapitalismus ist Knappheitswirtschaft.

Geld - Otto Normalverbrauchers Heroin

Eine besondere Rolle für Abhängigkeiten und Monopolstellungen spielt Geld, denn es ist die meistgehandelte Ware auf Erden. Bei jedem Handelsprozess ist Geld beteiligt, so dass Geld genau so oft gehandelt wird, wie alle anderen Güter zusammen. Geld ist zum Überleben in der arbeitsteiligen Geld-Wirtschaft unabkömmlich, Robert A. Wilson nennt den Suchstoff deshalb in seiner Analyse der menschlichen Psyche "Der neue Prometheus" liebevoll Bio-Überlebensscheine. Obwohl Geld nichts anderes als bedrucktes Papier bzw. in Computern vorhandene Information ist und deshalb eigentlich ein im Überfluss herstellbares Kommunikationsmittel darstellt, ist es überall knapp. Ohne Geld ist Mensch ein aus der heutigen Wirtschaft Ausgestoßener, für Geld tun wir alles. Oder anders: Wir tun alles für Geld und vergessen ob unserer Abhängigkeit - wie jeder Süchtige - dass Geld eigentlich nur Mittel zum Zweck ist - nämlich uns das Leben zu erleichtern.

Das besondere an Geld, der begehrtesten Zutat unseres Wirtschaftsuniversums, ist, dass es selbst ein Monopolgut ist, manifestiert durch das gesetzlich garantierte Geldmonopol der Notenbanken. Monopole führen immer zu Monopolprämien, also zu leistungslosen Einkommen der Monopolisten, die ihre Kunden zahlen müssen und fördern zudem die Gefahr eines Marktversagens. Da Geld auf allen Märkten vertreten ist, kann ein durch Geld ausgelöstes Marktversagen entsprechend größere Auswirkungen auf die Volkswirtschaften haben. Trotzdem wird das durch die Zentralbanken der Welt vertretene Geldmonopol bislang nicht in Frage gestellt.

Monopole zerschlagen?

Das Eigentumsrecht steht in den westlichen Gesellschaften über allem. Einmal errungenes Eigentum gilt als unantastbar. Gilt dies auch noch, wenn Eigentum nicht zur Selbstnutzung sondern allein zum Zweck des Ausschlusses der anderen Wirtschaftsteilnehmer angehäuft wird, um Monopolprämien durch Abhängigkeit zu erzielen? Zur Debatte steht neben dem Geld- und Medienmonopol auch das Patent- und Bodenmonopol sowie das Erbrecht, welches Monopole über Generationen innerhalb von Dynastien erlaubt und den Rest der Menschheit von ihrer Nutzung ausschließt. Sie spalten die Welt in Reiche und Arme, in Monopolisten und Abhängige. Dabei wäre, getreu dem Motto von Attac, eigentlich genug für alle da. Der deutsche Bundespräsident Rau forderte kürzlich eine neue Wirtschafts-Ethik, erweitert werden sollte diese Forderung um eine Debatte um ein Wirtschaftssystem, welches dem 21. Jahrhundert und dem Begriff der "Freiheit des Einzelnen" würdig ist.

Ich bin ein schlechter Mensch, aber ich werde mich ändern, ich mach jetzt reinen Tisch, einen neuen Anfang, werd' anständig und sag ja zum Leben. Ich freu mich schon drauf. Bald bin ich genau wie ihr:

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"Trainspotting"