Der Vanunu-Wahn

Israels Regierung versucht, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die BBC ein Interview mit Mordechai Vanunu ausstrahlt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der britische Journalist Peter Hounam, der eine israelische Staatsbürgerin ein Interview mit Mordechai Vanunu führen ließ, wurde am Mittwoch von fünf Agenten des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth aus seinem Hotel abgeführt und erst wieder freigelassen, nachdem er sich am Donnerstag dazu verpflichtet hatte, dass Land umgehend zu verlassen. Das Interview ist Teil einer BBC-Dokumentation über den ehemaligen Nukleartechniker, der zum Whistleblower wurde.

Die Dimona-Anlage. Satellitenbild aus dem Jahr 2000 von Ikonos

Was Hounam genau vorgeworfen wurde, brachte auch eine eilig anberaumte Pressekonferenz des Schin Beth am Donnerstag Abend nicht ans Tageslicht. Sie diente dem Geheimdienst vor allem dazu, sich gegen die ausgesprochen heftige Kritik von Politikern und Medienverbänden zur Wehr zu setzen. Am Abend wurde zudem bekannt, dass am Mittwoch außerdem ein Kameramann der BBC festgenommen worden und ebenfalls erst am Donnerstag wieder freigelassen worden war. Der BBC-Journalist Chris Mitchell wurde bei seiner Ausreise am Flughafen festgehalten. Der Grund: Israels Regierung will mit allen Mitteln verhindern, dass das Interview ausgestrahlt wird.

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich am Mittwoch Mittag im Garten eines Jerusalemer Hotels abgespielt haben. Die Zivilbeamten seien zu fünft gekommen und hätten den 60jährigen vor den Augen der anderen Gäste abgeführt, zitierten Israels Medien am Donnerstag die Amnesty International-Mitarbeiterin Donatella Rovera, die zufällig Augenzeugin des Geschehens wurde. Hounam habe den Schin Beth-Agenten kurzzeitig entkommen können, sei zu ihr an den Tisch gerannt und habe gerufen: "Ich werde festgenommen; verständigen Sie die Sunday Times", bevor ihn die Beamten dann aus dem Hotel trugen.

Kurz darauf flatterte vielen Journalisten in einer Email mit dem Titel "Ban of Publication" die Mitteilung ins Postfach, dass die Nachricht von der Festnahme bis auf Weiteres nicht verbreitet werden dürfe. Doch auch die von einem Bezirksrichter verfügte Nachrichtensperre konnte nicht verhindern, dass ein Proteststurm aufzog, wie man ihn selbst im streitlustigen Israel selten erlebt: Nur wenige Minuten, nachdem der Oberste Gerichtshof den Blackout am Donnerstag Mittag auf Antrag des israelischen Journalistenverbandes als "offensichtlich unbegründet" wieder einkassiert hatte, waren Parlamentsabgeordnete, alle Medienverbände, Bürger- und Menschenrechtler und die Sunday Times mit scharf formulierten Pressemitteilungen zur Stelle. Unisono wird die Festnahme darin als Angriff auf die Pressefreiheit verurteilt.

So schreibt der Verband der Auslandskorrespondenten FPA, man sei "erstaunt" und "zutiefst besorgt" über die Festnahme sowie den Fakt, dass dem Journalisten rechtlicher Beistand verweigert worden sei. Der britische Botschafter Simon McDonald ließ mitteilen, er sei bei Justizminister Tommy Lapid vorstellig geworden. Der wiederum entsandte die Botschaft, er sei "befremdet" und werde sich der Sache annehmen. Der Parlamentsabgeordnete Jossi Sarid von der Oppositionspartei Jachad sagte dem Armee-Rundfunk er hoffe, der Schin Beth habe halbwegs überzeugende Gründe:

Selbst in Staaten wie Nordkorea oder Burma ist die plötzliche Festnahme eines Journalisten kaum akzeptabel; in einer Demokratie ist sie vollkommen unangemessen.

Die Jagd nach den Bändern

Dabei, so scheint es, geht es einzig um die Bänder eines Interviews mit Mordechai Vanunu. In Hotelzimmern, Büros und Koffern am Flughafen suchten Beamte in den vergangenen Tagen mit Hochdruck nach den Videokassetten; ein Kameramann wurde festgenommen, der Journalist Chris Mitchell für mehrere Stunden am Flughafen festgehalten. In der Tat seien auch einige Bänder beschlagnahmt worden, so der Schin Beth.

