Angst vorm Fliegen...

...kann grenzenlos sein

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Flugangst ist nach dem 11. September nicht nachhaltig angestiegen. Die Aviophobie ist eine irrationale Angst, die nur bedingt mit der Realität verknüpft ist. Sehr real ist sie allerdings für die Betroffenen, die sie als Panik und Todesangst erleben. Sie entwickeln eigene Strategien, um einen Flug zu überleben (vgl.Angst vorm Fliegen...).

Der Diplom-Psychologe Andreas Mühlberger kann über sich selbst betäubende "Eigentherapien" nur den Kopf schütteln. Er arbeitet an der Universität Würzburg an virtuellen Flugsimulationen für die Therapie und betreibt das Institut für Flugpsychologie, das unter anderem ein Selbsthilfe-Handbuch anbietet. Er bestätigt, dass die meisten Aviophobiker eigene Techniken oder Rituale entwickeln, um ihre Todesangst irgendwie zu ertragen, aber das helfe im Grunde nicht wirklich. Alles diese Strategien seien letztlich hilflose Versuche, die Angst zu vermeiden oder zu begrenzen. Nur der Angst direkt ins Gesicht zu sehen, sich mit der angsterzeugenden Situation zu konfrontieren, bringe den Durchbruch.

Exposition nennt sich das in der Psychologie. "Wenn man die Angst einmal komplett zulässt und die Situation wirklich aushält", meint er, "dann widerlegen die Erfahrungen, die man macht, die Katastrophe im eigenen Kopf. Das passiert ganz automatisch." Seine allgemeinen Tipps zur Vermeidung von Flugangst lauten:

1. Vermeiden Sie Stress! 2. Trinken Sie am Vortag keinen Alkohol! 3. Schlafen Sie sich vor dem Flug richtig aus! 4. Besorgen Sie sich Informationen zum Fliegen und zum Umgang mit Angst. 5. Achten Sie bei Berichterstattungen durch Medien darauf, sich das äußerst geringe reale Risiko zu vergegenwärtigen! 6. Lernen Sie eine Entspannungsmethode! 7. Sichern Sie sich einen guten Sitzplatz durch frühes Einchecken! 8. Verändern Sie häufiger Ihre Sitzposition, das entspannt etwas! 9. Machen Sie sich mit dem Fliegen vertraut, fragen Sie z.B. ob sie ins Cockpit schauen dürfen! 10. Lenken Sie sich ab! 11. Trinken Sie auf längeren Flügen möglichst viel! 12. Achten Sie beim Essen auf leichte Kost!

Zusammen mit anderen Wissenschaftlern hat Andreas Mühlberger ein Trainingsprogramm zur Angstbewältigung zu Hause entworfen, das aus Informationen und mentalen Übungen besteht. Für 60 Euro kann sich das jeder bestellen und bekommt dazu telefonische Beratung durch einen Psychologen. Eine einfache Lösung, die man ohne viel Aufwand ausprobieren kann. Die Erfolge können sich sehen lassen: 67 % der Teilnehmer konnten mithilfe des Selbsthilfemanuals ihre Flugangst deutlich verringern.

In Würzburg gibt es an der Hochschule eine Psychotherapieambulanz, in der nach Vorbereitung durch einen Psychologen der Patient zu einem simuliertem Flug mit Cyberbrille antritt. Es handelt sich um Therapie in einer Sitzung und nach dem virtuellen Erlebnis sind die meisten Patienten hoch motiviert, einen realen Flug alleine zu bewältigen. Zudem gibt es viele niedergelassene Therapeuten, die einem helfen können, die Flugangst zu besiegen. Neben der Verhaltenstherapie mit Konfrontation, die sich wissenschaftlich als sehr effektiv erwiesen hat, gibt es als Alternative auch die Hypnotherapie, die mit Vorstellungen und Bildern arbeitet. Sie eignet sich für Patienten, die für Hypnose empfänglich sind, die Empfindlichkeit wird heute gestestet (vgl. Flugangst bewältigen).

