Geht die Gen-Saat im Osten auf?

Gentech-Konzerne haben die neuen und künftigen EU-Mitglieder schon lange als Investitions-Spielwiese entdeckt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während in den "alten" EU-Ländern der gesellschaftliche Druck bis dato stark genug war, genmanipulierte Pflanzen (GVOs) nur begrenzt zuzulassen, weht in den ehemaligen Ostblock-Ländern ein anderer Wind. In Rumänin, Bulgarien und Polen breiten sich GVOs aus. Dabei mangelt es oft weniger an gesetzlichen Regulativen als an effizienter Kontrolle und Testlabors.

Mitte Februar, also nur knapp drei Monate vor der EU-Osterweiterung, erschien im britischen Guardian ein brisanter Artikel. Darin warfen Umweltschutzorganisationen Gentech-Konzernen vor, die ehemaligen Ostblockländer als "Trojanische Pferde" zu benutzen, um GVOs in den Wirtschaftskreislauf der EU quasi einzuschleusen.

"Polen hat den Anbau von GVO-Soja erlaubt. Leute können diese Sachen kaufen und verkaufen, können kontaminierte Saat ausbringen, ohne dass sie Angst vor Verfolgung oder Entdeckung haben müssten", stellte ein Aktivist der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth gegenüber der britischen Zeitung fest.

Tatsächlich engagieren sich große Gentech-Konzerne wie beispielsweise Monsanto seit einigen Jahren in Polen. Fakt ist aber auch, dass sich Polen als EU-Mitglied an die EU-Kennzeichnungsrichtlinien halten muss. Bereits vor dem Beitritt gab es in Polen vergleichsweise klare Regelungen. Nur, mit der Umsetzung hapert es. Und das liegt laut dem Guardian daran, dass es keine geeigneten Labors zur Überprüfung gibt.

Als Land, das ganz stark auf Lebensmittelexporte in den Westen setzt, zeigte sich die Politik alarmiert. Denn im Westen lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung Genfood noch ab. Damit würde ein Riesenabsatzmarkt für Polen einbrechen, sollten die Vermutungen der Umweltschutzorganisationen stimmen. Die polnische Bürokratie setzte sich denn auch umgehend nach Erscheinen des Guardian-Artikels in Bewegung. Der damals zuständige Minister ließ prüfen und gab Entwarnung, berichtete die taz-Korrespondentin Gabriele Lesser.

Behördliches Chaos in Polen

Kommentar des Ministers: In Polen würde kein genetisch veränderter Mais oder Soja angebaut. Doch die Inspektion der Handelsqualität von landwirtschaftlichen Produkten lieferte ein anderes Bild. Lesser dazu:

Sie veröffentlichte Anfang März das Ergebnis ihrer Stichprobenkontrolle bei 85 Unternehmen, die Soja oder Mais einführen und verarbeiten - im letzten Jahr rund 170.000 Tonnen. Davon waren bei der Ankunft in Polen 99 Prozent als GMO gekennzeichnet. Zwar gaben zahlreiche Firmen diese Information an die Konsumenten weiter, allerdings oft missverständlich. 34 der untersuchten 85 Unternehmen verkauften ihre Ware als GMO-freie Produkte.

Fazit: In Polen sind die Gesetze zwar ganz gut, wie Umweltschutzorganisationen betonen. Doch niemand scheint zu wissen, was wirklich läuft und ob es illegale GVO-Felder gibt. Beziehungsweise in wie weit eine Verunreinigung durch GVO-Pollen bereits um sich gegriffen hat. Ein Gutachten (2004) des Freiburger Öko-Instituts bringt die prekäre Lage in Polen auf den Punkt:

In Polen gibt es zwar seit dem Jahr 2001 ein Gesetz zu GVO, jedoch ist die Situation von behördlichem Chaos geprägt. Es existieren zur Zeit keine ausführenden Bestimmungen und es besteht Verwirrung hinsichtlich der Kompetenzverteilung für die Vergabe von Zulassungen.

Polen ist aber beleibe nicht der "schlimmste" Fall. Bulgarien, das eine Aufnahme in die EU im Jahr 2007 anstrebt, sitzt "zwischen allen Stühlen", wie es Dr. Svetla Nikolova, eine Mitarbeiterin der bulgarischen Organisation "Agrolink" zur Förderung des ökologischen Landbaus, ausdrückt. In einem mehrseitigen Artikel für die Zeitschrift "Gen ethischer Informationsdienst" (GID Nr. 164 Juni/Juli 2004) beschreibt Nikolova die Biotech-freundliche Politik des Landes, welche die Bauern seit einigen Jahren immer stärker in Bedrängnis bringt:

US-amerikanische Produzenten wollen den Bauern ihr gentechnisch verändertes Saatgut andrehen, die Händler nehmen diesen aber wiederum nur gentechnikfreie Produkte für den EU-Markt ab.

Gentech-Paradies Bulgarien

Nikolova führt ein Fallbeispiel auf, welches die Problematik drastisch vor Augen führt:

1999 wurde Monsantos gv-Mais auf 13.000 ha angepflanzt, im Jahr 2000 auf 19.000 ha, 2002 auf 2.200 ha, 2003 auf 2.195 ha. Monsanto hat Verträge mit bulgarischen Bauern abgeschlossen, die die Aussaat von herbizid- und insektenresistentem gv-Mais, nicht jedoch den Verkauf auf den einheimischen Märkten erlaubten. Es ist davon auszugehen - dies geht aus Interviews mit Bauern hervor -, dass die Bauern den Mais als Futtermittel verwendeten.

