Googles Nachrichtenportal in der Kritik

Google News: Ein Nachrichtensystem mit eklatanten Schönheitsfehlern

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"Britische Geisel bittet Tony Blair um Hilfe", lautete die Schlagzeile, die die US-amerikanische Version von Google News am 29. September um 23 Uhr als Topmeldung platzierte. Verlinkt war die Schlagzeile mit der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. "Italien leugnet Lösegeldzahlung für Geiseln", präsentierte Google News zur gleichen Zeit eine weitere tagesaktuelle Nachricht - mit Link auf Japan Today.

Beide Medien kamen mit ihrer Nachricht reichlich spät. Im Falle der Xinhua-Meldung hatten bereits 356 andere Medien ähnliche Artikel abgeliefert. Die Meldung selbst war schätzungsweise 20 Stunden alt. Auch der Artikel von Japan Today war alles andere als taufrisch. 1247 ähnliche Artikel hatte Google News dazu bereits im Angebot. Dass Xinhua und Japan Today trotzdem an prominenter Stelle noch einmal wiederkäuen durften, was andere vor ihnen bereits - womöglich sogar exklusiv - gemeldet hatten, liegt an den Kriterien, die Google verwendet, um Nachrichten auf seiner Webseite zu platzieren. Es gilt das Motto, Wer zuletzt kommt, kriegt den besten Platz.

Exklusivität wird rigoros bestraft

Online-Medien, die im Zeitalter von Google News Artikel noch selbst recherchieren, womöglich gar viel Geld für investigativen Journalismus ausgeben, haben das Nachsehen. Erscheint ihre exklusive Meldung, listet Google News sie zwar an prominenter Stelle und beschert der entsprechenden Webseite reichlich Leser. Immerhin steht Googles Nachrichtenangebot mit rund 6 Millionen monatlichen Nutzern in der Hitliste der beliebtesten Webseiten ganz oben. Doch der Leserstrom versiegt sofort, wenn eine andere Redaktion die exklusive Meldung nacherzählt und Googles Nachrichtenspidern und Algorithmen eine zeitlich aktuellere Version der Story präsentiert. Online-Redaktionen, die von Werbung leben, haben das Nachsehen. Andere ernten ihre Früchte.

Google News bestreitet diesen Trend - zumindest sei er nicht beabsichtigt. Die Schlagzeilen auf der Google News Homepage würden vollständig durch einen Computeralgorithmus selektiert, der viele Faktoren berücksichtige, einschließlich wie oft und auf welchen anderen Webseiten eine Geschichte erscheine, heißt es bei Google News. Man berücksichtige durchaus, wer eine Nachricht zuerst gebracht habe. Reine Nacherzähler hätten keine Chance.

Im Übrigen befinde sich Google News noch immer in der Beta-Phase. Für Feedback und Kritik sei man deshalb immer dankbar. Nachrichtenredakteure wie Jonny Evans von MacWorld sehen das ein wenig anders. Sie fühlen sich als Opfer einer Google-Strategie, die Aktualität belohnt, große "renommierte" Webseiten bevorzugt und aufwändige betriebene, exklusive Berichterstattung insbesondere von kleineren Webangeboten bestraft.

Googles Traum vom Nachrichtensystem ohne Redakteure

Vor gut drei Jahren war Google News mit dem hehren Ziel angetreten, frischen Wind in die Nachrichtensysteme der etablierten Online-Portale von Yahoo, CNN oder MSN zu pusten. Aktueller als die Online-Konkurrenz wollte Google News seinen Nutzern einen ausgewogenen Überblick über das Nachrichtengeschehen präsentieren.

Im Unterschied zu anderen Nachrichtportalen, die von Redakteuren aus Fleisch und Blut betreut werden, setzte Google News auf ein vollautomatisiertes Nachrichtensystem. Nachrichtenspider und Computeralgorithmen sollten die Nachrichtenspreu vom -weizen trennen und kostengünstig für Aktualität, Relevanz und politische Ausgewogenheit sorgen. Dieser High Tech-Traum ist mittlerweile ausgeträumt.

Fehlt eine redaktionelle Kontrolle, lassen sich die Computeralgorithmen überlisten und politisch missbrauchen. Obendrein neigt das automatisierte Google-News-System dazu, "renommierte" Webseiten und Nachrichtenagenturen zu bevorzugen. So hat die amerikanische Medienberatungsagentur Digital Deliverance in einer Untersuchung Erstaunliches herausgefunden. Auf der Suche nach neuen Nachrichten durchstöbern die Google-Nachrichtenspider rund um die Uhr 4500 englischsprachige Webangebote. Trotzdem stammen rund zwei Drittel aller gelisteten Nachrichten von nur zehn Quellen, darunter so prominente Namen wie Reuters, New York Times, Voice of America, Xinhua oder Bloomberg. Von letzteren stammte der Untersuchung zufolge sogar fast die Hälfte des gesamten Nachrichtenmaterials.

