Von der Sanftmütigkeit der deutschen Truppen

Kosovo: Bundeswehr übte sich bei den anti-serbischen Pogromen Mitte März im Wegschauen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hätten letzte Woche nicht Folterfotos aus Bagdad die Runde gemacht und den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ins Schwitzen gebracht, wäre wohl sein deutscher Amtskollege Peter Struck im Scheinwerferlicht gestanden. So ging der bisher größte Skandal bei einem Auslandseinsatz deutscher Soldaten ohne parlamentarische oder mediale Aufgeregtheiten vorüber: Das komplizenhafte Wegschauen der Bundeswehr-geführten Schutztruppe KFOR bei den ethnischen Säuberungen im Kosovo Mitte März. War dies bis dato nur von serbischen Opfern beklagt worden, denen im Westen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, so präsentierte "Der Spiegel" in seiner letzten Ausgabe gänzlich unverdächtige Zeugen: "Deutsche Uno-Polizisten werfen der Bundeswehr vor, bei den Ausschreitungen albanischer Extremisten gekniffen und versagt zu haben." Überschrift des "Spiegel"-Artikels: Die Hasen vom Amselfeld.

Zur Erinnerung: In der Krisenprovinz waren Mitte März etwa 18.000 KFOR-Soldaten stationiert. Der deutsche General Holger Kammerhoff ist der Kommandeur der internationalen Truppe, in dem die Bundeswehr mit 3.900 (Mitte März: 3.200) Soldaten das größte Kontingent stellt. Trotz dieser starken Präsenz in einem Landstrich von der Größe Hessens gelang es nicht, die Ermordung von 19 Menschen (zunächst war sogar die Zahl 31 genannt worden), die Brandschatzung von über 30 serbischen Klöstern und Kirchen, die Zerstörung von 500 serbischen Häusern in der Provinz und die Vertreibung von 4.500 Nicht-Albanern zu verhindern.

Beispiel Prizren, wo die deutsche Kommandantur ihren Sitz hat: Dort lebten bis zum Abzug der jugoslawischen Armee am 10. Juni 1999 etwa 10.000 Serben. Gerade 100 hatten bis zu den Pogromen vor sechs Wochen ausgeharrt. Als der albanische Mob am 17. März auf ihr Viertel vorrückte, gingen die deutschen Soldaten stiften. "Nicht nur Serben, sondern auch UNO-Beamte, Soldaten anderer Truppenkontingente, albanische Menschenrechtler und unabhängige Journalisten werfen der Bundeswehr Versagen, ja Feigheit vor. In der Bekämpfung der Ausschreitungen habe sie eine klägliche, wenn nicht die blamabelste Rolle gespielt", fasst der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe zusammen. Versagen oder Komplizenschaft? Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbandes, wundert sich, dass "unsere Nachrichtendienste nichts davon gewusst haben", obwohl die "Unruhen ... generalstabsmäßig geplant und durchgeführt (wurden). Es muss also einen breiten Kreis von Mitwissern gegeben haben .."

Artemije, seit 14 Jahren der serbisch-orthodoxe Bischof für Kosovo und Methijen und als traditioneller Gegenspieler zum früheren Präsidenten Slobodan Milosevic von diplomatischem Gewicht im Westen, wiederholte die Vorwürfe bei direkten Gesprächen mit Partei- und Regierungsvertretern Anfang Mai in Berlin: "In Prizren wurden sämtliche Kirchen und Klöster verbrannt, darunter mein Amtssitz, sowie alle serbischen Häuser. Für uns ist Prizren nun eine tote Stadt." Artemije betont, dass sich im Vergleich zu den Deutschen die Soldaten anderer NATO-Staaten besser geschlagen hätten.

