Die Kreuze kommen!

Ein neuer Aberglaube rüstet mit beleuchteten Großkreuzen fürs jüngste Gericht und verärgert Nachbarn und Behörden

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Eigentlich sollten die riesigen beleuchteten Kreuze ja ein "Schutzwall gegen das Böse" sein, vor Krieg und Krankheit schützen und den Satan fern halten. Sogar Wirbelstürme hätten dank der blau-weiß gestrichenen Holz- oder Aluminiumkreuze "im letzten Moment im rechten Winkel die Richtung geändert". Doch statt Frieden und Heil über die Menschheit zu bringen, erweisen sich die exakt 7,32 m hohen "Liebeskreuze", die seit einigen Monaten auch in der Schweiz, Österreich und Bayern aus dem Boden schießen, als veritabler Zankapfel - und beschäftigten zuletzt sogar die Höchstgerichte.

"Liebeskreuz" in Wörschach/Obersteiermark. Bild: Roman Urbaner

Wer im Auftrag Gottes zu handeln glaubt, ist geneigt, sich mit irdischen Bauauflagen nicht lange aufzuhalten. So ragen die meist unbewilligten Lichtkreuze nicht nur verschämt aus privaten Gärten, sondern werden mit Vorliebe auch auf Anhöhen, neben Straßen und Bahnstrecken errichtet und überstrahlen nächtens - als Leuchtreklame Gottes - oft ganze Wohnviertel.

Mit dem Bau der angeblich wundertätigen "Liebeskreuze", 7000 soll es mittlerweile weltweit schon geben, folgen die katholischen Sektierer der Anweisung zweier "Privatoffenbarungen" aus Frankreich. Im Mittelpunkt stehen die 50 Erscheinungen, die Madeleine Aumont seit 1972 in Dozulé in der Normandie gehabt haben soll. In ihnen soll Jesus Christus die Errichtung eines monströs überdimensionierten Kreuzes verlangt haben.

Mit seinen Bauanweisungen peilte er dabei offenbar Rekordhöhen an: Das Großkreuz müsse mit einer Höhe von 738 m genau der Meereshöhe Golgothas, wo Jesus gekreuzigt worden sein soll, entsprechen. Im Vergleich dazu nehmen sich das derzeit höchste Gebäude ("Taipei101" in Taiwan) und der höchste Funkmast der Welt (in North Dakota, USA) mit nur 508 m bzw. 629 m geradezu bescheiden aus. (Europas Spitzenreiter - das Commerzbank-Gebäude in Frankfurt - bleibt übrigens knapp unter der 300 m-Marke.)

Die Lichtreklame Gottes: 734 Zentimeter zum Heil

Eine technische Machbarkeitsstudie war bereits in Auftrag gegeben worden, doch die Realisierung des Bauvorhabens blieb aufgrund des bischöflichen Vetos aus. Jesus zeigte sich daraufhin kompromissbereit und gab sich mit dem Maßstab 1:100 zufrieden. Im Juli 1996 sei nämlich einer zweiten "Seherin", Fernanda Navarro aus Grenoble alias JNSR ("Je ne suis rien" = "Ich bin nichts"), aufgetragen worden, auf der Welt stattdessen Tausende kleinere "glorreiche Kreuze der Liebe" aufstellen zu lassen, "um die Wiederkehr Christi in Herrlichkeit zu beschleunigen":

Durch mein Kreuz werden wir siegen. Es muss wie das Echo sein, das sich ins Unendliche ausdehnt, [weil es sich von Berg zu Berg fortpflanzt]. Tausende von Stimmen, Tausende von Kreuzen werden sich auf der ganzen Welt erheben: Das Kreuz schlägt das Böse in die Flucht. Ja, ihr habt richtig gesehen: Das geschieht, um den Völkern zu zeigen, dass sie im Schatten meines Kreuzes leben müssen.

Botschaft vom 16.7.1996

Auch diesmal erging der göttliche Bauauftrag mit überaus genauer Maßangabe: 7,38 m waren für die Höhe und 1,23 m pro Seitenarm vorgesehen, penibel ausgerichtet von Ost nach West. Am Fuß des beleuchteten Kreuzes müsse zudem täglich das Gebet von Dozulé verrichtet werden. Blumenschmuck (vorzugsweise Erika) und Farbwahl ("Zu Ehren Meiner heiligen Mutter wünsche Ich diese beiden Farben weiß und blau.") sollten ebenfalls nicht irdischer Willkür überlassen bleiben.

Die Apokalyptiker von Dozulé

Doch die katholische Kirche will von diesen "Privatoffenbarungen", die einmal mehr das jüngste Gericht heraufdämmern sehen, nichts wissen. "Ich halte das für einen modernen Aberglauben, eingekleidet in eine katholisch-religiöse Rhetorik", erklärt Andreas Girzikovsky, der Sektenbeauftragte der Diözese Linz:

Dahinter steht ein magisches Verständnis von Unheil abwehrender Wirkung, das nicht dem christlichen Glauben entspricht.

