Mit Terroristen spricht man nicht

Wir brauchen eine Wende in der Terrorbekämpfung

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Mit seiner periodischen Geistererscheinung verband Usama bin Ladin, von dem man nie so genau weiß, ob er denn lebt oder tot ist, diesmal noch eine andere Überraschung. Der "Weltfeind Nr. 1" sprach ein Waffenstillstandsangebot für Europa aus. Al-Dschasira und Al-Arabija präsentierten ein wohl authentisches Tonband mit dem Angebot, mit Europa eine Waffenstillstand vereinbaren, wenn die europäischen Soldaten die islamischen Länder verlassen würden.

Ein unmoralisches Angebot

Die Forderungen für dieses "unmoralische" Angebot sind vorderhand nicht allzu weit reichend: Usama bin Ladin verlangt den Abzug aus Afghanistan und dem Irak und weiterhin, dass sich Europa nicht mehr an "militärischen Operationen gegen Muslime" beteiligen soll. Der pathetische Reim des Top-Terroristen auf die internationalen Bedrohungslage für jedermann und ihre Lösung lautet so:

Hört auf, unser Blut zu vergießen, damit wir aufhören können, euer Blut zu vergießen ... Die Lösung dieser einfachen, aber komplexen Gleichsetzung liegt in Euren Händen. Ihr wisst, dass die Situation eskalieren wird, je länger Ihr zögert. Macht dafür aber nicht uns, sondern Euch selbst verantwortlich. Intelligente Menschen werden nicht ihre Sicherheit, ihr Geld und ihre Söhne für den Lügner im Weißen Haus riskieren. Die Tötung der Russen folgte auf ihre Invasion in Afghanistan und Tschetschenien, die Tötung der Europäer folgte auf ihren Einmarsch im Irak und Afghanistan. Die Tötung der Amerikaner in New York folgte auf ihre Unterstützung für die Juden in Palästina.

Bekanntlich war einer der maßgeblichen Gründe für Usama bin Ladins "heiligen Zorn" vor dem 11.September die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien, just in der Nähe der heiligen Stätten Mekka und Medina.

Der Abzug aus Afghanistan und dem Irak ist eine geläufige Forderung, die nicht erst von Fundamentalisten erfunden werden muss. Denn die Legitimität der alliierten Besatzungs-Truppen im Irak bleibt weiterhin ein ungelöstes Rätsel des für amerikanische Kriegsentscheidungen offensichtlich nicht übermäßig folgenschweren Völkerrechts.

Zwar mag der Aufenthalt in Afghanistan völkerrechtlich weniger anfechtbar sein. Doch auch dort sind die Fortschritte auf dem Weg in eine friedliche Region mit demokratischen Primärtugenden so bescheiden, dass der Sinn der alliierten Truppenpräsenz alles andere als plausibel ist. Die Demokratisierung nach westlichem Vorbild wird in greifbarer Zukunft weder in Afghanistan noch im Irak gelingen. Insoweit ist es sinnlos, nun Truppen mit ungewissen Missionen längerfristig dort zu belassen, die offensichtlich überfordert sind, solche demokratische Regierungen installieren zu helfen.

Kommunikationsverweigerung als strategisches Apriori

Warum sollte man also unter diesen Auspizien nicht mit Terroristen verhandeln? Weil sie Gewalt anwenden und man mit solchen Figuren nicht redet? Kann man sich dieses Kommunikationsverweigerungs-Apriori vom hohen Ross herab überhaupt noch leisten?

Diese Nichtverhandlungspolitik prägte zumindest die ersten Reaktionen auf das Gewaltverzichtsangebot des al-Qaida-Chefs. Das britische Außenministerium ließ verlauten:

Die Idee eines Waffenstillstands mit einer Gruppe, die sich durch Gewalt definiert, ist absurd.

