Bizarr, eklig, lebensgefährlich

Essen bis zum Platzen: Morgan Spurlocks "Super Size Me" dokumentiert die Folgen des Fast-Food

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Keine Frage, der Mann hat eine Mission. Wie Michael Moore, aber mit noch größerem, körperlichem Ego-Einsatz und bis an die Grenze zur Lebensgefahr. In seinem ersten Dokumentarfilm probiert der 33-jährige Morgan Spurlock aus, was mit einem Menschen passiert, der nur noch bei McDonalds isst. Und es passiert, was man erwartet...

"Vollwertige Ernährung", "Abwechslungsreiche Kost", "Fettarme Menüs" - Morgan Spurlock nimmt sie einfach beim Wort, die Versprechen der Fast-Food-Industrie. Einen Monat lang hat er sich ausschließlich von "Viertelpfündern", "Big Macs" und "Chicken Mac Nuggets" ernährt, morgens, mittags, abends, unter ärztlicher Aufsicht, zugleich rund um die Uhr bewacht von seiner Kamera. Ein Selbstversuch der anderen Art, bizarr, eklig, lebensgefährlich - und atemberaubend. Die spannende Dokumentation dieser vier Wochen, ist der Film "Super Size Me", bereits beim Festival in Sundance ausgezeichnet und neben Michael Moores Filmen einer der Sensationserfolge des neuen Dokumentarfilmbooms in den USA.

Zugegeben: welcher halbwegs normale Mensch käme schon im Ernst auf die Idee, sich ausschließlich von McDonalds-Kost zu ernähren? Ein bisschen pervers ist das alles schon. "Aber viele Menschen in den USA, und zunehmend auch in Europa, vor allem Kinder, essen tatsächlich fast nur noch Fast Food", bemerkt Spurlock zu recht. "Mir geht es in dem Film auch gar nicht um McDonalds allein, sondern um unsere ganze Ess-Kultur. McDonalds ist nur besonders bekannt, und darum ein Symbol."

So sieht man Spurlock zu, wie er sich vollstopft. Schon beim Zugucken, kann einem anders werden. Doch es lohnt sich. Nicht nur, weil Spurlock sich selbst in Michael-Moore-Manier ins Zentrum des Films stellt, weil er persönliche Kommentare und Faktenaussagen zu einem polemischen, zumeist sehr unterhaltsamen Pamphlet vermengt. Sondern auch, weil man sieht, wie er frisst und kotzt und leidet, und untersucht wird, wie er in nur einem Monat kiloweise Fett zunimmt, sein Colesterinspiegel Rekordhöhen erreicht, und seine Leber, so einer der drei beobachtenden Ärzte, "die Konsistenz einer Foie Gras besitzt".

Schwarze Komödie

"Super Size Me" ist auch eine schwarze Komödie. Deren Bestandteile finden sich zum Teil in der Realität: Etwa, wenn Spurlock bemerkt, dass McDonald's in seiner eigenen, firmeninternen Schulungsliteratur seine Kunden "Heavy User" und "Super Heavy User" unterscheidet - wie Drogensüchtige. Und auch wer glaubt, alles über McDonalds zu wissen, und auch wer nie einen Fuß in ein Fast-Food-Restaurant setzen würde, kann hier noch viele Überraschungen erleben. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ein McDonalds-Salat mehr Kalorien hat, als ein Big Mac? Wer hätte gedacht, dass die McDonalds-Diät nicht nur zu Herz-Rhythmus-Störungen und miserablen Blutwerten sondern auch zu Aggressionen, Depressionen und zu Suchtverhalten führt.

Aber es gibt ebenso andere Seiten. So begegnet man einem Mann, der sich seit Jahren von fast nichts anderem, als von Big Mäcs ernährt. Überraschend schlank sieht er aus, ein wenig bleich vielleicht, aber nicht ungesund. Sein Geheimnis: er lässt den ganzen Rest weg. Das Gemeingefährliche beim Fast Food sind nämlich Cola und andere Softdrinks, Pommes Frites und das restliche Drumherum. Am schlimmsten von allem wirkt das Super-Size-Prinzip: Riesenportionen bis zum Platzen zu vergleichsweise niedrigen Preisen.

