Der Kampf gegen die kalte Fusion

Teil 4: Was wäre, wenn sich jeder selber mit Energie versorgen könnte?

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Die derzeit hohen Benzinpreise lassen uns spüren, wie sehr unsere Lebensweise von der Verbrennung fossiler Brennstoffe abhängt. Der Kinofilm The Day After Tomorrow (Supersturm mit frostiger Botschaft) führt uns vor Augen, welchen Preis wir oder unsere Kinder im schlimmsten Fall für unseren unnatürlichen Energiedurst zahlen müssen. In Teil 1 (Kalte Fusion wieder heiß) dieser Telepolis-Reihe wurde berichtet, dass Wissenschaftler 1989 eine Entdeckung bekannt machten, von der sie meinten, dass sie die Lösung unseres Energieproblems sein könnte: kalte Fusion. In Teil 2 (Die unerzählte Geschichte der kalten Fusion) wurde berichtet, dass zahlreiche Forscher die Entdeckung reproduziert haben und dafür von den Meinungsführern unserer Gesellschaft diskreditiert worden sind. In Teil 3 (Zur Theorie der kalten Fusion) wurde geschildert, dass Aussagen, kalte Fusion sei theoretisch unmöglich, wissenschaftlich nicht haltbar sind. Dieser Teil ist eine Episode zur Forschungspolitik. Die kalte Fusion ist von Teilen der Politik und der Wissenschaft aktiv bekämpft worden. Die Gründe dafür haben etwas damit zu tun, dass ein Kubikkilometer Meerwasser so viel Brennstoff enthält, wie in den gesamten bekannten Ölreserven schlummert, und dass nach Wunsch der Politik die heiße Fusion die Energiequelle der Zukunft sein soll.

Als im März 1989 auf der ganzen Welt der Startschuss fiel, die kalte Fusion zu reproduzieren, entschied sich auch das Electric Power Research Institute (EPRI) diese Forschung zu fördern. Das nichtkommerzielle Konsortium finanziert Forschung zur Energieerzeugung und -verteilung. Bestehende Förderbudgets des Stanford Research Institute und der Texas A&M University wurden unmittelbar zu Gunsten der kalten Fusion umgeschichtet. Texas A&M war für die Aufgabe überaus geeignet. Sie unterhielt 1989 nicht nur ein Zentrum für elektrochemische Systeme und Wasserstoff-Forschung und drei elektrochemische Arbeitsgruppen, sondern auch einen Teilchenbeschleuniger und ein Thermodynamisches Forschungszentrum. Ganze 90 Forscher waren 1989 an A&M in der Elektrochemie tätig, und EPRI beauftragte alle Arbeitsgruppen mit dem Versuch, die kalte Fusion zu reproduzieren.1

Die Gruppe von Prof. John O'M Bockris berichtete noch im selben Jahr von einer erfolgreichen Reproduktion, die sich durch große Mengen des Fusionsprodukts Tritium geäußert habe. Der Journalist Gary Taubes veröffentlichte daraufhin im Juni 1990 im Fachjournal Science einen Artikel, in dem er einen jungen Forscher aus Bockris' Team beschuldigte, Ergebnisse manipuliert zu haben. Der Doktorand Nigel Packham habe Tritium beigefügt, um seine Dissertation zu etwas ganz Besonderem zu machen. Vor dem Science-Artikel hatte Taubes bereits versucht, Packham zu einem Geständnis zu bewegen, indem er blöffte, ihn am nächsten Tag in der New York Times bloßzustellen. Die Anschuldigung war nie durch irgendein Experiment belegt. Hauptquelle war der A&M-Forscher Prof. Kevin Wolf.2