Die Idee eines Waffenstillstands ist per se nie absurd. Zudem definiert sich al-qaida selbst nicht durch Gewalt, so sehr sie sich auch in den wohl begründeten Ängsten der Weltöffentlichkeit dadurch definiert. Das uns hartnäckig umwehende Gefühl auf Flughäfen, Bahnhöfen oder in Stadien und Hochhäusern, irgendwann im Epizentrum einer Detonation zu stehen, sollte eine zweite Überlegung wert sein, das strategische und taktische Arsenal des Kampfes gegen die Bomben im Heuhaufen zu prüfen. Allein die Frage, ob Verhandlungen opportun sind, wäre daher von Regierungen zu entscheiden, während die moralische Imprägnierung von Politik längst keine Lösungen präsentiert. Politik kann sich an dieser Stelle nicht mehr den Luxus leisten, über Moral nachdenken, sondern allein über die Frage, wie die Interessen einer Gesellschaft oder Gruppe, und das heißt inzwischen: der ganzen Weltbevölkerung, effizient vertreten werden können.

Mit Verbrechern rede man nicht, war die einhellige Auffassung der europäischen Staaten. Zumindest gegenüber Verbrechern in Staatspositionen wurde dieses Position nie praktiziert. Das wäre über Jahrhunderte leidvoller Erfahrungen mit Tyrannen aller couleur strategischer und politischer Wahnsinn gewesen, sodass etwa eine moralische Freizeichnungs-Formel besagte:

They may be bastards, but they are our bastards.

Auch Saddam Hussein regierte, bevor er in Ungnade fiel, auf dieser Grundlage. So haben die Amerikaner bei ihren zahlreichen Verhandlungen mit höchst zweifelhaften Regimen nie das Problem gehabt, mit Diktatoren, südamerikanischen Drogenbaronen und Staatskriminellen aller Sorten zu reden - und mehr als das. Auch die sowjetischen Machthaber hielt man in den USA nicht nur zu Nixons Zeiten für Satans Repräsentanz auf Erden. Geredet, verhandelt, gestritten hat man gleichwohl mit ihnen. Auch der Vietnam-Krieg trat überhaupt erst in das Bewusstsein, als man mit dem Feind, der zuvor wenig mehr als ein Wurm galt, den es zu zerquetschen galt, zu reden begann.

Paradoxe Kommunikation

Die Kommunikationssituation in diesen Tagen hoher Bedrohung ist paradox. Soziologen wie Anthony Giddens charakterisieren westliche Gesellschaften als "dialogische", gesprächsbereite Demokratien, während der fundamentalistische Terrorismus als Phänomen einer nahezu autistischen Kommunikationsverweigerung gilt. Doch wo, wenn nicht an den wirklich brisanten Fronten des Kampfes der Kulturen zählt diese westliche Dialogbereitschaft, die man für eine primärdemokratische Tugend hält? Nun scheint es dagegen vorderhand so, als wollten die Terroristen verhandeln, während der Westen unberührt solche "Angebote" als strategische Finten von sich weist.

Wie kann man auf diese Aussage reagieren? Es gibt keine Möglichkeit für eine Vereinbarung unter terroristischer Bedrohung.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi

Dass man mit Gegnern verhandelt, deren Legitimität man grundsätzlich in Abrede stellt und die einen gleichzeitig drohen, ist eine Erfahrung aus den Zeiten des Kalten Kriegs, die man jetzt verdrängen will. Nun hat Bin Ladins Waffenstillstandsangebot freilich einen gewaltigen Widerhaken. Mit den USA, dem großen Satan, werde man keinen Frieden schließen - und das ist das Erzdilemma seiner Offerte.

Für die offiziellen Regierungsstimmen des Westens ist es klar, dass man einen Keil zwischen die Verbündeten treiben will, mit Zuckerbrot und Peitsche Europa weich klopfen, um sich dann ganz auf den großen Widersacher "USA" zu konzentrieren. Die eigentliche Frontlinie, auf die der "Alte vom Berge" ziele, sei die zwischen verängstigten Bevölkerungen und Regierungen, die sich aus vielen internationalen Rücksichten nicht auf unilaterale Abreden mit Terroristen einlassen könnten. Und sind nicht wenige Muslime der Auffassung, dass im Krieg mit Nicht-Muslimen Täuschung erlaubt sei, ja mehr, dass es keinen Vertrag zwischen Gläubigen und Ungläubigen geben könne? Sicher wäre es unter allen Kriterien abenteuerlich, an den langfristigen Bestand solcher Waffenstillstands-Abreden zu glauben

