Flashmobs gegen die spanische Regierung

Gestern fand in Madrid womöglich die erste politische Protestkundgebung statt, die über SMS und Websites organisiert wurde: Neue Protestformen gegen die Desinformation

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Bei den großen Kundgebungen am Samstag gegen den Terror wurden bereits Stimmen gegen die regierende Volkspartei PP laut. Immer wieder wurde die Frage an die spanische Regierung gestellt: "Wer ist es gewesen?" oder ihr vorgeworfen: "Euer Krieg, unsere Toten!" Die spanische Regierung versuchte zunächst die Täter der Anschläge der ETA zuzuordnen. Waren es islamistische Täter, wie sich nun zunehmend erhärtet, dann geriete damit die Politik des scheidenden Regierungschefs Aznar ins Visier, der mit seinem Schulterschluss mit US-Präsident Bush Spanien zum Ziel von islamistischen Terroristen gemacht hat. Spontan gab es gestern Abend in Madrid, aber auch in anderen Städten wie Barcelona, Santiago de Compostela, Bilbao oder Sevilla vor den Parteigebäuden der Volkspartei Kundgebungen. Möglicherweise die ersten Kundgebungen, die über SMS, Chats und Websites zustande kamen.

gestern in Madrid vor der Parteizentrale der PP. Bild von dieser eilig ins Web gestellten Seite

In Madrid versammelten sich ab etwa 18 Uhr immer mehr Menschen vor dem Gebäude der regierenden Volkspartei PP, nachdem ab 14 Uhr 30 SMS-Aufrufe versendet wurden. Bekanntlich waren an die 90 Prozent der Spanier gegen eine Beteiligung ihres Landes am Irak-Krieg. Nachdem schon recht bald die Taktik der spanischen Regierung durchschaubar war, mit allen Mitteln kurz vor den Wahlen den Verdacht für die Anschläge auf die ETA und damit weg vom Thema Irak-Krieg zu lenken, verlangten bereits Teilnehmer an den Massendemonstrationen, dass die Regierung endlich die Wahrheit sagen solle (Terror vereint - und wird von der spanischen Regierung instrumentalisiert).

Das Misstrauen, falsch informiert zu werden, ist groß - und gehört spätestens seit dem 11.9. zu einer Grundschicht des öffentlichen Bewusstsein gegenüber Regierungen und Medien. In Spanien werden zudem viele Fernsehsender, allen voran der staatliche Sender Sender TVE - auch "Tele-Aznar" genannt - von den Konservativen kontrolliert. Cadena Ser warf der Regierung und den mit ihr verbundenen Medien denn auch Manipulation vor, wie sie teilweise auch von El Pais bestätigt wurde:

Die Regierung von Aznar hat alle öffentlichen Kommunikationsmedien und alle privaten Medien, die der Regierung ideologisch nahe stehen, eingesetzt, um drei Tage lang die eine These von der Urheberschaft der ETA an den brutalen Anschlägen am Donnerstag in Madrid aufrechtzuerhalten. Aznar und die Regierung haben sich persönlich eingeschaltet und sich an die Direktoren der nationalen Printmedien und die ausländischen Korrespondenten gewandt.

Schon sehr früh berichteten allerdings die spanischen Medien, auch die regierungsnahe Tageszeitung El Mundo, über die sich schnell vergrößernde Menge vor dem durch die Polizei abgeriegelten Parteigebäude der PP. Gefordert wurde u.a. : "Schluss mit der Manipulation!" oder "Vor der Wahl wollen wir die Wahrheit!" Über SMS, Websites und Mund-zu-Mund-Propaganda trafen immer weitere Menschen ein. Aufgerufen wurde dazu, sich ab 18 Uhr vor dem Parteisitz zu versammeln. Ausdrücklich wurde auch verlangt, die Parteipolitik außen vor zu lassen: "A las 6. Sede PP, calle Génova, sin partidos silencio por la verdad." Indymedia Madrid sprach auch deshalb davon, dass hier die "Zivilgesellschaft" aufbegehre.

¿Qué partido democrático? Hemos salido a la calle porque estamos hartos de que nos mientan Ni PSOE, ni IU, ni ningún otro partido nos ha comandado, y si lo hubieran organizado no habríamos ido

...just some flesh caught in this big broken machine.