Interessantes Detail am Rande: Die GV-Saat von nahezu 20.000 ha Land wurde als "Versuchsanbau" deklariert. Nikolova geht davon aus, dass sich inzwischen bereits GVO-haltige Nahrungsmittel auf dem bulgarischen Markt befinden. Dass es überhaupt zu großflächigem GVO-Anbau kam, liegt laut der bulgarischen Aktivistin an den "aggressiven Marketingkampagnen" und der "intensiven Lobbyingarbeit" großer Konzerne wie Monsanto und Pioneer. Inzwischen hat aber auch die Regierung (leicht?) kalte Füße bekommen und stellte teilweise Förderungen ein. Nikolova dazu:

Bulgarien exportiert Maisprodukte und Futtermittel. Das Nichtvorhandensein von getrennten Warenwegen und von Kennzeichnung stellt eine echte Bedrohung für diese Exportmärkte wie auch für die Verbraucherrechte weltweit und die bulgarische Umwelt dar. Im Juni 2000 stellte das Parlament aus Sorge um den Verlust dieser Exportmärkte die staatliche Finanzierung der Forschung und Entwicklung von gv-Tabak und gv-Weintrauben in Gänze ein.

Wie es bei Mais steht, geht aus dem Artikel nicht hervor. Aufgrund der groß angelegten "Feldversuche", kann aber angenommen werden, dass GVO-Verunreinigungen bereits weit um sich gegriffen haben.

GV-Soja in Rumänien

Ähnlich wie in Bulgarien wurden auch in Rumänien großflächige Freisetzungsversuche (Mais, Kartoffel und Soja) durchgeführt. Das Öko-Institut Freiburg hält fest:

Seit 199 werden in Rumänien transgene "Roundup Ready"-Sojabohnen kommerziell angebaut. Nach Italien und Serbien/Montenegro bewirtschaften Rumäniens Landwirte mit ca. 75.000 ha die drittgrößte Sojaanbaufläche Europas. Der Anteil an transgenem Soja liegt zwischen 55 und 60% der Anbaufläche.

Bulgarien und Rumänien haben neben den großen GVO-Anbauflächen auch eine restriktive Informationspolitik gemeinsam. Ebenso fehle es an einer breiten öffentlichen Diskussion über Nutzen und Gefahren der Biotechnologie.

US-Dollars für GVO-Etablierung im Osten

Das Behördenchaos, demokratische Strukturen, die sich erst festigen mussten, finanzielle Probleme, das Fehlen von "aufmüpfigen" NGOs und die sich erst langsam etablierende unabhängige Berichterstattung in den ehemaligen Oststaaten dürfte Gentech-Konzernen verlockend erschienen sein. In Ländern, die in einem tiefgreifenden politischen Wandel steckten, war zunächst wohl am wenigsten Widerstand gegen die Grüne Gentechnik zu befürchten. Eine erfolgsversprechende Strategie befand auch die amerikanische Politik. Im Herbst 2000 bewilligte der US-Senat 30 Millionen Dollar, um die US-Konzerne bei der Einführung von Gentech in den Ländern Osteuropas zu unterstützen, berichtet die Taz.

Wie empfindlich eine öffentliche Diskussion die Pläne der Gentech-Industrie stören kann, zeigt sich am Beispiel Tschechien. Laut Öko-Institut gab es dort zunächst zahlreiche GVO-Freisetzungsversuche. Nachdem sich insbesondere Greenpeace mit großen Anti-Gentech-Kampagnen einmischte, wurden diverse Freisetzungsversuche sogar frühzeitig abgebrochen.

Inzwischen verfügt Tschechien neben Ungarn über ein eigenes zertifiziertes Testlabor. In den anderen EU-Ostländern gibt es noch keine oder sind erst im Aufbau begriffen. In Slowenien und der Slowakei gibt es keine Freisetzungsversuche. Slowenien, das sich als "gentechfreie Region" etablieren wollte. hat seit dem EU-Beitritt ein anderes Problem. Denn die EU verbietet staatlich verordnete gentechfreie Zonen.

Dementgegen schließen sich aber zusehends einige Regionen zusammen, die sich zur gentechfreien Produktion verpflichten. Im Juni 2003 unterzeichneten Sloweniens Agrarminister Franc But, der slowenische Umweltminister Janosz Kopac, Kärntens Landesrat Georg Wurmitzer und Agrarreferent Minuisi von Friaul - Julisch Venetien in Laibach/Slowenien eine entsprechende Erklärung. Ziel der Initiative ist es, im Alpen-Adria-Bereich Slowenien, Italien (Friaul - Julisch Venetien) und Österreich (Kärnten) eine grenzüberschreitende Zone ohne GVO-Einsatz in der Landwirtschaft zu installieren.

Ganz allgemein hält das Öko-Institut Freiburg die Situation in den EU-Beitrittsstaaten für problematisch. In dem Bericht zur Agrogentechnik heißt es abschließend:

In welchem Ausmaß schon gentechnisch veränderte Lebensmittel, Futtermittel oder Saatgut auf den Märkten der Beitrittsstaaten zirkuliert, ist weitgehend unbekannt. Nur Ungarn und die Tschechei haben bisher zertifizierte Labore, die es ermöglichen, gentechnisch veränderte Organismen oder deren Bestandteile nachzuweisen. Doch selbst in diesen Staaten gibt es noch keine regelmäßigen Kontrollen für Nahrungs- und Futtermittel.