Regionales Geld für ein Europa der Regionen

Regionalwährungen könnten vor den negativen Globalisierungsfolgen schützen und die regionale Wirtschaft stärken

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Die Globalisierung hat ja nicht nur schlechte Seiten, wenn man dabei z.B. daran denkt, dass man heute in Europa arabische Fernsehsender sehen kann, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Aber wirtschaftlich gesehen ist die Globalisierung eine Katastrophe. Überall fehlt plötzlich das Geld, eine Wirtschaftskrise zieht ihre Bahnen. Doch wenn überall das Geld fehlt, weil es sich in Zeiten der Globalisierung überall auf der Welt rumtreiben kann, warum macht man dann nicht sein eigenes Geld? Auf diesen Trichter sind derzeit über 40 Initiativen in Deutschland gekommen und arbeiten an regionalen Komplementärwährungen, um vor allem ihre eigenen Regionen zu stützen und dabei doch an etwas zu arbeiten, was größer ist als das.

Es beherrscht der Obolus seit je her unsern Globulus.
Mit andren Worten: Der Planet sich primär um das Eine dreht.
Drum schaffe, schaffe, Häusle baue, Butterbrot statt Schnitzel kaue,
denn wer nicht den Pfennig ehrt, der wird nie ein Dagobert!

Erste Allgemeine Verunsicherung, "Geld oder Leben"

Der Osten wird veröden, der Niedergang holt auch den Westen ein. Hamburg ist pleite, Berlin sowieso. Die Kulturstadt Dresden streicht die Kultur, andere Städte cross-boarder-leasen ihre Infrastruktur. Was aber wollen wir streichen und verkaufen, wenn wir alles gestrichen und verkauft haben?

Das ist nun mal der Lauf der Zeit. Die Globalisierung brach wie eine unvorhersehbare Sintflut über uns hinein, und es ist ja nicht so, als wäre Deutschland das erste Land, welches darunter leiden würde. Unseren europäischen Nachbarn geht es nicht viel besser, also finden wir uns langsam damit ab. Und zur Globalisierung gehört es eben offenbar, dass Städte vor dem Bankrott stehen und ihre Stadträte verkaufen, was den Bürgern gehört. Sie verkaufen an irgendwelche Leute, die die Dinge nie nutzen, sondern nur haben wollen. Um damit noch mehr rauszuholen. Aber zu Investoren ist man heutzutage besser freundlich...

So wie wir früher in Dürreperioden Götter angebetet haben, die uns Wasser schicken sollten, oder unsere Westverwandtschaft, uns Westpakete zu schicken, so beten wir heute Investoren an, die uns Geld schicken sollen. Aber es ist nicht gerade so, als hätten wir eine Wahl - wir sind nun mal hemmungslos süchtig nach ihrem Geld. Ohne ihr Geld läuft nichts, ohne ihr Geld müssen wir arbeitslos zuhause sitzen und verarmen. Es sei denn, wir machen uns unser eigenes Geld.

Regionalgeld mit Nachhaltigkeistgebühr

Genau das planen derzeit 40 Initiativen in Deutschland, die mit einer regionalen Komplementärwährung ihrer Region etwas Gutes tun wollen. Ihre Intention ist simpel: Wenn überall das Geld fehlt, warum nicht eigenes machen? Und wenn der Euro jederzeit global herumreist, warum ihm nicht zusätzlich eine regionale Währung gegenüberstellen? Geld, was nur in Berlin anerkannt wird, kann eben nicht nach Frankfurt, Paris, Neapel oder sonst wohin fließen, wo Euros heiß begehrtes und ewig knappes Gut sind. Und von wo die Euros den Weg immer seltener zurückzufinden scheinen.

Eine regionale Komplementärwährung bleibt in der Region und hilft dort regionalen Wirtschaftskreisläufen, die mangels Euros schon verdächtig trockengelegt sind. Die Zahlungsmoral ist inzwischen so schlecht, dass die Bundesregierung neue Moral verordnende Gesetze vorlegen will. Als könne man verordnen, dass man Geld auszugeben hat, welches man gar nicht besitzt, weil die eigenen Kunden nämlich genau vor dem gleichen Problem stehen.

