30 Sekunden Redezeit

Weg von den Standards, schneller und feiner: neueste Produktionsverfahren bei den Spieleentwicklern

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Während sich im August die Mehrheit der Deutschen im Sommerurlaub vergnügte, war für die Computerspiel-Branche arbeitsmäßig Hochsaison, denn das Weihnachtsgeschäft steht vor der Tür. Nur wenige Tage auseinander fanden in der zweiten Augusthälfte die wichtigsten europäischen Messen und Konferenzen statt: Erst die Games Convention in Leipzig, nur wenige Tage später die ECTS und die Game Developers Conference Europe, beide in London. Neben der Möglichkeit, sich zu informieren, was die Konkurrenz so treibt, boten diese Veranstaltungen mit Workshops, Einzelvorträgen und Panels auch zahlreiche Gelegenheiten für die Entwickler, sich untereinander auszutauschen. Im Mittelpunkt standen dabei nicht nur erfolgreiche Spielkonzepte, sondern auch eine erfolgreiche Logistik der Computerspielproduktion bei der immer komplexeren arbeitsteiligen Realisation von Computerspielen. Für europäische Unternehmen ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, inwiefern sie sich gegenüber Major Players in den USA und Japan behaupten können.

Eine besondere Herausforderung beim Game Development besteht darin, dass man bei der mehrjährigen Produktionsphase eines Computerspiels eine technische und grafische Entwicklung ca. zwei - drei Jahre im Voraus prognostizieren muss. Weitere Erfordernisse sind eine schon zu Beginn der Spielentwicklung funktionierende Spielumgebung, möglichst klare Zielvorgaben, eine gute unternehmensinterne und -externe Kommunikation und eine rasche Anpassungsfähigkeit an aktuelle Probleme.

Agile Development

Für Bob Bates, Ko-Gründer von Legend Entertainment, heißt das Lösungskonzept "Agile Development", in anderen Bereichen der Software-Entwicklung auch "Extreme Programming" genannt. "Agile Development" steht dafür, dass bei der Realisation eines Spiels einzelne Bestandteile und Softwarekomponenten früh und kontinuierlich an Spielepublisher geliefert werden, so dass für die Kunden der aktuelle Arbeitsstand zu jedem Zeitpunkt ersichtlich ist. Auch im Entwicklerteam selbst wird so schnell wie möglich mit einer spielbaren Entwicklungsversion gearbeitet.

Agile Development eignet sich für komplett neue Spiele, bei denen die Anforderungen anfangs noch nicht klar sind, wenn neue Technologien entwickelt werden und wenn der Spielepublisher daran interessiert ist, in den Einwicklungsprozess involviert zu werden. Fortsetzungen und Extension Packs zu Spielen könnten dagegen durchaus traditionell produziert werden, so Bates.

Bezugnehmend auf seine Tätigkeit als Game-Designer bei der Entwicklung von Unreal II und Unreal XMP, erläuterte er die Fehler, die bei Unreal II gemacht worden seien und was sie daraus für die Entwicklung von Unreal XMP, das im Einklang mit den Prämissen von Agile Development entwickelt worden sei, daraus gelernt hätten.

Eine sofort spielbare Entwicklungsumgebung

Am Beispiel von Unreal II zeigte Bates auf, wie hemmend es für die Entwicklung war, dass das Entwicklerteam die häufigen Engine-Updates von Epic berücksichtigte. Die häufigen Engine-Updates machten regelmäßig das Spiel kaputt und erforderten umfangreiches Debugging, was meist zur Folge hatte, dass alle Levels noch einmal neu kreiert werden mussten. So war Unreal II für die Entwickler erst nach über zwei Jahren spielbar, nur acht Monate vor der Veröffentlichung.

Bei Unreal XMP hingegen ignorierte das Team alle hereinkommenden Engine-Updates und konzentrierte sich stattdessen von Anfang an auf eine früh spielbare Umgebung. Um dies zu garantieren, bemühte sich das Team, schon in einem frühen Stadium eine "working software" zur Verfügung zu haben. Hier war das Spiel bereits nach einem Monat spielbar, wodurch sich der Produktionsprozess, der bei Unreal II drei Jahre gedauert hatte, auf acht Monate verkürzte.

Auch bei FarCry hatte oberste Priorität, dass die Entwickler von Anfang an im Editor spielen konnten. Mit dem Tool Sandbox wurde eine WYSIWYG-Arbeitsumgebung geschaffen, die Designer, Künstler, Programmierer und Ton-Ingenieure gleichermaßen nutzen konnten. Fehler wurden sofort beseitigt, Kommentare in den Levels abgelegt, statt umfangreiche Dokumentationen zu schreiben, die allen Beteiligten zufolge niemand gerne liest und die ständig veraltet sind.

