Bang-Bang-Spiele

Kunst, Grauen und Erlösung: Tarantinos KILL BILL VOL.2

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Die Fortsetzung von Quentin Tarantinos Popmärchen mit anderen Mitteln. Wie der erste, so ist auch der zweite Teil von KILL BILL eine Liebeserklärung an das Kino, ein großes Spiel, aber auch ein perverser Bildungsroman, in dessen Hintergrund die Frage eine Rolle spielt, ob man seiner Natur eigentlich entgehen kann. Dabei wirkt der zweite Teil zwar ähnlich spannend und geistreich, aber in vielem konventioneller, ruhiger, verquasselter - ein einziger langer Anlauf zu einem notwendigen Showdown.

"Bang Bang" sagt das kleine Mädchen, und hebt die Waffe. Die ist aus Plastik, und weil die Mutter das rechtzeitig sieht, wird sie ihre Tochter nicht erschießen, obwohl sie die eigene Waffe, eine echte in diesem Fall, schon in Anschlag hält. Stattdessen fällt sie - "Bang Bang" - selbst getroffen auf den Boden. "Oh Mummy, don't die!" ruft die Tochter. "I was just playing..." ist die Antwort.

Vielleicht ist dies ja die tiefste Einsicht des an Einsichten und Thesen nicht gerade armen neuesten Films von Quentin Tarantino: Dass das Leben und damit auch das Sterben viel näher dran sind am Spiel, als wir das gern wahrhaben möchten, sowenig wir ja gerne wahrhaben wollen, dass in den Spielen der Kinder viel mehr Ernst und Einsicht stecken, als uns lieb ist. Im Kino jedenfalls ist das Sterben ein Spiel; und möglicherweise sind deshalb Tarantinos Filme dem reinem Kino so nahe, weil nur wenige so sehr reines Spiel sind, wie sie - nicht deshalb, weil alle Schauspieler nach dem "Cut!" des Regisseurs wieder aufstehen, als weil in ihnen gar nicht so wichtig ist, was geschieht, sondern wie.

Einmal zum Beispiel wird Uma Thurman, also "Black Mamba", also "The Bride", also Beatrix Kiddo, also die Heldin des Films, Uma Thurman also, lebendig begraben. Der Sargdeckel ist schon zugenagelt, der Sarg in der Tiefe, und die ersten Erdhaufen werden hinterher geworfen. Weil Tarantino solche Momente liebt, kostet er sie ganz aus: Er lässt es wirklich völlig schwarz werden auf der Leinwand, zwei unendliche Minuten lang, man hört nur Thurmans Stöhnen, und die Beklemmung bemächtigt sich auch des Zuschauers - in einem Kino ohne Licht und mit kaum Ton fühlt auch das Publikum sich ein wenig lebendig begraben. Weil Tarantino diese Erfahrung immer weiter hinauszögert, die Schwärze nicht aufhören will, wird es um so großartiger, wenn sie es dann doch tut. Denn immer wusste man, dass es geschehen würde; um seine Hauptfigur dauerhaft unter die Erde zu bringen, dafür war der Film nicht alt genug und das Vertrauen in diese Heldin zu groß, auch natürlich in den Regisseur, der die Gesetze der Genre kennt, und seinem Publikum fast immer gibt, was es will. Nur in anderer Weise.

Auch das gehört zum Spiel. Kinder, diese ernsten Spieler, sind grausam, und in gewissem Sinn ist Quentin Tarantino als Regisseur tatsächlich ein kleines grausames Kind, das mit dem Zuschauer und mehr noch mit sich selbst seine Spiele spielt. Das Spiel namens KILL BILL hat zwei Teile, der erste ist frech, schnell und actionreich, der zweite ruhiger, verquasselter, gradliniger, ein einziger langer Anlauf zum notwendigen Showdown. Ein Ying und Yang des Kinos.

