Organisierte Jagd auf irakische Akademiker?

Im Irak werden angeblich systematisch von Todesschwadronen Akademiker ermordet, aber es ist nichts über Täter und Hintergründe bekannt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unter der Diktatur Saddam Husseins wurden Intellektuelle geknebelt und verfolgt. Akademiker mussten der Baath-Partei beitreten. Viele flohen ins Ausland, auch um während der Zeit der UN-Sanktionen Arbeit zu finden. Auch nach dem Sturz des Diktators findet, will man al-Dschasira glauben, ein weiterer Brain Drain statt. Nun fliehen die Intellektuellen und Akademiker wieder vor der Arbeitslosigkeit und aus Angst vor einer angeblich "organisierten Mordkampagne".

Seit geraumer Zeit zielen die Anschläge der Widerstandskämpfer im Irak nicht mehr nur auf Soldaten der Besatzungsmächte oder auf Ausländer, die mit dem Wiederaufbau beschäftigt sind, sondern vornehmlich auf "Kollaborateure", d.h. auf Iraker, die als Polizisten, Sicherheitskräfte, Übersetzer oder in anderen Funktionen für die amerikanische Zivilregierung und den Regierungsrat tätig sind.

Aber neben alltäglicher krimineller Gewalt sind, so al-Dschasira, seit letztem April im Irak auch mehr als 1.000 Rechtsanwälte, Ingenieure, Wissenschaftler und Intellektuelle ermordet worden, beispielsweise Dr. Muhammad al-Eawi, der Präsident der Universität in Bagdad, der im Juli 2003 von zwei unbekannten Männern in seiner Privatklinik erschossen wurde. Am 20. Januar 2004 wurde Dr. Abdul Latif Mayah von der Mustansiriya-Universität in Bagdad getötet, schon der vierte Professor an dieser Universität. Sein Auto wurde auf der Straße angehalten, sein Leibwächter und ein Kollege durften aussteigen, er wurde angeblich von 32 Schüssen durchsiebt. Kurz zuvor hatte er sich in einer Sendung von al-Dschasira hinter Sistani gestellt und sich für direkte Wahlen ausgesprochen. Am 6. März ermordeten Unbekannte mit 12 Schüssen aus nächster Nähe Shakir al-Khafaj, den früheren Leiter des Zentralbüros für Qualitätskontrolle.

Akademiker, die unter dem Hussein-Regime gearbeitet haben, waren mehr oder weniger eng mit dem System zwangsweise verbunden. Für die Naturwissenschaftler und Techniker interessierten sich auch die Besatzungsmächte, solange man noch nach den angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen suchte. Viele wurden nicht nur befragt, sondern auch unter Druck gesetzt und zeitweise eingesperrt. Vielleicht lösten diese Verhöre Ärger bei ehemaligen Parteiangehörigen an, die gegen ihren Machtverlust, nicht notwendig für Hussein kämpfen und Angst haben, verraten zu werden. Das glaubt man zumindest in manchen US-Medien. Vielleicht wurden manche auch Opfer von Irakern, die sich an ihnen als Vertretern des alten Regimes rächen wollten, oder es handelte sich einfach um Verbrechen aus ganz anderen, unpolitischen Gründen. Möglicherweise richten sich auch Islamisten gegen säkulare, nichtreligiöse Akademiker und Intellektuelle.

Der arabische Sender glaubt jedenfalls, dass es sich um eine gezielte Mordserie handelt. Damit steht er nicht alleine, auch andere Medien sprechen von fast täglichen Anschlägen auf Intellektuelle. Vom wem diese ausgehen, sei aber unbekannt. Niemand sei bislang festgenommen worden. Angehörige und Kollegen sollen aber den Verdacht hegen, dass die irakischen Parteien, die Verbindungen ins Ausland haben, eine Interesse daran haben könnten, die "intellektuelle Elite des Irak auszulöschen".

Und wie üblich in unsicheren Zeiten finden manche Iraker auch die Ursache verschwörungstheoretisch beim Erzfeind, der für alles haftbar gemacht wird. So meint, Usama al-Ani, immerhin Direktor der Abteilung für Forschung und Entwicklung im Ministerium für Höhere Bildung und wissenschaftliche Forschung, dass irakische Wisssenschaftler "das Ziel von ausländischen Mächten, am wahrscheinlichsten von Israel" seien. Da ist man immer schnell bei der Hand, so abstrus die Verdächtigungen auch sein mögen. Das war auch schon ganz zu Beginn der Besatzung so, als manche meinten, Mossad-Einheiten seien im Irak auf Jagd nach irakischen Wissenschaftlern.

Die Angst geht offenbar unter den Akademikern um. Privatkliniken wurden geschlossen, Universitätsprofessoren sind zurückgetreten. Nach einem Polizisten seien die ermordeten Iraker "keine Mitglieder von Saddam Husseins Baath-Partei gewesen. Sie hatten keine Rolle in der Politik gespielt. Ihr einziges Verbrechen ist, dass sie gut ausgebildet sind." So werden 15 Morde an Universitätsprofessoren untersucht, die kürzlich in Bagdad und Mossul geschehen sind. Mehr als 3.000 Akademiker sollen bereits das Land verlassen haben:

Die Iraker waren daran gewöhnt, den Irak während der 13 Jahre UN-Sanktionen zu verlassen, um bessere Arbeitsmöglichkeiten zu finden, aber jetzt gehen sie, um zu vermeiden, von unbekannten, gut organisierten Todesschwadronen ermordet zu werden.

Dhafir Salman, Professor der Politologie

Der Brain Drain wird auch durch die De-Baathisierung verursacht. Viele der Regierungsangestellten und im Ausbildungssektor Beschäftigten wurden entlassen. 30 Prozent sollen aus dem Irak daraufhin ausgewandert sein. Und 8 Prozent der Wissenschaftler sollen die irakischen Universitäten verlassen haben.