We're goin' after Satan

Dämonologische Betrachtungen zum dritten Jahrestag eines Weltschicksalstags

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Let's roll for Freedom
Let's roll for Love
We're goin' after Satan
On the wings of a Dove

Neil Young, 2002

Altrocker Neil Young outete sich nach dem 11.September 2001 als einer von zahllosen Patrioten der großen Gefühle, die in einem selbst für amerikanische Verhältnisse überheblichen Programm zur Austreibung des Bösen gipfelten. Von einem Tag zum anderen wurde in "god's own country" scheinbar alles anders (Nine/Eleven). Unglaubliche Hysterie und fast besinnungslose Handlungswut feuerten eine Politik an, die indes längst darauf gewartet hatte, sich in martialischen Aktionen gegen die Feinde der Welt, sprich Amerika, zu beweisen.

Ein global dröhnendes Gerede von immerwährendem Freiheitskampf und Zivilisationsrettung am Höllenschlund der freien Welt (Hindukusch) setzte ein, das US-Präsident Bush noch gegenwärtig als inzwischen weniger inbrünstig aufgenommene Wahlkampf-Rhetorik weiter tönen lässt. Dabei ist auch dem Frömmsten klar, dass der Terrorismus an allen Orten der amerikanischen Siege unbeeindruckt weiter seinem Handwerk nachgeht und viele neue Wirkungsstätten gefunden hat. Vor allem aber muss Amerika die Kriege, die zuvor schon als Siege verbucht waren, nun erst wirklich gewinnen.

Die Ankunft des Teufels

Die amerikanische Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels hat den Satan der Evangelien als einen Menschheitswidersacher erkannt, der im Bild des Gegners immer wieder das reale Gegenüber überblendet und eine historische Figur mit unbegrenzter Wiedergeburtsgarantie ist. Nicht nur unbewusst wird der Feind als unmenschlicher Gegenspieler erkannt, der auch unmenschlich behandelt werden darf - und muss.

We haven't seen this kind of barbarism in a long period of time. No one could have conceivably imagined suicide bombers burrowing into our society and then emerging all in the same day to fly their aircraft - fly U.S. aircraft into buildings full of innocent people - and show no remorse. This is a new kind of -- a new kind of evil. And we understand. And the American people are beginning to understand. This crusade, this war on terrorism is going to take a while. And the American people must be patient. I'm going to be patient.

George W. Bush am 16.11.2001

Seit dem 11.September ging der Antiterrorkampf mit pauschalen Schuldvorwürfen einher und führte schnell zu einer Diabolisierung von Gegnern, denen der rechtsstaatsvergessenen Inhaftierungspraxis zufolge schon an der schwarzen Bartspitze ihr böses Trachten anzusehen war. Der Ursprung solcher Widersacher, so real ihre Körper erscheinen mögen, ist freilich, wie die Geschichte lehrt, nicht von dieser Welt.

Als die Kreuzritter in ihren Ausritten in das Morgenland die heiligen Stätten von den Ungläubigen befreien wollten, gab es auch viel zu tun. Nicht nur wurden Menschen so hingeschlachtet, dass die heiligen Krieger im Blut oftmals wateten, sondern es wurde auch im göttlichen Auftrag gefoltert. Ohne militärischen oder politischen Zweck. Im heiligen Auftrag maßte man sich an, Purgatorio und Inferno schon zu Lebzeiten solchen Delinquenten zu eröffnen, deren größter Fehler es war, andersgläubig zu sein. Der Mensch wurde zur Geißel Gottes und Gewalt kann. wie schon Martin Luther dekretierte, Gottesdienst sein. Ob dann ein bisschen mehr oder weniger Folter ist eigentlich nur noch eine liturgische Frage für eine Religion der Nächstenliebe, die den Fremdenhass nicht weniger ehrt.

Die inquisitorischen Vernehmungsmethoden im weltweiten US-Prison zwischen Guantanamo Bay und Abu Ghuraib sind eher mehr als weniger das Instrumentarium, das bereits bei der Hexenverfolgung gute Dienste gegen die Heerscharen Satans leistete. Denn die verstockten Gefangenen, die ohne peinliche Interrogationstechniken nicht reden, werden vom Leibhaftigen darin gestärkt.

