Mysteriöser Saturnmond hüllt sich in exotischer Schönheit

Die ersten Cassini-Huygens-Bilder von Titan sind bereits spektakulär, werden aber noch spektakulärer werden

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Leicht verschwommen, aber keineswegs farblos kam Titan beim ersten Vorüberflug der Cassini-Huygens-Doppelsonde daher. Als vor wenigen Tagen der neue Saturn-Satellit den alten in einer (nächsten) Entfernung von 339.000 Kilometer passierte und einen Blick auf die Oberfläche des Mondes riskierte, prahlte Titan mit exotischen Attributen. "Titan hat uns nicht enttäuscht. Die Bilder sind spektakulär", sagte eine NASA-Mitarbeiterin im Kontrollzentrum in Pasadena (Kalifornien). Doch das Ganze verspricht noch spektakulärer zu werden. Schon im Oktober passiert Cassini-Huygens den Saturnmond in einer Distanz von nur 1200 Kilometer – und im Januar des nächsten Jahres kommt es dann zum absoluten Showdown.

Ungefähr 1,5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt befindet sich ein von Menschenhand geschaffener und mit allen "diplomatischen" Vollmachten ausgestatteter irdischer Gesandter auf heikler Mission. Zwar hat ihn der zweitgrößte Planet des Sonnensystems herzlich willkommen geheißen und in die Familie der bislang bekannten 31 anderen Satelliten aufgenommen. Aber im Genuss kosmischer Immunität steht der akkreditierte Neuankömmling fürwahr nicht. Denn gegen das vorherrschende raue kosmische Klima am Ringplaneten, wo riesige Mengen Staub und Myriaden von Eis- und Steinbrocken unterschiedlichster Art den Orbit unsicher machen, ist auch Cassini-Huygens nicht immun. Auch wenn der irdische Botschafter mit einem gewagten Manöver beim Flug durch die Lücke der F- und G-Saturnringe keinerlei Schäden davon tragen musste, war eine unfreiwillige Kollision mit einem der zahlreichen Eisbrocken oder mit herumschwirrenden Staubpartikel des Saturnringes jederzeit im Bereich des Möglichen.

Dichter orange-brauner Wolkenteppich

Nun aber, nachdem am 1. Juli das Haupttriebwerk der Sonde sekundengenau das Bremsmanöver einleitete und der rund 2,5 Tonnen massige und 6,7 Meter hohe sowie 4 Meter breite Satellit kurz darauf in eine stabile Umlaufbahn um den Saturn eintauchte, ist die Mission in ihre nächste, gleichwohl wissenschaftlich primäre Phase getreten. Laut Plan gilt es nun, in den folgenden vier Jahren den Saturn insgesamt 76 Mal sicher zu umrunden und dabei nicht nur den Gasriesen, sondern auch sieben seiner 31 verdienten Begleiter genauestens zu untersuchen. Insgesamt 52 Mal soll der Orbiter an den Trabanten vorbeifliegen. Besondere Beachtung verdient hierbei natürlich die Nummer Eins im saturnen Mini-Sonnensystem. Mit ihm wird Cassini sage und schreibe 45 Mal auf Tuchfühlung gehen.

Cassini-Falschfarben-Bild vom größten Saturn-Mond Titan – Aufgenommen mit dem VIMS-Instrument aus einer Distanz von 339.000 Kilometer (Bild: NASA)

Normalerweise birgt der zweitgrößte Mond des Solarsystems (mittlerer Durchmesser: 5120 Kilometer) und der größte Trabant des zweitgrößtes Planeten unseres Sonnensystem seine Geheimnisse hinter einem ständig präsenten dichten orange-braunen Wolkenteppich, der in einer Höhe von 400 Kilometern über der Mondoberfläche treibt. Ein dicker Dunst aus Methan und anderen Kohlenwasserstoffen verhüllt sein Antlitz. Was sich unterhalb dieses Schleiers genau befindet und woraus die Oberfläche des "mystischen" Saturnmonds besteht, darüber konnte bislang nur spekuliert werden. Diesen Vorhang konnte Cassini-Huygens jetzt wenigstens schon einmal ein kleines Stück zur Seite schieben.

Absolut fremde Oberfläche

Als die Doppelsonde bei ihrem ersten entfernten Vorüberflug den Saturntrabanten in einer Entfernung von 339.000 Kilometer streifte, konnte sie einige beeindruckende Aufnahmen machen, auf denen sich ein exotischer Mond die Ehre gibt. Dabei konnten die Cassini-Wissenschaftler auf Titan erstmals geologische Strukturen ausmachen. "Wir sehen eine absolut fremde Oberfläche", schwärmt Dr. Elisabeth Turtle von der University of Arizona. "Es gibt gerade, runde und kurvige Strukturen auf der Oberfläche, die auf geologische Aktivität hindeuten, aber wir wissen noch nicht, wie wir sie interpretieren sollen."

