Heiße Sommer und Flutkatastrophen

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf über den Emmerich-Film "The Day after Tomorrow" und wie die Welt in 100 Jahren aussieht

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Stefan Rahmstorf zählt zu den weltweit führenden Experten seines Faches. Besonders zu den Gefahren eines drohenden Klimawandels durch die Erwärmung der Erdatmosphäre hat er sich mehrfach zu Wort gemeldet.

Manhattan versinkt in "The Day After Tomorrow" im Schnee. Bild: 20th Century Fox

Stefan Rahmstorf ist Professor für die Physik der Ozeane am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und gehört zu jenen Experten, die als Berater von Regierungen und internationalen Organisationen wie der EU konsultiert werden. Aus Anlaß des Starts von Roland Emmerichs Ökothriller "The Day After Tomorrow" (Supersturm mit frostiger Botschaft) sprach Telepolis mit Rahmstorf über die Wahrheiten hinter Emmerichs apokalyptischem Szenario, über die Risiken von Strömungsänderungen im Atlantik und die Folgen eines globalen Klimawandels, sowie über jene aufsehenerregende Studie des Pentagon zum gleichen Thema (Eiswüste in Europa, Nuklearkriege und andere Schreckensszenarien). Rückblickend wirkt diese wie eine geschickt eingefädelte Werbemaßnahme für Emmerichs Film.

Stefan Rahmstorf

Wie neu und verbreitet ist das Szenario von Roland Emmerichs Film "The Day After Tomorrow" - eine Veränderung des Nordatlantikstroms, entsprechende Wärmeverluste in Nordeuropa? Völlig neu ist es doch als solches nicht?

Stefan Rahmstorf: Diese Idee geht auf den US-Klimatologen Wallace Broecker zurück, der es Ende der 80er Jahre zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert hat. Man hatte damals die sehr abrupten Klimasprünge im Grönlandeis entdeckt. Broecker hatte den Vorteil, dass er sich sowohl mit Klimageschichte, als auch mit Ozeanographie auskannte. Das war eine sehr unübliche Kombination von Kenntnissen.

Und heute sind seine Theorien allgemein anerkannt?

Stefan Rahmstorf: Die Tatsache ist inzwischen weitgehend akzeptiert, dass die enormen Klimasprünge, die man in Grönland sieht, auf Änderungen der Nordatlantikströmung zurückzuführen sind. Man sollte betonen: Der Nordatlantikstrom ist die Verlängerung des Golfstroms bis nach Skandinavien.

Wissenschaftliche Sichtweisen im Film geschickt eingebaut

Sie haben den neuen Film von Roland Emmerich gesehen. Was ist ihr allgemeiner Eindruck?

Stefan Rahmstorf: Ein spannender, sehr spektakulärer Film. Mit phantastischen Bildern. Es besteht zu keinem Moment ein Zweifel, dass es sich um einen Hollywood-Desasterfilm handelt. Man darf dies natürlich nicht mit einer wissenschaftlichen Dokumentation verwechseln. Die Gesetze der Physik werden da schon eher locker gehandhabt. Aber für dieses Genre finde ich es einen sehr guten Film, der versucht, viele interessante, wissenschaftlich gestützte Ideen unterzubringen.

Welche sind das?

Stefan Rahmstorf: Das Simpelste ist der Gedanke, dass der Mensch das Klima verändert. Das ist unter Klimatologen inzwischen unumstritten. Ebenso ist die Grundidee, dass es durch ein Abreißen des Nordatlantikstroms zu einer starken Abkühlung kommen könnte, durchaus richtig - wenn auch sehr stark übertrieben dargestellt.

Das sagt ja auch Emmerich selber: Er hat den Gesetzen der Filmdramaturgie folgend den Zeitraum, in dem so etwas geschehen würde, erheblich verkürzt: In der Realität würde das vielleicht 10 Jahre dauern, nicht zwei Wochen.

