Kontaminiert!

Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Einsatz von Uran-Munition, wie dies erneut im Irak-Krieg geschehen ist, für Zivilisten und Soldaten schwerwiegende gesundheitliche Folgen hat

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Wenn man der offiziellen Sprachregelung glaubt, ist der Einsatz von abgereichertem Uran in kriegerischen Auseinandersetzungen keine große Sache. Die Waffen eignen sich ideal, um beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge zu zerstören, der beim Aufprall entstehende Uran-Staub kann aber nur über offene Wunden oder die Nahrung aufgenommen werden und wird ohnehin schnell wieder ausgeschieden. So sehen es die militärischen und politischen Führungsriegen in Großbritannien und den USA, die keine Bedenken hatten, abgereichertes Uran im Kosovo, in Afghanistan und in beiden Golfkriegen einzusetzen. Radioaktive Rückstände ließen sich in der Umwelt kaum und im menschlichen Urin überhaupt nicht nachweisen, so die beruhigende Nachricht aus den Schaltzentralen der Macht. Von Wissenschaftlern konnte diese zweifelhafte These bislang nicht eindeutig widerlegt werden.

Gleichwohl verdichten sich die Hinweise auf eine akute gesundheitliche Gefährdung für Zivilisten und Soldaten, die mit dem Uranstaub in Kontakt kommen. Eine am Mineralogischen Institut der Universität Frankfurt am Main durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass sich abgereichertes Uran nicht nur im Boden, sondern auch im Urin von Bewohnern und militärischen Einsatzkräften nachweisen lässt. Die Studie wurde von dem Geologen Axel Gerdes durchgeführt, der in Zusammenarbeit mit dem NERC-Isotopenlabor in Nottingham eine neue Methode zur genaueren Bestimmung der Uran-Isotopenzusammensetzung im Urin entwickelt hat. In Frankfurt standen dem Forscher moderne Reinstluftlabore und ein Multikollektor-Massenspektrometer zur Verfügung, mit deren Hilfe Gerdes Detailuntersuchungen durchführen konnte, die in dieser Präzision bislang nicht möglich waren.

Der Auftrag zur Analyse der Proben kam vom privat finanzierten Uranium Medical Research Center in Toronto, die Urinproben der amerikanischen Soldaten wurden von der Tageszeitung New York Daily News organisiert und nach Frankfurt weitergeleitet. Gerdes stellte fest, dass es sich bei 0,2 bis 10 % des gesamten im Urin nachgewiesenen Urans (1,1 - 65,3 Nanogramm pro Liter) tatsächlich um abgereichertes Uran handelte.

Abschließende Erkenntnisse über die tatsächliche Gesundheitsgefährdung lassen sich aus diesem Befund noch nicht gewinnen. Gerdes geht aber davon aus, dass die Menge an Uranpartikeln, die beispielsweise durch die Atmung aufgenommen wird, bei weitem größer ist als die in den Urinproben registrierte. In der Lungenflüssigkeit könnten sich die Partikel über Jahrzehnte halten und durch die energiereichen, während des Zerfalls entstehenden Alphateilchen langfristig auf das Gewebe einwirken.

"New York Daily News" hat diesen abstrakten Überlegungen mittlerweile ein Gesicht gegeben. Nach Angaben des Blattes sind vier Soldaten, die im vergangenen Jahr im irakischen Samawah stationiert waren, durch den Kontakt mit abgereichertem Uran ernsthaft erkrankt. Das Blatt zitiert Sergeant Ray Ramos stellvertretend für seine Kollegen Hector Vega, Agustin Matos und Anthony Yonnone mit den Worten:

Ich wurde gleich im Juni krank. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich durch tägliche Kopfschmerzen, ein Taubheitsgefühl in den Händen und Magenprobleme.

Über mögliche Gefährdungen durch abgereichertes Uran seien er und seine Kollegen im Vorfeld ihres Einsatzes nicht informiert worden, und Atemschutzmasken hätten auch nicht zur Ausrüstung gehört. Der Arzt Asaf Duracovic, selbst Teilnehmer am ersten Golfkrieg, gab nach der Untersuchung der Soldaten zu Protokoll:

Das sind überraschende Ergebnisse, weil es sich bei den Soldaten um Angehörige der Militärpolizei handelte, die nicht an vorderster Front in Kampfhandlungen verwickelt waren. Andere amerikanische Soldaten, die dort im Einsatz waren, müssten noch wesentlich höhere Werte aufweisen.

Duracovic steht mit seiner Vermutung natürlich nicht allein. Viele andere Wissenschaftler und Forschungsinstitute, unter ihnen auch die britische Royal Society fordern deshalb, dass die Regionen, in denen Uran-Waffen eingesetzt wurden, genau untersucht und gegebenenfalls umfassend saniert werden. Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges geht davon aus, dass allein im ersten Golfkrieg über 300 Tonnen uranhaltige Munition verschossen wurden und verweist auf Berichte irakischer Kollegen, die trotz der vermeintlich geringen Radioaktivität auf eine "signifikante Erhöhung der Krebs- und Fehlbildungsraten" hindeuten. Das ist umso problematischer als in Afghanistan und im zweiten Golfkrieg ein Vielfaches dieser Menge zum Einsatz gekommen sein dürfte.

Im US-Verteidigungsministerium sieht man die Dinge zwar gelassen, da die Studien, die vom Pentagon selbst in Auftrag gegeben wurden, nach Auskunft eines Sprechers zu der "overwhelming conclusion" kommen, dass von der Uran-Munition keine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung ausgeht. Ob diese Position mit den wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen allerdings noch lange Schritt halten kann, muss ernsthaft bezweifelt werden. Duracovic und Gerdes werden die Einzelheiten ihrer Untersuchungen jedenfalls noch in diesem Jahr auf der Tagung der European Association of Nuclear Medicine in Finnland präsentieren.