Anschlag auf den demokratischen Prozess

Die Bush-Regierung verfolgt weiter den Plan, bei einem Terroranschlag die Präsidentschaftswahlen im November verschieben zu können

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Offensichtlich ist es der Bush-Regierung ernst mit dem Vorhaben, die Präsidentschaftswahlen zu verschieben, wenn ein Terroranschlag zu dieser Zeit stattfinden sollte. Den ersten Vorstoß hatte DeForest B. Soaries , der Vorsitzende der Election Assistance Commission des Weißen Hauses, gemacht (Sollen die US-Präsidentschaftswahlen kurz nach einem Terroranschlag verschoben werden?), jetzt zieht das Heimatschutzministerium nach, weil man "alarmierende" Informationen über einen möglichen Anschlag von al-Qaida im Herbst besitze.

Wie schon berichtet, sind die Erkenntnisse über den angeblich in den USA vor den Wahlen geplanten Terroranschlag bestenfalls "abstrakt" (Osama ist wieder da!). Sie basieren angeblich auf abgehörten Gesprächen von al-Qaida-Angehörigen, die nach der erfolgreichen Auswirkung der Anschläge vom 11.3.) auf die Wahlen in Spanien ähnliches in den USA bewirken wollen. Aber selbst Heimatschutzminister Tom Ridge musste zugeben, dass man eigentlich über das wohl stets stattfindende Geraune über mögliche Anschlagspläne hinaus nichts Näheres weiß.

Abgesehen davon, dass man trotz der Verkündung der Terrorwarnung im Heimatschutzministerium nicht daran denkt, die seit zwei Jahren fast unveränderte Warnstufe von "gelb" (erhöht) zu verändern und man ebenso lange immer wieder mit der Gefahr von möglichen Angriffen politisch agiert, scheint auch die hergestellte Verbindung zwischen dem spanischen "Erfolg" (Bush verlor am Ebro) und den Auswirkungen eines Terroranschlags in den USA nur auf einen äußerst flüchtigen Blick einzuleuchten.

In Spanien hatte sich die konservative Regierung der Koalition von Bush angeschlossen, obgleich der überwiegende Teil der Bevölkerung gegen den Irak-Krieg und eine Beteiligung der spanischen Truppen war. In Spanien gab es mit den Sozialisten eine Alternative, da sie schon vor dem Anschlag gesagt hatten, dass sie die Truppen abziehen werden. Zudem ist Spanien auch nur ein Mitglied der Koalition, die Regierung verfolgte dabei ihre Interessen. Ein wichtiger Grund für die Abwahl der konservativen Regierung waren deren Versuche, den Hintergrund der Anschläge auf eine für sie günstige Weise zu vernebeln und erst einmal die Urheber in der ETA zu suchen (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Möglicherweise fürchtet die US-Regierung, der solche Tricksereien oder Spins nicht gerade fremd sind, eben diesen Effekt.

Insgesamt ist aber die Situation eine ganz andere. Die USA sind der Motor des Irak-Kriegs und der anschließenden Besetzung gewesen, die von der Bush-Regierung, wenn auch unter Angabe von falschen Gründen, direkt als notwendige Reaktion auf die Anschläge vom 11.9. verkauft wurden. Die Bush-Regierung hat mit dem 11.9. und dem Antiterrorkampf zunächst die Bevölkerung hinter sich gebracht, auch wenn die Zustimmung jetzt bröckelt. Dennoch würde ein erneuter Terroranschlag in den USA nur die Bush-Regierung stärken, da die Alternative, der demokratische Präsidentschaftskandidat Kerry, keine wirkliche ist, wie dies in Spanien der Fall war.

Das müssten selbst intellektuell bescheidene Terrorplaner wissen, so dass ein Anschlag kurz vor den Wahlen von ihnen höchstens als Unterstützungsmaßnahme für die Wiederwahl von Bush gedacht sein könnte. Das würde sogar einen gewissen Sinn machen, schließlich hat die Bush-Regierung den besten Nährboden für die Ausbreitung des islamistischen Terrorismus geschaffen. Auf der anderen Seite dürfte dies auch dem Weißen Haus klar sein. Tom Ridge sprach daher sicherheitshalber davon, dass al-Qaida vorhabe, mit einem "großen Anschlag" den "demokratischen Prozess" zu stören. Was auch immer die Bush-Regierung nun mit dem Plan bezweckt, die Wahlen verschieben zu können, so würde sie damit zumindest genau eine Störung des demokratischen Prozesses stattfinden lassen. Dass man zugunsten des demokratischen Gegenkandidaten die Wahlen verschiebt, dürfte jedenfalls kein Grund sein, vermutlich will man die Stimmung absehen und Handlungsfreiheit haben.

Wie Newsweek berichtet, hatte sich das Heimatschutzministerium letzte Woche an das "Office of Legal Counsel" des Justizministeriums, bereits bekannt durch die rechtliche Bewertung von Folter, gewandt, um zu klären, welche rechtlichen Schritte notwendig wären, um die Wahlen bei einem Anschlag verschieben zu können. Grundlage war der Brief, den DeForest B. Soaries genau zum richtigen Zeitpunkt der erneuten Terrorwarnung an Ridge mit der Aufforderung geschickt hatte, dementsprechende Planungen für einen Notfall vorzubereiten..

Die Reaktion bei den Demokraten ist ablehnend. Jane Harman, demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus aus Kalifornien und Mitglied im Geheimdienstausschuss, kritisiert die Pläne im Hinblick auf die dürftige Informationslage als "exzessiv" an. Die Warnung von Ridge basiere auf "alten" Informationen. William Delahunt, ebenfalls demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, artikuliert die Ablehnung schon schärfer: "Das würde die endgültige Niederlage der Demokratie vor dem Terrorismus sein." Der demokratische Abgeordnete Edward Markey will in mittlerweile bekannter Manier für die Demokraten nach dem 11.9. lieber nicht zu sehr in Opposition gehen, sondern bezeichnet das Vorhaben nur als einen "drastischen Schritt" und fordert einen besseren präventiven Schutz vor Anschlägen. Christopher Cox, republikanischer Abgeordneter ebenfalls aus Kalifornien und Vorsitzender des Heimatschutzausschusses, wiegelt ab. Man wolle sich nur auf solche Notfälle vorbereiten: "Niemand erwartet, dass sie geschehen werden."