Rechtsrock-Propaganda im Umfeld von Schulen?

Verschiedene Landesinnenministerien warnen vor einer bundesweiten Verteilaktion von Neonazi-CDs vor Schulen und Jugendtreffs

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Die Landesinnenminister von Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen haben davor gewarnt, dass Neonazis noch vor den Schulferien bundesweit eine Rechtsrock-CD gratis an Jugendliche verteilen wollen. Mit dem von einem Bündnis aus rechten Kameradschaften und Firmen geplanten "Projekt Schulhof" sollen demzufolge Jugendliche vor Schulen und Jugendtreffs angeworben werden. Schon 1993 hatte der später bei einem Autounfall tödlich verletzte Sänger der Nazi-Kultband "Skrewdriver", Ian Stuart Donaldson, festgestellt, Musik sei "das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen".

Rechtsrock hat sich seitdem in der Szene als effektivste Anwerbemöglichkeit und "spannende Erlebniswelt" für Jugendliche erwiesen (vgl. Reaktion verpflichtet). Ian Stuart Donaldson war ebenso Begründer des internationalen Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour" (B&H), das in Deutschland verboten ist, wovon indes Teile noch heute konspirativ weiterarbeiten (vgl. Rechtsextreme Kontinuität).

Rechtsrock dient B&H und der übrigen Nazi-Szene aber nicht nur als "Einstiegsdroge" (Jörg Schönbohm). Durch den Verkauf finanziert diese Musik ebenso Aktivitäten und Parteien. Facetten des Rechtsrock reichen dabei von eher stumpfen Skinhead-Sounds, Dark Wave (vgl. Schwarzbraune Seelenfänger), Balladen, Heavy Metal und Black Metal (vgl.Hasse deinen nächsten, wie dich selbst).

Einem Bericht von "Blick nach Rechts" zufolge haben sich an der Produktion und Finanzierung des CD-Samplers "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" fast 60 rechtsextreme Gruppen und Labels beteiligt. Die PR-CD enthalte 20 Songs bekannter Szene-Bands, darüber hinaus Multimedia-Elemente inklusive Werbematerialien, Post- oder Internetadressen von rechtextremen Parteien, Händlern und Kameradschaften. Angedacht sei es, zwischen 50.000 und 250.000 CDs zu verteilen.

Beteiligt seien auf dem CD-Sampler Musikgruppen wie die als Kultbands gefeierten "Noie Werte", "Hauptkampflinie" und "Stahlgewitter". Vertreten seien zudem Bands, an deren Gesinnung wenig Zweifel bestehe, so man den Code der Szene dechiffriert: "Spirit of 88" steht etwa für den "Geist von Heil Hitler". Denn um das Verbot jenes Grußes zu umgehen, nutzt die Szene juristisch unangreifbare Zahlencodes, die auf die Platzierung von Buchstaben im Alphabet verweisen. Die Band "H8-Maschine" könnte demnach für "Heil-Hitler-Maschine" stehen, sich aber auch als "Hate-Maschine" lesen, wie im Forum des rechten Musikmagazins "Rock Nord" angemerkt wird.

Werbung für rechte Ideologie hart an der Grenze des Verbotenen

Unterschiedlich bewerten die Landesinnenministerien die Inhalte der CD, vor der Ende Juni erstmals gewarnt wurde, die aber bislang wohl noch nicht öffentlich verteilt worden ist. Jörg Schönbohm sagte, "dass gezielt nur Titel (Lieder; mk) für die CD ausgewählt wurden, die hart an der Grenze zur Strafbarkeit liegen, um die dahinter stehenden verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verdecken." Sein Kollege Klaus Jeziorsky aus Sachsen-Anhalt teilte via Pressemitteilung mit, dass "von den Initiatoren nach eigenem Bekunden nur solche Musikstücke für den Sampler verwendet (wurden), die keinen Anlass für das Einschreiten der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden bieten sollten." Das Innenministerium in Nordhrein-Westfalen verweist derweil darauf, dass einzelne Staatsanwaltschaften CD-Texte inzwischen als strafrechtlich relevant eingestuft hätten. Eine abschließende Bewertung stehe indes noch aus.

Fest stehe aber, dass auf der CD demokratiefeindliche Positionen in populistischen, strafrechtlich eher unverfänglichen Formulierungen verpackt wurden. Die CD selbst wird den Behörden zufolge eingeleitet mit einem Redebeitrag, in dem es zu orchestral-klassischen Klängen u.a. heißt: "Unsere heutigen Schulen sind schon längst ein Sammelbecken für junge Schwerkriminelle geworden - meist ausländische Banden haben hier das sagen. (...) Wir sind keine Ausländerfeinde! Wir lieben das Fremde - in der Fremde." Eigentlich mitteilen wollen die CD-Initiatoren so wohl nur die Kurzlosung "Ausländer aus!" Und statt wie üblich den Alliierten oder "den Juden" nach Ende des Zweiten Weltkriegs mittels "Gehirnwäsche" die Umerziehung der deutschen Bevölkerung vorzuwerfen, sei in der CD-Einleitung schlicht die Rede von einer "antideutschen Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt wird und nur Deutsche als Täter sieht".

Daher warnen die Behörden nicht nur vor jener CD, sie wenden sich auch mit Informationsmaterial an Lehrer und Beschäftigte in der Jugendarbeit. Diese, mahnte Jugendschutz.net-Leiter Friedemann Schindler, müssten sich auf das Thema Rechtsextremismus vorbereiten. Denn "wenn sie die erste CD sehen und sich dann erst informieren, ist es zu spät", sagte Schindler. Für ihn stellen die auf der CD verbreiteten "subtilen ausländer- oder judenfeindlichen Parolen" nämlich ein größeres Problem dar, als dumpfe Naziparolen, die eher abschreckend wirken würden. Daher bieten seine Behörde und die Bundeszentrale für politische Bildung eine überarbeitete medienpädagogische Handreichung an. Auch beim NRW-Landesinnenministerium sind im Web Materialien abrufbar.

"Skrewdriver"-Sänger Ian Stuart Donaldson hatte einst nicht nur festgestellt, "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen." Er schlussfolgerte ebenso: "Besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann (mit Musik; mk) Ideologie transportiert werden." Später könnten dann jene Jugendlichen, für die Parteireden und -schriften anfangs völlig uninteressant seien, zu glühenden Verfechtern des Nationalsozialismus werden. Und vielleicht ist dieses Konzept auch teilweise aufgegangen. Verfassungsschützer und Szenekenner warnen nämlich schon länger davor, dass Anhänger der rechtsextremistischen Szene in Deutschland immer jünger werden. Und militanter (vgl. Erneuerbare Synergien brauner Kameradschaft).