"Der Krieg ist unser Leben"

Die Schattenwirtschaft des internationalen Terrorismus, 2.Teil: Der "neue Dschihad"

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Der Krieg gegen den Terror des modernen Dschihad, so die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleoni (vgl. Auf der Jagd nach den Schätzen von Terror, Inc.), ist jenseits aller religiöser Rhetorik vor allem der Kampf gegen eine neue Ökonomie, die in ihrer wahren Größe und in ihren komplexen Verflechtungen mit dem westlichen Wirtschaftssystem noch kaum wahrgenommen wird.

Die treibende Kraft hinter dem Dschihad erkennt Napoleoni in einer "neuen wirtschaftlichen Gesellschaftsschicht", die den oligarchischen muslimischen Regimes und ihren Unterstützern, den westlichen Kapitalisten, den Kampf angesagt hat.

Vom staatlich finanzierten Terror zum Global Player

Die Kreuzzüge hatten der Not leidenden Bevölkerung Westeuropas eine Chance eröffnet, dem Tod zu entrinnen, vom Krieg zu profitieren und etwas für das eigene Seelenheil zu tun - eine äußerst attraktive Kombination. Heute ist angesichts einer düsteren Zukunft und Gegenwart und einer von der Ausbeutung durch den Westen überschatteten Vergangenheit das Versprechen für alle, die sich am heiligen Krieg beteiligen - an der weltweiten islamistischen Rebellion, die ich als den modernen Dschihad bezeichne -, ähnlich verlockend: Lohn und Brot, eine Aufgabe und ein Lebenszweck, die längerfristige Aussicht auf ein besseres Leben und selbst im Tod den Nimbus des Märtyrers.

Loretta Napoleoni

Zu Zeiten des Kalten Krieges waren es vor allem Staaten, die terroristische Gruppen finanzierten, sei es im Namen der "Aufstandsbekämpfung", wie z. B. die USA in Vietnam oder in Afghanistan, oder für den "Aufstand", wie im Falle der PLO, die Einkünfte von allerlei Staaten bezog und noch bezieht. Doch längst, so postuliert die streitbare Forscherin in Sachen Terrorismus-Finanzierung, habe sich ein Trend nach finanzieller Unabhängigkeit bei den bewaffneten Organisationen durchgesetzt. Die PLO, die als wahrer "Wirtschaftsparasit" eine finanzielle Ressource nach der anderen ausschöpfe, liefere dafür ein prominentes Beispiel.

Ein Hacker, der im Jahre 1999 in das Computersystem der PLO eindrang, stieß auf Belege von Vermögenswerten in Höhe von acht Milliarden US-Dollars; aus kopierten Dokumenten ging hervor, dass die PLO Aktien an der Tokioter und Pariser Börse besaß, sowie allerhand Immobilien in den besten Lagen in London, Paris und anderen Hauptstädten. Es fand sich eine ganze Liste von Firmen, die auf den internationalen Finanzmärkten im Auftrag der PLO agierten. Die PLO besaß demnach Aktien von Daimler, von staatlichen Fluggesellschaften und mehreren Finanzholdings im Wert von 50 Milliarden Dollar.

Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, der Liberalismus und die damit einher gehende Deregulierung haben nicht nur eine neue Art Geschäftsleute im Westen hervorgebracht, sondern auch im islamischen Osten. Waren kaufmännische Gesichtspunkte im staatlich finanzierten Terrorismus eher nebensächlich, so sind sie in der neuen Ökonomie des Terrors, wie ihn Napoleoni beschreibt, genauso fundamental wie die ideologischen Maximen der islamistischen Unternehmer. Als bezeichnendes Indiz dafür gibt sie die geschickte Nutzung des globalen Aktienmarkts an, der im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11.September zu Spekulationsgewinnen verhalf, der angeblich Leuten mit "Insiderwissen" zu gute kam.

Am 12.September schnellten die Ölpreise um über 13 Prozent in die Höhe, der Goldpreis legte um drei Prozent zu. Die ganze Woche über steigen die Preise weiter an... Alles, was Bin Laden und seine Gefährten brauchten, um mit ihren Spekulationen an den führenden Aktienmärkten ein Vermögen zu machen, waren gut eingespielte Beziehungen zu Termingeschäfts- oder Wertpapiermaklern.

Glaubt man den Ausführungen von Napoleoni zur Entwicklung des Finanznetzes der Dschihadisten im letzten Jahrzehnt, so sind die Sorgen Bin Ladens und Co. um ihre Wirtschaftsbeziehungen ihre geringsten. Der neue Dschihad hat demnach von der ökonomischen Globalisierung profitiert wie Großkonzerne im Westen.

Die Errichtung von Schattenstaaten

In einer beispiellosen "islamistischen Finanzkolonisation" haben die Dschihadisten, Napoleoni zufolge, ein finanzielles Netzwerk aufgebaut, dessen Umsätze sich mit denen der westlichen Wirtschaften messen lassen können, dessen Geld schon lange in den westlichen Finanzströmen integriert ist.

