Die Freilassung des Atomspions Vanunu ist umstritten

Eine israelische Zeitung gab bei einer Umfrage nach dem Umgang mit ihm gar die Option an, ob er getötet werden sollte

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Für die einen ist Mordechai Vanunu ein Held, für die anderen noch immer ein Verräter. Am Mittwoch wurde nach 18 Jahren Haft der israelische Atomspion unter großer Medienaufmerksamkeit aus dem Gefängnis entlassen und von einigen Hundert Unterstützern begrüßt. Kritiker jedoch buhten ihn aus. Vanunu, der als Atomtechniker in der Dimona-Anlage gearbeitet hatte, gab der Sunday Times Einblicke in das geheime und gut gehütete Atomwaffenprogramm Israels ("Richtet den Blick auf Israels Atomwaffen"). Er wurde in Rom mittels einer Mossad-Agentin, die sich als amerikanische Touristin ausgab, in eine Falle gelockt und vom Mossad nach Israel entführt.

Obwohl das alles schon lange zurück liegt, ist das Atomwaffenprogramm noch immer höchst umstritten und gerade nach dem Irak-Krieg, der aufgrund nicht vorhandener Massenvernichtungswaffen geführt wurde, auch ein Hindernis für eine umfassende Friedenslösung in der Region. Für viele Israelis bleibt Vanunu ein Vaterlandsverräter, frei gelassen wurde er nur unter strengen Bedingungen. So darf er ein Jahr lang nicht das Land verlassen, nicht mit ausländischen Journalisten sprechen - und schon gar nicht über seine Arbeit in Diotima.

Begründet wird dieses Vorgehen dadurch, dass Vanunu noch immer Geheimnisse verraten könne. Er habe ein "phänomenales Gedächtnis", zudem hatte er im Gefängnis über 2.000 Briefe verschickt und 70 Notizblöcke vollgeschrieben, in einem beschreibt er seinen Arbeitsplatz und den Produktionsprozess in der Nuklearanlage. Alles hat die Polizei kurz vor seiner Entlassung beschlagnahmt, obgleich die Erinnerungen nicht mehr sehr aktuell sein dürften.

Verständlicherweise würde Vanunu, der zum Christentum übergetreten ist und sowohl den jüdischen als auch den muslimischen Glauben ablehnt, gerne Israel verlassen. Offenbar hat er sich bereits an Norwegen gewandt. Vanunu wurde von einem amerikanischen Ehepaar während seiner Gefangenschaft adoptiert, in der Hoffnung, ihm dadurch helfen zu können. Das Ehepaar hat nach Informationen von Maariv bereits den US-Außenminister Powell um Mithilfe gebeten, um Vanunu in die USA ausreisen zu lassen. Das aber dürfte eher schwierig sein. Vanunu gilt vielen weiterhin als Vaterlandsverräter, die Würdigung, die er in vielen Medien erfahren hat, ist für manche Israelis eine Bestätigung für das irregeleitete Bild von Israel, das im Ausland herrscht.

In einem Kommentar der konservativen Jerusalem Post mokiert sich der Autor über den feierlichen Empfang eines freigelassenen "Ex-Verbrechers", der in den Medien auf der ganzen Welt wohlwollend behandelt wurde und für den ein Luxusappartement am Meer zur Verfügung steht. Man behandle Vanunu nicht als Ex-Häftling, sondern als Dissidenten. Und das zeige, wie Israel in der Welt wahrgenommen wird

Das alles ist verkehrt herum. In der Vorstellung eines Großteils des Westens ist der palästinensische Terrorismus eine Antwort auf den israelischen Militarismus, ist Jassir Arafat ein Demokrat und Ariel Scharon ein autoritärer Herrscher und wollen arabischen und muslmische Welten nur deswegen Massenvernichtungswaffen, um sich gegen Israel zu verteidigen. In diesem Klima der moralischen Verdrehung und der umgekehrten Kausalität kann ein Mann wie Vanunu für die Vernünftigen auf der ganzen Welt als Held erscheinen.

Dass Vanunu in seiner Heimat keineswegs als Held betrachtet wird, lässt sich aus einer Umfrage der Zeitung Maariv erkennen, die diese vor der Entlassung gestartet hat. Schon die Fragen selbst zeigen, wie die Haltung mancher sein dürfte:

Screenshot vom Google-Cache der Seite

Was sollte mit Vanunu geschehen?

  1. Er sollte im Gefängnis bleiben
  2. Er sollte außer Landes gelassen werden
  3. Er sollte getötet werden
  4. Weiß nicht

Nachdem Leser offenbar heftig gegen die Einbeziehung der Option seiner Ermordung protestiert hatten, weil dies als Aufruf zum Mord verstanden werden könne, ist die Umfrage heute von der Website entfernt worden. Knapp über 30 Prozent hatten (nach meiner Erinnerung) für die Ermordung gestimmt. Ersetzt wurde die Umfrage nun durch eine andere, harmlosere, die danach fragt, ob Vanunu ein Held oder ein Verräter ist. Ein Held ist er für 41%, ein Verräter für 59%.

Der Chefredakteur von Maariv wies auf jeden Fall entschieden zurück, dass die Frage als Aufruf zur Gewalt verstanden werden sollte. Gefragt sei lediglich worden, was der Staat tun solle. Besser hätte die Frage gelautet, ob er hingerichtet werden sollte. Für die Wortwahl bittet er um Entschuldigung und plädiert dafür, Vanunu außer Landes gehen zu lassen und die Geschichte abzuschließen.