Daneben sieht man Ausschnitte aus Werbespots der Firma. Schnell wird Ronald McDonald zu einem Horror-Monster, sein breites Lachen zum zynischen Grinsen - die Firma erscheint wie ein Drogendealer, der Kinder schon früh verführt, missbraucht und zu Junkies macht. Aber wenn nicht fast alle Behauptungen hier wahr wären - warum hat die Firma bisher nicht gegen den Film geklagt? Warum wurde kurz nach der Premiere beim Festival in Sundance, wo Spurlock den Regiepreis gewann, angekündigt, dass es zum Jahresende keine "Supersize-Menüs" mehr geben wird?

Stimmt schon: Mancher Gag ist billig. Und darf man wirklich alles glauben, wenn der Film im Stil eines Bildungsromans einen persönlichen Erfahrungsprozess beschreibt, wenn er zeigt, wie Spurlock schon nach drei Tagen kotzen muss, wenn er nachts aufwacht und jammert? Was alles zeigt der Film nicht? "Super Size Me" ist sehr gläubig gegenüber dem Augenschein des reinen Zeigens, gegenüber dem absoluten Körpereinsatz, mit dem Spurlock zu Werke geht. Man wüsste auch gerne, wie viel an Spurlocks schwindendem Gesundheitszustand nur schlicht einseitiger Ernährung geschuldet ist, und wie es wohl um seinen Seelenhaushalt und seinen Kotzquotienten nach vier Wochen veganischer Ernährung stünde.

Zuschauen beim Kaputtmachen

Letztlich appelliert der Film in erster Linie an den Voyeurismus des Zuschauers: Wer guckt nicht, klammheimlich zumindest, gerne einmal zu, wenn sich einer kaputtmacht. Zugleich zielt Spurlock bei aller Verve und manch klammheimlicher Eitelkeit nie auf suggestive Überredung des Zuschauers, er lässt ihm die Freiheit, sich zu entscheiden. Nur an einem Punkt verliert er spürbar seine Lust an Humor und Selbstironie: Bei seiner Anklage der Politik der Fast-Food-Konzerne, mit ihrer Werbung besonders auf Kinder zu zielen. Besonders den Verfall der Schulmahlzeiten unterzieht er einer scharfen Anklage. "Das Essen, was wir den Kindern geben, ist grässlich", sagt Spurlock im Gespräch, "Wir gewöhnen sie an schlechte Essgewohnheiten. Die Folgen sind fehlende Selbstkontrolle, aber auch Depressionen. Wie toll könnten unsere Kinder sein, um wie viel intelligenter, wenn Sie besseres Essen bekämen."

Als Film funktioniert "Super Size Me". In flottem Clip-Stil, mit viel Musik untermalt ist dies ein gelungenes Stück Kino-Unterhaltung, zugleich ein suggestives Pamphlet, das seinen Zuschauern außer Zustimmung wenig Wahlmöglichkeiten lässt. Zugleich eine lehrreiche Betrachtung über unsere Essgewohnheiten, und eine fulminante Anklage unserer Kultur. Denn sie erzeugt nicht nur Schlankheitswahn und Diätspinnereien, sondern - quasi als Spiegelbild - umgekehrt auch Hunderttausende von Menschen, die aussehen wie Regentonnen oder Seeelefanten, die ihr Leben lang als "Fettsack" verspottet werden und zu früh an Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenversagen sterben - dank zuviel "Supersize".

Spurlock verteidigt diesen moralisierenden Impuls münzt ihn ins Positive: "Filme wie dieser sind das amerikanischste, was man tun kann. Sie kämpfen gegen schlechte Gewohnheiten. Es ist die größte amerikanische Pflicht, das infrage zu stellen, was falsch läuft."