Die Utopie vom Weltraum-Tourismus lebt weiter

Am Mittwoch startet SpaceShipOne, um den X-Price zu gewinnen, der britische Milliardär Richard Branson will mit Virgin Galactic als erster kommerzielle Weltraumflüge anbieten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Spätestens nach Gagarins Ausflug ins All im Jahre 1961 stand alles im Zeichen des "Space Age". Auch die Luftfahrt-Industrie atmete den Fortschrittsglauben. Design, Werbung, etc. antizipierten den nächsten großen Schritt: Bald würden die Boeings auch zivile Kunden in den Weltraum befördern.

SpaceShipOne: der wohl aussichtsreichste Anwärter auf den Gewinn des X-Price

Nachdem der "Jumbojet" acht Jahre später erfunden wurde und einen ersten Durchbruch in der Luftfahrt ermöglichte - die Stunde des Massentourismus hatte geschlagen - machte die Entwicklung jedoch nur noch kleine Schritte. Heute ist die Luftfahrt nur noch das Surrogat des Weltraumtourismus, der mit einigen spektakulären Schlagzeilen und vielen unerschrockenen Pionieren noch immer an der alten Utopie festhält.

"Pan Am" im Weltall

Eine "Pan Am"-Shuttle segelt durch das Weltall, Schuhe der "Pan Am"-Flugbegleiter, so genannte Grip Shoes, rücken ins Bild, wie normalerweise in Flugzeugen üblich wird Bordessen in der altbekannten Verpackung serviert - im Hintergrund schimmern derweil die Sterne in den Weiten des Weltraums.

Mit diesen Bildern griff Kubricks weltbekannte Sci-Fi-Oper "Odyssee im Weltraum" die Entwicklungen auf der Erde auf und extrapolierte sie um ein Vielfaches. Dazu gehörte auch, dass der Regisseur "Pan Am" einen Sign War gegen "Aeroflot" ausfechten und dass er die Hotelkette "Hilton" und den Dienstleister "Bell" Filialen im Weltall eröffnen ließ.

Der Kommerzialisierung der Raumfahrt waren keine Grenzen gesetzt. Nur Regeln. Dazu auch noch überaus irdische. Warum hätte er sonst jene großen Konzerne auftreten lassen, die die Entwicklungen des Tourismus bereits maßgeblich beeinflussten?

Nur eine andere Erklärung kommt in Frage: Weil in den späten 1960er Jahren, also auf dem Höhepunkt des Weltraum-Optimismus, die amerikanischen Fluggesellschaften "Pan Am" und "TWA" Reservierungen für Flüge zum Mond anboten und "Pan Am" 1971 die stolze Liste von 93.000 potenziellen Mondtouristen präsentierte, unter ihnen sogar Präsident Reagan. Experten schätzten die Kosten damals für einen Hin- und Rückflug (ohne Steuern und Landegebühren) auf rund 29.000 US Dollar.

Wiedergeburt der Utopie

Als "Pan Am" zu Beginn der 1990er den Konkurs angemeldet hat, war allen bekannt, dass die Entwicklung der Raumfahrt längst nicht im Stande gewesen ist, das Versprechen vom Weltraum-Tourismus aus dem Ärmel zu schütteln. Auch die Preise für den Ausflug ins All mussten einer deutlichen Korrektur unterzogen werden. Schätzungsweise 10 Millionen Euro hätte das Abenteuer damals kosten sollen.

Eine gemeinsame Studie der "Nasa" und privaten Unternehmen, die 1998 veröffentlicht wurde (Ab dem Jahr 2000 im Weltraum), konstatierte, dass die Ticket-Preise auf rund 90.000 Euro sinken müssten, damit sich der kommerzielle Weltraum-Tourismus überhaupt lohnt. Und das sollte realistisch sein? Allein daran, dass Tito einige Jahre später eine Millionensumme auf den Tisch legen musste, damit sein Traum, als erster Tourist in den Weltraum zu fliegen in Erfüllung gehen konnte, zeigte sich, dass dies nicht der Fall war.