Um zu verhindern, dass den Regionalwährungen das gleiche Schicksal wie dem Euro droht, planen die meisten Initiativen ihren "Regio" technisch anders als das zentralistisch verwaltete Zentralbankgeld aus Brüssel: Sie versehen ihn mit einer Nachhaltigkeitsgebühr. Diese Gebühr beträgt beispielsweise beim Chiemgauer 2% pro Quartal. Ist ein Quartal vorbei, so muss derjenige, der einen Chiemgauer-Schein in diesem Moment besitzt, eine Marke im Wert von 2% des Scheines kaufen und auf dafür vorgesehene Stellen auf den Schein kleben. Nur wenn diese Quartalsmarke klebt, hat der Schein seinen vollen Wert.

Wer also Chiemgauer horten will, anstatt sie durch die Region kreisen zu lassen, der kann dies tun - hat aber entsprechende Kosten zu tragen. Wobei es nicht wirklich viel ist, alle 3 Monate 2% des Geldes abgeben zu müssen, was man grade nicht ausgegeben hat. Trotzdem ist damit sichergestellt, dass es zu keiner Regio-Knappheit durch Geldhortung kommen kann. Das System kontrolliert sich dabei selbst, völlig dezentral: Da jeder Teilnehmer erwarten muss, dass er bei fehlender Marke selbst die Gebühr zu tragen hat, achtet jeder darauf, dass die Scheine, die er annimmt, mit den entsprechenden Marken versehen sind.

Ach, ach was...

Es ist vom Volksmund eine Linke, dass das Geld gar übel stinke.
Wahr ist vielmehr: Ohne Zaster beißt der Mensch ins Straßenpflaster.

Es sagt das Sprichwort: "Spare, spare, denn dann hast Du in der Not."
Der eine spart, kriegt graue Haare, der andre erbt's nach seinem Tod.
Dollar, D-Mark, Schilling, Lire, Rubel, Franken oder Pfund:
Die Vermehrung unsrer Währung ist der wahre Lebensgrund.

Erste Allgemeine Verunsicherung, "Geld oder Leben"

"Wissenschaft, um aus viel Geld noch mehr Geld zu machen, ist in meinen Augen ein hohles Programm", wurde Ulf Merbold kürzlich in Telepolis zitiert. Ihm sei versichert, dass genau dies mit solch einem Regiogeld schwieriger wird. Zwar kann man solch gebührenbehaftetes Geld weiterhin sparen, aber man wird wohl keine geldvermehrenden Zinsen erwarten dürfen. Man wird wohl eher froh sein, wenn man jemanden findet, der einem den aus den Fingern rinnenden Regio für 0% Zinsen abnimmt.

Um Sparen möglich zu machen, arbeitet man im Chiemgau derzeit zusammen mit der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken (GLS) an einem Konzept für Bank-Funktionalitäten. Dass Regiogelder auch für regionale Bankinstitute und Sparkassen interessant sein könnten, zeigt die Sparkasse Delitzsch (bei Leipzig). Diese ließ sich soeben ein Gutachten über die Regiowährungen erstellen, bei dem für die juristische Seite der ehemalige sächsische Innenminister Klaus Hardrath und für die wirtschaftliche der Unternehmensberater Hugo Godschalk verantwortlich waren. Dass das Ergebnis positiv ausfiel, führte im Münchner Stadtrat zu einem Antrag, entsprechende Möglichkeiten auch für München auszuloten.

Wie die Region sich selbst helfen kann

Im zwei Autostunden von München entfernten Prien am Chiemsee fand im März der 2. Regiogeldkongress statt, bei dem zu erfahren war, wie die teilnehmenden Unternehmer im Chiemgau nach über einem Jahr vorsichtiger Versuchszeit das Projekt bewerten.

Was anfänglich als Spielerei angesehen wurde hat inzwischen dazu geführt, dass im Kleinen neue Wirtschaftskreisläufe entstanden sind. Eine Käserei, die bislang immer nur überregional belieferte, hat plötzlich in der Nachbarschaft neue Kunden gefunden - und bezahlt die eigenen Lieferanten zum Teil mit den eingenommenen "Chiemgauern". Die Nachhaltigkeitsgebühr sehen die Unternehmer eher als äußerst geringe Werbekosten an - sie sind steuerlich absetzbar, genau wie jeder Chiemgauer gegenüber dem Finanzamt genauso bewertet wird, als hätte der Handel in Fremdwährung stattgefunden. Bei einem Kurs von 1:1 zum Euro taucht jeder Chiemgauer also genau gleichwertig zu einem Euro in den Büchern auf.