Diese wissenschaftliche Sichtweise wurde aber sehr geschickt in den Film eingebaut: In der Person des Klimatologen Jack Hall, der im Film sagt, dass man vielleicht in 100 Jahren damit rechnen könnte, dass so etwas passiert. Und der dann selber völlig überrascht ist, wie schnell es geht. Damit wird klar, was die Wissenschaft denkt und wo die Fiktion anfängt.

Es ist ja auch für den Laien offensichtlich, dass manches fiktiv ist: Etwa die Rolle der Stürme, die im Film eine Blitzvereisung herbeiführen. Oder gibt es für Derartiges Anhaltspunkte in der Realität?

Stefan Rahmstorf: Nein, das ist fiktiv. Allerdings weiß letztlich niemand, wie sich solche abrupten Klimawechsel im Detail abspielen, welche Wetterphänomene - Stürme, Hagelschlag - es geben könnte. Die Klimageschichte hilft uns hier nicht weiter. Denn im Grönlandeis z.B. kann man bestenfalls die Jahresmittel erkennen, nicht, mit was für Wetterphänomenen das verbunden war. Aber so extrem, wie es der Film darstellt, ist es ausgeschlossen.

Seeeis als Verstärker des Klimawandels

Sie nannten eben die Zahl "zehn Jahre" als realistischen Zeitraum. Das kommt mir immer noch ziemlich schnell vor... Könnte man sagen, dass innerhalb dieser Zeit etwa das passieren wird, was der Film darstellt? Emmerichs Film zeigt ja sehr detailliert, was sich ereignet, falls der Nordatlantikstrom abreißt: Man sieht eine Linie quer durch die USA und Europa. Alles, was nördlich von ihr liegt, wird von 20, 30 Meter hohen Eis- und Schneeschichten bedeckt, es kommt zu riesigen Flutwellen, die etwa New York überschwemmen. Als Wissenschaftler: Was ist daran realistisch, was ist eine Übertreibung von realen Phänomenen, und was ist völlig fiktiv?

Stefan Rahmstorf: Realistisch ist, dass es, wenn der Nordatlantikstrom abreißen würde, es im Norden zu einer Abkühlung käme...

...einer Abkühlung des Meeres?

Stefan Rahmstorf: Des Meeres, aber auch der Lufttemperaturen. Zunächst des Meeres, weil die Veränderung ja im Meer beginnt. Dann aber auch der Lufttemperaturen. Wobei diese sich noch wesentlich stärker und schneller abkühlen, weil sich nach der Abkühlung des Wassers Seeeis bildet, und Seeeis wirkt wie ein Verstärker des Klimawandels. Denn Seeeis reflektiert sehr viel Sonnenlicht und dadurch verstärkt es noch die Abkühlung. Es ist also ein verstärkender Rückkopplungseffekt. Und deshalb muss man auch die eventuellen Folgen danach unterscheiden, wann so etwas passiert: Wenn das tatsächlich in absehbarer Zeit passieren würde, dann könnte es über dem Nordmeer zu einer Abkühlung von bis zu 20 Grad Celsius kommen.

Wenn das aber in einer Welt der starken globalen Erwärmung passiert, meinetwegen in 100 Jahren, wenn wir den Planeten schon um 4 Grad im Schnitt aufgeheizt haben, dann haben wir fast kein Seeeis mehr, dann wäre auch dieser Verstärker wiederum weggefallen und die Effekte erheblich milder. Also: eine solche Vereisung kann überhaupt nur auftreten, wenn denn ein solcher Abriß des Nordatlantikstroms sehr bald erfolgen würde - was wie gesagt sehr unwahrscheinlich ist.

Wenn er als Folge einer schon sehr starken globalen Erwärmung kommt, dann sind auch die Effekte nicht so problematisch - wobei sie trotz allem sehr ernst wären, vor allem für die marinen Ökosysteme.

Halten Sie den Abriß des Nordatlantikstroms im Prinzip für wahrscheinlich?

Stefan Rahmstorf: Nein, ich halte ihn nicht für wahrscheinlich, aber für möglich.

Modellsimulationen

Aber dass es zu einem relativ raschen Abriß kommt, halten Sie für sehr unwahrscheinlich?