Modell für ein Weltraumhotel von Shimiz

"Sonntagsausflüge im Elektromobil auf der Mondoberfläche, Sonnensurfen rund um die internationale Raumstation, Baden im Swimmingpool unter Marskuppeln - was ist aus diesen Träumen geworden?" fragte neulich das "PM"-Magazin und schien die Desillusionierung umso schmerzhafter zum Ausdruck zu bringen. Doch wer in den 1990er Jahren glaubte, dass mit dem Konkurs von "Pan Am" auch der Traum vom Weltraum-Tourismus gestorben war, hatte sich verrechnet.

Ingenieure der japanischen Baufirma Shimizu ließen sich damals nicht beirren und stellten als einer der ersten ein Space-Hotel vor, das in 450 Kilometer Höhe alle vier bis fünf Stunden die Erde umkreisen und rund 100 Gästen Platz bieten sollte.

Der Komplex ähnelte einem Riesenkreisel: Um eine 240 Meter lange Zentralachse gruppierten sich Wohnräume, öffentlicher Bereich und Versorgungseinrichtungen. Dreimal pro Minute sollte sich der Komplex um seine Achse drehen und dadurch eine künstliche Schwerkraft erzeugen, die nach außen hin zunahm - ein Trick, der auch schon von Kubrick in "Odyssee im Weltraum" verwendet worden war, als er seine Raumstation nach Walzermusik kreisen ließ.

Goldgräberstimmung im All

In der Zwischenzeit hatte die Billig-Flieger-Evolution eine neue Stufe erreicht. Während in den 1990er Jahren alle von Rezession redeten, herrschte eine unerhörte Goldgräberstimmung im Luftraum. Billig-Anbieter wie "Ryanair" flogen kontinuierlich Gewinne ein.

Was die Buchhalter dieser Branche abheben ließ, verleitete bald auch die Marketing-Profis zum rauschhaften Höhenflug. Von einer Revolution im Himmel war fortan die Rede. Nichts weniger als der Sturz des Establishments stehe an der Tagesordnung. Versprechen, die eingebunden gewesen sind in eine Unternehmenskultur, die nach dem Börsencrash zu Beginn des 21. Jahrhunderts die New Economy-Ideologie kurzerhand in den Luftraum ausgelagert zu haben schien.

Wie auch schon die New Economy wird die Billigflieger-Revolution gern mit Punk verglichen, eine Jugendkulturbewegung, die ebenfalls in den späten 1970er Jahren die Welt verändern sollte. Den Majors wurde der Kampf angesagt. Die Punk-Botschaft lautete: Do it yourself! Gekommen war die Zeit für einen Umbruch von unten. Demokratisierung und die Selbstermächtigung des Einzelnen sollten auch in der New Economy zentrale Motive werden. Schlagworte, die jetzt wieder im Kosmos der Billigflieger auftauchen.

Bob Bigelow, Besitzer einer irdischen Hotelkette hat die Hightech-Firma Bigelow Aerospace gegründet, um u.a. Nautilus, eine aufblasbare Weltraumstation für Touristen, zu entwickeln

Vor allem die Beschreibungen der Unternehmenskultur von "Southwest", "Ryanair", "Go", "Easyjet", "bmibaby", etc. schmecken nach New Economy. Wiederholt ist von der Firma als Familie die Rede. Flache Hierarchien sind selbstverständlich, Picknick mit dem Boss keine Besonderheit. Klar hilft die Stewardess bei der Gepäckausgabe mit und der Pilot beim Boarding der Passagiere.

Dann sind da noch die Bosse, die, wie auch die CEOs in der New Economy, zu Popstars avanciert sind. Und das nicht zuletzt aus der Not heraus. Wie Richard Branson von "Virgin Airways", haben auch die anderen Fluglinien-Chefs erkannt, dass die erfolgreiche mediale Selbstdarstellung die Interessen der eigenen Firma vis a vis den feindlich gestimmten Majors stärkt und Werbeetats sparen hilft. Keine kostspieligen Werbkampagnen werden lanciert. Stattdessen treten die Bosse selbst ins Rampenlicht; die Marke wird über die Popularität, vor allem aber auch über die Glaubwürdigkeit ihrer Person aufgebaut.