Quentin Tarantino oder der Ernst des Lebens

"Bang Bang" sang Nancy Sinatra am Anfang des ersten Teils, das taucht auch in KILL BILL VOL.2 wieder auf, und der Witz dieses Songs ist genau diejenige Haltung, die Tarantino mit uns einüben möchte. Natürlich ist das dann auch schon der Einsatz für die "Schluss mit lustig!"-Fraktion, die gerade in Deutschland "in der Krise" wieder Oberwasser hat, und dann gern daran erinnert, dass man ja nicht immer alles ins Unerste ziehen kann, und wie pädagogisch fragwürdig doch "Bang Bang"-Spiele seien, dass schließlich die Arbeitslosen ja auch nichts zu lachen haben, und, genau, die Wirtschaft und die Rente, und, hm, im Irak zum Beispiel, da hat "Bang Bang" doch eine ganz andere Bedeutung, gerade jetzt... kurzum: an den Ernst des Lebens. Und das nur, weil sie nicht verstehen, dass auch Spiele ihren Ernst haben, "Bang Bang"-Spiele vor allem. Vor dem Grauen hat Tarantino nämlich nie die Augen verschlossen, vor der Utopie, der Erlösungshoffnung allerdings auch nicht, die in dem "I was just playing..." verborgen liegt, und in der Möglichkeit, wieder aufzustehen. Genau davon handelt Kunst. Grauen und Erlösung gehören zusammen, und manchmal wird das eine zum anderen. Tarantinos Figuren, sämtlich Kunstfiguren, also Archetypen des Verhaltens, leben im Grauen und hoffen auf nichts so sehr wie auf Erlösung. Dass die manchmal im Tod liegt, macht sie nicht weniger erlösend.

Wie Grauen und Erlösung, das Leben und der Tod zusammengedacht werden können, wie sich das Leben in den Griff bekommen lässt, das ist gerade der Punkt in Tarantinos Filmen. Und Tarantinos eigene Antwort liegt immer irgendwo im Mythologischen. Mag das auch vielleicht nur wieder eine andere Form der Flucht vor dem wirklichen Problem sein - wann ist das Grauen unausweichlich? wann ist Erlösung möglich? Und kann das eine mit dem anderen zusammenfallen? -, kann man dem Regisseur zumindest nicht vorwerfen, er wäre nicht offen mit dem, was er tut. Tarantinos Mythologie ist allerdings nicht die der Bildungsheiligen aus dem humanistischen Gymnasium, sondern die scheinbar profanere der Popkultur. Kino, Musik, Comic. Pulp Fiction eben. Einmal, gegen Schluß von KILL BILL VOL.2, ist von der Faszination für die Superhelden des Comics die Rede, von der Superman-Mythologie. "Jeder Superheld" heißt es da, habe ein alter ego, nur Superman habe keines: "Er wurde nicht Superman, er war immer schon Superman." Und sein scheinbares alter ego sei nur eine schale Maskierung: "Clark Kent ist Supermans Kritik an der gesamten Menschheit." Was immer dies uns vielleicht auch noch sagen will, geht es hier unter anderem darum, ob man seiner Natur überhaupt entgehen kann. Vielleicht ist dies die eigentliche Frage, die Quentin Tarantino umtreibt. Es ist jedenfalls die Frage, die KILL BILL VOL.2 dominiert.

Michael Madsen oder die Selbstgefälligkeit

Diejenigen, an denen die rächende "The Bride" ihre Rache vollzieht, können das offenbar nicht. Im ersten Teil schien es noch möglich, zumindest für die von Lucy Liu gespielte O-Ren Ishii. Sie war das düstere Gegenstück zur Braut, ihre Schwester im Geiste, und als einzige ihrer Gegnerinnen ähnlich traumatisiert, und darum souveräner, als der Rest. Hier blitzte immerhin kurz so etwas wie Verständnis, wie Überschreitung der eigenen Natur und einer schicksalhaften Gegnerschaft auf. Der Rest ist alttestamentarisch; Auge um Auge, wer siegt der siegt, es kann nur einen geben. Nicht grundlos tragen alle Angehörigen der "DVAS" (Deadly Viper Assassination Squad) Namen von Giftschlangen: Es sind tödliche Bestien in Menschengestalt, und unter anderem auch darin entpuppt sich der Zeichenkünstler Tarantino als heimlicher Sadist: indem er Menschen zu hochgefährlichen Tieren macht, die man töten muss.

Einer von ihnen ist Budd, der erste Gegner, der der "Braut" im zweiten Teil gegenübertritt. Diese versoffene Killermaschine ist das perfekte Gegenstück und in ihrer plump-coolen, durch keinerlei Stilgefühl eingeschränkten Brutalität der gefährlichste Gegner der "Braut". Michael Madsen spielt ihn mit unglaublich sardonischem Charme; selten hat man im Kino einen Bösewicht gesehen, dessen Selbstgefälligkeit aufrichtiger, weniger Maske war, als bei dieser Figur. Doch selbst solche Figuren spielen, so wie grausame Kinder das tun, und so wie sie dabei ihr Wesen treffen, ganz sie selbst sind, erreichen sie auch ihren Untergang. Wenn Uma Thurman der Engel ist und des Autors alter ego in Tarantinos "Göttlicher Komödie", und Lucy Liu der gefallene Engel, dann ist Madsen der Teufel.