Stefan Rahmstorf: Richtig. In den nächsten zehn bis 20 Jahren ist das sehr unwahrscheinlich. Zumindest gibt es keine Modellsimulationen, bei denen so etwas aufgetreten ist.

Ihre Ergebnisse basieren vor allem auf Berechnungen per Computer?

Stefan Rahmstorf: Ja. Letztlich basieren unsere Einschätzungen auf Modellrechnungen. Wobei wir wissen: Die Modelle sind noch nicht perfekt. Und sie unterscheiden sich noch sehr stark. Wir wissen auch noch nicht, warum die verschiedenen Modelle so unterschiedlich sind.

Aber selbst in dem pessimistischsten Modell ist es noch nie dazu gekommen, dass in den nächsten 10 oder 20 Jahren der ganze Nordatlantikstrom abreißt. Das passiert in den pessimistischen Modellen am Ende unseres Jahrhunderts, und in den stabileren Modellen überhaupt nicht.

...als Folge der Erwärmung passiert es nicht?

Stefan Rahmstorf: Durch die vom Menschen verursachte Erwärmung. Aber dass jetzt unsere Modelle die komplette Spanne der Unsicherheit abdecken, und ob nicht etwas passiert, was außer unserer Vorhersagespanne liegt, das kann natürlich keiner wissen. Also: Völlig ausschließen kann man es nicht. Ich halte es aber wirklich für sehr unwahrscheinlich.

Können Sie das "sehr unwahrscheinlich" auch in Prozenten ausdrücken? Wieviel Prozent Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Nordatlantikstrom in absehbarer Zeit abreißt?

Stefan Rahmstorf: Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten zwanzig Jahren etwas passiert, würde ich für unter ein Promille einschätzen. Dagegen: In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wäre meine Einschätzung im Prozentbereich - wenn wir so ungebremst Treibhausgase in die Atmosphäre hineinblasen.

Sie beschreiben die Wechselwirkung von Erwärmung und Abkühlung - für den Laien zunächst einmal ein paradoxer Zusammenhang. Kann man davon sprechen, dass da ein natürliches, selbstregulierendes System am Werk ist? Dass die eine Entwicklung durch die andere gewissermaßen ausgeglichen wird?

Stefan Rahmstorf: Nein, das kann man so nicht sagen. Denn die räumlichen Muster sind völlig unterschiedlich. Ein Ausfall der Nordatlantikströmung würde lokal zu einer starken Abkühlung in Nordeuropa und an den nordatlantischen Küsten führen. Während die globale Erwärmung natürlich ein globales Phänomen ist. Die beiden können sich niemals ausgleichen, nur zufällig an einigen Punkten der Welt. Aber insgesamt gesehen wäre das Abreißen der Nordatlantikströmung eine sehr tiefgreifende Änderung der Funktionsweise unseres Planeten.

Klimahistorisch gesehen: Wie lange existiert der Nordatlantikstrom und die Klimabedingungen, wie wir sie heute kennen? Wann gab es den letzten Klimawechsel?

Stefan Rahmstorf: Die letzte Eiszeit ging vor etwa 10.000 Jahren zuende. Da hat sich, so weit wir wissen, die heutige Strömung etabliert. Es gab noch mal ein Stottern etwa vor 8200 Jahren. Das war höchstwahrscheinlich dadurch ausgelöst, dass die letzten Reste der Eiszeit abgeschmolzen sind und noch mal ein Schub Schmelzwasser in den Atlantik geflossen ist und diese Strömung stark abgeschwächt hat.

Also: Seit 8000 Jahren ist die Strömung relativ stabil so gelaufen. Zumindest gibt es keine Hinweise darauf, dass sich etwas Dramatisches geändert hat. Um kleinere Fluktuationen einzuschätzen, wissen wir nicht genug.

Milankovitsch-Zyklen

Nun sind 8200 Jahre, erdgeschichtlich betrachtet, relativ kurz. Kann man insofern sagen, dass Klimaveränderungen, auch radikale Klimaveränderungen, eigentlich etwas Natürliches sind. Oder kann man es so nicht ausdrücken?

