14 Mal massereicher als die Erde und felsig wie kein anderer

Neue Ära in der Exoplaneten-Forschung hat begonnen. Mit HD 160691 d entdecken ESO-Forscher den bislang kleinsten Exoplaneten und ersten exosolaren Steinplaneten überhaupt

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Als Michel Mayor und Didier Queloz diese Woche auf dem ersten "EuroScience Open Forum" in Stockholm die Entdeckung des ersten Felsenplaneten und zugleich masseärmsten Planeten ankündigten, war die Überraschung perfekt. Erst wenige Stunden nach deren Ankündigung folgte die offizielle Pressemeldung der Europäischen Südsternwarte in Chile (ESO). Die ferne Welt mit der Katalognummer HD 160691 d umkreist einen sonnenähnlichen 50 Lichtjahre entfernten Stern. Auf dem Exoplaneten mit der 14-fachen Masse der Erde ist aufgrund des geringen Abstands zu seiner Sonne biologisches Leben wohl kaum möglich. Dass die Entdeckung mit der alten, aber altbewährten Radialgeschwindigkeitsmethode gelang, ist einem neuen Spektrographen zu verdanken, der das Torkeln des Sterns bis auf einen Meter pro Sekunde genau messen konnte.

Inzwischen hat man sich ja längst daran gewöhnt, dass die bisherigen insgesamt 123 bestätigten und aufgespürten extrasolaren Planeten allesamt höchst extravagante Zeitgenossen sind, die mit unserem Heimatplaneten nur herzlich wenig gemein haben. Mal präsentieren sie sich als ausgesprochen überdimensionierte Gasriesen, die schlichtweg zu heiß sind, um biologisches Leben zu beherbergen. Mal ist deren Masse, die zwischen Saturn und Jupiter changiert oder sogar mehrere Jupitermassen aufweist, schlichtweg zu groß. Oder sie zeigen sie sich als Objekte, die ihren Heimatstern in sehr exzentrischen Umlaufbahnen umkreisen oder ihn in auffallend geringer Distanz mit enornem Tempo bezirzen. Kurzum, einen halbwegs erdähnlichen Planeten fernab des Sonnensystems konnten die Forscher bislang noch nicht lokalisieren, ganz zu schweigen von der vielbeschworenen "zweiten Erde".

Veraltete Observationstechnik

Letzten Endes hängt dieses Dilemma mit den gegenwärtig technischen und methodischen Unzulänglichkeiten zusammen. Denn das in der Vergangenheit größtenteils angewandte konventionelle Radialgeschwindigkeitsverfahren, bei dem Astronomen die Gravitationskraft der Planeten und die daraus resultierende kleine Bewegung des Zentralsterns messen, ist zwar effektiv, stößt aber so langsam an seine Grenzen. Wenigstens dachten dies viele Skeptiker noch bis vor kurzem. Schließlich verlangt es einen enormen technischen und methodischen Aufwand, Hunderte von Sternen zeitgleich zu observieren und dabei wenigstens "einen" bei einem rhythmischen Tanz in flagranti zu erwischen – wohl gemerkt bei einem gravitationsbedingten Tanz. Dazu kommt es nämlich immer dann, wenn sich ein Planet und ein Stern um den gemeinsamen Schwerpunkt bewegen. Infolge der Anziehungskraft, die der Planet auf sein Muttergestirn ausübt, wackelt und eiert der Stern periodisch. Anhand dieser Bewegung können die Forscher auf die Anwesenheit eines extrasolaren Planeten rückschließen.

Je ein saturnähnlicher Planet wurde in 79 Ceti sowie in HD46375 entdeckt (Bild: Greg Bacon, NASA)

Tatsächlich können bereits heute die Planetenjäger das durch die Gravitation der extrasolaren Planeten verursachte Schwanken der Sterne metergenau berechnen. Bisher konnten sie mit dem zur Verfügung stehenden Equipment sogar Sterne registrieren, die nur bis zu drei Meter pro Sekunde torkelten. Jetzt gelang es ihnen, diesen Wert, die so genannte Radialgeschwindigkeitsamplitude, bis auf ein Meter pro Sekunde zu optimieren.