Schon 1985 war die Verbreitung der "Botschaft von Dozulé" vom zuständigen Ortsbischof Jean Badré (Diözese von Bayeux und Lisieux) und der Römischen Glaubenskongregation untersagt worden. Dieses Verbot wurde in den 90er Jahren noch einmal bekräftigt, sowohl von der Diözese vor Ort als auch vom Erzbischof in Tours. Selbst im Sektenbericht der französischen Nationalversammlung scheinen die "Amis de la croix glorieuse de Dozulé" bereits 1996 als eine von 173 "mouvements sectaires" auf.

Zuletzt haben die Kreuze im Mai des Vorjahres auch die Schweizer Bischofskonferenz veranlasst, zum "Projekt Dozulé" auf Distanz gehen, im Juli folgte das Erzbistum München. Und sogar der österreichische Skandalbischof Kurt Krenn (Das traurige Orgien- und Mysterientheater von St. Pölten), der in seiner Diözese St. Pölten sonst allerlei obskuren Orden und Bruderschaften Unterschlupf gewährt, sah sich gezwungen, im Kirchenblatt vor dieser "Irrlehre" zu warnen.

Denn neben "lobenswerten Aufrufen zur Bekehrung" beinhalten die Schriften von Dozulé, so die Schweizer Bischöfe, auch "unannehmbare Elemente und Forderungen":

die einzig auf Dozulé bezogene Ausschließlichkeit des Heils; der endgültige und ausschließliche Charakter der "Botschaft"; die zweifelhafte und unverhältnismäßige Lehre vom ewigen Leben; das Aufstellen von leuchtenden Kreuzen ohne Rücksichtsnahme auf die religiöse Sensibilität angrenzender Bewohner und auf das Risiko von kostspieligen und kontraproduktiven gerichtlichen Verfahren.

Das Lichtkreuz vor Gericht

Vor Letzteren schrecken nämlich die Verfechter der konfliktträchtigen "Liebeskreuze" keineswegs zurück. Eben erst ist ein Lichtkreuz in Leonding (Oberösterreich) als Präzedenzfall durch alle Instanzen gewandert, um Ende August beim österreichischen Höchstgericht zu landen, das den Beseitigungsauftrag des Bürgermeisters bestätigte. Da das Leuchtkreuz nur der privaten Religionsausübung diene, nicht aber dem "täglichen Bedarf der Bewohner", habe es in einem reinen Wohnviertel nichts verloren. Darüber hinaus könne das Kreuz aufgrund seiner Größe und Beleuchtung das Orts- und Landschaftsbild stören, begründete das Gericht sein Urteil, das schlaflose Nachbarn endlich aufatmen lässt.

Auch in der Schweiz, wo die Kreuze besonders in Mode sind, hat das Höchstgericht vor kurzem ein Machtwort gesprochen. Das Bundesgericht in Lausanne konnte im Rechtsstreit um ein Kreuz im solothurnischen Gerlafingen, dessen Abbruch verfügt worden war, keinen Angriff auf Religionsfreiheit und Eigentümerrechte erkennen:

Das Kreuz dient der Bekanntmachung oder Weitergabe ihrer religiösen Überzeugung an Dritte, was nicht zum absolut geschützten Kernbereich religiöser Betätigung gehört. ... Keiner weiteren Ausführungen bedarf, dass die mit der Ablehnung der Baubewilligung für das umstrittene Kreuz verbundene geringfügige Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstückes den Kerngehalt der Eigentumsgarantie nicht antastet.

"Werdet euer eigener Henker ..."

Angesichts solcher Ablehnung wähnen sich die apokalyptischen Eiferer jedenfalls inmitten des endzeitlichen Schlachtgetümmels, in dem Kirchenautoritäten, Bauordnung und Gerichtsbeschlüsse das Geschäft des Bösen erledigen:

Wenn ihr wünscht, dass der Teufel die Schlacht gegen meine Kirche gewinnt - ja, dann fahrt fort, meine Liebeskreuze zu zerstören, werdet euer eigener Henker und jener, der meine ganze Schöpfung hinrichten wird.

Botschaft vom 4.3.2002

Ein Ausweg bleibt allerdings auch jenen, die sich am Kreuzzug gegen die Höllenmächte beteiligen wollen, ohne sich dabei gleich auch mit Nachbarn und Behörden anzulegen: Ein Schweizer Internet-Portal für Priester empfiehlt die ersatzweise Verehrung handlicher Miniaturkreuze für die Wohnung. Im sozial gewiss verträglicheren Maßstab von 1:1000.