Haben Unternehmen mehr Einnahmen in "Chiemgauer" als sie bei eigenen Einkäufen ausgeben können, so ist ein Umtausch bei der Chiemgauer-Dezentralbank jederzeit gegen eine Rücktauschgebühr von 5% möglich. Die Gebühren finanzieren zum einen die Tätigkeiten der Dezentralbank - im Chiemgau ein Schülerunternehmen unter Anleitung ihres Wirtschaftslehrers - als auch lokale gemeinnützige Vereine. Diese treten als Multiplikatoren für das Projekt auf und verkaufen die Chiemgauer zu einem Kurs von 1:1 an ihre Mitglieder oder andere Interessenten. Die Chiemgauer haben die Vereine vorher 3% billiger von der Dezentralbank erhalten und können die Differenz zur eigenen Finanzierung nutzen. Bezahlt wird diese Differenz von der Rücktauschgebühr derjenigen, die Chiemgauer in Euro zurücktauschen wollen. Somit werden indirekt noch Vereine gefördert, die sich für gesellschaftliche Belange einsetzen. Diese wiederum helfen, das Projekt in Gang zu halten.

Und so hilft sich die Region eben selbst. Die Gebühr sorgt zudem dafür, dass die Regios in der Region kreisen und eben möglichst nicht wieder durch Rücktausch in die globale Währung "Euro" in der Versenkung verschwinden.

In Form von Bonusprogrammen gibt es bereits zahlreiche Komplementärwährungen

Eine Regionalwährung, die wie der Chiemgauer konzipiert ist, versorgt also nicht nur die Region mit frischen Tauschmitteln für die Wirtschaft, sie fördert zugleich gesellschaftlich nützliche Aktivitäten und verhindert die Gewinnerzielung durch den bloßen Besitz von Geld - kein besonders kapitalistisches Geld, dieser Regio. Dies führt nicht selten zu der Frage, wie lange es dauern wird, bis findige Juristen damit beauftragt werden, Gesetze auszugraben, welche gegen die Regios ausgelegt werden können.

Sollte es dazu kommen, steht ernsthaft die Sinnhaltigkeit entsprechender rechtlicher Grundlagen in Frage - schließlich wird ja sonst immer nach der Eigeninitiative der Menschen gerufen. Um sich trotzdem rechtlich abzusichern, wurde im Chiemgau extra ein Verein gegründet, dem jeder kostenlos beitreten kann, um die Chiemgauer rechtlich problemlos zu nutzen.

Zudem wird immer wieder darauf verwiesen, dass Komplementärwährungen im geschäftlichen Bereich seit langem schon gang und gäbe sind: Punkte von Bonusprogrammen, wie die Prämien-Meilen der Fluglinien, werden seit langem als Zahlungsmittel für alle möglichen Produkte akzeptiert. Sie stellen somit ein privates, komplementäres Zahlungsmittel der ausgebenden Firma dar. Was spricht dagegen, wenn Regionen das gleiche Recht in Anspruch nehmen, wie es global operierenden Firmen gewährt wird?

Hinzu kommt, dass der Verfassungsrechtler Dieter Suhr bereits 1983 in seinem Buch "Geld ohne Mehrwert. Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten" darauf hinwies, dass unsere heutige Geldordnung verfassungsrechtlich bedenklich ist, sollte es praktikable Alternativen geben. Das liegt sicher auch daran, dass unser heutiges Geldsystem Krisenauslöser ist. Der Euro ist genau wie die meisten anderen großen Währungen der Welt so konzipiert, dass er zugleich Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel ist.

Diese Geldfunktionen widersprechen sich jedoch: Wenn zu viele Wirtschaftsteilnehmer Gebrauch von der Wertaufbewahrungsfunktion machen, also Geld dem Kreislauf entziehen, so steht entsprechend weniger Geld als Tauschmittel bereit. Dies kann zu einer Wirtschaftskrise aufgrund von Geldknappheit führen. Diesem Punkt stimmte auch Prof. Dr. Vincenz Timmermann von der Universität Hamburg zu, der am 20. April auf einer Veranstaltung in Dresden zum Thema "Vom Taler zum Euro. Geldsysteme gestern und heute" referierte. Von der Idee der Regiogelder hält Prof. Dr. Timmermann trotzdem nicht viel. Geld muss knapp sein, so der Professor. Jedoch ist sich die Riege der Volkswirte in diesem Punkt alles andere als einig.