In zweifacher Hinsicht ein Planet der Superlative

Möglich wurde dies dank eines neuen Messgeräts, mit dem ein internationales Forscherteam der Europäischen Südsternwarte in Chile (ESO) kürzlich den "erdähnlichsten" exosolaren Planeten lokalisieren konnte. Zugegeben, es ist keine echte zweite Erde, die den Planetenjäger während einer "achttägigen" Observationssequenz im Juni 2004 zufällig ins Fangnetz ging. Immerhin ist der 50 Lichtjahre von der Erde gelegene fremde Himmelskörper mit der Katalognummer HD 160691 d in zweifacher Hinsicht ein Planet der Superlative. Zum einem ist er sage und schreibe "nur" 14-mal größer als die Erde, womit er zweifelsfrei der kleinste aller bisher entdeckten extrasolaren Planeten ist. Einen derart massearmen und kompakten Planet machten die Planetenjäger bis dato nicht aus. Zum anderen ist er aber auch der erste extrasolare Felsenplanet überhaupt. Während all seine "Kollegen" sich im kalten All als heiße Gasbälle Abkühlung zu schaffen versuchen, umkreist der mit einer dünnen Atmosphäre ausgestattete Exoplanet seinen Heimatstern als "cooler" Steinplanet.

"Jetzt betreten wir Neuland auf dem Gebiet der Astronomie", gestand der weltweit bekannte Schweizer Astronom Michel Mayor von der Universität Genf diese Woche auf dem ersten "EuroScience Open Forum" in Stockholm. "Wir können von einer Art Super-Erde sprechen", ergänzte Didier Queloz, der mit Mayor 1995 den ersten extrasolaren Planeten entdeckte.

Bei dem Gestirn, das der Planet umkreist, handelt es sich um den erdnahen Stern Mu Arae (auch mu Area geschrieben). Der im südlichen Sternbild Ara (dt. "Altar") beheimatete Himmelskörper ist ein sonnenähnlicher Stern fünfter Größenklasse. Am Südsternhimmel sei er bereits mit bloßem Auge zu erkennen, so die beiden Forscher, die auf Wunsch der ESO den neuen großen, zuvor allerdings top secret gehandelten Erfolg der europäischen Planetenjäger ganz bewusst erst auf der Stockholmer Konferenz bekannt gaben. Wohl auch deswegen, um den amerikanischen Astronomen, mit denen die Europäer in einem offenen und direkten Konkurrenzkampf stehen, zu überraschen.

HARPS sei dank!

Wie dem auch sei – den Exoplaneten konnten die ESO-Astronomen nur mithilfe eines neuen Messinstruments registrieren, das in punkto Sensibilität einzigartig ist. HARPS (High Accuracy Radial Velocity Planet Searcher), so das Akronym des Wunderteils, das von einem internationalen Team unter der Leitung von Michel Mayor entwickelt und am 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) in La Silla montiert wurde, ermöglicht den Forschern eine zehnmal genauere Ausnutzung der Messung der Radialgeschwindigkeit als zuvor. Außerdem reduziert HARPS die üblichen Beobachtungszeiten um den Faktor hundert.

Der HARPS Spektrograph und das 3,6-Meter-Teleskop (Bild: ESO)

Von der Effektivität des neuen Instruments konnten sich alle an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler inzwischen überzeugen. Schließlich konnten sie dank HARPS den Wert der Radialgeschwindigkeit tatsächlich auf einen Meter pro Sekunde drücken.

Wenn der Spektrograph das Sternenlicht in seine Wellenlängen zerlegt, misst er zugleich, inwieweit sich ein Stern auf die Erde zu- oder von ihr fortbewegt. Im Klartext heißt dies: HARPS ist derart empfindlich, dass es mittels der Messung stellarer Lichtwellen selbst noch Geschwindigkeitsänderungen eines Fußgängers messen kann – und das in einem Radius von bis zu 160 Lichtjahren von der Erde entfernt.

Wirklich sehr klein

Ursprünglich starteten die Forscher einen "astro-seismologischen" Lauschangriff auf akustische Wellen, die Sternoberflächen zum Pulsieren bringen und anhand derer sich wertvolle Rückschlüsse auf das Innenleben der Sterne ziehen lassen. Doch der Zufall wollte es, dass sie bei den Messungen eine 9,5-tägige Periode registrierten, die das oszillierende akustische Signal glattweg überlagerte. Es war ein Muster, das nur einen Schluss zuließ: Hier umschwirrte ein Planet seinen Heimatstern in Höchsttempo. Als die Forscher die Masse des Planeten bestimmten, war die Überraschung perfekt: Ein Planet mit der 14-fachen Masse unserer Erde war ihnen ins Netz gegangen. Der bisherige Rekord für den kleinsten Exoplaneten liegt bei 40 Erdmassen. Der jetzt detektierte Planet ist dagegen dreimal leichter. "Damit ist er wirklich sehr klein", so Queloz.