Stefan Rahmstorf: Das Klima hat sich schon immer geändert, aber nicht ohne Grund. Und wir kennen auch die Gründe. Immer wenn die Energiebilanz der Erde durch äußere Einflüsse verändert wird, ändert sich auch das Klima. Zu solchen äußeren Einflüssen gehören Änderungen in der Neigung der Erdachse und in der Erdbahn um die Sonne. Das sind die sogenannten Milankovitsch-Zyklen, welche die Eiszeiten verursachen.

Salopp gesagt: die Erde eiert...

Stefan Rahmstorf: Genau. Die Erde eiert wie ein Kreisel. Das führt zu regelmäßigen Zyklen von Eiszeiten und Warmzeiten. Jetzt haben wir seit 10.000 Jahren eine Warmzeit, das Holozän. Und das wird durch diese Veränderung der Erdbahn verursacht, die zu einer veränderten Verteilung der Sonneneinstrahlung auf der Erde führt. Das sind in den letzten hunderttausenden von Jahren die drastischsten Klimaveränderungen.

Wann, ohne Einfluss des Menschen, würde sich das Klima wieder verändern?

Stefan Rahmstorf: Diese Milankovitsch-Zyklen haben den schönen Vorteil, dass sie präzise voraus- und zurückberechenbar sind, weil es sich um ein sehr regelmäßiges zyklisches Verhalten handelt. Der nächste Punkt, wo wir möglicherweise eine starke Veränderung der Erdparameter sehen und eventuell in eine neue Eiszeit kommen könnten, ist in etwa 30.000 Jahren. Das heißt, wir haben eigentlich außergewöhnliches Glück: Denn die jetzige Warmzeit ist außergewöhnlich ruhig und dürfte außergewöhnlich lange anhalten. Viele dieser Warmperioden haben überhaupt nur 10.000 Jahre gedauert. Das Holozän würde weitere mindestens 30.000 Jahre anhalten. Es ist eine besonders lange Warmzeit, weil die Erdbahn derzeit besonders rund ist.

Wie schnell ereignet sich solch eine Veränderung durch die Milankovitsch-Zyklen?

Stefan Rahmstorf: Das Schnellste ist das Ende der Eiszeiten. Das geht schneller, als der Aufbau von Eismassen. Und das Ende dauert typischerweise etwa 5000 Jahre. Und dabei erwärmt sich die Erde global um ca. 5 Grad im globalen Mittel. 5 Grad in 5000 Jahren, das sind also ein Zehntelgrad pro Jahrhundert. Der Mensch hat im letzten Jahrhundert sechs Zehntel Grad Erwärmung verursacht.

Das heißt, dass der Mensch das Erdklima in den letzten 100 Jahren so stark verändert hat, wie es erdgeschichtlich noch nie zuvor durch natürliche Klimaschwankungen der Fall war?

Stefan Rahmstorf: Das kann man so sagen. Der Absolutbetrag der Veränderung ist bis jetzt noch klein, nämlich 0.6 Grad im vergangenen Jahrhundert. Das ist wenig gegenüber einer Eiszeit. Aber die Geschwindigkeit ist sehr groß. Und wenn es so weiter geht, können wir im kommenden Jahrhundert noch einmal 5 Grad globale Erwärmung - nach pessimistischen Schätzungen - verursachen.

In diesem Jahrhundert? Gegenüber sechs Zehntel Grad im letzten Jahrhundert?

Stefan Rahmstorf: Ja. Das "Intergovermental Panel of Climate Change", ein Gremium, an dem fast alle Klimaforscher mitarbeiten, kommt zu dem Schluß, dass im 21.Jahrhundert eine Erwärmung von 1,4 bis 5,8 Grad zu erwarten ist. Das heißt, am hohen Ende dieser Unsicherheitsspanne kommen wir in Veränderungen, die in der selben Größenordnung liegen, wie der Unterschied zwischen Eiszeit und Warmzeit.