Forumskommentar vom 14. März um 3 Uhr 52 in der Früh

Bis 23 Uhr waren es schon an die 5.000 Personen. Zunächst hatte die Polizei versucht, die Kundgebung zu zerstreuen und die Teilnehmer zu zwingen, ihre Ausweise zu zeigen. Mariano Rajoy, Spitzenkandidat der PP, saß zusammen mit der Parteiführung im umlagerten Gebäude fest. Er bezeichnete die Kundgebung als "illegal" und "undemokratiosch" und heizte damit die Stimmung wohl noch weiter an. Überdies bezichtigten Regierungsmitglieder die Opposition, vor allem die Sozialisten, die "Belagerung" der Parteigebäude im Land organisiert zu haben, was diese aber ebenso wie Teilnehmer an den Kundgebungen zurückwiesen. Ab 23 Uhr zogen Tausende weiter vom Parteigebäude zum Bahnhof Atocha, wo sie sich mit einem anderen Demonstrationszug verbanden. Um 3 Uhr früh löste sich die friedliche Kundgebung auf. Mehrere Hundert blieben weiter vor dem Parteigebäude.

Auch wenn Flashmobs, von Howard Rheingold enthusiastisch als neue Bewegung im mobilen Zeitalter gepriesen, von Anfang an situationistische Elemente und damit politische Züge oder gar "revolutionäres Potenzial" zugesprochen wurden, blieben sie in aller Regel doch eher eine Art Unterhaltung über die Inszenierung möglichst absurder Aktionen. Flashmobs kommen dadurch zustande, dass auf Websites, in Newsgroups oder Email-Kettenbriefen ein Vorschlag gemacht wird, wo man sich zu welcher Zeit treffen soll, um eine bestimmte Aktion auszuführen. Meist versammeln sich plötzlich einige Menschen, manchmal auch Hunderte, machen schnell etwas und lösen sich wieder in Nichts auf. Heute wurde in diesem Stil etwa für Berlin vorgeschlagen:

Wie wäre es wenn wir uns alle am U-Bhf Zoologischer Garten treffen (vor Mc Donalds) und jeder kauft sich einen Döner daneben und dann gehen alle mit dem Döner zu Mc Donalds, setzen sich gemütlich hin und essen ihn :-)

Nach einer eigentlich kurzen Blüte der Flashmobs im letzten Sommer wurde es um diese spontanen Verabredungen über die Telekommunikationsmittel von Unbekannten an einem Ort wieder ruhiger. Nachdem der Hype vorbei ist, könnten die Flashmob-Kundgebungen in Spanien jedoch den Beginn von neuen Protestformen darstellen. Sie werden nicht mehr organisiert von Gruppen, sondern können auch von einzelnen initiiert werden, da sie die viralen und blitzschnellen Verbreitungsformen von Informationen über die Kommunikationsmedien nutzen. Sie werden auch nicht lange vorher vorbereitet und damit auch nicht angemeldet, sondern finden relativ spontan und zu punktuellen Anlässen statt.

Aus Flashmobs könnten zwar auch wieder politische Bewegungen traditioneller Art entstehen, aber in der Regel werden die smart mobs (Rheingold) nur ein Aufscheinen von neuartigen Gruppen sein, die ebenso schnell wieder zerfallen wie sie sich bilden. Möglicherweise sind sie eine Folge des wachsenden Misstrauens in die (Partei)Politik und die großen Medien, vielleicht auch insgesamt in starre Strukturen, für die Selbsterhaltung primär ist. Sie könnten aber die rasant ablaufenden Informationsverbreitungs- und Meinungsbildungsprozesse in den realen Raum tragen, die sich derzeit oft unter Unbekannten auf Websites, in Foren, Newsgroups, Chat-Räumen oder Weblogs (Medienrevolution oder Tagebücher) herstellen und so die virtuellen Öffentlichkeiten auch über große Entfernungen hinweg im geografischen oder zumindest urbanen Raum verankern. Auch die Demonstrationen gegen den Irak-Krieg, die weltweit stattgefunden haben, wären ein Teil dieser neuen Kollektive(Die erste globale oder planetare Demonstration).