Video-Überwachung in Österreich nach britischem Vorbild

Nach den Terroranschlägen in Madrid setzt der österreichische Innenminister mehr Kameras durch

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Lange vor den Anschlägen in Madrid hatte der österreichische Innenminister bereits eine verstärkte Videoüberwachung des öffentlichen Raums angedacht. Doch erst im Windschatten aktueller Terrorangst scheinen derartige Big Brother-Ambitionen besonders einfach durchsetzbar. Was kritische Datenschützer für eine problematische Placebo-Aktion halten, wird nach Madrid allerdings von der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung begrüßt.

Bereits 2003 hatte sich der konservative österreichische Innenminister Ernst Strasser nach eigenen Angaben über Videoüberwachungssysteme in Großbritannien informiert. Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. März in Madrid ging der Minister dann in die Offensive. Zunächst beklagte er, dass zwar jede Privatperson, nicht aber die Polizei, Videos in Österreich aufnehmen dürfe, und kündigte noch im selben Atemzug einen Entwurf zur Novellierung des ohnehin umstrittenen Sicherheitspolizeigesetzes an. Wo und wie die Kameras eingesetzt werden sollen, blieb zunächst vage. Genannt wurden Flughäfen, aber auch Drogen-Umschlagplätze und Einkaufsstraßen.

Was die beiden zuletzt genannten Ziele mit Terrorbekämpfung zu tun haben sollen, bleibt rätselhaft. Vielmehr könnte man sich da schon der Meinung des kritischen Datenschützers Hans Zeger anschließen, der vermutet, dass die Polizei einfach ihre Befugnisse erweitern möchte. Gegenüber den Medien interpretierte Zeger:

Ich glaube, er (Anm. Innenminister Strasser) will freie Hand für den Einsatz dieser Systeme, da wir wirklich vor der absurden Situation stehen, dass Private Aufnahmen machen dürfen, die Exekutive aber nicht. Wir fordern auch, dass das geregelt ist, aber in die andere Richtung.

Nach jüngsten Schätzungen sind derzeit bereits 160.000 elektronische Augen in der Alpenrepublik installiert. Diesen Wildwuchs gelte es nach Zeger allerdings einzudämmen und klare gesetzliche, respektive datenschutzrechtliche Reglungen zu schaffen. Die jüngste Initiative des Innenministers hält der Datenschützer lediglich für "populistischen Aktivismus". Der Bevölkerung würde lediglich ein Sicherheits-Placebo verabreicht. De facto wären die Österreicher aber einem Angriff auf ihre Privatsphäre ausgesetzt, der zudem noch erhebliche Kosten verursachen würde.

Die geplanten zusätzlichen Überwachungs- und Aufzeichnungsrechte des Innenministeriums müssen als nicht zweckgerichtet und daher als unverhältnismäßige Eingriffe in das Privatleben der Menschen angesehen werden.

Die rechtspopulistische FPÖ - sie bildet derzeit die Regierungskoalition mit der konservativen ÖVP - begrüßte den Vorstoß Strassers und verwies auf ähnliche Vorhaben in Deutschland, speziell in Bayern. Die Justizsprecherin der FPÖ ging sogar noch einen Schritt weiter als der ÖVP-Minister. Die FPÖ betrachtet den Rechtschutzbeauftragten, der die Rechtmäßigkeit des Überwachungseinsatzes und einer möglichen Datenspeicherung kontrollieren soll, für überflüssig. Auch der Bevölkerung selbst scheint im Moment ein subjektives Sicherheitsgefühl wichtiger zu sein als rationale Überlegungen zu Sinn und Unsinn solcher Videoüberwachungen. Nach einer jüngst von einem großen österreichischen Nachrichtenmagazin in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich 65% der Befragten für die von Strasser geforderte verstärkte Videoüberwachung zum Schutz vor Terroranschlägen aus.

Offensichtlich hat der österreichische Innenminister die "Gunst der Stunde" für seine Pläne erkannt und genutzt. Die Frage, wie mit Videoüberwachung denn nun tatsächlich Terroranschläge verhindert werden könnten - potenzielle Selbstmordattentäter wird man schwerlich an den Gesichtszügen erkennen können, und ob sich in einer mitgeführten Reisetasche Sprengstoff befindet, können die elektronischen Augen auch noch nicht erkennen - blieb in dem allgemeinen Unsicherheitsgefühl auf der Strecke.

Vergangenen Freitag segnete sogar der österreichische Datenschutzrat mit nur einer Gegenstimme die Pläne des österreichischen Innenministers ab. Die nächste Runde findet im Parlament statt, sobald die Novelle begutachtet wurde. Nachdem aber die Befürworter - ÖVP und FPÖ - die Stimmenmehrheit besitzen, dürfte einem weiteren Kapitel Big Brother in der Alpenrepublik kaum mehr etwas Gravierendes im Wege stehen.

Mit Galgenhumor reagierte indes auch der österreichische Verein Quintessenz, der aus Protest gegen den Vorstoß Strassers ein "q/gate" respektive einen "biometrischen Videokontrollpunkt" im Wiener Museumsquartier eingerichtet hat. Dabei werden Besucher zwar gefilmt, ihre Gesichter allerdings mit roten Augenbalken postwendend wieder unkenntlich gemacht. Damit würde man den Menschen ihre Privatsphäre quasi wieder zurückerstatten:

Zur Unterstützung der Antiterror-Maßnahmen des Innenministers wurde im Wiener Museumsquartier das erste einer Reihe von q/gates eingerichtet. An diesen Kontrollpunkten wird jeder Besucher von einer Videokamera erfasst und gesichtsbiometrisch eingelesen. Wer nichts zu verbergen hat, bekommt seine Privatsphäre [siehe Bild] umgehend automatisch zurückerstattet.