Zahnloser Punisher

Die FSK, die "exzessive Gewaltdarstellung" und der Umgang mit "rechtsstaatlich bedenklichen Tendenzen" im Film "The Punisher"

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Man fühlt sich ein wenig an eine quälende Szene aus John Schlesingers "Marathon Mann" erinnert. In diesem Klassiker des 70er-Thrillers vergeht sich ein ins Alter gekommene Ex-KZ-Arzt mit ausgesuchtem Gerät an Dustin Hoffmans Gebiss: Langsam zieht er ihm die Zähne, mit der kühlen Befriedigung des Schreibtischtäters und Bürokraten. Dass Hoffman sich die Seele aus dem Leib schreit, kümmert den Sadisten wenig. Eine Szene, die sich in ihrer Intensität eingebrannt hat: Kaum einer, der den Film kennt, und, Jahre später drauf angesprochen, nicht umgehend antwortet: "Ach, das ist doch der mit dem Zahnarzt..."

Thomas Jane as Frank Castle. Bild: Lions Gate Films

Die FSK hat die jüngste Comic-Adaption von The Punisher in letzter Sekunde entzahnt. "Der Prüfungsausschuss versagt dem Film das Zertifikat 'Keine Jugendfreigabe' wegen exzessiver Gewaltdarstellung und rechtsstaatlich bedenklicher Tendenzen bei menschenverachtender Grundhaltung", so konnte man es beim "Kölner Stadtanzeiger" lesen.

Vom Verleih war ursprünglich eine Freigabe ab 16 Jahren anvisiert (so zumindest die Information vor einer Pressevorführung), nun kann man froh sein, den Film überhaupt ins Kino bringen zu können: Volljährige dürfen den Film letztlich doch noch sehen. In einer allerdings geschnittenen Fassung, versteht sich. Auch dem vor dem Gesetz mündigen Bürger wird die Befähigung zur Reflexion des Gesehenen in Abrede gestellt: Selbst noch der Erwachsene also ein Kind, dessen Blick der väterlichen Lenkung bedarf: Was der Prüfungsausschuss sich an Befähigung zuspricht - das Erkennen von und der entsprechend souveräne Umgang mit "rechtsstaatlich bedenklichen Tendenzen" im Film -, stellt er der breiten Bevölkerung durch solche impliziten Schnittauflagen massiv in Abrede.

Nach der ebenfalls ärgerlichen Kürzung von Troja besitzt der Fall "Punisher" eine neue Qualität: Handelte es sich bei der Kürzung von Petersens recht freier Ilias-Adaption noch um eine marktstrategische Überlegung des Filmverleihs - ab 12 freigegebene Filme sprechen naturgemäß einen größeren Markt an als Filme ab 16 -, wurde hier der Columbia seitens der FSK förmlich die Pistole auf die Brust gesetzt: Ohne Schnitt keine Kinoauswertung. Das Nachsehen hat der dergestalt bevormundet mündige Filmfreund im Kino, bzw. infolge einer sich im Internet zusehends formierenden Boykottbewegung der einzelne Kinobesitzer.

Neben aller Arroganz spricht aus dem Beschluss des Prüfungsausschusses auch eine gehörige Portion Ignoranz: Schon im Vorspann, der sich an die Hard-boiled-Ästhetik des Film Noir anlehnt, gibt sich "The Punisher" als Bezugnahme auf Pulp-Traditionen vergangener Dekaden zu erkennen. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Die Figur des Punisher tauchte erstmals 1974 in den Spiderman-Comics von Marvel auf, um wenig später mit einem Zyklus bedacht zu werden.

Es war die Zeit, in der das Kino von gebrochenen Figuren und Rache- und Selbstjustizfilmen bestimmt war: Charles Bronson rächte in Death Wish seine Familie, Eastwood verkörperte regelmäßig den Polizisten Dirty Harry, der das Gesetz in die eigenen Hand nahm, in French Connection ließ Friedkin der manischen Rage seiner beiden Polizisten - verkörpert von Roy Scheider und Gene Hackman - freien Lauf: Das vor allem von Auflösungserscheinungen bestimmte soziale Klima der 70er Jahre fand hier, wie auch im politischen Verschwörungsthriller, passenden filmischen Ausdruck. Brian de Palma verdichtete den Komplex in den 80er Jahren zu seinem postmodernen, hoch-artifiziellen Selbstjustizdrama Die Unbestechlichen, der allerspätestens die Transponierung des Motivs weg vom politischen Projekt hin zum Genre-Diskurs markiert.

