"Lord of the Rings" hat jetzt künstlichen Trabanten

Mit dem Raumsonden-Tandem Cassini-Huygens schwenkte heute erstmals ein irdischer Gesandter in die Umlaufbahn des Saturn ein

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Der erste Würfel ist gefallen, der interplanetare Rubikon überschritten. Heute verabschiedete sich die Cassini-Huygens-Doppelsonde aus dem freien Raum und schwenkte nach einer wahren kosmischen Vollbremsung in die Umlaufbahn des sechsten Planeten des Sonnensystems ein, von dem keiner so genau weiß, wie viele Monde dort ihr Unwesen treiben. Nur eines ist gewiss. Neben den bislang bekannten lunaren Begleitern umschwirrt seit heute der erste künstlich geschaffene Trabant den majestätischen Ringplaneten. Von den 76 Umrundungen, die der neue Satellit des Saturns binnen vier Jahre absolvieren soll, versprechen sich die Planetenforscher ungemein wichtiges Datenmaterial.

Das am 15. Oktober 1997 von Cape Canaveral ins All geschossene Raumschiff-Tandem hat heute nach seiner siebenjährigen einsamen und 3,5 Milliarden Kilometer langen Odyssee durch das Sonnensystem seine erste große Hürde mit Bravour gemeistert. Um 4.36 Uhr MESZ setzte das Roboter-Gespann zum alles entscheidenden Sprung an und tauchte nach einer 96-minütigen Vollbremsung in eine stark elliptische Umlaufbahn um den Ringplaneten Saturn ein. Damit hat das bislang teuerste unbemannte Unternehmen in der Geschichte der Raumfahrt, das stolze 3,4 Milliarden Dollar verschlang, die kritischste Phase der Mission heil überstanden. Auch wenn mit den NASA-Sonden Pioneer 11 (1979), Voyager 1 (1980) und Voyager 2 (1981) bereits drei von Menschenhand geschaffene Raumfahrzeuge den Gasplaneten erreichten und sich demselbigen bis auf 20.350 Kilometer näherten, ist die NASA-ESA-Doppelsonde Cassini-Huygens gleichwohl der erste irdische Begleiter des Saturn.

Von 21.000 auf 2.250 Kilometer pro Stunde

Seit seinem Start hat das Roboter-Gespann auf einer komplizierten Bahn durch das innere Sonnensystem den Weg der Erde, den der Venus und den des Jupiters gekreuzt, um durch die Schwerefelder dieser Planeten jenen Schwung zu holen, der für den Flug zum Saturn nötig war (Swing-by). Aber noch mal so richtig Fahrt aufgenommen hat das interplanetare Vehikel in den letzten Stunden seiner Annäherung an Saturn, als es infolge der Schwerkraft des Planeten auf 21.000 Kilometer pro Stunde beschleunigt wurde. Nur gut, dass die Haupttriebwerke sekundengenau zündeten und eine kosmische Vollbremsung par excellence hinlegten, die dazu führte, dass die Geschwindigkeit des Planetenspähers wunschgemäss auf 2.250 Kilometer pro Stunde gedrosselt wurde.

Bei dem Bremsmanöver sauste das von Süden kommende Raumschiff durch eine Lücke der F und G genannten Saturn-Ringe und näherte sich dem Gasriesen dabei bis auf 20.000 Kilometer. Um die Sonde vor den in dieser Region en masse herumschwirrenden Staubpartikeln zu schützen, wurde der rund 2,5 Tonnen massige und 6,7 Meter hohe sowie 4 Meter breite Satellit gedreht. Und zwar in der Richtung, dass die vier Meter große Hauptantenne als Schutzschirm fungieren konnte. Danach wurde das Vehikel mit den Steuerdüsen wieder um 180 Grad bewegt, um in Bremsstellung gehen zu können, bevor dann das Haupttriebwerk zündete.

