Ein Schlag ins Wasser?

Die Polizei hat am 24. März einen "Schlag gegen die Verbreitung rechtsextremer Musik im Internet" geführt, ändern aber wird sich vermutlich dadurch nichts

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Die Polizei hat am 24. März einen "Schlag gegen die Verbreitung rechtsextremer Musik im Internet" geführt, zahlreiche Wohnungen durchsucht und Computer und CDs beschlagnahmt. Gegen 342 Verdächtige wird wegen Volksverhetzung ermittelt - sie sollen über die Tauschbörse Kazaa "neonazistische Musik" angeboten haben. Bis hier stimmt die Meldung, die mehr als 5000 Mal im WWW verbreitet wurde. Was daraus folgt, ist jedoch strittig.

Es handelte sich nämlich weder überwiegend um "Skinhead-Musik", wie BKA-Präsident Jörg Ziercke behauptet, noch ist das Internet daran schuld, dass sich die zur Musik passenden Ideen verbreitet haben.

Die Medientheorie, rassistische und antisemitische Musik müsse verboten werden, geistert schon seit Jahren - mit immer den gleichen Textbausteinen umrahmt - durch alle deutschen Medien. Vor vier Jahren war es Napster, heute ist es Kazaa. Und in weiteren vier Jahren wird es eine andere Tauschbörse sein. Geändert hat sich nichts - und begründet wird die immer wieder erhobene Verbotsforderung nicht.

Wenn durch das Internet rechtsextreme Propaganda in jeder Form leichter erhältlich ist, müsste das nach dieser Theorie bedeuten, dass auch die Zahl derjenigen zunähme, die rassistisch und antisemitisch dächten. Das ist aber nicht so. Die in konjunkturellen Schüben auftretenden und aufgeregten Pressemeldungen, die Neonazis nutzen schon wieder und immer öfter das Internet und der Staat müsse immer härter durchgreifen, haben mit der Realität nichts zu tun, sondern sind eher ein volkspädagogischer Moraldiskurs mit dem warnenden Zeigefinger, das Gute zu tun und das Böse zu lassen..

In ökonomischen Begriffen formuliert, heißt die Meldung ganz anders: Die Polizei hat das Angebot eines unerwünschten Produktes künstlich verknappt und hofft damit, die Nachfrage zu beeinflussen. So funktioniert Marktwirtschaft aber nicht. Ganz im Gegenteil: Schon im ersten Semester Betriebswirtschaft lernt jeder Student: "Für einen Markt gilt, dass bei einem Überangebot die Preise sinken werden, bei einer Übernachfrage die Preise steigen werden." Wer rechtsextreme Musik vom Markt nimmt, sorgt dafür, dass das vorhandene Angebot teurer wird. Das ist im Interesse der Produzenten.

Die Verbote in Deutschland sind das einzige Markenzeichen rechter Musik

Worin die "vorbeugende Wirkung" der Polizei-Aktion bestehen soll, ist ebenfalls unklar. Die Rezipienten werden kaum ihr Verhalten ändern, sondern vermutlich nur vorsichtiger sein, wenn es um in Deutschland strafbare Inhalte geht. Oder auf ausländische Produkte und Medien umsteigen. In Dänemark wurde ein Neonazi-Radiosender staatlicherseits subventioniert; in den USA darf jeder Rassist und Antisemit seine Ideen ohnehin verbreiten - im Internet und auch anderswo. Das Internet ist, trotz der vollmundigen Bekundungen hierzulande, zwar kein "rechtsfreier Raum", nationale Gesetze greifen jedoch nicht, wenn es darum geht, bestimmte Weltanschauungen verbieten zu wollen. Prävention würde bedeuten, Internetnutzer davon abzuhalten, überhaupt mit rechtsextremer Propaganda in Berührung zu kommen. Wer jedoch sucht, der findet auch; wenn nicht auf deutschen Websites oder bei deutschen Anbietern, dann eben woanders. Die Nachfrage erzeugt das Angebot, nicht umgekehrt.

Unstrittig ist, dass ein Teil der Musik, die im braunen Milieu kursiert, nach deutschem Recht volksverhetzend ist, Rassismus propagiert und mit antisemitischen Klischees hausieren geht. Man kann jedoch vermuten, dass subtile und unterschwellige Propaganda viel eher Konsumenten für politische Ideen empfänglich macht. Die Kompositionen Richard Wagners, des Lieblingsmusikers Adolf Hitlers, sind unstrittig antisemitisch. Soweit bekannt, wurde aber bisher keines seiner einschlägigen Stücke, etwa das "Siegfried-Idyll", beschlagnahmt oder gar die Wohnungen der Konsumenten durchsucht. Das Gedicht Schmulchen Schievelbeiner wurde von der neonazistischen Band "Saccara" vertont, blieb aber, da von Wilhelm Busch, von polizeilichen "Schlägen" gegen antisemitische Musik bisher verschont. Der größte Teil der Musik, die man als "neonazistisch" oder "rechtsextrem" bezeichnen könnte, stammt auch nicht aus der Subkultur der Skinheads.

Die ultrarechte Szene nutzt die Tatsache, dass es die Musik, für die sich Sympathisanten interessieren, nicht im Fachhandel zu kaufen gibt, dazu, in den einschlägigen Internetforen Tipps und Hinweise zu geben, wie man trotzdem an sie herankommt. Ohne diese Themen wären die Angebote weit weniger attraktiv. Die Verbote oder die Gefahr, in Deutschland auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu kommen - in der Regel ein Gütesiegel und Garant für einen Verkaufserfolg -, gehören zur corporate identity und sind das einzige Markenzeichen rechter Musik.

Deutschland hat von allen europäischen Ländern die härtesten Gesetze gegen rechtsextreme Propaganda. In Deutschland gibt es die meisten Abnehmer eben dieser Propaganda - in Form von Musik. Man könnte als Ökonom, der die Marktgesetze kennt, schließen, es bestünde ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Sachverhalten. Und daraus folgte, dass der "Schlag" der Polizei gegen die "Verbreitung rechtsextremer Musik im Internet" langfristig vielleicht nur ein Schlag ins Wasser war.