Roy Scheider als Frank Castle sr. Bild: Lions Gate Films

Die jüngste Adaption von "The Punisher" skizziert dies nach: Frank Castle sr., der Vater des späteren Punisher, wurde mit Roy Scheider besetzt. Zumindest im englischen Originalton wird de Palmas Film wortwörtlich zitiert, eine Tötungssequenz erinnert frappant an das bittere Ende des ersten Mad-Max-Films. Überhaupt ist die ganze Machart des Films eine auffällig anachronistische: gutes, altes Actionhandwerk, wie man es noch aus den 80er Jahren kennt. CGI kamen, dem Augenschein nach, nicht zum Einsatz. In dieser Hinsicht erscheint "The Punisher" weniger als Film, der sozio-politisch argumentiert, sondern eher als melancholischer Genrefilm, der sich vor allem mit den eigenen, im ironisierenden Laufe der Zeit verschütt gegangenen Wurzeln eines verbindlichen "Blut, Schweiß und Tränen"-Kinos vergangener Epochen beschäftigt. Stichwort existenziell. Was die FSK zudem übersieht, ist, dass der Film eine existenzielle Geschichte erzählt, deren Konstellation an die bitteren, moralisch ebenso recht diffusen Italowestern erinnert: Wenn der Punisher im Zuge des Films zu immer drastischeren Vergeltungsmitteln greift, findet sich darin der Ausdruck einer zutiefst verletzten Seele wieder. Gewalt wird hier deshalb gerade nicht als Allheilmittel für Konflikte glorifiziert: Eher findet sich eine Spirale der Gewalt bebildert, die ihren Ursprung im Stolz und in den Leidenschaften der beiden Antagonisten findet, die beide aus tiefen Verletzungen heraus agieren: Hier der Syndikatsverbrecher Howard Saint (John Travolta), dessen Sohn während eines Polizeieinsatzes unter Beteiligung von Frank Castle jr. (Tom Jane), dem späteren Punisher, das Leben lassen musste, dort Frank Castle jr., dessen gesamte Familie von Saint infolge des eigenen Verlustes massakriert wurde und nun wiederum auf Vergeltung sinnt.

Bild: Lions Gate Films

Beider existenzieller Schmerz - das macht den Film interessant und angenehm ambivalent - bedingt einen Furor, der stets mit der inneren Welt der handelnden Personen in Verbindung steht. Gerade die "exzessive Gewaltdarstellung" und das bemäkelte Motiv des in die eigenen Hände genommenen Gesetzes sind hier notwendige Ausdrucksmittel, wie beispielsweise auch im klassischen Martial-Arts-Film besonders artistische Leistungen der Protagonisten nicht selten auf eine besonders spirituell geläuterte innere Welt verweisen. Der grundmelancholische Duktus des Films wird zusätzlich durch die offen zur Schau gestellte Soziophobie und den Alkoholismus der Titelfigur unterstrichen: Nichts, was der Punisher unternimmt, erhält dadurch "herrlichen" Charakter. Er ist alles andere als erhaben.

Bild: Lions Gate Films

Das Handeln dieses Menschen wird nur aus dessen Beschädigungen heraus verstehbar und lässt, in dieser konsequenten Individualisierung, keine Schlüsse vom Besonderen auf das Allgemeine zu. "Wie würdest Du denn handeln, wenn Deine Schwester getötet wird?", ist eine beliebte Frage von Todesstrafenbefürworter an deren Gegner. Natürlich ist es auf individueller Ebene von Grund auf verständlich, dem Mörder seiner liebsten Mitmenschen den Tod an den Hals zu wünschen. Über die Legitimität der Todesstrafe oder vergleichbar irrwitziger Maßnahmen ist damit indes auf sozio-politischer Ebene noch lange nichts gesagt.

Etwa zwei Minuten mussten aus dem Film insgesamt entfernt werden. Keine allzu große Sache, sicherlich, doch es geht um das Prinzip: Dass ein Werk von künstlerischem Charakter nicht im Nachhinein noch unautorisiert bearbeitet wird und dass ein mündiger Mensch selbst dazu in der Lage ist, einen Film für sich zu beurteilen und souverän einzuordnen. Wenngleich gutgemeint, ebnet ein solcher Eingriff allenfalls einer allgemeinen Infantilisierung den Boden. Wie nun mit diesem konkret umzugehen sei, ist natürlich dem Einzelnen selbst überlassen. In den einschlägigen Internetforen wird sich bereits nach einer Import-DVD umgesehen, die wohl spätestens in einem Vierteljahr erhältlich sein wird. Auch darin zeigt sich nicht zuletzt die Hilflosigkeit einer solchen Praxis des regulierenden Zugriffs, der sich zunehmend als bloße Schikane im Alltag des Filmfreunds erweist. Das Instrumentarium des Zahnarzts scheint mit der Zeit stumpf geworden. Das macht sein verzweifeltes Agieren nur noch ärgerlicher.