Das Gesicht von Phoebe, einem kleinen Saturnmond, den Cassini/Huygens vor 19 Tagen passierte (Bild: NASA)

Dass während dieser heiklen Missionsphase kein Ingenieur, Programmierer, Techniker oder Wissenschaftler vom Kontrollzentrum der NASA am Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena (Kalifornien), von wo das Einbringen des Cassini-Orbiters in die Saturn-Umlaufbahn gesteuert wurde, eingreifen konnte, lag an den interplanetaren Gegebenheiten. Schließlich musste jedes Funksignal von Erde 84 Minuten Reisezeit in Kauf nehmen, um die 1,5 Milliarden Kilometer lange Strecke zum Saturn zu bewältigen. Als beispielsweise in Pasadena das erste Signal vom Start des Bremsmanövers eintraf und alle Anwesenden vor Ort und auch in Darmstadt beim European Space Operations Center (ESOC) der ESA angesichts des ungewissen Ausganges der Mission noch völlig angespannt waren, hatte sich das Satelliten-Tandem schon längst in der Umlaufbahn des Saturns einquartiert.

Hierbei packte die Sonde übrigens die Gelegenheit beim Schopfe und analysierte vor Ort schon einmal die Saturnmagnetosphäre und lieferte zudem permanent wissenschaftliche Daten, aus denen noch im Verlaufe dieses Tages sehr wahrscheinlich vielversprechende Aufnahmen entstehen, auf denen die Ringe aus unmittelbarer Nähe zu sehen sind. Auch die Animationen auf dieser Seite sind sehenswert.

Echtfarbbild vom Saturn, aufgenommen mit der "Narrow Angle Camera" von Cassini am 27. März 2004 (Bild: NASA)

In den nächsten Wochen treten sodann die anderen 11 wissenschaftlichen Instrumente peu à peu in Aktion, um die Geheimnisse des "Herrn der Ringe" endlich zu lüften. Und bereits morgen fliegt Cassini während des ersten Orbits in 400.000 Kilometer an Titan vorbei. Dabei hoffen die Forscher erstmals, mit einem Spektrometer durch die dicke Wolkenschicht auf die Oberfläche des größten Saturnmondes blicken zu können.

Kritischstes Missions-Manöver

Natürlich lagen bei allen Beteiligten die Nerven blank. "Es ist das kritischste Missions-Manöver seit dem Start vor fast sieben Jahren" so Ralf Jaumann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der als Mitglied des Spektrometer-Teams auf Cassini wesentlich an dem internationalen Forschungsprojekt beteiligt ist. "Am Ende dieses Bremsmanövers wird die Sonde von dem zweitgrößten Planeten des Sonnensystems praktisch eingefangen, und sie kann Saturn und seine Monde in den nächsten vier Jahren bei 76 Umkreisungen genauestens erforschen. Darauf warten weltweit 260 beteiligte Forscher aus 17 Ländern bereits mit Spannung, darunter auch einige deutsche Wissenschaftler."

Künstlerische Interpretation eines interplanetaren Vagabunden (Bild: NASA)

Auch ESA-Missionsspezialist Michael Khan fieberte den entscheidenden Stunden am Donnerstagmorgen entgegen: "Die Nervosität lässt sich nicht abstellen." Tatsächlich hätte so einiges schief gehen können. Was wäre wohl passiert, wenn das Raumschiff mit einem der zahlreichen Eisbrocken des Saturnringes kollidiert oder geradewegs auf den Ringplaneten gestürzt wäre? Zwar hatten NASA und ESA für das Einschwenken gezielt eine Stelle ausgesucht, in der wenig Staub und Eis zu erwarten war, doch eine völlige Sicherheit gab es zu keinem Zeitpunkt.

Wenige Stunden vor dem Bremsmanöver zeigte ebenfalls der Leiter des Cassini-Projektes bei der NASA, Robert Mitchell, in Pasadena (Kalifornien) Nerven. "Ich werde dann tief durchatmen und inne halten, bis wieder Signale von der Sonde auf der Erde empfangen werden und alles in Ordnung ist." Nach dem erfolgreichen Prozedere klangen Mitchells Worte dann ganz anders. "It's going to be the star of the show for the next four years."

Klassischer Fauxpas

Die Saturnsonde rastete und rostete bei ihrem bisherigen Trip übrigens keineswegs vor sich hin. Stattdessen lieferte Cassini-Huygens beim Vorbeiflug am Jupiter zum Jahreswechsel 2000/2001 spektakuläre Bilder von Jupiter und seinen Monden zur Erde und erst vor 19 Tage passierte das Gefährt den 220 Kilometer großen Saturn-Mond Phoebe (Dunkler einsamer Saturnmond bekam irdischen Besuch) in einer Entfernung von nur 2063 Kilometer und schoss während des Vorbeiflugs beeindruckende Fotos mit einer Detailgenauigkeit von bis zu zwölf Metern.