Ein Angebot mit niedriger Schwelle sind die Wochenendseminare, die in Zusammenarbeit mit Fluggesellschaften veranstaltet werden, z.B. die der Agentur Texter-Millott, die seit 1981 "Seminare für entspanntes Fliegen" zusammen mit der Lufthansa in verschiedenen deutschen Städten veranstaltet. Die Teilnehmer werden in komprimierter Form verhaltenstherapeutisch an den Flug heran geführt, der dann am Ende des Seminars stattfindet. Dabei wird der Gruppe sowohl die Technik ausführlich direkt auf dem Flugfeld erklärt, wie auch Entspannungsübungen vermittelt. Mehr als 90 Prozent der Flugphobiker gehen dann am Ende an Bord, mehr als 80 Prozent haben dauerhaft weniger Flugangst. Und das obwohl ca. 50 Prozent der Teilnehmer wegen ihrer Angst vor dem Seminar gar nicht mehr geflogen sind. Bei fast der Hälfte der Absolventen verschwindet die Panik komplett.

Nach dem 11. September gab es keinen Ansturm auf die Seminare, im Gegenteil: weil weniger Leute überhaupt fliegen wollten, kamen auch weniger. Die Veranstalterin Silvia Texter-Millott sieht in den vergangenen Jahren nur eine deutliche Tendenz: zunehmend nehmen Kinder und Jugendliche teil und bei ihnen spielen die aus den Medien aufgenommenen Bilder eine wesentliche Rolle. Einer der Seminarleiter, Diplom-Psychologe Sascha Thomas, sieht keine großen Auswirkungen der Terrorismus auf die Aviophobiker:

Die Angst vor dem Terror ist nicht das Hauptthema geworden, die Ängste sind andere. Es gibt sicher Verstärkungsmechanismen dadurch, aber ich hatte noch nie einen Seminarteilnehmer, der gesagt hat, er hätte beim Fliegen hauptsächlich Angst vor einem terroristischen Anschlag.

Die Entstehung von Flugangst ist ein komplexer, multifaktorieller Vorgang. Viele hatten sie schon vor ihrem ersten Flug, andere bekommen sie ganz plötzlich ohne einen deutlichen äußeren Anlass. Sicher ist, dass die Phobie auch durch Vielfliegen nicht von alleine besser wird, die Symptome verschärfen sich eher noch. Stress im Alltag oder Beruf kann das Problem auslösen oder verstärken. Zu den Auslösern gehören auch einschneidende emotionale Erfahrungen wie schwere Krankheit oder der Tod eines Angehörigen.

Die Angst vor dem Absturz ist bei vielen nur ein Teil des Problems, sie fürchten auch einen Herzinfarkt zu bekommen, die Kontrolle komplett zu verlieren - sie fühlen sich einer Technik ausgeliefert, die ihnen kein Entkommen ermöglicht. Häufig vermischt sich Aviophobie auch mit Klaustrophobie (Angst in engen Räumen) oder Höhenangst. Unter den Teilnehmern der Flugangstseminare der Lufthansa leiden 85 Prozent noch unter zusätzlichen Ängsten, berichtet Sascha Thomas. Nur ungefähr die Hälfte erlebte auslösende Elemente beim Fliegen wie Turbulenzen, erneutes Durchstarten beim Anflug oder Notlandungen.

Flugangst ist offiziell als spezifische Phobie klassifiziert - trotzdem übernehmen die Krankenkassen die Kosten für eine Therapie nicht. Also selbst bezahlen, es mit dem Selbsthilfehandbuch versuchen oder nach Anleitung eines ehemaligen Betroffen, Otto Buchegger, der auf seiner Website klar feststellt: "Du hast die Wahl: Nicht fliegen, mit der Angst leben oder die Angst bekämpfen".