Gab es denn schon mal Verhältnisse, die um 5 Grad wärmer lagen, als jetzt? Also ein Gegenstück zur Eiszeit, eine Hitzezeit?

Stefan Rahmstorf: Das gab es auch. Dafür muss man aber viele Millionen Jahre zurückgehen, zum Beispiel in die Kreidezeit, als die Dinosaurier lebten. Damals war auch der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre wesentlich höher, als heute, etwa zehn Mal so hoch.

Extremereignisse und Maßnahmen dagegen

Wagen Sie doch einmal eine Prognose: Wie stellen Sie sich das Klima der nächsten 50 bis 100 Jahre vor?

Stefan Rahmstorf: Alles hängt natürlich sehr stark vom Menschen ab. Aber wenn wir einmal von einem Business-as-usual-Szenario ausgehen - ohne Klimaschutzmaßnahmen - dann würde das Klima sich im 21. Jahrhundert um mehrere Grad erwärmen. 5 Grad sind sicherlich pessimistisch, aber zwei, drei Grad würde ich auf jeden Fall erwarten.

Und eine solche Erwärmung würde regional eine wesentlich stärkere Erwärmung bedeuten. Wenn es im globalen Mittel bei drei Grad liegt, dann kann es bei uns in Deutschland und generell in der Nordhalbkugel vielleicht sechs Grad und in den polaren Gebieten 8 oder 10 Grad betragen. Dann können wir den Planeten nicht mehr wieder erkennen. Dann wird es fast kein Seeeis mehr am Pol geben.

Das heißt auch keine Lebensgrundlage für Eisbären und viele andere Tiere. Das Grönlandeis würde wahrscheinlich komplett abschmelzen. Nicht so schnell natürlich, aber man rechnet damit, dass es über 1000 bis 2000 Jahre wegschmilzt. Und wenn das einmal weg ist, kommt es auch nicht wieder. Denn es ist eigentlich ein Überbleibsel aus der letzten Eiszeit. Es bleibt nur dort durch den Höheneffekt: Weil es 3000 Meter dick ist, ist es in dieser Höhe auch sehr kalt.

Die meisten Gebirgsgletscher sind weg. Die Alpengletscher haben schon im letzten Jahrhundert fast die Hälfe ihres Volumens verloren. Extremereignisse wie heiße Sommer und Flutkatastrophen würden häufiger werden. So ein Sommer wie 2003 würde vielleicht alle zwei Jahre so werden.

Aber was wäre eigentlich so schlimm daran? Mir hat der letzte Sommer ganz gut gefallen: Endlich hat es mal nicht wochenlang geregnet. Die Leute waren mehr draußen, ich hatte den Eindruck, dass den Menschen nicht geschadet hat. Südländische Lebensverhältnisse, alle waren etwas gelassener, haben weniger gearbeitet. Das war vielleicht für die Wirtschaft schlecht, aber für die Leute war es gut...

Stefan Rahmstorf: Richtig. Ich hab es auch sehr genossen. Die Leute in den Mittelmeerländern fanden es natürlich weniger gut, weil es dort noch wärmer war. Und auch die Bauern bei uns klagten vor allem über Einbußen. Die große Unbekannte sind natürlich die Extremereignisse, die solchen Sommern folgen: Dinge wie die Elbeflut. Müssen wir damit rechnen, dass in den nächsten Jahrzehnten noch mehrere solche Fluten auf uns zukommen? Dann hat es nämlich keinen Sinn, jedes Mal wieder die Semperoper zu restaurieren. Insgesamt müssen wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass solche Extremereignisse zunehmen: Flut, Dürre, oft in der gleichen Gegend, auch wenn das wieder paradox wirkt.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Maßnahmen ergriffen werden?

Stefan Rahmstorf: Ich bin sicher, dass Maßnahmen ergriffen werden. Die Frage ist nur, wann. Nachdem entsprechende Klimakatastrophen eingetreten sind, wird man handeln. Da bin ich sicher. Ich hoffe, dass die Menschheit klug genug ist, schon vorher etwas zu tun.