Eine folternde US-Soldatin erklärte ihr Handwerk damit, sie hätten die Order gehabt, den Gefangenen das Leben "zur Hölle" zu machen. Das war nichts wirklich Neues. Bereits anlässlich von Nine/Eleven verkündete der republikanische Abgeordnete Charles W. Norwood aus Georgia: "Wir kommen euch holen, und mit uns kommt die Wut der Hölle." Und das - lange vor der amerikanischen Wiederentdeckung der Tortur im Irak gesagt - war offensichtlich wörtlicher gemeint, als es gutwillige Interpreten amerikanischer Politik verstanden, die immer noch glauben, zwischen patriotischer Rhetorik und realpolitischem Handeln Amerikas kategorial unterscheiden zu können.

Message to the Congress of the United States

TO THE CONGRESS OF THE UNITED STATES:

Section 202(d) of the National Emergencies Act, 50 U.S.C. 1622(d), provides for the automatic termination of a national emergency unless, prior to the anniversary date of its declaration, the President publishes in the Federal Register and transmits to the Congress a notice stating that the emergency is to continue in effect beyond the anniversary date. Consistent with this provision, I have sent to the Federal Register the enclosed notice, stating that the emergency declared with respect to the terrorist attacks on the United States of September 11, 2001, is to continue in effect for an additional year.

The terrorist threat that led to the declaration on September 14, 2001, of a national emergency continues. For this reason, I have determined that it is necessary to continue in effect after September 14, 2004, the national emergency with respect to the terrorist threat.

GEORGE W. BUSH

THE WHITE HOUSE,

September 10, 2004.

Kreuzzug als Gottesdienst

Das Inquisitions-Revival im Irak selbst war bereits deshalb an historischem Zynismus nicht zu übertreffen, weil doch diese pervertierte Welt an demselben Ort bereits die Hölle war, die man doch angeblich entsorgen wollte. Wenig Anlass zur humanen Hoffnung gibt die dünne Rationalisierung, die heute wie gestern und vorgestern solche Methoden kaschiert. Terroristen zerstören die Zivilisation bzw. pars pro toto eines ihrer Symbole, das WTC, töten Menschen und folglich dürfen alle Rücksichten, auch die auf die eigenen Werte und die eigene politische Ordnung, aufgegeben werden.

Manichäische Kämpfer vergessen Demokratie, Rechtsstaat, und schließlich die Zivilisation selbst, die sie vorgeblich verteidigen, weil ihre Werte nicht von dieser Welt sind. Das inhuman-metaphysische Weltbild seit Nine/Eleven hat den Teufel buchstäblich an die Wand gemalt, als Apokalypsetrunkene die Satansfratze noch in den Wolken erkannten, die sich über dem einstürzenden WTC zusammenballten.

Bei den anschließenden Kreuzzügen handelte es folgerichtig wie bei ihren klassischen Vorläufern um eine Art ziviler Gottesdienst, den Antichristen in seiner jeweiligen menschlichen Gestalt als den großen Lügner zu bestrafen. Weltretter Bush spielte vor der Zeit Armageddon, um den Widerspruch zwischen einem aufgeklärten Freiheitsauftrag und dem gottverliehenen Sendungsbewusstsein im politischen Getöse, das Nine/Eleven spendete, unkenntlich zu machen. Nun ist der Fundamentalvorwurf gegenüber dem Feind, er sei ein Lügner, wie ihn Bush ausdrücklich gegen Saddam Hussein gerichtet hat, spätestens seit Erfindung der Kriegsgründe für den Irak-Feldzug kein taugliches Differenzierungsmerkmal mehr, Demokraten von Despoten zu unterscheiden. Denn über die Kriegsgründe wurde gelogen, ungeachtet der Frage, wer nun dafür verantwortlich zu machen wäre. Die Letztverantwortung liegt allein bei denen, die offensichtlich ihre politischen Zielsetzungen bereits auf Wüstensand bauten, als das WTC noch stand.

Neokonservative Lügenpolitik

Nine/Eleven initiierte nicht nur den militärischen Testlauf einer neokonservativen Politik, die auf das Äußerste gereizt, ihre ganze Schärfe zeigen durfte. Es geht zugleich um das Versagen einer politischen Ideologie: Ein fundamentalistisches Credo der Neocons ist seit je die These, dass die gute Lüge ein unabdingbares Instrument ist, um die politische Herrschaft der Besten über die Menge zum Wohl von Staat, Nation und Gesellschaft zu gewährleisten. Demokratie und Liberalismus werden auf Formeln reduziert, die vor allem die eigenen Machtgelüste und - nicht nur im Fall von Dick Cheney - persönliche Interessen schön reden.