Jedenfalls bereichern die neuen Titan-Bilder jetzt schon das bisherige Wissen über Titan. So fiel den NASA-Forschern vor allem im Süden des Mondes eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien auf, die auf große Mineralienvorkommen hindeuten. Und auf der Nordhalbkugel lokalisierten diese sogar eine runde Formation, die ein Krater sein könnte.

Vergrößerung der Methan-Wolken über den Südpol des Saturnmondes (Bild: NASA)

"In einigen Wellenlängen sehen wir dunkle Bereiche aus relativ reinem Wassereis aber auch hellere Regionen, in denen der Anteil von anderen Bestandteilen wie Kohlenwasserstoffen größer ist", verdeutlicht Dr. Kevin Baines vom Jet Propulsion Laboratory (JPL). Noch seien die Ergebnisse nur vorläufig. Sie könnten aber die Art und Weise ändern, wie die hellen und dunklen Bereiche auf der Titanoberfläche zu interpretieren sind.

Beeindruckt ist das Cassini-Team auch von einer Methan-Wolke, die am Südpol des Saturn-Satelliten entdeckt wurde. Bei diesem Gebilde handelt es sich keinesfalls um eine gewöhnliche Wolke im irdischen Sinn, vielmehr um ein Wolkenfeld, das einen Durchmesser von 450 Kilometer hat und welches in 15 Kilometer Höhe über der Mondoberfläche treibt - und eben ausschließlich aus Kohlenwasserstoffen besteht. "Hier könnten Winde am Werk sein, welche die methangesättigte Luft in die Höhe treiben, wo es kondensieren kann und Wolken bildet", so Baines gegenüber dem britischen Online-Dienst BBC News.

Freie Sicht für freie Raumsonden

Dass die Forscher den Saturnmond zum ersten Mal in den unterschiedlichsten Wellenlängenbereichen untersuchen konnten, ist unter anderem dem Einsatz des sondeneigenen "Imaging science subsystem" (ISS), das zum Aufnehmen von Bildern im sichtbaren, nahen Ultravioletten und nahen Infrarot Bereich geeignet ist und dem "Visible and Infrared Mapping Spectrometer" (VIMS) zu verdanken, mit dem ein Blick hinter der dichten Wolkendecke des Titan jederzeit möglich ist. "So wie man mit dem Radar Objekte am Himmel erkennt, können wir durch den Dunst die Oberfläche sehen", erklärt Baines.

Das aktuelle Datenmaterial belegt, dass die chemische Zusammensetzung auf der südlichen Hemisphäre des Trabanten regional stark variiert. "Bei einigen Wellenlängen sind dunkle Regionen aus relativ reinem Wassereis zu erkennen und hellere, die Materialien wie einfache Kohlenwasserstoffe enthalten."

Ganz dicht an Titan gezoomt – Details von der Titan-Oberfläche, die es bislang noch nicht zu sehen gab. Ursprünglich wurde diese Bild aus einer Distanz von 344.000 Kilometer aufgenommen. Die kleinsten Strukturen, die zu erkennen sind (!), sind weniger als 10 Kilometer groß. (Bild: NASA)

Dennis Matson, einer der zahlreichen Cassini-Projektwissenschaftler vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena, sieht ebenfalls Anlass zur Freude. "Auch wenn die ersten Aufnahmen recht langweilig aussehen und schwer zu interpretieren sind, so können wir dennoch sagen, dass wir durch eine Kombination von verschiedenen Instrumenten einen Blick auf die Oberfläche von Titan geworfen haben – und das mit bislang unerreichter Klarheit." Näheres zum Instrumentarium von Cassini zeigt Leitenbergers Seite.

Back to the roots

Jetzt freue man sich auf weitere dichtere Vorüberflüge, bei denen die Oberfläche auch mit Radar noch genauer abtastet werde. Schon am 26.Oktober 2004 erfolgt der erste nahe Vorbeiflug. In einer Höhe von nur 1.200 km soll Cassini-Huygens dann den geheimnisvollen Mond streifen, der sich nach Ansicht der Forscher derzeit in einem Zustand befindet, der dem der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren sehr ähnelt.

Aber erst der Lander Huygens, der Anfang 2005 auf den fernen Trabanten niedergehen soll, wird die fremde Welt erstmals auf die Anwesenheit von Aminosäuren und Molekülen, die eine Vorstufe zum organischen Leben darstellen und die für die Bildung von Leben unabdingbar sind, untersuchen. Von den Analysen, die Huygens vor Ort durchführen wird, sowie den großräumigeren Beobachtungen durch den Cassini-Orbiter während seiner verschiedenen Vorbeiflüge an Titan erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über die frühesten Entwicklungsstadien der Erdatmosphäre und Hinweise auf die Voraussetzungen, die die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten ermöglicht haben.

Vielleicht gerät das technisch komplexe und anspruchsvolle Huygens-Abenteuer zu einer Art Zeitreise in die Vergangenheit, eine Reise zurück zu den Anfängen des irdischen Lebens, sozusagen eine Forschungsexpedition zu unseren Ur-Urahnen. Vielleicht aber auch nicht.