"Kann es sein, dass 48 Prozent aller Nachrichten nur aus fünf Quellen stammen?", wunderte sich Vin Crosbie von Digital Deliverance. Solche Daten würden zeigen, wie Google News tatsächlich arbeite: Die kleineren Webangebote bleiben außen vor.

Google News verdient kein Geld

Kritiker werfen Google vor, ein bloßes Nachrichtenrecycling zu betreiben und die gängigen Nachrichten der Mainstream-Medien an prominenter Stelle nur noch einmal zu verwursten. Obendrein fließt per Google News kein Geld in die Kassen der kalifornischen Suchmaschinenfirma. Denn Google News ist werbefrei - und wird es vermutlich auch in Zukunft bleiben müssen.

Während Nachrichtenportale wie Yahoo oder MSN ihre aktuellen Webseiten mit Werbeanzeigen zupflastern und dafür das große Geld kassieren, findet man auf Google News nicht eine einzige Werbeschaltung. Die Ursache liegt auf der Hand. Google produziert keine eigenen Nachrichten, sondern generiert im Wesentlichen optisch aufgepeppte Linklisten zu anderen Nachrichtenseiten. Schlagzeilen, Teaser und Bildmaterial werden jeweils von den Originalquellen übernommen. Solange Google News damit keinen Gewinn macht, dürften die zuliefernden Medien stillhalten.

Adam L. Penenberg von der New York University vermutet, dass der Google-Nachrichtenservice sofort mit Unterlassungsforderungen überzogen würde, falls Google seinen News-Service kommerziell auszubeuten gedenke.

Wer sucht wonach die Quellen aus?

Besonders stolz sind die Google-News-Macher darauf, dass ihr Nachrichtenangebot "ausschließlich von Computeralgorithmen und völlig ohne das Eingreifen von Menschen erstellt" werde. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit.

Denn im Gegensatz zur Google-Websuche, die das ganze Web durchforstet, durchkämmen die Nachrichtenspider nur eine bestimmte Anzahl handverlesener Nachrichtenquellen. Insgesamt werden 7000 Nachrichtenquellen durchkämmt. Die deutsche Google-News-Variante, seit gut einem Jahr im Netz, berücksichtigt ca. 700 deutschsprachige Nachrichtenquellen. Welche Webseiten Nachrichten zuliefern dürfen, entscheidet kein Computeralgorithmus, sondern ein mit Menschen besetztes "Quellen-Team".

Die Konkurrenz hört mit. Deshalb mag Google nicht offen legen, welche Webseiten aus welchen Gründen vor den kritischen Augen des "Quellen-Teams" Bestand haben und in den News-Quellen-Fundus übernommen werden. Die Nachrichtenquellen besäßen "verschiedene Blickwinkel und redaktionelle Ansätze", heißt es dazu nebulös bei Google. Ihre Auswahl würde "ohne Bezug auf politische Standpunkte oder Ideologien getroffen". Für politische Ausgewogenheit sei mithin gesorgt - eine Aussage, die der US-amerikanische Journalist und Blogger J. D. Lasica vehement bestreitet.

Hat Google News politisch Schlagseite?

Lasica hat die Google-"Berichterstattung" zum amerikanischen Wahlkampf stichprobenartig unter die Lupe genommen und Erstaunliches herausgefunden. Auf der Google-News-Startseite befindet sich an prominenter Stelle die Rubrik "In the news"/"In den Nachrichten". Dort werden Personen gelistet, über die in den US-Medien gerade am häufigsten berichtet wird. Dass die Namen "John Kerry" und "George Bush" dort besonders oft genannt werden, dürfte nicht verwundern. Was Lasica jedoch erstaunlich fand, waren die Artikel, die Google News ihm beim Klick auf die Kandidatennamen präsentierte.

Unter dem Stichwort "John Kerry" lieferte ihm Google News erstaunlich viele Anti-Kerry-Artikel, die überwiegend von kleineren, zweitrangigen Webseiten wie Useless-Knowledge.com, Enter Stage Right, BushCountry oder Chronwatch stammten. Allen diesen Webseiten ist eine eindeutig konservative Gesinnung gemein. Die Gegenprobe führte zu einem ähnlichen Ergebnis. Per Klick auf "George Bush" erhielt Lasica eine entsprechende Nachrichtenquellen-Mixtur: Neben den üblichen "großen" Quellen mit insgesamt ausgewogener Berichterstattung tummelten sich auch hier überproportional häufig dieselben kleinen konservativen Webseiten, die jetzt allerdings ihr Hohes Lied auf Mr. Bush sangen.

"Was ist los?", wunderte sich J. D. Lasica über die konservative Schräglage der von Google News bereitgestellten Nachrichtenlinks. Wurden Googles Suchergebnisse etwa vom konservativen US-Fernsehsender Fox News gekapert?