Leo Strauss-Kritikerin Shadia Drury hat Neocons wie Paul Wolfowitz, bescheinigt, in ihrem Weltbild keine echte Verwendung für Liberalismus und Demokratie zu haben. Mit den Erfahrungen nach dem Angriff auf Amerika hat sich der Neokonservatismus als schnödes, menschenverachtendes Machtspiel entlarvt, dem fast alle Mittel recht sind, um unbeeindruckt von den Protesten der Weltöffentlichkeit, ausländischer Regierungen, der Uno, des Papstes und sogar Mitstreitern die eigene Macht auszubauen.

Neocons sind Lügner aus höherer philosophischer Überzeugung. Denn die einfache Wahrheit alltäglicher Fakten korrumpiert ihren selbstgefälligen Anspruch, das höhere Wohl des Menschen jenseits einer echten Beteiligung der konkret betroffenen Menschen zu besorgen. Nachdem die Lüge über die Massenvernichtungswaffen aufgedeckt worden war, erklärte der Leo Strauss-Schüler Paul Wolfowitz paradigmatisch, das sei alles unwichtig, die wahren Kriegsgründe wären ohnehin andere gewesen. Hier drückt sich aber mehr aus als ein unverschämter Umgang mit der Öffentlichkeit, die so kritisch nicht sein kann, wenn sie solche Äußerungen ungeahndet passieren lässt.

Hier geht es um eine vormoderne undemokratische Arkan-Politik, d.h. staatliche Geheimniskrämerei, die nicht mehr überprüfbar ist, sondern die öffentliche Meinung in den endlosen Regress nach der Wahrheit schickt. Das ist eine typisch neokonservative Argumentationsfigur, die Bush seit dem 11. September systematisch einsetzte. Immerhin reichte es, um auch noch gegenwärtig mehr als die Hälfte der Amerikaner glauben zu machen, der Irak habe Massenvernichtungsmittel besessen (Noch immer glaubt die Hälfte der US-Bürger, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte).

Hinter den vordergründigen Motiven solcher Regenten stecken immer Wahrheiten, die geheim bleiben müssen, da sie das Volk - folgt man Leo Strauss und seinen antiken Vorläufern - ohnehin nicht ertragen würde. Die philosophische Mode von Leo Strauss, antike Texte so lange zu interpretieren, bis ihr geheimer Sinn zu Tage tritt, verwandelte sich im immerwährenden Antiterrorkampf zum neokonservativen Herrschaftsprinzip, permanent Potemkinsche Fassaden zu produzieren. Aufklärung und rechtsstaatliche Transparenz sind nur demokratische Fiktionen, da es allein den Besten gegeben ist, eine Politik jenseits der einfachen Moral zu verstehen.

This is an administration that will not talk about how we gather intelligence, how we know what we're going to do, nor what our plans are. When we move, we will communicate with you in an appropriate manner. We're at war. There has been an act of war declared upon America by terrorists, and we will respond accordingly. And I appreciate very much the American people understanding that. As we plan, as we put our strategy into action, we will let you know when we think it's appropriate - not only to protect the lives of our servicemen and women, but to make sure our coalition has had proper time to be noticed, as well. But we're going to act.

George W. Bush am 15.11.2001

Dieser theoretische Ansatz der Neocons verzichtet auf die Reflexion moderner Mediengesellschaften. Was vor einer schlecht informierten Gesellschaft der Antike mit schwachen Speicher- und Verbreitungsmedien versteckt werden kann, stößt heute auf gesellschaftliche Kontrollen und dispersive Verbreitungseffekte, die gute Tyrannen und klandestine Machtzirkel in helle Aufregung versetzen sollten.

Bush hatte mit dem 11.September verkündet, dass seine Regierung nicht die ganze Wahrheit über die Schlachten des Antiterrorkampfs sagen werde, weil die Kämpfe aus der Natur der Sache heraus auch im Geheimen stattfinden würden. Doch gerade dieser Krieg im Geheimen, der sich unter der Überschrift des weit reichenden Scheiterns der sogenannten Intelligence zusammenfassen lässt, wurde zum Anlass eines unbefriedigten Aufklärungsbedarfs der Öffentlichkeit, der im 9/11 Commission Report kulminierte. Der Neokonservatismus versagt deshalb langfristig in praxi, weil jene selbst ernannten Eliten in ihrer Doppelbödigkeit, ihrem unverhohlenen Eigennutz, in der Verachtung des Anderen so durchschaubar werden wie sie andererseits unfähig sind, eine Politik zu machen, die je geeignet wäre, Massen wirklich noch dauerhaft zu ihrem Glück zu verführen.