Was gibt Ihnen Anlaß zur Hoffnung?

Stefan Rahmstorf: Es gibt durchaus auch Fortschritte. Zum Beispiel hat man sich in einem historisch einmaligen Prozess auf ein Klimaabkommen geeinigt, das Kyoto-Protokoll, das mehr als 220 Staaten unterschrieben haben. Leider ist es noch nicht rechtskräftig. Es fehlt nur noch die Ratifizierung durch Russland. Bedauerlich ist auch, dass die USA nicht mitmachen wollen, weil die der größte Remitent von Abgasen sind. Die jetzige Regierung hat keinerlei konstruktive Klimaschutzmaßnahmen ergriffen. Aber auch hier gibt es positive Ansätze.

Aber auch unter Clinton war von den Ideen, die Al Gore vor zehn Jahren in seinem Buch entwickelt hat, nach der Wahl nicht viel übrig. Oder habe ich da nur nichts mitbekommen?

Stefan Rahmstorf: Nein, das ist schon richtig. Leider sind alle Vorschläge von Clinton/Gore fast einstimmig im Kongreß blockiert worden. Man kann sicher darüber diskutieren, wie eindeutig man etwas vertreten hat. Aber das ist eine inneramerikanische Debatte, die ich nicht gut beurteilen kann.

In 50 Jahren werden die Auswirkungen des Klimawandels sichtbarer

Hoffen Sie darauf, dass Emmerichs Film die Menschen sensibilisiert?

Stefan Rahmstorf: Ich hoffe, dass der Film, selbst wenn er in vieler Hinsicht Fiktion ist, dies kann. Oft mangelt es ohne solche Popularisierungen einfach am Vorstellungsvermögen. Auch ich kann mir die Szenarien konkret nicht vorstellen, obwohl ich lange am Thema arbeite. Klar ist es dann wärmer, die mittlere Temperatur ist dann gestiegen. Aber das ist nicht das Einschneidende. Das Einschneidende sind Veränderungen im Wetter, Extremereignisse: Stürme, Fluten - das kann sich keiner genau vorstellen oder es vorausberechnen. Wir Wissenschaftler dürfen unserer Phantasie nicht freien Lauf lassen.

Wie kommen Sie überhaupt zu Ihren Ergebnissen?

Stefan Rahmstorf: Es gibt verschiedene Aspekte der Klimaforschung. Wir analysieren historische Daten: Tiefseesedimente, Stalaktiten, Korallen, Bohrkerne. Diese quantitativen Daten programmiert man in Computermodelle. Aber es gibt Einflussgrößen, die alle Berechnungen über den Haufen werfen: Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge.

Wie stehen Sie solchen Studien gegenüber, wie sie das Pentagon im Februar veröffentlicht hat? Da ist die Rede von Eiswüsten, Überschwemmungen...

Stefan Rahmstorf: Das Pentagon-Papier ist in der Presse sehr falsch dargestellt worden. Es wurde so getan, dass das Pentagon etwas vorhersagt. Aber die spielen vor allem ein Szenario durch. Das Pentagon-Papier ist im Prinzip völlig vernünftig, wenn man die Prämisse akzeptiert, dass es sich um ein Gedankenspiel handelt, dass hier von Extremfällen ausgegangen wird.

Das ist so, als würde man einmal durchspielen, was passiert, wenn ein Kernkraftwerk explodiert - obwohl das auch nicht sehr wahrscheinlich ist.

In 50 Jahren werden die Auswirkungen des Klimawandels sichtbarer werden. Wir werden aus der Kohlenstoffwirtschaft ausgestiegen sein. Man kann viel Kohle durch Erdgas ersetzen. Kernenergie ist keine Alternative. Um das Energieproblem wirklich in den Griff zu bekommen, müssen wir aber effizienter wirtschaften, intelligentere Technologien einsetzen oder entwickeln. Ohne dies wird es keine Energieform geben, die unseren immensen Energiebedarf befriedigt.