Transparente Kommunikation und ständige Revision des Produktionsprozesses

Ein weiterer Erfolgsfaktor wurde in transparenter Kommunikation und Teamfähigkeit gesehen. Alle Redner betonten die Notwendigkeit der Selbstkritik, die ständige Revision von Fehlern und die kontinuierliche Verbesserung und Verfeinerung des Produktionsprozesses. Um dies zu gewährleisten, sprach Bates sich für tägliche Meetings aus. Um vom negativen Image von Besprechungen (lange, langweilig, es redet nur der Chef) wegzukommen, versammelten sich bei Legend Entertainment alle Mitarbeiter vom Geschäftsführer bis zur Sekretärin jeden Morgen um 11 Uhr, nicht wie sonst üblich, sitzend am Tisch, sondern im Kreis stehend.

Jede Person durfte dann in max. 30 Sekunden darüber berichten, welche Tätigkeiten sie an diesem Tag verrichten würde. In einem gesonderten Meeting am Ende der Woche präsentierte jeder Mitarbeiter seine Fortschritte. Dabei zählten allein sichtbare Ergebnisse und nicht schriftliche Konzepte. So waren alle Mitarbeiter, egal welche Hierarchie-Stufe, einerseits gleich wichtig und anderseits gleichermaßen in die Pflicht genommen. Auch Eric Labelle, der seinen Vortrag mit einem Fragenkatalog an das Entwicklerpublikum startete, wies darauf hin, ständig (täglich!) die eigene Firmenphilosophie zu revidieren.

Der Überraschungserfolg FarCry

Cervat Yerli, CEO und technischer und kreativer Direktor bei CryTek, erläuterte die Produktionsstrategie bei dem Überraschungserfolg FarCry, das von einer kleinen Gruppe an enthusiastischen, aber im Markt unerfahrenen Spielentwicklern mit einem geringen Anfangsbudget entworfen wurde und das es trotzdem schaffte, sich zu einem erfolgreichen AAA-Spiel auf dem Markt zu etablieren.

Mut zum Risiko und eine 180-Gradwende weg von den kreativen und künstlerischen Standards, die andere Ego-Shooter gesetzt hatten, war für Cervat Yerli die Erklärung, warum FarCry so ein Erfolg werden konnte. Das begann bei der Grafik: Statt der sonst so typischen dunklen, geschlossenen und dünn besiedelten Räume setzte Crytek in FarCry auf helle, bunte und stark besiedelte Räume in einem paradiesischen Setting mit Dschungeln, Inseln und Stränden (den Malediven nachempfunden). Aber auch bei der Dramaturgie wurde vom Standard abgewichen, indem eine lineare Geschichte zugunsten einer nicht-linearen aufgegeben wurde. Anstelle der üblichen geskripteten AI traten systemisch und sensorisch basierte Agenten, die ihre Entscheidungen u.a. in Abhängigkeit von der Umwelt, in der sie sich befinden, treffen. Geskriptetes und inszeniertes Game-Play machte den Weg frei für emergentes Game-Play. Es bleibt dem Spieler überlassen, ob er einen Gegner nach dem anderen ausschaltet oder einen Sturmangriff startet.

Starke Führungspositionen

You don't get younger, hence don't miss opportunities.

Cervat Yerli, CryTek

Vielfach betont wurde die Notwendigkeit starker Führungspersonen, allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. Bob Bates verwendete die Metapher eines Kapitäns, der sein Ziel ständig vor Augen hat und seinen Kurs regelmäßig leicht ändert, anstatt sein Schiff 90 Prozent in eine andere Richtung zu steuern.

Yerlis Leitmetapher war die eines Generals ("Under a great general there are no bad soldiers"). Er sprach sich für die Vermittlung von Schlüsselwerten wie Verantwortlichkeit, Loyalität und Ehrlichkeit aus. Überhaupt klang sein Ansatz fast schon militaristisch, denn er ging sogar so weit, Spieleentwicklung nicht als einen Beruf, sondern als einen "Way of life" zu begreifen, dem alles andere untergeordnet war. Bob Bates hingegen sprach sich für eine sinnvolle Balance zwischen Arbeit und Freizeit aus, und schlug vor, das Team nicht länger als 50 Stunden pro Woche arbeiten zu lassen, um Burn-Out-Effekte zu verhindern.

Die Diskussionen machen Mut, dass deutsche Spielentwickler, denen häufig nachgesagt wird, dass sie ihre Chance, den Anschluss an dem internationalen Markt zu finden, verpasst haben, vielleicht gerade mit kleinen Teams und respektive kleineren Budgets es bei entsprechend guter Planung doch noch schaffen, einen Überraschungserfolg zu landen.