Bockris schreibt rückblickend, Wolf habe heimlich Experimentalflüssigkeiten, die bereits ein halbes Jahr eingelagert gewesen seien, auf schweren Wasserstoff analysiert, welchen gefunden, und somit gemeint, Taubes Vermutung stützen zu können. Der zugrunde liegenden Vermutung widersprach zunächst der EPRI-Programm-Manager und später das Ergebnis eines Experiments3, das Science aber nicht veröffentlichen wollte. Bockris wurde auch erst mit Verzögerung ein Leserbrief zugestanden, in dem er dann aber 26 weitere Labore zitierte, die ebenfalls Tritium gefunden hätten.4 Auch Bockris bekam Probleme. Seine wissenschaftliche Integrität war Gegenstand zweier Untersuchungen seiner Universität, welche zeitweise überlegte, ihn zu entlassen. Am Ende wurde er von sämtlichen Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens freigesprochen, und er hat auch seine Auszeichnung behalten, nicht aber seinen vorher exzellenten Ruf. Bockris, Autor mehrerer Standardwerke zur Elektrochemie, hatte das Pech, die falschen Experimente gemacht zu haben.5

1992 berichtete Bockris' Team als erstes von der Messung des Fusionsproduktes Helium. 1994 wurde über die Transmutation (Umwandlung) von Kohlenstoff in Eisen berichtetet und 1995 habe man entdeckt, "dass viele neue Elemente in Palladium entstehen, wenn man damit über mehrere Wochen Wasserstoff elektrolysiert."6 Interessanterweise erhielt auch Professor Wolf 1992 Hinweise auf neu entstandene Elemente. Wolfs Team maß in einem einzelnen Elektrolyse-Experiment die Entstehung von Silikon, Eisen, Kupfer, Zink und Gold, konnte dieses aber nie wiederholen. Dr. Tom Passell, der EPRI-Programm-Manager, bei dem Wolf Bockris zuvor für die Manipulation von Tritium-Messungen angeschwärzt hatte, veröffentlichte Wolfs Ergebnisse 1995.7

Überstürzte Experimente

So lange hat der Untersuchungsausschuss des US-Energieministeriums (ERAB), ins Leben gerufen vom damaligen Präsidenten George Bush senior, nie gewartet. Im Abschlussbericht vom November 1989 sind dennoch bereits fünf Forschungsgruppen aufgeführt, die Hinweise auf kalte Fusion in Form von Überschusswärme veröffentlicht haben: neben der ursprünglichen Gruppe von der University of Utah8 und den beiden A&M-Gruppen9 noch jeweils eine von der Stanford University10 und der University of Minnesota11, deren Arbeit letztendlich vom Fachblatt Nature zur Veröffentlichung aber abgelehnt worden ist.

Dem gegenüber werden 13 Gruppen genannt, die in ihren Veröffentlichungen nicht von Überschusswärme oder Fusionsprodukten berichteten. Vier Experimente haben aufgrund des hervorragenden Rufs der ausführenden Labore besonders zum ablehnenden Fazit des Untersuchungsberichts und generell zur Ablehnung der kalten Fusion beigetragen: das des California Institute of Technology (CalTech)12, des britischen Harwell Laboratory13, beide veröffentlicht in Nature, das des Massachusetts Institute of Technology (MIT)14 und des Naval Weapons Center15 der US Navy.

Kurz nach Veröffentlichung des ERAB-Berichts an die Regierung und nachdem sich Wissenschaft wie Öffentlichkeit eine (ablehnende) Meinung gebildet hatte, nahm der Lauf der Dinge erneut eine Wendung. Auch vom Navy-Labor kam nun eine Bestätigung anomaler Überschusswärme in kalten Fusions-Experimenten. Erst Palladium-Kathoden, die das Labor im September 1989 erhalten hatte, brachten die Bestätigung der Wärmeproduktion und der Entstehung des Fusionsproduktes Helium-4.16 Diese neuen Ergebnisse hatten es nicht mehr in den ERAB-Bericht geschafft. In ihrem Abschlussbericht von 1996 berichtet die Navy von einem anomalen Leistungsgewinn bei 28 von 94 Experimenten. Bestätigt wurde auch der Zusammenhang zwischen der Entstehung von Überschusswärme und Helium-4.17

