Tauschbörsen haben keinen Einfluss auf CD-Verkäufe

Eine neue empirische Studie von US-Wissenschaftlern widerlegt die Argumentation der Musikindustrie, während die deutsche Phonowirtschaft ihre erste Klagewelle gegen Tauschbörsenbenutzer startet

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Tauschbörsen werden gerne von der Content-Branche als maßgeblicher Grund für den Rückgang der Gewinne und überdies als Bedrohung für die Kultur bezeichnet. Ob und wie das kostenlose Anbieten und Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Werken den Markt gefährdet, ist spätestens seit Napsters erstem Erfolg höchst umstritten, gleichwohl hat die Branche ungeheuren Druck auf die Politik ausgeübt, die bislang auch willig war, zum Schutz des Marktes schärfere Gesetze zu verabschieden. Nach einer Untersuchung von amerikanischen Wissenschaftlern könnte allerdings an der Schuldzuweisung an die Tauschbörsen im Internet wenig dran sein.

Die beiden Wissenschaftler, Associate Professor Felix Oberholzer-Gee von der Harvard Business School und Professor Koleman Strumpf von der University of North Carolina, ziehen aus ihrer erstmals empirischen Untersuchung, in der sie die Zahl von heruntergeladenen Musikdateien mit dem Verkauf von CDs verglichen haben, einen eindeutigen Schluss: Das Herunterladen von Dateien aus Tauschbörsen hat nach ihnen - zumindest statistisch gesehen - keinerlei Auswirkung auf die Zahl von verkauften CDs.

Das werden die Musikindustrie und andere Content-Anbieter nicht gerne hören, die von Verlusten in Höhe von Milliarden durch den Tausch von Raubkopien im Internet sprechen. So gibt die Recording Industry Association of America (RIAA) etwa an, dass der Verkauf von CD zwischen 2000 und 2003 um zwei Milliarden Dollar zurückgegangen sei - und macht dafür vornehmlich die Tauschbörsen verantwortlich, gegen deren Benutzer dank der durchgesetzten Gesetzgebung mit Klagewellen vorgegangen wird. RIAA-Sprecherin Amy Weiss widersprach (natürlich) den Ergebnissen der neuen Untersuchung und verwies darauf, dass in Berichten "zahlreicher angesehener Gruppen und Analysten wie Edison Research, Forrester oder University of Texas" stets belegt worden sei, "dass illegales Tauschen einen negativen Einfluss auf die Verkaufszahlen von CDs" habe.

Die Schäden, die die Musikwirtschaft durch illegale Internetangebote erleidet, sind immens. Im Jahr 2003 wurden gut 600 Millionen Titel alleine in Deutschland von illegalen Angeboten heruntergeladen. Downloader geben wegen der Nutzung illegaler Angebote wesentlich weniger Geld für Musik aus. Diese Schäden führen nicht nur zu Entlassungen in der Branche, sondern bedrohen vor allem die Förderung neuer Musik: Sinkende Musikumsätze gefährden die Möglichkeit der Musikfirmen, in neue Talente zu investieren, und beschränken so die Vielfalt der Musikkultur.

Mitteilung der IFPI zum Start der Klagewelle gegen Tauschbörsenbenutzer in Deutschland

Es gibt allerdings auch Ergebnisse aus der Branche, die das in keiner Weise bestätigen. So hat der Verband der australischen Musikindustrie (ARIA) gerade die Verkaufszahlen für 2003 veröffentlicht, wonach der Umsatz um 6 Prozent und die Zahl der verkauften CDs und DVDs um 6,7 Prozent angewachsen ist. Nur der Verkauf von CD-Singles ist zurück gegangen. Es handelt sich um das bislang beste Ergebnis der australischen Musikindustrie. Insgesamt wurden mehr CDs und Musik-DVDs als jemals zuvor verkauft. Seit 1998, dem Start von Napster, wurden etwa 10 Millionen mehr Alben verkauft.

Nach den beiden Wissenschaftlern haben in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 allein bei FastTrack/KaZaA zu jeder Zeit drei Millionen Internetnutzer gleichzeitig 500 Millionen Musikdateien getauscht. Jede Woche würden weltweit über eine Milliarde Songs heruntergeladen. Doch die meisten, die über Tauschbörsen Musikdateien anbieten oder herunterladen, hätten diese auch gar nicht gekauft.