Bei Mu Arae entdeckten Wissenschaftler in der Vergangenheit schon einmal einen Planeten, der die Größe von Jupiter und eine Umlaufzeit von 650 Tagen hat. Vorausgegangene Beobachtungen gaben zudem einen Hinweis auf einen weiteren Begleiter, der von Mu Arae noch weiter entfernt ist. Die aktuellen Messungen an diesem Objekt, kombiniert mit Daten von anderen Teams, bestätigen dieses Bild. "Die Messungen mit dem neuen HARPS haben nicht nur bestätigt, was wir vorher schon vermutet hatten, sondern zeigten auch, dass ein weiterer Planet auf einen engen Orbit vorhanden war", sagt François Bouchy vom HARPS-Team. "Und dieser Planet scheint der bisher kleinste zu sein, der um einen anderen Stern als die Sonne kreist, der je beobachtet wurde. Das macht das Mu Arae-System sehr faszinierend."

Seiner Freude Ausdruck verlieh auch Richard West von der Europäischen Südsternwarte ESO: "Für die Astronomie ist diese Entdeckung ein wichtiges Ereignis, auf das wir schon lange gewartet haben. Eine wundervolle Arbeit. Jetzt befassen wir uns nicht mehr mit diesen großen Gasdingern, sondern mit dem richtigen Stoff."

Schlechte Karten für biologisches Leben

Dass auf der "Super-Erde" biologisches Leben, so wir wie es kennen und definieren, nicht den Hauch einer Chance hätte, sich zu entfalten, liegt zum einen an der dort vorherrschenden hohen Temperatur von 650 Grad Celsius. "Das ist viel zu heiß für Leben", so Queloz. Zum anderen aber auch an der geringen Distanz, die Exoplanet und Muttersonne voneinander trennt. In einem Abstand von nur 15 Millionen Kilometer, was einem Zehntel der Entfernung von Erde und Sonne entspricht, flitzt der Steinplanet binnen 9,5 Tagen einmal um Mu Arae.

Einerseits entspricht die Masse von HD 160691 d der des Uranus und streift somit die obere Grenze für felsige Planeten. Andererseits spricht der geringe Abstand des Exoplaneten zu seiner Sonne dafür, dass er in punkto Entstehung und Struktur mehr der Erde als Uranus ähnelt. Nicht zuletzt deutet auch die Position des Sterns in dem System darauf hin, dass es sich hierbei um einen Stein- und nicht um einen Gasplaneten handeln muss. "Bevor ein Gasplanet entstehen kann, muss er sehr zügig einen großen Kern bilden. Dieser muss das Gas anziehen", erklärt Didier Queloz. "Fällt der Kern zu klein aus, entweicht das meiste Gas, das jeden Planeten in seiner Bildungsphase ummantelt." Zudem könne in so großer Nähe zum Zentralstern ein großer Kern nicht schnell genug entstehen. "Das wichtigste Material hierfür ist Eis". Aber dieses taue in einer solchen Region sofort.

Planetare Nadel im Nadelhaufen

Die Forscher sind guter Dinge, HARPS Leistungsfähigkeit noch weiter zu optimieren. Möglicherweise könnte das Mess-Instrument alsbald so genannte tellurische Planeten, die nur einige Mal größer sind als die Erde, registrieren. Basierend auf diesen Daten könnten die anstehenden Weltraumteleskop-Missionen COROT, Eddington und KEPLER dann sogar den Radius besagter Exoplaneten genau messen.

Während also die Radialgeschwindigkeitstechnik immer effektiver wird, verbessert sich zeitgleich auch die etwas jüngere Transit-Technik, die vornehmlich amerikanische Wissenschaftler anwenden. Das Grundprinzip dieses Verfahrens ist einfach wie genial. Denn bei dieser Methode messen Astronomen die Helligkeitsschwankungen eines Sternes, die dann entstehen, wenn ein Planet vor ihm vorbeizieht. Steht der Sterntrabant zwischen Teleskop und extrasolarer Sonne, wird das Licht, das der Heimatstern aussendet, geringfügig abgeschwächt, aber immer noch stark genug, um den unsichtbaren Planeten indirekt sichtbar zu machen.

Genau wie der neue Exoplanet "liegt" auch der Sternhaufen NGC 6397 in dem Sternbild Ara. Wie viele erdähnliche Planeten mögen in dem 7200 Lichtjahre entfernten Cluster beheimatet sein? (Bild: ESO)

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei diesem Prozedere alles perfekt aufeinander abgestimmt sein muss. Nicht zuletzt deshalb, weil die Jagd nach extrasolaren Planeten via Transit einer Suche nach der planetaren Nadel in einem Heuhaufen gleicht, der selbst nur aus Nadeln besteht, weil das von dem Zentralgestirn ausgestrahlte Licht jegliches von den Exoplaneten reflektierte Licht einfach überstrahlt.

Aber diese Nadel-Analogie gilt eigentlich für alle Techniken, die sich die Planetenjäger in ihrer unerschöpflichen Kreativität ausgedacht haben. Wie kreativ diese sind, belegt ein noch viel verrückteres Verfahren. Mehr hierzu Anfang nächster Woche.