WSIS II: Verbreiterung oder Vertiefung?

Schon vor dem Beginn der Vorbereitungskonfernz in Tunesien für den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft II gibt es Uneinigkeit, wie weiter verfahren werden soll; die Bundesregierung will sich stärker beim WSIS-Prozess engagieren

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Nächste Woche beginnt im tunesischen Hammamet die Vorbereitung für die 2. Phase des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft. WSIS II soll im November 2005 in Tunis stattfinden. Noch vor dem Start der neuen PrepCom1 ist bereits eine Auseinandersetzung darüber ausgebrochen, was denn der neue Gipfel eigentlich beschließen soll. Die einen wollen das politische Gewicht der Genfer WSIS-Schlussdokumente erhöhen und planen die Ausarbeitung einer "Charta für die globale Informationsgesellschaft". Die anderen warnen vor einer Politisierung und schlagen vor, dass man zunächst erst einmal die praktischen Beschlüsse von WSIS I erfüllen sollte, bevor man sich in neue theoretische Höhen begibt.

Beschlossen ist beschlossen. Als im Jahr 2001 sich die 190 UNO Staaten darauf einigten, einen Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) zu veranstalten, stimmten sie für eine, wie es damals hieß, Innovation: Erstmals sollte ein UN-Gipfel in zwei Phasen stattfinden: WSIS I im Dezember 2003 in Genf, WSIS II im November 2005 in Tunis. Die Innovation war jedoch nichts anderes als ein Kompromiss. Die Tunesier, die 1998 die WSIS-Idee dem Internationalen Fernmeldeverein (ITU) vorgetragen hatten, wollten selbst eine große Konferenz veranstalten, die Mehrheit der Regierungen aber zog es an den Genfer See. Da ITU Generalsekretär Utsumi für seine Wiederwahl im Jahr 2002 die Stimmen der arabischen und afrikanischen Länder brauchte, entstand das Modell des "Zwei-Phasen-Gipfels".

Das ging ganz gut bis Genf, sieht man von den Holprigkeiten unterwegs einmal ab. Als im Dezember 2003 die 12 000 WSIS Delegierten ihre Koffer packten, machte sich jedoch Konferenzmüdigkeit breit (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). Viele Vertreter von Regierungen, privater Wirtschaft und Zivilgesellschaft waren froh darüber, das Projekt zu einem passablen Ergebnis gebracht zu haben und ihnen stand nach der Erschöpfung des Genfer Marathons nicht der Sinn danach, in einer Endlosschleife permanent weiter zu verhandeln. Das WSIS-Dokument ist zwar kein Jahrhundertwerk, aber eine nicht unwesentliche Weichenstellung für die Zukunft mit keinem kurzfristigen Verfallsdatum.

Was soll neu verhandelt werden?

Ein halbes Jahr später werden alle "Stakeholder" jedoch nachdrücklich an die Beschlusslage erinnert. Der zweite WSIS-Gipfel steht fest und unverrückbar im diplomatischen Weltterminkalender. Was aber soll man eigentlich bis Tunis neu verhandeln, wenn in Genf bereits nahezu alle Register gezogen und alle Karten ausgereizt wurden? Die Welt ändert sich zwar heutzutage schneller als früher, aber erwartet irgend jemand ernsthaft, dass sich die globalen Kräftekonstellationen bei Streifragen wie "Meinungs- und Medienfreiheit vs. staatliche Souveränität", "Schutz des geistigen Eigentums vs. Freier Zugang zu Wissen" oder "Terrorismusbekämpfung im Internet vs. Schutz der Privatsphäre" in den letzten sechs Monaten geändert haben?

Die Idee also, das Genfer Verhandlungspaket wieder aufzuschnüren, alle Fragen neu aufzuwerfen und ein "höherwertiges Dokument" in Form einer rechtsverbindlichen "Charta der Informationsgesellschaft" zu verhandeln, ist entweder naiv oder destruktiv. Sie ist naiv, wenn die Proponenten des Vorschlages sich wirklich davon erhoffen, ein besseres Dokument als die zugegebenermaßen nicht perfekte WSIS-Deklaration zu bekommen. Sie ist destruktiv, weil die Chance der Verbesserung viel geringer ist als das Risiko, dass die in der Deklaration und dem Aktionsplan enthaltenen ausbalancierten Kompromisse wieder zurückgenommen werden.

