"Kristallnacht" im Kosovo

Das vorläufige Ergebnis der NATO-Besatzungspolitik: Albanische Separatisten machen Jagd auf die Serben

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"Wir haben es geschafft, dass Mord, Vertreibung und Gewalt beendet worden sind." (Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor dem Bundestag über die Lage im Kosovo, 20.3.2000)

"Ich freue mich, dass die Dinge so gut stehen." (Der frühere US-Präsident William Clinton bei seinem Besuch in Pristina am 19. September 2003)

"Der Fortschritt überall in der Provinz ist offensichtlich." (EU-Außen- und Sicherheitspolitik-Koordinator Javier Solana Ende Februar 2004)

Mitrovica, am 17.3.2004. Foto: B92

Seit Mittwoch, 17. März 2004, klingen diese Worte auch für jene wie Hohn, die vorher den schönen Worten der westlichen Politiker Glauben schenkten. Mindestens 30 Tote und über 600 Verletzte (Stand Donnerstag, 22.00 Uhr) - das ist die vorläufige Bilanz der aktuellen albanischen Terroroffensive. Es ist der höchste Blutzoll in der Provinz, seitdem UN und NATO dort im Juni 1999 das Kommando übernommen haben, um - angeblich - die Menschenrechte zu verteidigen (Der vergessene Krieg).

Am Anfang eines Pogroms steht immer eine Pogromlüge. So war es im Mittelalter, wenn der christliche Mob an den Juden Vergeltung üben wollte, weil die angeblich Hostien geschändet oder Knaben ermordet hatten, und genauso geschah es jetzt auch den Serben. Am Mittwoch Mittag hatten sich etwa 3.000 Albaner in der Stadt Mitrovica zusammengerottet, um Rache für den Tod von zwei Buben zu nehmen. Beide seien, so albanische Sender am Dienstag Abend, von Serben in den eiskalten Fluss Ibar gehetzt worden und dann ertrunken. So konnte man es auch am Donnerstag noch in der ARD-Tagesschau hören.

Dabei war das böse Gerücht schon in der Nacht auf Donnerstag bestritten worden, und zwar von Derek Chappel, dem Sprecher der UN-Verwaltung im Kosovo, gegenüber der Belgrader Nachrichtenagentur Beta. Chappel bezog sich auf die Zeugenaussage eines dritten Albanerjungen, der ebenfalls in den Fluss gesprungen war, aber im Unterschied zu den beiden Ertrunkenen das gegenüberliegende Ufer erreicht hatte. Das Trio habe, so der Überlebende, auf eigene Faust gehandelt, Serben seien nicht beteiligt gewesen.

Das durch die albanischen Medien verbreitete Gerücht vom Kindermord führte zu Pogromen im gesamten Kosovo. Im Unterschied zu der Darstellung der meisten westlichen Medien, die von "Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern" sprachen, gingen die Angriffe in jedem Fall von letzteren aus. "Hier spielt sich eine Kristallnacht ab", sagte ein Sprecher der UN-Verwaltung dem Belgrader Sender B92 unter dem Schutz der Anonymität. "Was im Kosovo geschieht, muss leider als Pogrom gegen Serben beschrieben werden."

Caglavica am 17.3.2004. Foto: B92

Die gefährlichste Situation hatte sich in Caglavica ergeben, wo mehrere tausend Albaner aus dem nahen Pristina einen Schutzkordon der UN-Polizei und der Kosovo-Besatzungstruppe KFOR gesprengt und anschließend die serbischen Häuser angezündet hatten. Erst als am Mittwoch Abend - Stunden zu spät - schwerbewaffnete US-Marines eintrafen, konnten die Überlebenden evakuiert werden. Auch im Dorf Belo Polje wurden alle serbischen Häuser niedergebrannt, in Ljipljan gab es vier Todesopfer. Einzig in Mitrovica, wo die Mehrheit der im Kosovo gebliebenen Serben lebt, traf der Lynchmob auf Gegenwehr: Als die 3.000 Albaner unter Einsatz von Schusswaffen die UN-Checkpoints an der Ibar-Brücke überwunden hatten, wurden sie von Selbstverteidigungskräften am Eindringen in das serbische Viertel gehindert. Dabei wurden vier Albaner getötet. Alle anderen Todesopfer von Mittwoch und Donnerstag sind Serben. (aktuelle Nachrichten auf englisch: www.b92.net).