Bestätigung der kalten Fusion durch zehn Jahre Forschugn der US Navy

Die Forschung bei der Navy ging weiter. Im Februar 2002 erschien der technische Bericht 1862.18 Ein gutes Jahr später griff der New Scientist den Bericht auf und schrieb, nach mehr als 200 Experimenten, durchgeführt während zehn Jahren in verschiedenen Labors der Navy, seien manche Forscher bereit, Ereignisse zu bezeugen, die nicht nur zeigten, dass kalte Fusion real sei, sondern auch, dass sie nicht anders erklärt werden könne. "Mir war ein bisschen unwohl dabei, meinen Unterschrift [unter den Bericht] zu setzen", gab Dr. Frank Gordon, Direktor des Navigation and Applied Sciences Department in San Diego, dem New Scientist gegenüber zu. "Doch unsere Daten sind so, wie sie sind, und wir stehen dazu." Ein anderer Navy-Forscher berichtet19 von Einschüchterungsversuchen:

Ziemlich prominente Persönlichkeiten der Physik-Gemeinde sprachen Drohungen aus. (...) Sie sagten, sie seien sich bewusst, dass staatliche Forschungsgelder in die kalte Fusions-Forschung gehen würden und dass sie alles versuchen würden, dieses zu verhindern.

Bedrohung der Budgets für die heiße Fusion

Mann muss wissen, dass reguläre Forschungsbudgets auch in den USA knapp bemessen sind. Werden Forschungsgelder einem bestimmten Gebiet zugewiesen, fehlen sie einem anderen. Auch das Stanford Research Institute (SRI) hatte von EPRI keine zusätzlichen Gelder erhalten. Dr. Michael McKubre, der vor 1989 für EPRI bereits zehn Jahre in der Elektrochemie tätig gewesen war, erhielt ein neues Forschungsziel, womit seine vorherige Forschung abrupt endete. Nach fünfjähriger Forschung konnte auch das SRI mit Gewissheit sagen, dass kalte Fusions-Zellen eine unverstandene Leistungsquelle darstellten.20 "Die Wissenschaft ist sehr träge," teilte McKubre mit, "und die Idee der kalten Fusion war sehr Unruhe stiftend."

Am 26. April 1989 hatte eine Abordnung aus Forschern und Politikern des US-Bundesstaats Utah, der Heimat der modernen Erforschung der kalten Fusion, den Ausschuss für Wissenschaft, Weltraum und Technologie des US-Repräsentantenhauses um 25 Millionen Dollar zur Erforschung dieser gebeten. Dass es so nicht kam, dazu hat die Aussage vor dem Ausschuss von Prof. Ronald Ballinger und die anschließende negative Presse beigetragen. Ballinger leitete damals das Forschungsprogramm zur heißen Fusion des Plasma Fusion Center am MIT. Das PFC musste fürchten, dass es Forschungsgelder an die kalte Fusion verliert.

Prof. William Happer, 1989 Mitglied des Energieministerium-Ausschusses (ERAB), hat die damaligen Bemühungen zur Beschaffung von Forschungsgeldern für die kalte Fusion kürzlich als "schädliche Politisierung der Wissenschaft" bezeichnet. Es wäre bei der Anfrage um 25 Millionen Dollar nur um persönlich Bereicherung gegangen. Immerhin wisse man ja heute, dass kalte Fusion "nicht reproduzierbar" gewesen sei.21 Dabei kennt Happer die Ergebnisse beispielsweise der Navy. Der Leiter derer Untersuchungen Dr. Melvin Miles hat sie allen ERAB-Mitgliedern im Sommer 1990 mitgeteilt, ohne eine Antwort zu erhalten.22

Die "revolutionäre Entdeckung" der kalten Fusion kam in den Worten des Abgeordneten Wayne Owens aus Utah zeitgleich mit dem "Eintritt in das Zeitalter alarmierender Umweltprobleme".23 Die aktuelle Ankündigung des US-Energieministeriums, die mittlerweile vorliegenden Daten zur kalten Fusion überprüfen zu wollen24, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Umweltprobleme noch alarmierender und die Knappheit von Energie, Wasser und Nahrungsmitteln noch viel deutlicher geworden sind (vgl. Maulkorb für Nasa-Wissenschaftler).