Die auf der Hand liegende Alternative, den WSIS II-Gipfel zu einer Art "Bilanzkonferenz" umzugestalten, ist jedoch auch nicht ohne Tücken. Wer die Geschwindigkeit kennt, mit der UN-Beschlüsse auf der Arbeitsebene von Ministerien anlanden, und nur annähernd erahnt, auf welchen Zeitschienen die notwendigen bürokratischen Planungs- und Entscheidungsprozeduren abfahren, wird allen Ernstes nicht erwarten können, dass die 190 Regierungen, der private Sektor und die Zivilgesellschaft mit aussagefähigen Berichten, wie sie denn seit Dezember 2003 die globale Informationsgesellschaft gestaltet haben, nach Tunis reisen können. Natürlich ist es sinnvoll, die Implementierung der WSIS-Beschlüsse in den Mittelpunkt zu rücken und eine Vertiefung der Thematik ist auch ihrer politisierten Verbreiterung vorzuziehen, aber nüchtern betrachtet wird der WSIS II-Gipfel in Tunis im November 2005 nicht mehr als eine Zwischenstation sein auf einem langen Weg, der, wie im Aktionsplan ja auch gesagt, ins Jahr 2015 zielt. Genf+2 wird nicht viel sagen können, wohl aber Tunis+10.

Eine solche Einschätzung hat durchaus Konsequenzen für die Dimension des Anlaufes, den man für den nun mal beschlossenen Tunis-Gipfel nehmen muss. Für Genf 2003 benötigte man sechs Vorbereitungskonferenzen (PrepComs) und fünf regionale Ministertreffen sowie ein halbes Dutzend informeller Meetings. Nichts rechtfertigt momentan einen ähnlichen Aufwand für WSIS II. Die Organisation des Klapperns einer tibetanischen Gebetsmühle wäre überdies eine kaum vertretbare Verschwendung von Geldern, denn Konferenzen mit 500 und mehr Teilnehmern kosten nun mal, egal was rauskommt, eine Stange Geld.

Ob sich die Idee eines schlanken Vorbereitungsprozesses für WSIS II bei der neuen PrepCom1 nächste Woche in Hammamet durchsetzt, wird sich zeigen. Die Europäische Union ist schon mal vorangegangen und hat erklärt, dass sie nicht die Notwendigkeit einer neuen europäischen WSIS-Tagung sieht. Kleinere Expertentagungen zu einzelnen Fragen wären jedenfalls voluminösen diplomatischen Konferenzen vorzuziehen.

Offene Fragen: Finanzierung und Internet Governance

Dies gilt im Prinzip auch für die zwei Fragen, die der Genfer Gipfel expressis verbis offen gelassen und in die Obhut von UN-Arbeitsgruppen gegeben hat: Finanzierung und Internet Governance.

Zum Thema Finanzierung wurde UN-Generalsekretär Kofi Annan gebeten, eine Task Force zu bilden, die ihm bis Dezember 2004 eine Untersuchung vorlegen soll, ob, und wenn ja, wie, ein "Digitaler Solidaritätsfonds" geschaffen werden könnte der helfen kann, die "digitale Spaltung" der Welt zu überwinden. Kofi Annan hat mittlerweile das UN-Entwicklungshilfeprogramm UNDP gebeten, gemeinsam mit der Weltbank und einigen anderen Instituten, aktiv zu werden. UNDP-Direktor Marc Malak Brown wurde zum Leiter eines Sekretariats der in den nächsten Tagen zu bildenden Task Force berufen. Vier Expertengruppen - Entwicklungskooperation, Privater Sektor, Ressourcenmobilisierung und innovative Finanzierungsmodelle - wurden gebildet. Bis Mitte Oktober 2004 sollen diese Expertengruppen Berichte und Fallstudien vorlegen, um die Mitglieder der "Task Force Financing" (TFF) zu befähigen, bis zum 31. Dezember 2004 ihren Bericht mit Empfehlungen an den UN-Generalsekretär fertig zu stellen. Dieser Report könnte dann auf der momentan für Februar 2005 geplanten PrepCom2 in größerer Öffentlichkeit zwischen Regierungen, privater Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutiert werden. Das wäre dann aber auch schon Stoff genug für eine PrepCom2.

Ähnlich ist die Lage beim Thema "Internet Governance". Auch hier hat Kofi Annan zunächst einen Sekretär der noch zu bildenden Arbeitsgruppe benannt, den Schweizer Diplomaten Markus Kummer. Der will den Vorsitzenden der "Working Group on Internet Governance" (WGIG) nächste Woche in Hammamet präsentieren. Vor Oktober 2004, so Kummer, wird sich aber die nach dem "Multistakeholder Prinzip" zusammenzusetzende Gruppe nicht konstituiert haben. Die 15 bis 20 "Internetgurus" haben neun Monate bis Juli 2005 Zeit, einen Bericht samt Empfehlungen zu formulieren. Der könnte dann den Stoff für die im September 2005 geplante PrepCom3 hergeben.