In den deutschen Medien wurde ausführlich über Ereignisse in Belgrad und Nis berichtet, wo in Reaktion auf die Gewalt im Kosovo in der Nacht zum Donnerstag Moscheen angezündet wurden. Selbstverständlich sind solche Aktionen schändlich und darüber hinaus auch dumm, da der albanische Terrorismus nicht religiös motiviert ist. Dennoch zeigt selbst dieses Beispiel, dass man nicht von derselben Aggressivität auf beiden Seiten ausgehen kann: Die albanischen Separatisten zündeten im selben Zeitraum 14 orthodoxe Kirchen und Klöster an. Insgesamt wurden seit Juni 1999 100 orthodoxe Heiligtümer im Kosovo gebrandschatzt oder gesprengt, ohne dass westliche Medien darüber informiert hätten.

Brennende Moschee in Nis. Foto: B92

In einer ersten Stellungnahme gab Bischof Artemije von der serbisch-orthodoxen Kirche im Kosovo der KFOR die Schuld am Blutvergießen. "Diese Militärmission hat nicht für Frieden und Schutz gesorgt, sondern Mord, Brandschatzung und Kirchenzerstörung erlaubt ... Sie mögen sich als 'Friedensstifter' (peace-keepers) der 'Nationengründer' (nation-builders) bezeichnen, aber die Geschichte wird sie einmal bei ihrem richtigen Namen nennen." Der serbische Premier Vojislav Kostunica kommentierte, der albanische Separatismus habe sein wahres "Terrorgesicht" gezeigt. Die Belgrader Regierung bot angesichts des Versagens der KFOR eigene Soldaten zum Schutz der serbischen Siedlungen im Kosovo an.

Eine serbische Schutztruppe im Kosovo stößt auf den entschiedenen Widerstand der Albaner wie der NATO, ist aber in der Resolution 1244 des Weltsicherheitsrats - der völkerrechtlichen Grundlage für die Arbeit von UN und NATO in der Provinz - ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Bilanz der internationalen Besatzung führt an zusätzlichen serbischen Einheiten - eigentlich! - kein Weg vorbei: Die überwiegende Mehrheit der Serben und Roma wurden seit dem Juni 1999 aus dem Kosovo vertrieben. Das UN-Flüchtlingswerk geht von mehr als 180.000 Flüchtlingen aus, das jugoslawische Rote Kreuz von 204.000, die Regierung in Belgrad von 350.000. Während des NATO-Krieges 1999 war die Zahl der Serben in der Provinz von westlichen Medien konstant mit 200.000 angegeben worden.

"In den letzten vier Jahren sind trotz des Protektorats 2.500 Serben und andere Nicht-Albaner ums Leben gekommen", klagte der serbische Ministerpräsident Zoran Zivkovic, ein durchaus NATO-freundlicher Politiker, beim Staatsbesuch in Berlin Ende November 2003. Die in der UN-Resolution 1244 zugesicherte Entwaffnung der UCK-Terroristen wurde von der NATO nur lax ausgeführt. Statt dessen wurden die ehemaligen Untergrundkämpfer in das neugebildete Kosovo-Schutzkorps aufgenommen, das vom ehemaligen UCK-Oberbefehlshaber Agim Ceku befehligt wird. Diese - von den Besatzungsbehörden gefördete! - Hilfspolizei ist die legale Tarnstruktur für den Terror, der sich im Augenblick entfaltet.

Von Jürgen Elsässer erscheint nächste Woche das Buch "Kriegslügen. Vom Kosovokonflikt zum Milosevic-Prozeß" (Verlag Kai Homilius).