Eintritt in die "hydrogen economy"

Evident sind aktuelle Äußerungen der US-Administration zur "Wasserstoffwirtschaft", in die man nun eintrete. Im Februar 2003 kündigte Präsident George W. Bush eine 1,2 Milliarden Dollar schwere Wasserstoff-Initiative an, um Amerikas wachsende Abhängigkeit von Ölimporten zu kontern. Die USA haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, ihre Transportinfrastruktur, die zwei Drittel der nationalen Ölimporte verbrennt, bis 2020 auf schadstofffreie Wasserstoffverbrennung umzustellen.

Die Regierung zeigt sich dabei gewillt, die Kontrolle über die Energiequelle der Zukunft zu behalten. 2015 steht für den Kongress und die beteiligten Unternehmen die Kommerzialisierungsentscheidung an. Bis dahin soll weiter geforscht werden. Eine "Aufklärungskampagne" soll die Nation für diese Absicht gewinnen. Arnold Schwarzenegger, Gouverneur von Kalifornien und Kuratoriumsmitglied der George Bush Foundation, macht bereits fleißig Werbung für den "Wasserstoff-Highway". Präsidentschaftskandidat John Kerry sagte kürzlich - ohne Details zu nennen -, auch er habe einen Plan, in "neue Technologien und alternative Treibstoffe" zu investieren, um "die derzeitige Energiekrise" zu beenden. Am 15. Jahrestag der Wiederentdeckung der kalten Fusion, dem 23. März 2004, begann das Energieministerium außerdem eine Fortbildungsreihe für Beamte über "Versprechen und Herausforderung der Wasserstoff-Energie".

Für die langfristige Energieversorgung setzen die USA auf "Kernkraft und Fusionsenergie der nächsten Generation". Nachdem die Clinton-Administration ihre Forschungsbeteiligung am International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) zurückgezogen hatte, ist die Bush-Administration Anfang 2003 wieder beigetreten. ITER ist ein geplanter Forschungsreaktor, der den Durchbruch bei der Energiegewinnung durch heiße Fusion bringen soll.

Heiße Fusion gilt als potentielle Lösung des Energieproblems der Erde. Dabei wird Deuterium und Tritium verschmolzen. Um diese Wasserstoffisotope in ein reaktives Plasma zu verwandeln, sind Temperaturen von über 100 Millionen Grad Celsius nötig. Vorbild der Reaktion sind Prozesse in der Sonne, wie sie derzeit verstanden werden. Wenn in einem solchen Reaktor zwei schwere Wasserstoff-Teilchen zu einem neuen schwereren Teilchen fusionieren, wird Bindungsenergie frei. Seit nunmehr 50 Jahren wird an der Nutzbarmachung dieser Energie geforscht. Optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass diese Energiequelle in 50 Jahren zur Grundlastdeckung zur Verfügung stehen könnte.

Im ersten heißen Fusionsreaktor, dem Joint European Torus (JET) in England, konnte 1998 für einige Sekunden eine heiße Fusion aufrechterhalten werden. Dabei wurden 16 Megawatt Leistung frei. Allerdings musste das eineinhalbfache an Energie aufgewandt werden, um die Fusionsbedingungen zu erreichen. ITER soll zehn- oder zwanzigmal so viel Energie erzeugen, wie zum Erreichen der Zündbedingungen benötigt wird.25 Eigentlich sollte sich ITER bereits im Bau befinden, doch die USA verzögern ihn aus politischen Gründen.26

Spekulative Zukunft der heißen Fusion

Auch außerhalb der USA hat die Erforschung der heißen Fusion einen sehr hohen Stellenwert. ITER ist ein internationales Forschungsprojekt. Neben den USA und der EU sind auch Japan, Russland, China und weitere Länder beteiligt. In Deutschland ist die Fusionspolitik Bestandteil der Internationalen Nuklearpolitik. Das Auswärtige Amt sieht in der Kernfusion eine "Option für die kommerzielle Energieversorgung etwa zur Mitte dieses Jahrhunderts".

