Handel mit IPR-Titeln als eine Form künftiger New Economy?

Gleichstellung von Ideen mit physischen Konstrukten gefordert

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Die zunehmenden Probleme bei der Umsetzung neuer Erfindungen - vor allem im NewEconomy- Sektor - bereitet vielen Staaten immer größeres Sorgen. Es kann einfach nicht schnell genug gehen, eine Idee in ein marktreifes Produkt und somit in klingende Münze zu verwandeln. Der Grund dafür ist nicht die hohe Nachfrage des Verbrauchers oder Anwenders, der nach neuen Innovationen giert, sondern das herrschende debitistisch/kapitalistische Wirtschaftssystem.

Ein debitistisches - d.h. auf Krediten basierendes Geldsystem, mit dem wir es seit Ende des Goldstandards (Bretton/Wood-Abkommen) 1971 zu tun haben - scheitert nämlich unausweichlich, sobald die neue zusätzliche Kreditvergabe/Kreditnahme stockt oder gar abnimmt. Es ist auf Gedeih und Verderb der Erfordernis eines unaufhörlichen Wachstums ausgeliefert. Letzteres ist für die Existenz dieses etablierten kettenbriefähnlichen Wirtschaftssystems unverzichtbar, denn ansonsten würden alle zeitlich vorher liegenden offenen Positionen (d. h. fällige Kredite) nicht mehr zu schließen sein1. Die "Kette" ist bereits durch die extrem hohen Staatsverschuldungen der meisten Länder bis zum Zerreißen gespannt. Kann also dieses Wachstum aus systemischen Gründen nicht nachhaltig generiert werden, beispielsweise durch stetes Hervorbringen genügend neuer schutzfähiger Innovationen, ist Feuer am Dach.

Dieses Hauptproblem der debitistisch/kapitalistischen Wirtschaft spiegelt sich in seinem wundesten Punkt wider: im Patentwesen. Die Art der patentrechtlich geschützten Erfindungen ist ein Indiz für die Ökonomie jenes System, das sie hervorbringt. Je mehr man daran ging, vom Schutz umgesetzter, am Markt eingeführter materiell/technizistischer Konstrukte abzuweichen - in die Richtung eines Schutzes von Produkt-Ideen, die auf Papier bestehen, desto mehr verlagerte sich auch der prozentuelle Anteil des gesamtökonomischen Outputs in Richtung "virtuelle Wertigkeit".

Vor 30 Jahren lag das Verhältnis von physisch realisierten Patenten zu reinen Ideen-Patenten etwa bei 50/50. Das heißt: Auf bereits vermarktete patentierte Produkte kamen etwa gleich viele, in Konstruktion befindliche patentierte Produkt-Ideen. Man konnte also die daraus resultierende Wirtschaft als ausgewogen und gesund bezeichnen. Nun aber, am Beginn des 3. Jahrtausends, liegt das Verhältnis etwa bei 10/90, wobei erschwerend dazu kommt, dass selbst die besagten 90% "Ideen-Patente" eine andere Konsistenz aufweisen als früher. Sie werden selbst in ihrer "umgesetzten" Form nie etwas anderes sein als bloße "Ideen" . Ein elektronischer Einkaufswagen bleibt z. B. immer nur eine computer- bzw- monitor-ablauffähige Idee und ist kein realisiertes physisches Konstrukt. Zusammen mit den unzähligen anderen Patenten, die zwar Merkmale materiell/technizistischer Art aufweisen, jedoch vielleicht noch Jahrzehnte auf Realisierung warten, ergibt sich daher ein riesiges volkswirtschaftliches Problem für alle Industrieländer: Die Frage nach internationaler Anerkennung solcher Ideen-Patente - und mögen sie noch so geringe Erfindungshöhe aufweisen - wird zu einer Überlebensfrage.

Finanzexperten aus vielen Ländern machen sich bereits Gedanken, wie man den hohen Anteil an "virtuellen Werten" (Patente, Urheberrechte) der direkten Vermarktung an der Börse zuführen könnte. In Deutschland soll es "verbriefbare Patentbestände" im Wert von 750 bis 940 Mrd. Euro geben. Eine Vorreiterrolle in Deutschland nimmt die Hamburger Börse ein. In einer Artikel in der Financial Times heißt es:

Die Hamburger Börse prüft den Einstieg in den Handel mit Patentrechten. Experten erwarten einen neuen Markt mit Milliarden-Volumen.