Mordechai Vanunu

Vanunu unterliegt seit seiner Freilassung im April einer langen Liste von Beschränkungen (In Freiheit, aber wie im Gefängnis): So darf er nicht mit Ausländern sprechen, sich in der Nähe von Grenzen und Häfen aufhalten und das Land nicht verlassen. Außerdem darf er das Internet nicht benutzen. Hounam umging diese Auflagen, indem er eine Israelin mit Vanunu sprechen ließ - was, wie mittlerweile auch der Schin Beth eingestanden hat, keine Verletzung der Auflagen bedeutet, obwohl sich Hounam während des Interviews im Raum befand: Zwischen beiden wurde kein direktes Wort gewechselt.

Vanunu habe aber dennoch weitere Staatsgeheimnisse verraten, weswegen die Verbreitung des Bandes auf jeden Fall verhindert werden müsse, versuchte sich der Dienst heraus zu reden. Weswegen Hounam und sein Kameramann festgenommen wurden, konnte der Sprecher allerdings nicht sagen: Die Festnahme sei nicht geplant gewesen; es habe ein Koordinierungsproblem innerhalb des Dienstes gegeben.

Die Jagd nach den Bändern könnte aber trotz aller Durchsuchungen und Festnahmen vergebens gewesen sein: Eine Kopie des Bandes habe mittlerweile London erreicht, teilte die BBC am Abend mit; das Interview werde auf jeden Fall ausgestrahlt. Der Sender hat Erfahrung im Umgang mit den israelischen Behörden: Im vergangenen Jahr hätte das staatliche Presseamt den Korrespondenten des Senders fast die Akkreditierung entzogen, nachdem die BBC eine erste Dokumentation über Israels Nukleararsenal ausstrahlte (Die Informationspolitik der israelischen Regierung).

Nach seiner Freilassung am Donnerstag bestritt Hounam jedoch gegenüber den Dutzenden Journalisten, die vor den Toren des Jerusalemer Untersuchungsgefängnisses auf ihn gewartet hatten, dass Vanunu neue Informationen über Israels Atomwaffen gegeben habe:

Was er zu sagen hatte, haben wir vor 18 Jahren veröffentlicht. In unserer Dokumentation geht es ausschließlich um sein Leben, bevor er begann, in Dimona zu arbeiten.

Peter Hounam war 1986 derjenige gewesen, der Mordechai Vanunus Angaben über Israel Atomwaffenarsenal ("Richtet den Blick auf Israels Atomwaffen") für die Sunday Times aufbereitet hatte. Die anschließende Entführung und Verurteilung des Nukleartechnikers bezeichnete der Journalist nach Vanunus Haftentlassung als "Trauma": "Ich will nicht um den heißen Brei herumreden", so Hounam: "Wir sind schuld daran, dass Vanunu seine Freiheit verloren hat und darunter leiden wir bis heute."

Bilder waren wieder einmal der Hauptanstoß

Begonnen hatte alles, als Vanunu 1986 im australischen Sydney den kolumbianischen Journalisten Oscar Guerrero traf. Dieser erkannte schnell das Potenzial der Informationen und bot sich als Agent an. Schnell war ein Käufer gefunden - die Sunday Times. Vanunu wurde nach London geflogen, wo seine Informationen von dem Nuklearphysiker Dr. Frank Barnaby gegengeprüft werden sollten. "Guerrero muss damals zu dem Schluss gekommen sein, dass er dabei ausgegrenzt wurde", sagt Gordon Thomas, der in seinem Buch "Gideon's Spies" die wohl zuverlässigste Version der damaligen Ereignisse gibt. Der Kolumbianer habe deshalb das Exposé an weitere Zeitungen gesandt - u.a. auch an den Sunday Mirror.

Foto, das Vanunu innerhalb der Anlage gemacht hatte

Was damals niemand wusste: Herausgeber Robert Maxwell stand in engem Kontakt mit Israels Auslandsgeheimdienst Mossad. Dort wurde schnell bestätigt, dass Vanunu in der Tat von 1977 bis 1985 als Techniker in der Atomanlage bei Dimona gearbeitet hatte und im November des Vorjahres aus Sicherheitsgründen entlassen worden war: Vanunu waren damals "linke und pro-arabische Tendenzen" nachgesagt worden.