Die Möglichkeit heißer Fusion zur "Absicherung gegenüber Energieknappheit angesichts der Erschöpfung der fossilen Energieträger" erkennt auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (BAT). Ein gewisses Umweltrisiko stellten die langfristige radioaktive Kontaminierung der Reaktorwände und nicht ganz leicht beherrschbare Eigenschaften des Brennstoffs Tritium dar. Die Hauptkritik, die der heißen Fusion entgegengebracht wird, liegt jedoch in den immensen Kosten, die bei solchen Großprojekten anfallen.

Die EU hat bis 2000 fast zehn Milliarden Euro an Fördergeldern aufgebracht; Deutschland in den letzten Jahren fast so viel wie zur Förderung erneuerbarer Energien, im Mittel 130 Millionen. Bis zur Realisierung der Stromerzeugung müssten bis Mitte des Jahrhunderts weitere 60 bis 80 Milliarden Euro aufgebracht werden (vgl. Update: Kernfusion als Energiequelle der Zukunft?). Für das BAT ist die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Fusionsenergie gegenüber konkurrierenden Energieträgern "höchst spekulativ"27:

Alleine die Geschwindigkeit des technologischen Fortschrittes und die Kostenentwicklung bei konkurrierenden, z.B. regenerativen Energiesystemen, die von immenser Bedeutung für deren Konkurrenzfähigkeit ist, entziehen sich der langfristigen Vorhersagbarkeit. Als sicher gilt, dass die Investitionen gegenüber den Betriebskosten die Stromgestehungskosten dominieren werden. Für eine Anlage mit 1.000 MWe werden 5 bis 6 Mrd. Euro angegeben. Fusionskraftwerke werden damit sehr kapitalintensive Großprojekte sein. Sie werden sich daher hauptsächlich für die zentralisierte Stromerzeugung in der Grundlast eignen.

Kalter Strich durch die heiße Rechnung?

In diese Situation, tatsächlich in die Hauptphase der politischen Entscheidung zu ITER, platzte 1989 die Ankündigung der kalten Fusion. Milliardenschweren Großprojekten, die sich nur zur zentralisierten Energieerzeugung eignen und erst in ferner Zukunft eine Energiegewinnung versprechen, stellten sich kompakte Laborprojekte entgegen, die Energie angeblich jetzt schon reproduzierbar abgeben und die vor allem dezentral eingesetzt werden könnten.

JET-Reaktorraum zur heißen Fusion

Trotz früher positiver Berichte aus fünf Labors war das Ausbleiben einer Bestätigung durch das MIT, Harwell und CalTech der Hauptgrund für die heute etablierte Meinung, kalte Fusion funktioniere nicht. Nach der Publikation ihrer negativen Ergebnisse wurden alle drei Labore von außenstehenden Forschern kritisiert. "Schwerwiegende Fehler" würden die Akzeptanz dieser Studien als glaubhafte Untersuchungen "ultimativ unterminieren", kritisierte ein Navy-Team erstmals 1991. Die CalTech-Ergebnisse könnten nicht beweisen, dass keine anomale überschüssige Leistung frei würde, und seien bei Berücksichtigung von Fehlerquellen sogar in guter Übereinstimmung mit eigenen Ergebnissen und den ursprünglichen der Professorn Martin Fleischmann und Stanley Pons aus Utah.28 In einer späteren Veröffentlichung schrieben Forscher der Navy und der University of Texas, obwohl die CalTech-Experimente oft als Widerlegung der kalten Fusion zitiert würden, zeige deren Bericht im Gegenteil einen Leistungsgewinn von 13 Prozent.29 Den qualitativ gleichen Schluss ziehen zwei weitere Forscher mit der Begründung, CalTech hätte eine ungeeignete Methode benutzt.30

kaltes Fusions-Experiment zur Lehre an der italienischen Augusto Monti Hochschule

Auch eine Analyse der Harwell-Daten erbrachte Hinweise auf einen möglichen Leistungsgewinn.31 Das Harwell Laboratory befindet sich seit 1954 unter der Ägide der staatlichen United Kingdom Atomic Energy Authority und ist seitdem, neben anderen Laboren, für Großbritanniens heißes Fusionsprogramm zuständig. Seit 2000 betreibt die UKAEA den Versuchsreaktor JET.