Die Bundesregierung wird aktiv, Zivilgesellschaft positioniert sich neu

Für einen schlanken Vorbereitungsprozess, der sich mehr auf offene Themen und Implementierung konzentriert, setzt sich auch die deutsche Bundesregierung ein. Nachdem die CDU-Internet-Fraktionssprecherin Martina Krogmann die rot-grüne Koalition wegen einer "Unterbewertung von WSIS" und der damit "verpassten Chancenverwertung für die deutschen Wirtschaft" kritisiert hatte - Bundeskanzler Schröder ließ sich beim Genfer Gipfel von Wirtschaftsstaatssekretär Rezzo Schlauch vertreten -, ist nun das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) fest entschlossen, Deutschland an die Spitze der WSIS-Diskussion zu bringen.

Noch im November 2004 wird die "UN Information and Communication Technology Task Force" (UNICTTF) in Berlin ihre reguläre Sitzung abhalten. Die "UNICTTF" ist zwar nicht direkt mit dem WSIS-Prozess verbunden, das Arbeitsfeld dieser hochrangigen Gruppe, die bislang sechsmal in Genf und New York tagte, berührt aber viele WSIS-Themen. Gemeinsam mit der UNICTTF will die Bundesregierung in den nachfolgenden Monaten dann eine Serie von lokalen und regionalen Workshops zum Streitthema "Internet Governance" rund um den Globus veranstalten. Dies soll in enger Kooperation mit der privaten Wirtschaft erfolgen: von Siemens bis Deutsche Telekom. Schließlich soll noch vor der PrepCom 2, eventuell im Januar 2005, ein kleines aber hochrangiges thematische orientiertes WSIS-Expertentreffen in Berlin stattfinden.

Ebenfalls in Berlin trafen sich am vergangenen Wochenende die Vertreter der europäischen und amerikanischen Zivilgesellschaft, um sich ihrerseits für Tunis abzustimmen. Renata Bloem, Leiterin des zivilgesellschaflichen WSIS-Büros und Vorsitzende des Koordinierungsausschusses von Nicht-Regierungsorganisationen bei den Vereinten Nationen (CONGO), erinnerte dabei die rund 50 Delegierten, dass auch die Zivilgesellschaft im WSIS-Prozess das Fahrrad nicht neu erfinden muss. Die "zivilgesellschaftliche WSIS-Deklaration" sei jene Latte, an der man jetzt die Regierungen messen müsste, ob sie es ernst meinten mit den Beschlüssen von Genf. Für die Zivilgesellschaft gehe es darum, ihren nicht unerheblichen Erfolg bei WSIS zu konsolidieren und ihre in diesem Prozess entstandenen Strukturen zu festigen.

Bis zum November 2005 sollte die Zivilgesellschaft ihre Rolle als kritischer Aufpasser und Antreiber zur Erfüllung der WSIS Beschlüsse weiter ausbauen: Sie sollte sich aktiv an den neu anlaufenden Diskussionen, insbesondere auch in den Arbeitsgruppe zur Finanzierung und zu Internet Governance beteiligen und dabei substantielle eigene Beiträge zur Implementierung auf den Feldern leisten, auf denen sie über die größte Kompetenz verfügt: Schaffen von Problembewusstsein vor Ort, Einbringung von Wissen und Expertise, Entwicklung und Management von lokalen Projekten, Mobilisierung von Ressourcen, Strategieentwicklung und seriöse Feldforschung.

Noch am Vorabend der PrepCom1 organisiert die Zivilgesellschaft eine eigene Vorkonferenz, bei der sie auch Regierungsvertreter sowie den einzigen Kandidaten für den neuen Vorsitz des zwischenstaatlichen WSIS-Büros, den lettischen Botschafter Janis Karklins, eingeladen hat. Diese Tagung wurde übrigens initiiert vom deutschen zivilgesellschaftlichen WSIS-Koordinierungskreis und sie wird mit veranstaltet von der Heinrich Böll Stiftung, der Humanistischen Union und dem Goethe Institut in Tunis. Diese jetzt auch "MPC" (Monitoring, Participating, Contributing) genannte neue zivilgesellschaftliche Strategie ist eine Art Vorwärtsverteidigung, die dafür sorgen soll, dass die positiven Aspekte der mit WSIS I eingeleiteten Prozesse unumkehrbar werden und eine "globale Informationsgesellschaft mit menschlichem Antlitz" entsteht.

Von Wolfgang Kleinwächter erscheint demnächst in der Telepolis-Reihe das Buch: "Macht und Geld im Cyberspace. Wie der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft die Weichen für die Zukunft stellt."