Die Schlacht der Bilder

It was inconsistent with the values of our nation, it was inconsistent with the teachings of the military to the men and women of the armed forces, and it was certainly fundamentally un-American.

Donald Rumsfeld

Das elitäre Spiel mit dem Herrschaftswissen, das wahlweise in dicke Lügen oder hehre Lippenbekenntnisse verpackt wird, stößt sich an der medialen Gegenmacht, an der kaum zu steuernden Inkontinenz von Informationen und Bildern, die von einer irritierten Öffentlichkeit nicht länger vollständig verborgen werden können. Dem republikanischen US-Kongressmitglied Tom Cole erschien der Medienaufruhr um die Folterbilder als "political and public relations Pearl Harbor." Der Vergleich folgt der politischen Rhetorik, das eigene Versagen, wenn nicht die eigene Schändlichkeit, als eine Art von außen produzierter "Medienkatastrophe" von sich zu weisen, da sie den wirklichen Absichten guter Herrscher nicht gerecht wird.

Gegenüber Coles und auch Donald Rumsfelds gleichzeitiger Klage über die schändlichen Medieneffekte ist daran zu erinnern, dass jener ominöse Weltschicksalstag just die Bilder eines anderen "Pearl Harbor" bereithielt, die dann medial so erhitzt wurden, dass fast jedes Mittel der Politik probat wurde. Führt nicht ein verschlungener und doch zwingender Weg von den feierlichen Inszenierungen und liturgischen Beschwörungen des Weltschicksalstags zu den jede menschliche Würde entbehrenden Szenen in den weltweiten Verliesen Amerikas?

Für die Washington Post handelte es sich bei den Folterbildern aus Abu Ghraib um "Bilder kolonialen Verhaltens" - und zugleich waren es die Ikonen, die jene erhabenen patriotischen Klagebilder eines ökumenisch trauernden Amerikas überlagerten und vergessen machten. Eine bigott-groteske Moral kam zum Vorschein, anlässlich von Nipplegate wegen eines im Fernsehen entblößten Busens nationales Entsetzen zu heucheln und - ganz abgesehen von der keine Exaltation scheuenden Porno-Megaindustrie der USA - gleichzeitig lüsterne Folter-Fantasien zu realisieren, die sich hinter denen des irakischen Regimes Saddam Husseins nicht verstecken können.

Zur paradigmatischen Ikone des Antiterrorkampfs avancierte nicht das einstürzende WTC, sondern der namenlose irakische Kapuzengefangene, der sein Kind tröstet. Die Welt blieb teilnahmslos, als bereits zahlreiche Bilder dieser Art kursierten, als wäre das nicht eine unerträgliche Selbstanklage einer vorgeblich zivilisierten Macht. Man muss wohl selbst eine dickwattierte Medienkapuze tragen, um die amerikanische Deprivations-Praxis gegenüber rechtlos gestellten Kriegsgefangenen ohne mitfühlenden Fantomschmerz zu ertragen. Denn es handelt sich nicht nur um Unterwerfung in jenem technokratischen, zweckrationalen Sinne, sondern eben um die äußerste Demütigung des diabolisierten Feindes als notwendige Kehrseite des Zivilisationsrettungsprogramms.

Fazit der verlorenen Schlacht um die Herrschaft der wahren Bilder: Was Nine/Eleven scheinbar überreich an Kriegslegitimationen spendete, endete in den amerikanischen Foltergefängnissen - und diese zivilisatorische Schmach bleibt auch dann noch erhalten, wenn die Bush-Regierung bereits Geschichte ist.

Das Scheitern des Neomachiavellismus

Ayman al-Zawahiri, die angebliche Nummer 2 von al-Qaida, prophezeite der US-Regierun zum Jahrestag des 11.9., dass die Niederlage der USA nur eine FRage der Zeit sei.

Machiavelli: Die Anziehungskraft der Lehren, die meinen Namen tragen, besteht darin, dass sie sich allen Zeiten und Situationen anpassen.