Das MIT-Team mit direktem Forschungsauftrag vom US-Energieministerium war prominent mit Forschern des Plasma Fusion Center (PFC zur Erforschung der heißen Fusion besetzt. Neben der Überstürzung der Experimente wurde das MIT-Team unter anderem für seine schlechte Fehlertoleranz kritisiert. Arbeiteten die Forscher aus Utah mit einer Messgenauigkeit von einem Milliwatt, waren die Ergebnisse des MIT mit 40 Milliwatt weitaus weniger aussagekräftig.32 Ein Leistungsgewinn, den es ja zu reproduzieren galt, könne dabei "sehr leicht unentdeckt" bleiben.33 EPRI-Manager Passell, der die kalte Fusions-Forschung seit 1989 begleitet und bis 1994 finanziert hat, sieht die Herangehensweise mancher Labore wie folgt34:

Viele versuchten, die kalte Fusion zu reproduzieren, weil sie sich eben nicht sicher waren, dass es nicht klappen würde. Als sie es aber in Kürze nicht schafften, fingen sie an, die kalte Fusion zu denunzieren. Sie hatten sich nur ein paar Monate Zeit genommen. Es kam mir vor, als arbeiteten sie mit dem Konzept, erstens die Budgets für die heiße Fusion zu schützen und zweitens - falls es tatsächlich klappen sollte -, den Anschluss nicht zu verpassen.

Heavy Watergate?

Möglicherweise war man sich am PFC sogar mehr als unsicher, dass es nicht doch funktionieren könnte. Dr. Eugene Mallove teilte kürzlich mit, warum er im Juni 1991 seinen Job als MIT-Pressesprecher gekündigt hatte35:

Bis zum Frühling 1991 hatte ich Betrug in der Berichterstattung der MIT-Experimentaldaten des heißen Fusions-Labors vom Frühling 1989 gefunden - in der Phase-II-Kalorimetrie, welche ein Versuch war, das [Fleischmann/Pons]-Experiment zu reproduzieren. Die Experimentaldaten zeigten, bevor sie in betrügerischer Absicht verändert worden waren, ein positives Ergebnis.

Leiter der besagten Experimente war Prof. Ronald R. Parker, der sich auch schon vor Beginn der eigenen Experimente überzeugt zeigte, kalte Fusion sei "wissenschaftlicher Schund".36 Noch vor der Analyse der eigenen Daten feierte das MIT mit einer Party das Ende der kalten Fusion, berichtete Mallove von seinem damaligen Campus. Am 10. Juli 1989 stolperte Mallove über ein Diagramm, das für die Verwendung schweren Wassers im Experiment einen Leistungsgewinn angab. Drei Tage später veröffentlichte das PFC seinen endgültigen Bericht. Diesem war dieser Leistungsgewinn nicht mehr zu entnehmen, das Diagramm war verändert. Mallove gab das ursprüngliche Diagramm dem MIT-Forscher Dr. Michell Swartz. Dieser folgerte, dass die Leistungskurve für die Veröffentlichung auf Null gesenkt worden sei, was eine Wärmeproduktion (einen Hinweis auf kalte Fusion) vernebelt habe.37 Andere Forscher zweifelte die PFC-Ergebnisse aus analytischen Gründen an.38

Daten für das Kontrollexperiment mit leichtem Wasser, bei dem keine kalte Fusion zu erwarten ist: Die tatsächliche (schwarz) und veröffentlichte (blau) Kurve des Leistungsgewinns im kalten Fusions-Experiment des MIT liegen im Mittel bei Null.