Am deutlichsten können man die Strategie der "Finanzkolonisation" am Beispiel der zentralasiatischen Länder erkennen, die zur ehemaligen Sowjetunion gehörten: z.B. Tschetschenien und Usbekistan. Die Destabilisierung des Kaukasus und die Entwicklung Tschetscheniens zur Hochburg gegen die Russen sind, so Napoleoni, zusammen mit dem von den USA unterstützten Dschihad in Afghanistan gegen die Russen Eckpfeiler der islamistischen Rebellion. Der Rückzug der Russen aus Afghanistan sowie der spätere Zerfall der Sowjetunion hat dann eine ganze Reihe von "Schattenstaaten" entstehen lassen, in denen der islamische Extremismus gedeihen konnte, der sich dann auch gegen die USA richtete.

Das Vorgehen der bewaffneten islamistischen Gruppen dort folge einem mittlerweile bewährtem Muster: Zunächst versuche man mit Gewalt einen "Schattenstaat" zu errichten; ganze Landstriche werden besetzt, die Verwaltung übernommen, die Strassen und Dörfer kontrolliert und zum Teil sogar soziale Aufgaben übernommen. Der Bevölkerung ist zu einem gewissen Teil diese Ordnung lieber als das Chaos zuvor. Die Unwilligen werden gewaltsam entfernt. Die lukrativen Einnahmen aus Drogenhandel und Schmuggelgeschäften werden von den bewaffneten Truppen weitergeleitet. Da sich kaum eine westliche Bank findet, die dort Geschäfte machen will und andere ausländische Investoren seit Jahren fernbleiben, haben sich islamische Banken etablieren können.

Anders als ihre Konkurrenten im Westen eilten die islamischen Finanzinstitute den ehemals kommunistischen Ländern rasch zu Hilfe, als nach der Trennung von Moskau das lebenswichtige Kapital knapp wurde. Dieser Prozess schuf neue Abhängigkeiten und bereitete den Boden für eine panislamische Zusammenarbeit zwischen islamischen Banken und den nun entstehenden Schattenstaaten...Der Zusammenbruch der Sowjetunion bot dem islamistischen Finanzwesen die größte Wachstumschance seit der Ölkrise der siebziger Jahre.

Die islamististische Kolonisierung muslimischer Länder und die Errichtung solcher Schattenstaaten schuf die Grundlage für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit jenseits der ökonomischen Infrastruktur des Westens. So konnte etwa Pakistan, dem besonders an einer panislamischen Zusammenarbeit gelegen ist, in den 90er Jahren Stinger-Raketen zu Schleuderpreisen an tschetschenische Rebellen verkaufen. Die Partnerschaft im afghanischen Heroinhandel ermöglicht die Finanzierung islamistischer Gruppen in ganz Asien.

Im Kaukasus und auf dem Balkan habe die "Ökonomie des Terrors" der Islamistenrebellion neues Leben eingehaucht. Die bewaffneten Gruppen würden nun keine Unterstützung aus Ländern wie Pakistan mehr brauchen, um ihren Kampf fortzusetzen. Vor allem durch den Drogenhandel werden sie von ausländischen Mächten unabhängig und könnten ihren Bedarf selbst decken.

Jeder schwache Staat, egal welchen Stadiums, schreibt Napoleoni, kann zu einer "Brutstätte" für bewaffnete Gruppen werden. Aus Furcht vor dem politischen Vakuum begrüßt die Bevölkerung in "gescheiterten" Gebieten oft starke Führer. Das Spektrum reicht von "scheiternden Staaten", wie etwa Kolumbien, wo die Zentralregierung noch ein gewisses Maß an Kontrolle ausübt, über gescheiterte Staaten, wie den Sudan, bis hin zu bereits zusammengebrochenen Staaten, z.B. Somalia; manchmal sind es nur Gebiete, so genannte "braune Zonen" innerhalb eines Staates, wie z.B. die Stammesgebiete an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan, die völlig einer staatlichen Kontrolle entzogen sind: alles fruchtbare Zonen für Schattenstaaten mit einer eigenen Ökonomie, die den Terror mit finanzieren.

Da das Geld dort meist durch Drogen- und Schmuggelgeschäfte gemacht wird und dieses Kapital obendrein dem Land entzogen wird, hat die legale Ökonomie in diesen Ländern keine Chance.

Krieg, so das Fazit von Napoleoni, als eine Art Rekolonisation dieser Regionen, ist nicht die beste Option.

Die Ironie des Schicksals will es, dass jedweder Konflikt der Neuen Ökonomie des Terrors neue Nahrung gibt, denn sie lebt vom bewaffneten Kampf; dasselbe gilt für Handelsembargos und andere wirtschaftliche Zwangsjacken für Länder, die Terrorgruppen beherbergen. Das Kappen der Verbindungen zum legitimen internationalen Handelssystem führt lediglich dazu, dass sich neue Kanäle für die illegale Wirtschaft eröffnen.

Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. Antje Kunstmann Verlag, München 2004. 448 Seiten. 24.90 EUR