"Die Algorithmen sind unpolitisch"

Dass auch kleinere Webseiten bei der Nachrichtensuche mit berücksichtigt würden, sei eine Selbstverständlichkeit, meint Krishna Bharat, der als Chef-Entwickler des Googleschen Nachrichtendienstes gilt.

Man strebe Meinungsvielfalt an und wolle deshalb "jeden am Tisch haben". Zuordnung, Gewichtung und Rangfolge der einzelnen Artikel würden objektiv ohne menschliches Zutun von Computeralgorithmen vorgenommen. Berücksichtigt würden dabei unterschiedliche Faktoren wie beispielsweise die Anzahl der Publikationen, die über ein Thema schreiben, oder wie neu ein Artikel sei. Wichtig seien auch die Länge einer Nachricht und die Häufigkeit, mit der ein Suchbegriff im Artikel auftauche. Im Gegensatz zur Websuche lasse sich das Nachrichtensystem nicht manipulieren, führte Bharat weiter aus.

Die von ihm maßgeblich mitentwickelten Algorithmen versuchten zwar zu "verstehen", wie "heiß" und wie wichtig eine Nachricht sei. "Die Algorithmen verstehen aber nicht, welche Quellen rechts- oder linkslastig sind. Sie sind apolitisch, und das ist gut so." Wenn nun tatsächlich eine solche tendenzielle Schräglage vorliege, wie Lasica sie ermittelt habe, dann seien daran keinesfalls die verwendeten Computeralgorithmen schuld. Vielmehr spiegele sich darin eben das in der Presse tendenziell vorherrschende Meinungsbild wieder:

Es ist nicht unsere Aufgabe, das natürliche Meinungsspektrum in der Presse zu verändern. Wir zeigen nur die Welt, wie sie eben ist.

Neues Suchwort - neues Weltbild

Seltsamerweise ist das in den Google News projizierte Weltbild stark vom eingegebenen Suchwort abhängig. Google News gibt in der Rubrik "In the news" den Begriff "John Kerry" als Suchwort vor. Tippt man per Hand nur den Namen "Kerry" ein, produziert der Google-Service plötzlich einen völlig anderen Nachrichtenspiegel, in dem die kleineren, rechtslastigen Webseiten kaum noch vorkommen.

Verantwortlich sei die fehlende redaktionelle Kontrolle bzw. das automatisierte Nachrichtenanalysesystem, erklärt Suchmaschinenspezialist Ethan Zuckerman vom Harvard Berkman Center for Internet and Society dieses Phänomen. Die großen Zeitungen würden insbesondere in Überschriften tendenziell eher den Begriff "Kerry" wählen, während kleinere Zeitungen und News-Seiten den Bush-Herausforderer eher beim vollen Namen nennen würden.

Das geschehe im Übrigen nicht zufällig. Gerade kleinere Seiten seien darauf angewiesen, ihre Webseiten so zu optimieren, dass sie nicht nur allgemein suchmaschinen-, sondern ganz speziell auch Google-News-freundlich seien, damit sie eine Chance hätten, von den Computeralgorithmen an prominenter Stelle gelistet zu werden. Wer in Text und Überschriften oft Begriffe wie "George Bush" oder "John Kerry" verwende und seine Artikel häufig aktualisiere, habe bessere Chancen von Googles Algorithmen eine gute Platzierung zugewiesen zu bekommen - vorausgesetzt, das Google Quellen-Team hat die eigene Webseite als seriöse Nachrichtenquelle akzeptiert.

Die von J. D. Lasica beschriebene politische Schräglage in Sachen Kerry-Bush ist nicht der einzige Makel, der Googles vollautomatisiertem Nachrichtensystem anhaftet. Insbesondere die Quellenauswahl machte Google News auch früher schon zu schaffen. So sorgten fehlerhafte Algorithmen eine Zeit lang dafür, dass ausgerechnet Meldungen der iranischen Nachrichtenagentur INA bei Google News USA ganz oben gelistet wurden, wenn es um Berichte über Geschehnisse in Europa ging.

Regelmäßig gelangten auch PR-Meldungen in Googles Nachrichtenpool, ohne als solche gekennzeichnet zu werden. Pressemitteilungen würden nie als Headlines aufgemacht werden, verteidigte man bei Google News damals das Geschehen. Man verwende PR-Meldungen, um eine möglichst breite Meinungsbildung zu ermöglichen. Dass dadurch redaktionelle Berichterstattung und Werbung in unzulässiger Weise vermischt werden, kommt den Newsmachern von Google offenbar nicht in den Sinn.

Google News habe, wie das britische Online-Magazin The Register die Google-Rechtfertigung süffisant kommentiert, damit den Begriff "Nachrichten" neu definiert.