Mallove verließ das MIT unter Protest, nachdem ihm über Monate die Rohdaten vorenthalten worden waren und er merkte, wie er zur "unethischen Manipulation der Presse" benutzt worden sei. Mallove forderte eine Untersuchung der Vorkommnisse, die aber nach monatelanger Auseinandersetzung von MIT-Präsident Prof. Charles M. Vest im Frühling 1992 endgültig abgelehnt wurde.39 Vest ist seit 2003 wissenschaftlicher Berater des Energieministeriums (DoE). Whistleblower Mallove hielt die Vorkommnisse am MIT für "einen der schlimmsten wissenschaftlichen Betrugsfälle der Geschichte". Doch auch im besten Fall handelt es sich um eine "Politik gütiger Nachlässigkeit", wie der Reporter Hal Plotkin im San Francisco Chronicle schrieb.40

Daten für das Experiment mit schwerem Wasser, bei dem kalte Fusion unter Umständen zu erwarten wäre: Die unveröffentlichte Kurve (schwarz) liegt über Null. Die veröffentlichte Kurve (blau) zeigt keinen Leistungsgewinn als Hinweis auf kalte Fusion mehr.

Da der Druck zu groß geworden war, veröffentlichte das MIT-PFC 1992 einen technischen Anhang zur ursprünglichen Veröffentlichung. Darin wird praktisch eingestanden, die Kurve verändert zu haben. Mit der Veränderung sei dem Einfluss "bekannter Quellen systematischer und statistischer Fehler" Rechnung getragen worden.41 Dieses ist ein schwerer wissenschaftlicher Protokollfehler, denn aus der Veröffentlichung von 1989 ging dieser Schritt nicht hervor. Effektiv hat das PFC mit der Nachveröffentlichung auch rückwirkend das Ziel des ursprünglichen Experimentes neu definiert. Es sei 1989 tatsächlich darum gegangen, nach Störeinflüssen zu fahnden. "In der Wissenschaft erlauben wir es normalerweise nicht, das Ziel eines Experiments neu zu definieren, um es den Ergebnissen anzupassen", kommentierte Mallove diesen Schachzug.42

Politisierung der Forschung

Spätestens seit 1992 werden Patentanträge, in denen kalte Fusion behauptet wird, vom US-Patentamt abgelehnt. Die Begründung unter Berufung auf den ERAB-Ausschuss und speziell die MIT-Ergebnisse lautet, dass es keine kalte Fusion gäbe. Und weil es sie nicht gäbe, könne sie auch in keinem Patent beschrieben werden.43

Wie im Krieg scheint es der US-Administration auch in der Wissenschaft darum zu gehen, die Informationshoheit zu besitzen. Im März 2004 hat die US-amerikanische Vereinigung Besorgter Wissenschaftler (UCS) der Bush-Regierung vorgeworfen, "wissenschaftliche Ergebnisse, die ihrer Politik widersprechen, zu verzerren und zu zensieren". Besonders besorgt stimmen die Wissenschaftler aktuelle Pläne der Regierung, Sammlung und Überprüfung wissenschaftlicher Informationen in einem Büro im Weißen Haus zu zentralisieren und der privaten Industrie mehr Einfluss zu geben. Ein Forscher warnt, die neue Regelung mache das Weiße Haus zu einem "Pförtnerhaus" für wissenschaftliche Informationen und würde "Integrität in der Wissenschaft ultimativ zerstören". Ein Abschnitt über kalte Fusion steht nicht im UCS-Bericht.44.

Das Verteidigungsministerium hatte bereits 1993 die JASON-Gruppe beauftragt, den damaligen Stand der kalten Fusions-Forschung zu berichten. JASON ist ein vertrauliches Berater-Gremium der US-Regierung in wissenschaftlichen Fragen. Vorsitzender bis 1990 war Prof. Happer, ERAB-Mitglied des DoE zur kalten Fusion. Vor elf Jahren ließen sich zwei JASON-Wissenschaftler einen Tag lang von McKubre und Passell die Experimente am SRI zeigen: Prof. Richard L. Garwin, ebenfalls ERAB-Mitglied und außerdem UCS-Vorstandsmitglied, und Prof. Nathan L. Lewis, Leiter der 89er Experimente des CalTech. In einem Bericht an das Pentagon, der von Steven Krivitt von der New Energy Times freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden ist, schreiben die JASONs über die positiven Ergebnisse des SRI, sie hätten keine Fehler entdecken können, die die Überschusswärme erklären könnten. An die große Glocke haben sie das nicht gehängt.