Uma Thurman oder der Überlebenswille

Bevor Helden ans siegreiche Ende kommen, müssen sie durch die Hölle gehen. Das muss wohl auch die innere Hölle sein, der man nur durch Selbstüberwindung entgeht, also durch Selbstverlust und -Neuerfindung. So geschieht es hier mit der Braut, die zwar noch über weite Strecken in Weiß auftritt in diesem Film, aber ihre Rolle ebenso ablegt, wie zuvor die der "Black Mamba". Schon am Ende von KILL BILL VOL.1 hatte man von ihrem Kind erfahren, und so mutiert sie nun zur Mutter. Als solche erhält sie auch einen bürgerlichen Namen, "Beatrix Kiddo", der vielleicht ihr echter ist, jedenfalls aber auch ein mythologischer Fingerzeig, denn Beatrice hieß schon Dantes Begleiterin durch die Unterwelt. Auch Beatrix hat eine Höllenfahrt überlebt, als sie am Ende auf der Schlussgraden ankommt: Eine weitere Station dieses perversen Bildungsromans war das Shaolin-Kloster des Mönchs Pei Mei. Hier lernt sie von dieser asiatischen Yoda-Variante nicht nur die "Five-Point-exploding-heart technique", sondern auch, wie man mit der Faust durch Wände stößt, und auch dann noch überlebt, wenn man mit beiden Beinen im Grab steht.

Diese Episode im Stil eines 70er-Jahre-Martial-Arts-Hongkongfilms, etwa von King Hu, ist auch die - leider - einzige Referenz Tarantinos an das asiatische Kino. War KILL BILL VOL.1 noch ein Crossover aus chinesischem, japanischem und US-Kino, so bleibt Tarantino diesmal ganz im eigenen Land, sieht man von kleinen Zitatausflügen in den Italo-Western ab. Noch unangenehmer fällt ins Gewicht, dass bei Beatrix' Gegnern diesmal die weißen Männer mit einer Ausnahme ganz unter sich bleiben. War der erste Teil auch in dieser Hinsicht ein unhierarchisches Mischmasch, scheint diesmal in merkwürdiger Weise das weiße Amerika wieder unter sich zu sein. Von der semiotischen Globalisierung, die man im ersten Teil bemerken konnte, ist wenig übrig geblieben.

KILL BILL VOL.2 ist auch gradliniger und in vielem konventioneller, als sein Vorläufer - und irgendwann denkt man an "Dr. Kimble auf der Flucht": Wie schafft sie es diesmal, den Schurken zu töten? Konventionell ist KILL BILL VOL.2 zudem in seiner Betonung der Natur als Schicksal. "Hast Du wirklich geglaubt, Dein Leben in El Paso hätte geklappt?" wird Beatrix gefragt. "No" ist ihre Antwort, und so weiß man am gegen Ende, dass auch sie ein "Natural Born Killer" ist. Da siegt dann das Grauen, indem es noch zur Voraussetzung für die Erlösung erklärt wird. Und der Film bekommt bei aller Gutgelauntheit seinen düsteren Schlussakzent, aber eben auch seine Ausrede, mit der sich die Zuschauer um die Frage nach ihrer eigenen inneren Gewalt herumdrücken können. Dass aber dieser Film, bloß weil er spielt, mit der Wirklichkeit und ihrer Gewalt weniger zu tun hat, als etwa eine Dokumentation wie BOWLING FOR COLUMBINE, dass dies als "nur Kino", "nur Unterhaltung" wahrgenommen werden könnte, können nur Naive glauben.

Wie der erste Teil ist KILL BILL VOL.2 ein Film aus eigenem Recht. Man kann ihn sehen ohne VOL. 1 zu kennen, wenn man ihn kennt, ist das aber besser. KILL BILL VOL.1 ist, das zeigt sich jetzt, keineswegs nur ein Prolog. Vergleicht man beide, ist VOL.1 allerdings ingeniöser, weitaus origineller, brüchiger, mehr Pop. Doch auch KILL BILL VOL.2 ist vor allem Spiel, zärtliche Liebeserklärung an das Kino, die in erster Linie von des Regisseurs eigenen Obsessionen und Erotizismen handelt. Auch Tarantino kann seiner Natur nicht entgehen.

So gilt auch hier: Brillant verwirklicht Tarantino die Idee eines unhierarchischen Kinos, dreht einen Film voller ironischer Brechungen und Relativierungen der vordergründigen Handlung, bedient gleichzeitig trivialste wie differenzierteste ästhetische Bedürfnisse. Neben die lineare Erzählweise tritt ein Tableau aus Zeichen, Verweisen und Zitaten, das als Ganzes ein eigenes Erzählnetz bildet, das sich über die Story legt. Auch wer den Film mehrmals sieht, wird immer noch Neues entdecken. Natürlich muss man auch VOL.2 gesehen haben. Die Teile, auch das eine Einsicht der Postmoderne, sind mehr, als das Ganze.