Der Sex, das Gen und der Versuch einer (medialen) Verführung

Beim Teilen eines Chromosoms haben Münchner Forscher angeblich das Gen entdeckt, das unser Sexualverhalten bis hin zur Wahl des Sexualpartners steuern soll

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Wen wir sexuell attraktiv finden, ist in unseren Genen festgelegt. Das behaupten zumindest die Forscher des Arthur-Schütz-Instituts in München. Gestern schickte das Institut eine Pressemitteilung über den Fund im Chromosom 16 heraus und ließ ihr heute eine neue folgen, weil angeblich die erste Mail bei vielen Redaktionen wegen der sex-bedingten "Anhäufung von einschlägigen Begrifflichkeiten" in den Spam-Filtern hängen geblieben sei. Auich nicht ganz uninteressant diese Meldung. Aber vielleicht war man in den Redaktionen auch aus einem anderen Grund zögerlich und reagierte nicht so prompt, wie dies die Aussender sich wünschten.

Warum auch sollte es beim Menschen unbedingt komplexer zugehen müssen als beim gemeinen Fruchtfliegen-Männchen, von dem man seit 1998 weiß, dass sein komplettes Sexualleben von einem einzigen Gen bestimmt wird? Was bei Drosophila melanogaster "tru" heißt, wurde beim Menschen von den Genforschern "ISA" getauft.

Und dieses ISA, das 33 Exons groß ist und 7 kb kodierte Sequenz besitzt, hat ganz erstaunliche Eigenschaften. Das Wunder-Gen soll nämlich detaillierte Informationen darüber enthalten, wer uns sympathisch ist: ISA setzt nämlich spezielle Botenstoffe im Nervensystem (Neuropeptide) frei, wenn wir jemanden attraktiv finden. "Äußere Merkmale wie Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Statur und Körperhaltung" sollen diese Reaktion auslösen. Überdies regelt ISA die Versorgung der Hirnanhangsdrüse mit Endorphinen: "Je höher die Endorphin-Zufuhr, desto stärker sind unsere sexuellen Gefühle." Und dann kommt es noch dicker: "Allein durch die Manipulation weniger Basenpaare kann das ganze Sexualverhalten eines Menschen verändert werden", erklärt Professor Georg Stopczyk, Leiter des Arbeitskreises Humanbiologie und Humangenetik Stopczyk.

Die Geschichte vom Grubenhund

Auf der Website findet man über diese Entdeckung hinaus nicht viel. Obwohl das Institut schon 1996 in München gegründet worden sein soll, scheint man bislang geschlafen und keine große Forschung betrieben zu haben. Wer nähere Auskunft wünscht, wird auf Email-Adressen und eine "ISA-Hotline für Journalisten" verwiesen. Die aber sind offenbar bis jetzt nicht auf den Schwindel hereingefallen. Das aber wohl Zweck der Sache, denn der ominöse Arthur Schütz, nach dem das Fake-Institut benannt wurde, ist natürlich kein Genforscher, sondern ein Ingenieur, der auch Anfang des 20. Jahrhunderts als Geheimdienstoffizier gearbeitet hatte, also sich mit Informationsoperationen auskannte.

Eine Leidenschaft von Schütz war es, Zeitungen gefälschte, auf den ersten Blick aber mögliche Meldungen zukommen zu lassen, weil er sich ärgerte, dass die Redaktion kaum deren Wahrheitsgehalt wirklich nachprüfen und vor allem auf pseudowissenschaftliche Inhalte hereinfallen. Eine seiner bekannteren Finten - manche waren allerdings noch übertriebener und handelten von feuerfester Kohle oder ovalen, stoßdämpfenden Rädern - war der Leserbrief über den Grubenhund, der 1911 in der Neuen Freien Presse veröffentlicht wurde. Der Artikel ging um ein Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, das ein in einem Laboratorium schlafender "Grubenhund" aber schon eine halbe Stunde zuvor bemerkt habe und unruhig geworden sei. Als Hund bezeichnet man im Bergwerk allerdings Loren. Die Meldung vom Grubenhund wurde auch Karl Kraus zugeschrieben und wurde zur Bezeichnung für Zeitungsenten.

Über diesen Grubenhund und seinen Erfinder hat der Journalistikprofessor Walter Hömberg ein ganzes Buch herausgegeben: "Arthur Schütz. Der Grubenhund. Experimente mit der Wahrheit." (München 1996) Hömberg hat, damit schließt sich der Kreis, den Lehrstuhl für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt inne und scheint nun seine Studenten auch in den Strategien der Täuschung praktisch zu schulen. Zumindest weist die Webseite des Arthur-Schütz-Instituts auf eben dieses Institut zurück, wenn man sich dei Registrierungsdaten ansieht. Vermutlich hat ein Student für das Web eine Falle aufgestellt, um Journalisten und Redakteuren einen Fuß zu stellen. Die aber haben sich bislang nicht hinters Licht führen lassen, obwohl die Story doch so schön ist und auch noch mit Sex und Spam-Filtern zu tun hat. Aber ob das ein Beweis dafür ist, dass Journalisten besser als ihr Ruf sind? Oder war nur die Falle zu offensichtlich?