Branson zum Beispiel, der in den 1980ern den Grundstein für Billig-Airlines in Europa legte, gilt als wagemutiger und trinkfester Draufgänger, der gerne auch mal mit einem Heißluftballon um die Erde fliegt. Oder eben mal ein Raumfahrtprogramm initiiert. Schon 1999 hatte er Flüge für Touristen in den Weltraum angekündigt (Virgin will ins Raumfahrtgeschäft einsteigen). Mit einer Finanzspritze von "Microsoft"-Ko-Gründer Paul Allen macht er derzeit Testversuche mit der SpaceShipOne, um in naher Zukunft die neue Linie Virgin Galactic in das Dienstleistungsspektrum seines Konzerns aufzunehmen.

Diese Linie soll 3.000 "Astronauten" in den ersten fünf Jahren in den Orbit befördern. Gut 200.000 US-Dollar soll dieses Vergnügen kosten, dreitägiges Training inklusive. Branson beschreibt sein Ziel wie folgt: "Virgin Galactic will be run as a business, but a business with the sole purpose of making space travel more and more affordable."

SpaceShipOne plant nach dem mehr oder weniger erfolgreichen Testflug im Juni (Countdown für "SpaceShipOne") für den Mittwoch den entscheidenden Flug, um die 10 Millionen US-Dollar Preisgeld des Ansari X-Prize-Cup zu erhalten (Himmelfahrtskommando X-Prize). Eine privatwirtschaftlich finanzierte Raumfähre muss drei Passagiere bei im Abstand von höchstens zwei Wochen aufeinander folgenden Flügen in eine Höhe von 100 Kilometer bringen. Wenn kein Team noch in diesem Jahr erfolgreich ist, dürfte die Chance, en Preis zu gewinnen, verpasst sein, denn die Finanzierung für den Preis ist trotz anderer Sponsoren nur bis zum 1. Januar 2005 gesichert.

Darüber hinaus haben viele junge Frühpensionisten die Goldgräberstimmung im All ausgerufen. Jene etwa, die sich mit Software-Unternehmen in den Internet-Boom-Jahren goldene Nasen verdient haben und rechtzeitig vor dem großen Börse-Crash ausgestiegen sind, vor allem sie scheinen vom Weltraum als unerfüllten Kindheitstraum magisch angezogen zu werden.

In der Liste der privaten Weltraumfirmengründer findet sich zum Beispiel Jeff Bezos, einer der Ur-Väter des Online-Kaufhauses "Amazon" (Bezos, der Gründer von Amazon, hat große Pläne). Oder John Carmack, Ex-Gründungsmitglied von "Id Software", jetzt Chef von "Armadillo Aerospace" am Stadtrand von Dallas mit dem nötigen Kleingeld, um für eine Million Dollar Wasserstoffperoxid-Treibstoff einzukaufen. Beides übrigens Anwärter beim X-Prize.

Selbst das Wirtschaftsmagazin brandeins brachte um die Jahrhundertwende einen Beitrag mit dem Titel "Ferienziel Orbit" und stellte weitere zentrale Protagonisten des All-Tourismus-Geschäfts vor. Und so wundert es mittlerweile auch nicht, dass selbst EADS für Überschall-Flüge mit All-Kontakt wirbt.

Frei nach dem Motto "Einmal von München ins All - und dann zum Urlaub nach Mallorca" stellt das Unternehmen Massentourismus im All in Aussicht und will dazu russische Militärjets "alltauglich" umbauen und mit einer Aussichtskabine ausrüsten. Voilà, das wäre der so genannte "MigBus SpaceCoaster", der die Weltraum-Visite immerhin so günstig wie einen Concorde-Flug machen soll.

Und wenn dies die schickste Art und Weise sein soll, heute ins All zu reisen, dann hat das britische Unternehmen Bristol Spaceplanes Limited wohl die verlockendsten Worte gefunden, um Weltall-Tourismus wirklich allen schmackhaft zu machen:

During your Ascender flight, you will experience several minutes of weightlessness, see the earth below you, and bright stars against a black sky: a truly transforming experience.