Verhandlungen oder Diabolisierungsstrategien

Für die FAZ ist die auf dem Tonband übermittelte Botschaft daher primitiv. Mag sein, aber man kann sich die Intelligenz der Kommunikation und die Strategien des Gegners nicht aussuchen. Notwendig ist es aber, über die eigenen Strategien nachzudenken. Die Diabolisierungsstrategie gegenüber Terror und Terroristen, die Bush ein- und eigensinnig repräsentiert, hat wenig bis nichts gebracht. Die Torheit der Regierenden beginnt spätestens dann, wenn der Feind als potenzieller Verhandlungspartner nicht mehr registriert wird, wenn er abwechselnd zur abstrakten undefinierbaren Gefahr oder zum Virus des Bösen abgestempelt wird.

Alle Verteufelungen, so widerwärtig terroristische Akte auch sind, kontinuieren das Problem. Der Terrorismus ist durch die eindimensionalen Antiterrorstrategien der US-Regierung gefährlicher denn je geworden. "Probleme, die nur mit Gewalt gelöst werden können, müssen neu gestellt werden", erklärte der Terror-Experte Friedrich Hacker schon 1973. Außer Gewaltlösungen wurde bisher nicht viel bekannt.

Mit Bushs Kreuzzugsrhetorik wurde zudem die globale Aufmerksamkeit, die Terroristen freilich zu erringen streben, erst richtig entfacht. Die eherne Konsequenz, die eiserne Marschroute, die jederzeit mit der endgültigen Vernichtung des Weltbösen enden soll, führte bislang in die Irre. Und wo sind die Zeichen, dass diese Strategie zu einem erfolgreichen Ende kommt? Bush hat mit seinem politisch sinnlosen und völkerrechtlich illegitimen Krieg Öl ins Feuer gegossen und die Antiterror-Agenda, die ihm doch immer so angelegen schien, selbst hintertrieben.

Während des ganzen bisherigen Kampfes gegen den Terrorismus lässt sich ein völliges Ungleichgewicht zwischen Gefahrenbeschwörungen einerseits und der Frage eines rationalen Umgangs bei aller unterstellten Irrationalität des Gegners konstatieren. Denn immerhin wird der Öffentlichkeit lediglich vermittelt, dass Terroristen Chaos, Tod und Vernichtung bringen, ohne dass je konkretisierbare oder gar verhandelbare Ziele solcher Gruppen erörtert werden. Dabei wäre der Terrorismus nicht nur nach seinen Taten, sondern auch nach seinen Verlautbarungen, Zielsetzungen und Motivationen genauer zu untersuchen, um geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Es ist daher höchste Zeit, intelligentere und kreativere Wege zu gehen, um den Terror in den Griff zu kriegen. Neben sozioökonomischen Maßnahmen, die langfristig nur erfolgreich sein könnten, sind daher auch neben dem Standardrepertoire von Sicherheitsmaßnahmen Verhandlungen anzustreben. Denn jenseits der inakzeptablen Mittelwahl von Terroristen gibt es doch immerhin einige Forderungen, die zumindest verhandelbar sind.

Längst reicht es jedenfalls nicht mehr aus, Maßnahmen wie den tödlichen Angriff auf den Hamas-Führer Abdel Asis Rantisi durch die israelischen Armee zu verurteilen und anschließend wieder die Hände in den Schoß zu legen. Deutschland lehnt gezielte Tötungen immer ab, erklärt Bundesaußenminister Joschka Fischer. Doch ohne den Nahost-Konflikt endgültig zu klären, wird es keine Ruhe an den unvorhersehbaren Terrorfronten geben.

Zum Nahost-Problem ist weder der Bush-Regierung noch den europäischen Regierungen bisher viel eingefallen. Die US-Regierung erklärte zur Tötung von Rantisi lediglich, dass Israel das Recht habe, sich gegen Terroranschläge zu verteidigen. Weiterhin mache man sich "ernsthafte Sorgen" um Frieden und Stabilität in der Region und Israel möge die die Folgen seines Handelns sorgfältig bedenken. Es ist geradezu ein Witz in der immer explosiveren Situation, wenn der Sprecher von US-Präsident George W. Bush alle Parteien dazu aufruft, "nun äußerste Zurückhaltung zu üben."