Dabei sah es noch vor etwas mehr als drei Jahren um die Mission ganz und gar nicht gut aus. Seinerzeit leisteten sich die hochspezialisierten Forscher und vermeintlich hochqualifizierten Ingenieure aus den USA und 16 anderen Nationen einen Lapsus der Extraklasse. Obwohl die Teams 15 Jahre lang an der Cassini-Huygens-Mission arbeiteten, übersahen sie schlichtweg, dass das zur Datenübertragung dienende Relais der Sonde eine zu geringe Bandbreite hatte. Zwar ist der Schaden mittlerweile wieder behoben; doch dachte damals wohl kein Techniker daran, die Sender an Bord von 'Huygens' und die Empfänger an Bord von 'Cassini' in ihren Frequenzbereichen aufeinander exakt abzustimmen. Vor allem kalkulierte keiner mit ein, dass der Cassini-Orbiter nicht still über der Huygens-Sonde harrt, sondern sich mit rund fünf Kilometern in der Sekunde von ihr entfernt.

Jetzt, da der interplanetare Trip zum Saturn ohne Blessuren überstanden ist, beginnt für Cassini-Huygens die orbitale Phase der Mission. Binnen vier Jahre soll Cassini den Saturn in einer Distanz von 180.000 bis 420.000 Kilometern insgesamt 76 Mal umkreisen, dabei die innere Struktur des zweitgrößten Planeten in unserem Sonnensystem und dessen Ringsysteme eingehend studieren sowie möglichst viele seiner Monde ins Visier nehmen.

Huygens-Landung als wahrer Höhepunkt

Wenn dann am 26. Oktober 2004 der erste gezielte Titan-Nah-Vorbeiflug in nur 1.200 Kilometer Distanz und am 13. Dezember 2004 der zweite aus 2.350 Kilometern Abstand zum Titan erfolgt, nähert sich für viele Forscher der eigentliche Höhepunkt der Mission. Dann dürften bei der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) in Erinnerung an den verschollenen Mars-Lander Beagle 2 sogleich das große Zittern beginnen, wenn sich die 300 Millionen Dollar teure Huygens-Sonde – sie ist der Hauptbeitrag der ESA zur Cassini-Mission – am 23. Dezember 2004 von dem Orbiter trennt und nach einem dreiwöchigen freien Fall am Vormittag des 14. Januar 2005 in die dichte Gashülle des geheimnisumwitterten Saturnmondes mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Stundenkilometern eintaucht.

Cassini/Huygens zeigt wahre Größe (Bild: NASA)

Vorgesehen ist, dass die Landesonde bereits nach fünf Minuten von der dichten Stickstoffatmosphäre auf rund 1000 Kilometer in der Stunde abgebremst, bevor sich dann die Fallschirme entfalten und der Hitzeschutzschild abgeworfen wird. Während des zweieinhalbstündigen Sinkfluges schwebt Huygens mit pausenlos arbeitenden Sensoren der Oberfläche des Titan entgegen und analysiert die Umgebung und die chemische Zusammensetzung der dunstigen Atmosphäre, sammelt Daten über Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, Windstärke, elektrische Eigenschaften, Wolkenbedeckungen und vieles andere mehr. Nach Durchbrechen der Wolkendecke wird eine Kamera Aufnahmen von der Umgebung und der Oberfläche machen.

In der letzten Phase des Abstiegs zum Titan beobachtet ein Kameraauge die bislang unbekannte Oberfläche des Saturnmondes. Sämtliche Daten und Bilder funkt Huygens augenblicklich an das Mutterschiff, die dort zwischengespeichert und dann zur Erde gesandt werden. Während die Sonde wahrscheinlich spätestens nach einer halben Stunde in einem Ozean aus flüssigen Kohlenwasserstoffen versinken wird (Raumsonden-Landung auf einem Öl-Ozean), wird Cassini sein vierjähriges Forschungsprogramm fortsetzen und Saturn mitsamt Anhang weiter unter die Lupe nehmen. Keine Frage, Cassini und Huygens haben dann jeweils auf ihre Weise den interplanetaren Rubikon für alle Zeiten überschritten.