"Die Grenzen des Wachstums" von Dennis L. Meadows, der inzwischen berühmte Bericht an den Club of Rome, könnte heutzutage als eines der ersten modernen globalisierungskritischen Bücher betrachtet werden. Meadows hat jedoch einen wichtigen Teil des Wirtschaftens unbeachtet gelassen. Ein Teil, der sich 1972 vielleicht wirklich noch neutral gegenüber der Realwirtschaft verhielt, der sie aber heute eher dominiert: Das Finanzsystem. "Wie wir wirtschaften werden" von Harald Klimenta und Stefan Brunnhuber aus dem Ueberreuter-Wirtschaftsverlag ist ebenfalls Teil eines Berichts an den Club of Rome geworden und holt nach, was bei Meadows fehlt.

Das Buch befasst sich mit "Szenarien und Gestaltungsmöglichkeiten für zukunftsfähige Finanzmärkte" und bemerkt neben grundsätzlichen Analysen des heutigen Finanzsystems, dass lokale Komplementärwährungen und Barterhandel (geldloser Handel) sinnvolle Ergänzungen der etablierten Wirtschaftswelt darstellen. Wesentlich detaillierter wird das Thema Regiogeld im neuen Buch von Bernard Lietaer und Margrit Kennedy namens "Regionalwährungen" behandelt, welches zum Regionalgeldkongress im Riemann-Verlag erschien.

Kennedy hat auch dabei geholfen, das Regionetzwerk aus der Taufe zu heben. Dieses Netzwerk soll nicht nur die regionalen Initiativen zusammenbringen, sondern auch für die Umsetzung sinnvoller Qualitätsstandards im Bereich der Regionalwährungen sorgen.

Der Mammon, sagt man, sei ein schnöder, doch ohne ihn ist's noch viel öder.
Im Westen, Osten oder Süden überleben nur die Liquiden.
Ohne Rubel geht die Olga mit dem Iwan in die Wolga,
Für Karl-Otto gilt dasselbe: Ohne Deutschmark in die Elbe!

Wenn Achmed keine Drachmen hat, lutscht traurig er am Dattelblatt,
es macht Umberto ohne Lire mit Spaghetti Harakiri.
Hat der Svensson keine Öre, ächzt von dannen seine Göre,
nimmt man mir den letzten Schilling, hab auch ich kein gutes Feeling.

Erste Allgemeine Verunsicherung, "Geld oder Leben"

Bei einem Erfolg der Regionalgelder müsste sich auch der Siemens-Betriebsrat weniger sorgen um eine mögliche Abwanderung des Konzerns machen. Würde Siemens seine Produkte nur noch in Südostasien herstellen, in Europa aber nicht mehr Euro, sondern beispielsweise "Chiemgauer", "Elbtaler" oder "Haveltaler" erzielen, so wäre das Unternehmen gezwungen, diese Währung auch dort wieder zu investieren, wo es sie erlöst hat. Nur bei global integrierten Währungssystemen ist Kaufkraft in beliebige Länder transferierbar.

Kommt bald der "Berliner"?

Diese (fehlende) Funktionalität des Regios wirft den Großkonzernen kurzfristig Knüppel zwischen die Beine, wird aber selbst ihnen langfristig nützen: Denn an wen wollen Siemens & Co. in einigen Jahren in Europa ihre Produkte verkaufen, wenn hier keine Jobs mehr existieren, die die Arbeitnehmer auch zu entsprechend zahlungskräftigen Kunden machen? Zum Kunde kann nur werden, wer zuvor Geld verdienen durfte - was in Europa unmöglich wird, wenn alle Firmen "aus Kostengründen" wegziehen. Und wenn Siemens seine Produkte auch in Südostasien verkaufen will, so kann das Unternehmen dort gerne zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und so die globale Wertschöpfung steigern, ohne sich selbst zu kannibalisieren: Global denken, lokal handeln!

Während in Gießen und im Ruhrgebiet also der Justus rollt, in Bremen der Bremer Roland, im Chiemgau der (bald auch elektronisch mit EC-Karte nutzbare) Chiemgauer und in Genthin der Zweitgroschen, können vielleicht unsere Parlamentsabgeordneten in Berlin bald mit dem Berliner zahlen und damit an einem Projekt teilnehmen, welches nicht von oben verordnet, sondern von unten gewachsen ist.

Und schon schwirrt eine Vision herum, in der nicht mehr von Nationen in Europa, sondern von einem "Europa der Regionen" die Rede ist - geformt von regionalen Wirtschaftskreisläufen und abseits von den Launen profitgieriger Großkonzerne.