Bericht von Regierungsberater Garwin zum positiven kalten Fusions-Experiment des SRI an das Pentagon

Wenn das Energieministerium Wort hält, ist man dort bereits mit der Prüfung der vorliegenden Berichte zur kalten Fusion beschäftigt. Im Hinblick auf die aktuell bekundete Absicht des Energieministeriums, die kalte Fusion erneut zu überprüfen, wollen Plotkins Worte, nicht die Experimente sollten Gegenstand einer Untersuchung sein, sondern das DoE selber, nicht so recht verhallen.45

Was wäre, wenn kalte Fusion echt ist?

Warum die Überstürzung, die vermeidbaren Fehler, die politische Einflussnahme und die Manipulation? Warum der Kampf gegen die kalte Fusion, wenn sie doch gar nicht funktioniert? Um diese abschließende Frage zu beantworten muss man sich damit beschäftigen, was eigentlich wäre, wenn kalte Fusion echt sein sollte. Prof. Martin Fleischmann, Wiederentdecker der kalten Fusion in 1989, sagte 1998 in einem Interview46:

Man muss sich fragen, wer diese Entdeckung will? Glauben Sie, dass die sieben Schwestern [die großen Ölkonzerne] sie wollen? Passt sie in irgendein makroökonomisches oder mikroökonomisches Konzept? Ich glaube nicht.

Berechnungen des US-Office of Naval Research zeigen, dass ein Kubikkilometer normalen Seewassers genug schweres Wasser enthält, um die Verbrennungsenergie der gesamten bekannten Ölreserven aufzurechnen. Für den Forscher Dr. Edmund Storms spricht bislang nichts dagegen, kalte Fusion als Energiequelle zu nutzen, "entweder als Anwendung im großen Maßstab oder im kleinen, wie etwa in Batterien." Manche Forscher sehen die Möglichkeit gegeben, mit dem Verfahren Meerwasser zu entsalzen und es auf langem Weg in trockene Regionen zu transportieren.47 Bei der kalten Fusion fällt nur unter Umständen leicht radioaktives Tritium an. Da aber auch von Transmutationen (Umwandlungen) von Elementen berichtet wird, könnte sich das Verfahren auch zum Entstrahlen von Atommüll eignen.48. Letztendlich ließen sich sogar teure Elemente aus billigen herstellen, meint Prof. Bockris. Kalte Fusion wäre Alchemie in modernem Gewand.

Auch Charles Platt ist der Frage "What If Cold Fusion Is Real?" 1998 im Wired-Magazin in einem überaus lesenswerten Artikel nachgegangen49:

Wenn Fusion bei niedriger Energie tatsächlich existiert und perfektioniert werden kann, könnte die Stromerzeugung dezentralisiert werden. Jedes Haus könnte sich selber wärmen und seine eigene Elektrizität erzeugen, wahrscheinlich mit einer Art von Wasser als Treibstoff. Sogar Autos könnten durch kalte Fusion angetrieben werden. Massive Stromgeneratoren und hässliche Überlandleitungen gehörten der Vergangenheit an, genau wie importiertes Öl und unser Beitrag zum Treibhauseffekt.

Bereits 2002 forderte Dr. Gordon von der Navy, "dass Organisationen mit Forschungsgeldern der Regierung in diese Forschung investieren". Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit dazu?

Diese Telepolis-Reihe ist Eugene Mallove gewidmet. Gene hat sich für eine bessere Welt eingesetzt. Am 14. Mai 2004 ist er im Haus seiner Eltern umgebracht worden. Sein Vermächtnis ist das 57-seitige Protokoll der Vorkommnisse am MIT, das auf der Seite des Infinite Energy-Magazins frei zugänglich ist. Steven Krivitt betreibt ein Portal mit Informationen zu Genes Ermordung.