Wurde das Higgs-Boson entdeckt?

Neues zum mysteriösen Baustein des Universums

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Das Higgs-Boson ist das für die Masse verantwortliche Teilchen, nach dem weltweit intensiv gefahndet wird. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature macht sich ein britischer Physiker auf die Suche nach diesem Baustein der Natur.

Teilchenspuren: Computersimulation des Zerfalls eines Higgs-Teilchens im Detektor. Bild: DESY Zeuthen

Das Higgs-Boson machte 2000 das letzte Mal Schlagzeilen, als der weltweit größte Teilchenbeschleuniger des Europäischen Laboratoriums für Teilchenphysik (CERN) in Genf seine Forschung in diesem Bereich einstellte (vgl. Aus für die Suche nach dem Higgs-Boson). Zuvor hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass die Wissenschaftler dort ganz nah dran waren (vgl. Auf der Jagd nach dem letzten Grundbaustein der Materie) und die entdeckten Spuren hatten zu einer vorübergehenden Verlängerung des Projekts geführt (vgl. Noch ein Versuch). Seitdem ist es sehr ruhig geworden, es gibt deutliche Hinweise auf die Existenz dieses mysteriösen Bausteins des Universums, aber auch dem Konkurrenten "Fermi National Accelerator Laboratory", kurz Fermilab genannt, ist es inzwischen nicht gelungen, das Higgs Boson tatsächlich aufzuspüren.

Jetzt wird das CERN gerade 50 Jahre alt und als "Partikelforschungszentrum von Weltklasse" gefeiert. Zu dieser Gelegenheit gab es für die Erfinder u.a. des World Wide Web neben vielen anderen Ehrungen von der Schweizer Post eine eigene Briefmarke (vgl. Fifty years of CERN history in the spotlight).

Aber natürlich ruht sich das Europäische Laboratorium für Teilchenphysik nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern arbeitet eifrig am Large Hadron Collider, um dem Higgs-Boson das Versteckspielen in der Zukunft endgültig auszutreiben. Im Februar wurde das erste Magnetmodul für den CMS-Detektor (Compact-Muon-Solenoid-Detektor) geliefert, es geht voran.

Also ein guter Moment, um einen Blick auf den vom dem schottischen Physiker Peter Higgs postulierten Mechanismus zu werfen, der nach dem Standardmodell für die Masse verantwortlich sein soll. Zudem hatte Higgs auch dieses Jahr als potenziellen Zeitpunkt der Entdeckung seines Bosons im Visier, als er einmal bemerkte: "Falls ich noch am Leben sein sollte, wenn ein Higgs-Boson gefunden wird, vielleicht im Jahr 2004, würde ich vielleicht gerne zur Pressekonferenz eingeladen werden". Sollte es gefunden werden, bekäme er sicher unverzüglich den Nobelpreis.

Peter Renton von der University of Oxford untersucht jetzt in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature unter dem etwas vollmundigen Titel "Has the Higgs boson been discovered?" den Stand der Dinge. Seine Antwort auf die Frage kann vorweg genommen werden: ein definitives vielleicht. Renton bezieht sich dabei vor allem auf die vorher angesprochenen Resultate des CERN.

Warum ist unsere Welt so wie sie ist, oder anders gefragt: Warum haben die Objekte im Universum eine Masse? Dem gesunden Menschenverstand macht diese Frage vor allem zu schaffen, weil er sie sich nie gestellt hat, für Physiker ist sie dagegen eine komplexe Aufgabe, die mit dem Standardmodell der Teilchenphysik beantwortet werden soll. Da sind die vier fundamentalen Naturkräfte, also die Gravitation, die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft (vgl. Schwerkraft lässt Teilchen hüpfen). Dazu kommen die Teilchen, zuerst die Materieteilchen, aus denen die Atome, Menschen und auch die Sterne bestehen, und dann noch die Kraft- oder Wechselwirkungsteilchen, die den Austausch der Kräfte regeln (vgl. Zutaten für ein Universum). Unklar bleibt bei all diesen Erkenntnissen, wie Masse zu Masse wird. Nach dem Standardmodell ohne Higgs gibt es keine Masse. Auf eine Lösung kam Peter Higgs vor vierzig Jahren. Er schlug das Higgs-Feld und die Higgs-Bosonen als Masseproduzenten vor. Genau genommen ist es das Higgs-Feld, eine Art hypothetisches Gitter, das allen Masse-Teilchen ihren Körper verschafft. Jedes Teilchen im Universum schwimmt durch dieses Gitter, das überall wie ein Grundmuster vorhanden ist, und interagiert ganz individuell mit ihm, je nach seinen Eigenschaften. Teilchen ohne Masse reagieren gar nicht darauf, auf sie hat das Higgs-Feld keinen Einfluss. Alle anderen erhalten durch die Wechselwirkung ihre Masse. Für ein besseres Verständnis des Higgs-Mechanismus hilft dem Laien ein Vergleich:

Auf einer Cocktailparty unterhalten sich die Gäste... (Bild: DESY Hamburg)
... Plötzlich taucht ein Prominenter auf und zieht die Aufmerksamkeit auf sich ...
.. Jeder seiner Schritte wird von Fans begleitet. Dadurch kommt er so behäbig vom Fleck als hätte er urplötzlich an Gewicht gewonnen. In diesem Bild entsprechen die Partygäste dem Higgs-Feld, der Prominente dem Teilchen, das an Masse gewinnt.

Das Higgs-Boson ist das zu dem System passende Teilchen, so wie zum elektromagnetischen Feld das Photon gehört oder zum starken Kraftfeld das Gluon. Wenn das Higgs-Boson entdeckt würde, wäre es ein schlagender Beweis für die Existenz des Higgs-Feldes. Deshalb sprechen manche Physiker von der Suche nach dem "Gral der Teilchenphysik". Bisher ist alles noch Theorie, die praktische Suche in den Teilchenbeschleunigern hat, wie bereits erwähnt, bisher nur Hinweise erbracht. Wenn es sie denn gibt, sind sie voraussichtlich sehr instabil und zerfallen schnell. Nach den Vorhersagen sollten sie über eine Masse verfügen, nach den Erkenntnissen am CERN liegt diese Masse wahrscheinlich oberhalb von 115 GeV/c2, nach den vorliegenden Daten sollte vor allem zwischen 100 bis 200 GeV/c2 (GeV/c2 = Milliarden Elektronenvolt durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit) gesucht werden. Aber wie gesagt: alles ist noch Spekulation, die Hoffnung liegt auf dem neuen Proton-Beschleuniger, dem Large Hadron Collider des CERN, der voraussichtlich 2007 seine Arbeit aufnehmen wird.