Fromme Appelle, die wir dem Papst nachsehen mögen, ersetzen längst kein Handeln im internationalen Gewalt-Dschungel. Auch wenn man die Terminologie des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Amr Mussa, der diesen Akt als "Staatsterrorismus" charakterisiert hat, nicht übernehmen will, sollte klar sein, dass solche Aktionen den Terroristen weiterhin das Öl für ihr Feuer spenden.

Die fehlende Intelligenz der "Intelligence"

"Intelligence", das zeigen die Erfahrungen mit den westlichen Geheimdiensten nun längst ausreichend, reicht längst nicht aus, Anschläge zu vermeiden. Die Kommunikation über Videos und anschließende Pressekommuniqués der Regierungen ist unzulänglich. Gespräche mit Terroristen sind nicht, wie es auch die italienische Regierung verlauten lässt, undenkbar. Ganz im Gegenteil sollte man nach den Erfahrungen, wie sich Staaten abmühen, überhaupt irgendwelche Erfolge im Antiterror-Kampf zu produzieren, mit Terroristen reden.

Ein Narr mag zwar sein, der glaubt, das würde fundamentalistische Überzeugungen demontieren und Standpunkte endgültig annähern. Doch statt den Weltbösen Usama bin Ladin nun wegen seines scheinheiligen Angebots als perfiden "Trickster" darzustellen, wäre es geboten, selbst eben unter Terroristen Irritationen hervorzurufen, die inzwischen die Bevölkerungen der westlichen Welt prägen. Denn es ist doch eine simplizistische Unterstellung zu glauben, Terroristen würden ohne jedes Selbstverständnisproblem in ihre unseligen Schlachten ziehen.

Bush hat dagegen alles getan, solche Irritationen bei Terroristen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ein besseres Identitätsmodell des Terrorismus als das einer inszenierten Bedingungslosigkeit der Regierenden hat vermutlich nie existiert. Auch wenn Terroristen nach dem Strafgesetzbuch Verbrecher sind, heißt das längst nicht, dass diese Kategorie den strategischen Rahmen der Regierungen prägen sollte. Es muss Bewegung in diese scheinbar unlösbaren Beziehungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren kommen, ja mehr als das: Chaos, um echte Bewegungen zwischen diesen erstarrten Blöcken zuzulassen.

Denn im Prinzip gibt es nur zwei, sich nicht ausschließende Modelle im Kampf gegen den Terrorismus: Einerseits das Ordnungsmodell des handlungsmächtigen Staates, alle Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen, um konkrete Anschläge zu verhindern. Andererseits Strategien, die paradox intervenieren, sich auf ein Spiel mit dem unheimlichen Gegner einlassen. Warum sollte man Bin Ladins Forderungen nicht etwa mit Generalamnestien für Mitläufer kontern? Lässt sich kein Keil in die Terrorgruppen selbst treiben? Bestünde die Möglichkeit, sich mit Terroristen am grünen Tisch zu Verhandlungen zu treffen?

Auch wenn hartnäckig die Position beschworen wird, al-Qaida sei alles andere als ein "global player", stellt sich die Frage, was denn anderes eine Gruppe ist, die offensichtlich so klein oder groß sie sein mag, die Welt seit Jahren erfolgreich terrorisiert. Terror kann man nicht ausrotten, so sehr die Bush-Administration ihre Maßnahmen auch immer mit diesem Ziel begründet hat. Das kann nicht länger die Position eines leidlich rationalen Politikbegriffs sein, der auch im Ungewissen operieren muss.

Immerhin, die Nachdenkphase hat ja jetzt erst angefangen. Drei Monate Zeit hat Usama bin Ladin den europäischen Regierungen eingeräumt und man sollte das Zeitfenster nicht einfach zuschlagen, ohne wenigstens den Versuch zu machen, auch eine diskursive Auseinandersetzung mit Terroristen zu wagen. Und das Risiko scheint im Blick auf die völlig verfahrene Situation doch geringer zu sein, als sich in seinem strategischen Arsenal allein auf die Hatz der unheimlichen Schattenkrieger zu bescheiden.