Maurice Joly, Macht contra Vernunft, Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu, 1864

Nicht nur in der arabischen Welt ist die politische und moralische Diskreditierung dieser Regierung so erheblich, dass sie den Vergleich mit anderen dunklen Kapiteln der US-Geschichte keineswegs zu scheuen braucht. Im Grunde war diese Regierung seit dem 11.September 2001 immer wieder gezwungen, ihre vorgeblichen Erkenntnisse und rücksichtslosen Methoden abzustreiten, wobei sie fortwährend auf eigenen Lügen oder bewusste Halbwahrheiten stößt. Die Probleme, die diese US-Regierung mit dem Terrorismus hat, sind nicht zuletzt jene, die sie seit Nine/Eleven mitgeschaffen hat, weil sie - summa summarum - vornehmlich klassische Kriege gegen terroristische Schattenkämpfer geführt hat. Nicht nur Bush hat in diesem Kampf gegen den Terrorismus Ansehen verloren, sondern zugleich ein "Faschismus des Guten" (Peter Sloterdijk), der jederzeit bereit ist, die vorgeblich eigenen Werte zu verraten, wenn es doch gerade auf ihre Bewährung ankäme.

Supermächte sind nie populär gewesen seit den Zeiten des Römischen Reiches. Sie sind unbeliebt, nicht, weil ihre Politik immer aggressiv und bedrohlich ist. Sie sind unbeliebt, weil sie stark und mächtig sind.

Doch diese entschuldigende Differenzierung Walter Laqueurs könnte vordergründig sein, weil mächtige Staaten ihre Macht regelmäßig historisch ausgenutzt haben und für die Schwachen auch bei vorüber gehender Selbstbescheidung der Starken bedrohlich bleiben. Die Bush-Regierung kann mit dieser Unterscheidung ohnehin nicht gemeint sein. Sie agiert seit dem 11.September aggressiv und bedrohlich, ist dabei aber hilflos und unkreativ, wenn es um die Einlösung der eigenen Programme ging.

Nicht nur die weit gehende "After-War"-Planungsabstinenz in Afghanistan und im Irak kennzeichnet den Weg des amerikanischen Kriegselefanten durch den globalen Porzellanladen: Es gibt keine echte amerikanische Nahost-Politik, die den Israel-Palästina-Konflikt, der die wertvollste Legitimationsmasse der Terroristen bildet, intelligent beeinflussen würde. Ein operational vernünftiger Terrorbegriff existiert genauso wenig wie ein hinlänglich vertrauenserweckender Sicherheitsapparat - trotz überbordender Budgets und immer neuer hybrider Organisationsversuche. Afghanistan bleibt ein unkalkulierbarer Krisenfall. Der Irak könnte kurz vor dem totalen Chaos stehen.

Die psychologisch kritische Marke von 1.000 toten amerikanischen Soldaten ist überschritten, was jenes im ersten amerikanischen Golf-Krieg kurierte Vietnam-Syndrom wiederbeleben könnte. Die Spezies Mullah Omar und Gefolgsleute in der rauen Bergwelt des Hindukusch ist nicht vom Aussterben bedroht. Und der so leib- wie fantomhaftige "Du-weißt-schon-wer" bleibt unauffindlich, während kein Tag ohne Terrornachrichten vergeht, die in seinem Namen verübt werden oder von Nachahmern künden. Unter diesen Auspizien könnten die Neophyten des Terrors, der sich nicht nur bei den "Aufständischen" im Irak demagogisch in Selbstverteidigung ummünzen lässt, noch in einem Ausmaß nachwachsen, der die bisherigen Szenarien nur als bescheidene Vorschule terroristischer Möglichkeiten erscheinen lassen könnte.

Epilog: Die Weltgeschichte teilt sich nicht in die Zeit vor Nine/Eleven und die danach, wie man es an jenem Tag aus polit-strategischen Gründen behauptete. Erlebt haben wir stattdessen den Rückfall in eine im Westen scheinbar überwundene Geschichte wölfischer Verhaltensweisen unter dem Deckmantel der Zivilisation. Die überhistorische Unterscheidung zwischen Vernunft und Unvernunft, so sehr diese Begrifflichkeit auch gelitten haben mag, bleibt erheblich plausibler als eine Politik, die Dämonen jagt und die Welt noch ein wenig unsicherer macht, als sie es nach Gottes unerforschlichen Plänen ohnehin ist.