Allein in Prizren konnten die Terroristen 12 Kirchengebäude zerstören, aber in der gesamten italienischen Zone kein einziges und in der Hauptstadt Pristina lediglich eines. Die französische KFOR verteidigte in Mitrovica das serbische Stadtviertel gegen das Eindringen einer gewalttätigen Menschenmasse. Auch die US-amerikanische KFOR ging sehr entschlossen beim Schutz unsere Siedlungen in Caglavica und Gradjanica vor.

Und weiter sagte er: "Was die Albaner in der Zeit von Nazi-Deutschland nicht geschafft haben, das haben sie unter den deutschen Truppen der sogenannten Friedensmission getan." Von der Sanftmütigkeit des deutschen Kontingents zeugt auch der Umstand, dass die Bundeswehr in diesen Tagen keinen einzigen Verwundeten zu beklagen hatte. Aus den übrigen KFOR-Kontingenten mussten sich dagegen nach den Unruhen 188 Soldaten einer ambulanten oder stationären Behandlung unterziehen.

Gegen solche Kritik wird die Bundeswehr von der deutschen Regierung in Schutz genommen. Verteidigungsminister Peter Struck lobte das "umsichtige Verhalten" der Truppe bei den März-Pogromen: "Sie haben besonnen reagiert, eine Eskalation verhindert und so Menschenleben geschützt." Außenminister Joseph Fischer sekundierte: "Unsere Soldaten haben unter erheblichem Risiko und unter enormem Druck Großes geleistet."

Deutsche Zukunftspläne für das Kosovo

Bei dieser Stimmungslage nimmt es nicht Wunder, dass man in Berlin statt einer Revision der antiserbischen Besatzungspolitik nun ihre Radikalisierung anstrebt. Die Stimmen mehren sich, die eine Aufhebung der UN-Resolution 1244 verlangen, die bis dato die völkerrechtliche Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien-Montenegro auch unter UN-Mandat und KFOR-Besatzung festschreibt. Der weitestgehende Vorschlag kommt von der FDP, die den Anschluss des Kosovo an die EU fordert. Das Territorium solle "Europa" als "Treuhandgebiet" überlassen werden, heißt es in der Bundestagsvorlage, die der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner Anfang April initiiert hat. "Die Souveränität des Kosovo" gehe dann "auf die EU über."

Stinner sagte gegenüber der Redaktion des Internetportals german-foreign-policy.com, nach dem Anschluss werde sich "ein europäischer Leiter" der "Außen- und Verteidigungspolitik" des Kosovo annehmen. Bereits jetzt stellt die der FDP nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung mehrere "Berater" des Kosovo-Regionalparlaments, die in zentralen Wirtschaftsausschüssen tätig sind.

Auch die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung verlangt, dass Serbien seine südliche Provinz Kosovo endgültig abtreten soll, sieht als künftige Mandatsmacht allerdings nicht die EU, sondern die UN. Demgegenüber plädiert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einstweilen nur für eine "möglichst schnelle Klärung der Statusfrage". Der Versuch, "die verfeindeten Ethnien der Serben und Albaner wieder zusammenzuspannen", sei, so der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Glos, eine "Fiktion": "Multikulturelle Gesellschaften" bildeten "ein sehr schwieriges Unterfangen, das wir in Deutschland nicht als Leitbild wählen sollten".

Die Abkehr vom bisherigen Status könnte rein theoretisch in einer Kantonalisierung der Provinz bestehen, die den Serben im Nordkosovo gewisse Schutz- und Autonomierechte gewährt. Einzelne CSU-Politiker haben Sympathien für diese Lösung geäußert, die ansonsten auch von der Belgrader Regierung favorisiert wird. Die Mehrheit der Unionsfraktion dürfte allerdings dem antiserbischen FDP-Vorschlag zuneigen - schon 1999 waren aus der Union Überlegungen zu einer "Euroregion Kosovo" formuliert worden.

Von Jürgen Elsässer ist gerade das Buch "Kriegslügen. Vom Kosovokonflikt zum Milosevic-Prozeß" (Verlag Kai Homilius) erschienen