Die Wissenschaftler hatten die amerikanischen Verkaufszahlen von 680 meist erfolgreichen Alben, von denen durchschnittlich 150.000 verkauft wurden, über einen Zeitraum von 17 Wochen Ende 2002 verfolgt. Diese Daten wurden mit den Aktivitäten von amerikanischen Internetnutzern bei der Tauschbörse OpenNap verglichen (25.000 Nutzer gleichzeitig bei 10 Millionen getauschten Dateien). Während des Beobachtungszeitraums wurden 1,75 Millionen Downloads verfolgt, 0,01 Prozent der gesamten Downloads weltweit. Die Mehrzahl waren Musikdateien, ein Drittel der Tauschbörsenbenutzer US-Bürger. Sie luden während des Beobachtungszeitraums 260.889 Musikdateien herunter. Insgesamt waren nach den Wissenschaftlern die Angebote auf OpenNap und die Nutzer vergleichbar mit denen anderer Tauschbörsen.

Aufgrund der Auswertung sagen die Wissenschaftler, dass das Tauschen von Musikstücken sogar deren Verkauf erhöht, wenn diese über 600.000 Mal verkauft wurden, also besonders erfolgreich waren. Wenn ein Musikstück aus diesen Alben 150 Mal heruntergeladen wird, erhöht sich der Verkauf dieses Albums auf einer CD um eine Kopie. Ansonsten lässt sich bis auf die wenig populären Alben statistisch keine Verbindung zwischen der Zahl der heruntergeladenen Dateien und dem CD-Verkauf ziehen.

Nach statistischen Berechnungen der Wissenschaftler müssten im schlimmsten Fall mindestens 5.000 Mal Musikstücke heruntergeladen werden, um den Verkauf eines Albums um eine CD zu reduzieren. Nach diesem angeblichen Worst-Case-Modell wären die CD-Verkäufe 2002 gerade einmal um zwei Millionen Stück zurück gegangen, in Wirklichkeit aber wurden zwischen 2000 und 2002 139 Millionen weniger verkauft. Der Grund dafür müsse also demgemäß woanders liegen und wäre nicht bei den Tauschbörsen zu finden.

Die Auswirkungen des Tauschens haben also mit der Popularität der Alben zu tun. Was sowieso gut geht, profitiert eher von den Tauschbörsen, die als eine Art Verstärker fungieren. Anders als die Content-Branche immer argumentiert, scheinen es gerade die weniger populären Alben zu sein, bei denen sich ein kleiner negativer Effekt bemerkbar macht, der aber dennoch statistisch nicht signifikant sei. Das sind Alben, von denen weniger als 36.000 Stück verkauft wurden.

Der Konsum von Musik erhöhte sich stark mit der Einführung des Tauschens auf dem Internet, aber nicht jeder, der gerne Musik hört, war zuvor ein Käufer, daher ist es wichtig, beide Gruppen zu trennen.

Felix Oberholzer-Gee

Allerdings sind die Internetnutzer beim Herunterladen wählerischer als im Laden, da sie schließlich diese Option haben. Die Hälfte der Musikstücke auf den Alben wurden niemals heruntergeladen. 75 Prozent wurden nicht mehr als zwei Mal, 90 Prozent weniger als 11 Mal heruntergeladen. Man nimmt offenbar, was man kennt, oder: Gut und begehrt ist, was bereits prominent ist. So ähnlich funktioniert ja auch Google. Am meisten werden denn auch Musikstücke aus Alben heruntergeladen, die ganz oben auf den Hitlisten stehen. Dabei spielt Bewerbung über Medien natürlich eine große Rolle. Kommt beispielsweise ein Musikvideo auf MTV, so erhöht sich sowohl die Zahl der Downloads als auch die der verkauften CDs. Allerdings ist der Blick der Tauschbörsenbenutzer gleichzeitig auch ein wenig weiter. So haben die 10 am besten verkauften Alben einer Woche einen Anteil von 22,4 Prozent am Gesamtverkauf von CDs, während sie bei Downloads nur einen Anteil von 15,5 Prozent besitzen.

Die Studie der amerikanischen Wissenschaftler kommt passend zum heutigen Start der Klagewelle der Phonoindustrie gegen deutsche Tauschbörsenbenutzer ("Es kann jeden treffen"):

In einer ersten Klagewelle haben die Deutsche Landesgruppe der IFPI und die von ihr beauftragte Hamburger Rechtsanwaltskanzlei Rasch 68 Strafanzeigen erstattet. "Es gibt in "Tauschbörsen" millionenfach illegale Musikangebote. Die Phonowirtschaft kann dem nicht mehr tatenlos zusehen, während der Musikabsatz stark einbricht. Wir gehen deshalb jetzt auch gegen diese illegalen Anbieter mit rechtlichen Schritten vor."

Wenn die Studie allerdings zutreffen sollte, dann klagt die Phonoindustrie womöglich gegen ihre besten Kunden.