Briten total entspannt

Das Antidepressivum Prozac wird in Großbritannien derart häufig verschrieben, dass es inzwischen bereits das Trinkwasser belastet

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Manche Umweltprobleme haben beinahe schon etwas Erheiterndes an sich. Und so erklärt sich wohl auch, dass der britische Observer die abgründig humoristische Headline Stay calm everyone, there's Prozac in the drinking water für ein eigentlich recht ernstes Thema kreierte.

Die staatlich unterstützte Umweltagentur Environment Agencey fand nämlich heraus, dass das Antidepressivum Prozac bereits in Flusssystemen und im Grundwasser nachzuweisen ist, und somit auch ins Trinkwasser gelangt beziehungsweise gelangen kann. Umweltschützer und Politiker, wie beispielsweise Norman Baker von den Liberaldemokraten, sprechen bereits von einer "versteckten Massenmedikamentation".

Prozac wurde bereits in den 80er-Jahren als "Glückspille" gefeiert. Das Antidepressivum gehört zur Gruppe der so genannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), die in den Stoffwechsel des "Glücksbotenstoffs" Serotonin eingreifen - und auf diese Weise die Stimmung heben. Als Neurotransmitter moduliert Serotonin Gefühle, Schlaf sowie Appetit. Ein Mangel an Serotonin in bestimmten Hirn-Regionen gilt u.a. als Ursache für Depressionen und Angststörungen. Medikamente wie Prozac mit dem Wirkstoff Fluoxetin bewirken, dass der "Glücksbotenstoff" in höherer Konzentration zur Verfügung steht und somit die Stimmungslage positiv beeinflusst wird.

Doch das Mittelchen hat so seine Tücken: "Gewichtszunahme, nervöses Gesichtszucken, Vergesslichkeit, sexuelle Störungen, Selbstmord, Gewalttätigkeit und Hirnschäden", fasst Theoretiker und Biotech-Kritiker Francis Fukuyama die Nebenwirkungen des Präparats zusammen.

Der Beliebtheit der Glückspille in den USA und Großbritannien tut das dennoch keinen Abbruch. Geschätzte 28 Millionen US-Bürger konsumieren Prozac und ähnliche Anti-Depressiva. In Großbritannien stieg zwischen 1991 und 2001 die Verschreibung von Antidepressiva von neun Millionen auf 24 Millionen jährlich. Prozac gilt inzwischen als Volksmedikament Nummer eins.

Laut dem "Observer" gelangt das Mittel über behandelte Abwässer in Flusssysteme oder in andere Wassersysteme. Wie viel Prozac sich allerdings aktuell im britischen Wasser befindet, weiß niemand so ganz genau. Dennoch haben Medikamentrückstände inzwischen auch die britische Regierung auf den Plan gerufen. Der höchste Umweltberater der Regierung traf sich erst kürzlich wieder zu Gesprächen mit Vertretern der Pharmaindustrie. Das Thema: die Auswirkungen auf das Ökosystem und die menschliche Gesundheit.

Die oberste Wasserbehörde Großbritanniens, das Drinking Water Inspectorate (DWI), allerdings sieht bei dem Antidepressivum Prozac noch keine akute Gefahr. Prozac sei bisher nur "stark verwässert" entdeckt worden. Flusswasser werde überdies aufbereitet, um als Trinkwasser verwendet zu werden. Zudem baue sich Prozac biologisch ab. Ein Risiko für die Gesundheit sei daher weitgehend auszuschließen. "Wir müssen die Auswirkungen dieser geringen, aber beinahe stetigen Belastung erst prüfen", so Andy Croxford von der "Enviornment Agency" gegenüber dem "Observer".

Die Entdeckung von Prozac im Grundwasser weckte erneut die Ängste, dass zu viele Antidepressiva in Großbritannien verschrieben werden, berichtet die Zeitung. Diese Problematik griff auch Francis Fukuyama in seinem Buch "Das Ende des Menschen" (2002) auf, in dem er sich ganz allgemein über die Gefahren der Biotechnologie Gedanken macht. Fukuyamas Einschätzung nach sehe man schon heute an dem massiven Gebrauch von Psychopharmaka wie Ritalin und Prozac, dass Millionen Menschen bereit seien, ihr Wesen in großem Ausmaß zu manipulieren, um Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen.

Sollte es tatsächlich zu höheren Konzentrationen von Prozac im Trinkwasser kommen, würden Millionen Briten ganz unfreiwillig einer solchen "Persönlichkeits-Manipulation" unterzogen, von den gesundheitlichen Folgen einmal abgesehen. Britische Umweltschützer drängen indes nun auf eine rasche Untersuchung der Affäre "Prozac".