Doch nichts in seiner Vorgeschichte habe darauf hingedeutet, dass er sich einst gegen sein Land wenden würde: 1954 in Marokko geboren, floh die Familie 1963 vor einer Welle antisemitischer Gewalt nach Israel. "Sein Lebensweg dort war ziemlich unauffällig", berichtet Thomas. "Er absolvierte seinen Wehrdienst als Minenräumer und begann danach ein Physikstudium an der Universität Tel Aviv." Nachdem er jedoch durch zwei Examen gefallen war, habe er sich für eine Ausbildung als Nukleartechniker beworben.

Nach seiner Entlassung hatte sich Vanunu auf eine Rucksacktour begeben, die ihn über Fernost nach Australien führte. Irgendwo auf seinem Weg war er zum Christentum konvertiert:

Aus dem unauffälligen Jugendlichen voller Ideale war während seiner Zeit in Dimona ein zutiefst desillusionierter Mann auf der Suche nach sich selbst geworden.

.

Mehr als dies habe Israels damalige Regierung jedoch die Tatsache schockiert, dass es Vanunu gelungen war, die Anlage unbemerkt zu fotografieren: Premierminister Schimon Peres ließ einen Krisenstab bilden, der alle Möglichkeiten zur Reaktion ausloten sollte. "Diskutiert wurde unter anderem auch, Vanunu ermorden zu lassen," sagt Thomas. Doch diese Option sei schnell wieder verworfen worden: "Man ging davon aus, dass er sein Wissen bereits britischen und USA-Geheimdiensten zur Verfügung gestellt hatte." Doch noch war Jerusalem unbekannt, wie gut die Informationen der Sunday Times wirklich waren - bis deren Reporter einen fatalen Fehler begingen und Israels Botschaft in London eine Zusammenfassung ihrer Erkenntnisse zur Stellungnahme vorlegten: "Zu diesem Zeitpunkt wurde uns bewusst, dass wir diese Geschichte nicht würden aussitzen können", sagte der damalige Mossad-Chef Nahum Admoni Mitte der 90er Jahre in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten.

Also wandte sich Admoni an seinen persönlichen Freund Robert Maxwell: Der Verleger, der später unter ungeklärten Umständen ertrank, sorgte dafür, dass der Sunday Mirror Vanunu und Guerrero auf der Titelseite als Lügner darstellte. Gleichzeitig machte sich der Geheimdienst auf die Suche nach Vanunu - bis der ehemalige Techniker gefunden war.

Das Gehirn abgeschaltet ...

Der letzte Teil war ein Kinderspiel: Eine Mitarbeiterin wurde losgeschickt, um eine Beziehung zu dem zunehmend nervöser werdenden Vanunu aufzubauen - und rannte mit ihren Avancen offene Türen ein. "Die Reporter, die Mordechai damals rund um die Uhr betreuten, konnten nur mit ansehen, wie er in sein Verderben lief. Er hörte nicht mehr auf unsere Warnungen", erinnert sich Hounam.

Gemeinsam mit der Agentin, die sich als US-amerikanische Touristin namens Cindy ausgab, flog Vanunu nach Rom, wo die beiden in einem angemieteten Appartement einen Kurzurlaub verleben wollten. Doch in der Wohnung warteten bereits Cindys Kollegen, um Vanunu zu überwältigen und nach Israel zurückzubringen. Dort wurde kurzer Prozess gemacht: Hinter verschlossenen Türen wurde Mordechai Vanunu zu 18 Jahren Haft verurteilt; elf davon verbrachte er in einer Einzelzelle - aus Sorge, der Mann könne noch mehr seines Wissens preisgeben.

Die Ereignisse in dieser Woche zeugten einmal mehr von der Unsicherheit der israelischen Behörden im Umgang mit dem Fall Vanunu, kommentiert die Zeitung HaAretz in ihrer Freitagsausgabe:

Es geht hier nicht um Staatsgeheimnisse, die nach 18 Jahren vermutlich ohnehin überholt sind; es geht um Rache, und um den Wunsch, Mordechai Vanunu möge ganz einfach von der Bildfläche verschwinden.

Es seien genau diese Gefühlswallungen gewesen, die zu den Verwicklungen geführt hätten:

Irgend jemand hat sein Hirn abgeschaltet und damit dem Land mehr geschadet, als Vanunu das heute noch könnte, selbst wenn er jeden Tag drei Interviews gäbe.