Ohne staatlichen Beschluss geht es natürlich nicht. Schließlich will auch die Düsseldorfer, Stuttgarter oder Leipziger Börse ans Geschäft mit immateriellen Werten. Und da die Bundesrepublik dringenden Geldbedarf hat und neue Quellen erschließen muss, könnte der Segen bald ins Haus stehen:

Die Bundesregierung spielt derzeit die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Handel mit Urheber- und Patentrechten durch. Danach könnte ein Investor Anteile an Patentrechten von Unternehmen erwerben und diese wie Aktien handeln.

Nun wird es aber spannend: Die Patente und Urheberrechte müssen bewertet werden, ansonsten können sie nicht gehandelt werden. Ein solches Evaluierungssystem wäre an sich sehr wichtig (gerade z.B. für einen Einzelerfinder oder für eine Kleinfirma). Eine Evaluierung ergäbe eine einfachere und leichtere Objektivierbarkeit einer patentierten Erfindung auch durch Nicht-Experten. Außerdem könnten triviale Ideen und Erfindungen rasch als solche erkannt werden; teure Nichtigkeitsklagen würden überflüssig. Man könnte sich etwa endlose politische Debatten um Software- oder Geschäftsmethoden-Patente dadurch ersparen, indem man sie nicht für "nichtig", sondern für "wertlos" erklärt. Aber die Frage taucht auf: Wer soll den Wert eines Patentes bemessen, und nach welchen Kriterien? Der Staat plant anscheinend Unerhörtes. In dem Artikel der Hamburger Börse steht nämlich:

Mit von der Partie ist auch das Beratungsunternehmen Knowledge One Fonds AG (K1F), das sich auf immaterielle Vermögensgegenstände wie gewerbliche Schutzrechte (Patente) spezialisiert hat. Die Partner sollen den Aufbau der Plattform begleiten und dabei helfen, die Patente zu bewerten ...

Also ein Privatunternehmen, das voraussichtlich weder über die erforderlich Kompetenz noch über die nötige Anzahl von hochqualifizierten Mitarbeitern verfügt, soll darüber entscheiden, ob ein Patent 1 Euro oder 100 Millionen Euro wert ist?

Auch die USA machen sich Sorgen, wie es mit dem Ungleichgewicht weiter geht. Bereits im Oktober des Vorjahres warnte die Federal Trade Commission, eine Art Verbraucherschutz- und Wettbewerbsbehörde, in ihrem FTC-Report vor weiterer Erteilung von Patenten mit unzureichender Erfindungshöhe, nachdem die Zahl von Nichtigkeitsklagen ständig zugenommen hatte.

In den letzten Jahrzehnten suchte man dieses Dilemma durch Ausweitung des Patentregimes auf nicht-technizistische Bereiche zu bekämpfen. Erteilung von Patenten auf Software, SW-Derivate, Geschäftsmethoden, Gene, medizinische Behandlungsmethoden und biologische Strukturen (Tiere, Pflanzen usw.) waren die Folge. Seit 1990 hat ein Run von Patentanmeldungen auf diese Gebiete eingesetzt. Nun hat sich auch Alan Greenspan, der Chef der US-Notenbank, in einer Rede an der Stanford University zum Thema "Schutz auf Geistiges Eigentum" zu Wort gemeldet.

Reflecting that flexibility, the direction and the emphasis of legislative revision over the generations have mirrored the changing structure of our economy. In recent decades, for example, the fraction of the total output of our economy that is essentially conceptual rather than physical has been rising. This trend has, of necessity, shifted the emphasis in asset valuation from physical property to intellectual property and to the legal rights inherent in intellectual property. Though the shift may appear glacial, its impact on legal and economic risk is beginning to be felt.

Greenspan verlangt ein neues global anerkanntes System zum Schutz geistigen Eigentums. Er erkennt die gewaltigen Schwierigkeiten, die dem debitistisch/kapitalistischen Wirtschaftssystem drohen. Von seinem Gesichtspunkt aus muss dieses neue IPR-Regime den Schutz von Ideen aller Art einschließen, denn ein Rückschritt in die patentrechtliche Welt des Jahres 1985 würde zum Kollaps führen. Es gibt nämlich ganz einfach nicht mehr genug Patentierbares, das ausschließlich technizistischer Natur wäre, um der Wirtschaft jenen stetigen Schub zu erteilen, der nötig wäre, um die Lücken, die der kapitalistische Super-Turbo immer weiter aufreißt, wieder zu schließen.

If our objective is to maximize economic growth, are we striking the right balance in our protection of intellectual property rights. How appropriate is our current system -- developed for a world in which physical assets predominated -- for an economy in which value increasingly is embodied in ideas rather than tangible capital?