Bagdad-Connection

Die Bagdad-Bahn sollte das Osmanische Reich stabilisieren und den Einfluss des Deutschen Reichs erweitern

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Nach dem Denkmalsturz von Bagdad veröffentlichte die FAZ am 16.3.2004 den "Atlas der Erreichbarkeit": Eine Karte, die eine fließende Verbindung von Berlin nach Bagdad markierte. Schirrmacher textete fröhlich: "Der Horizont der neuen Weltordnung ist nicht mehr mit Brettern vernagelt." Eine Berliner Ausstellung zu der Geschichte der "Bagdadbahn" erinnert nun daran, dass der Traum von der Bagdad-Connection weder neu, noch so unproblematisch ist, wie manch einem April 2003 erscheinen mochte.

Es sollte eine Brücke werden, die die unterschiedlichen Welten des Osmanisches Reiches mit einander verband: die "Bagdadbahn", die als eine Eisenbahnstrecke zwischen Istanbul und Bagdad angelegt wurde. Bagdad stellte damals einen Außenposten des Osmanischen Reiches im arabischen Raum dar und konnte darüber hinaus als Ausgangspunkt für weitere Expansionen genutzt werden.

Somit waren diese beiden Städte gewissermaßen die Eckpunkte des imperialen Koordinatensystems. Innerhalb dieses Koordinatensystems lagen Städte, Dörfer, Wüstenstriche und Berge - geologische und geo-politische Einheiten, die mit den letzten Reserven des wankelmütigen Reiches miteinander verknüpft werden sollten. Es war die letzte Chance für das Osmanische Reich - bevor alles auseinander fiel.

Eisenbahnverbindungen zur Herrschaftsstabilisierung

Es war auch die letzte Chance aufzuschließen zu den anderen großen Reichen. Denn den Anschluss hatte man offensichtlich verpasst. Die anderen hatten nach der Entdeckungs- und Eroberungsphase per Schiff die nächste imperiale Stufe mit einem technologischen und logistischen Quantensprung besiegelt. Sie bauten Bahnnetze, um das eroberte Territorium vollends zu erschließen und zu unterwerfen. Ihre politischen, militärischen und wirtschaftlichen Einflusssphären sollten durch den Bau von Schienensträngen gesichert werden. Die Potenz des Imperiums, so schienen sich alle Akteure einig zu sein, war an den Ausmaßen und der Effizienz seines Eisenbahnnetzes zu messen.

Während einige Bauvorhaben unvollendete Projekte blieben und andere, die zu Ende gebracht werden konnten, nur einen Teil des jeweiligen Imperiums vernetzen konnten, gelang dem russischen Zarenreich mit dem Bau der "Transsibirischen Eisenbahn" eine reichsübergreifende Verbindung.

Was von 1891 bis 1916 zwischen Moskau und Wladiwostok als längste Eisenbahnstrecke der Welt entstanden war , stellte für das Zarenreich nicht nur ein Prestigeobjekt dar, sondern auch ein Allheilmittel. Die "Transsibirische Eisenbahn" sollte helfen den sibirischen Raum zu kolonisieren, das Staatsgebiet besser verteidigen zu können und auf China und die Mandschurei einen größeren Einfluss zu gewinnen.

Auch das Problem der Übervölkerung im russischen Kernland, dem man durch eine Ansiedlung von Russen in Westsibirien begegnen wollte, sollte mit der neuen Wunderwaffe überwunden werden. Außerdem erhoffte man sich eine Stärkung der industriellen Entwicklung des Landes.

Mit deutscher Hilfe

Mit ähnlich hohen Erwartungen ging auch das Osmanische Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ans Werk, als es begann die "Bagdadbahn" zu planen. Typisch für die damalige Situation des Osmanischen Reiches war, dass europäische Mächte diesen Traum nicht nur früher prominent zu Gehör brachten, sondern auch letzten Endes zum Ideen- sowie Geldgeber dieses Projekts avancierten. Das aufstrebende Deutsche Reich übernahm hierbei das Zepter, nachdem es Ende des 19. Jahrhunderts als neuer, ernstzunehmender Akteur die Bühne der Weltpolitik betreten hatte.

Das europäische Gleichgewicht der Mächte war zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich ins Wanken geraten - England fühlte sich genötigt eine neue "Große Strategie" zu ersinnen und rief sogar zum Truppenrückzug aus seiner Kronkolonie Indien auf - als Deutschland von der schnellsten Verbindung zwischen Europa und Indien zu fabulieren begann. Von England und Frankreich neidisch beäugt, schloss es einen Pakt mit dem Osmanischen Reich. Bald sollten Deutschlands Visionen auch den Sultan von Istanbul heimsuchen.

Es sollte ebenfalls nicht lange dauern, bis mit deutschem Kapital die Verbindung Istanbul-Konia hergestellt werden konnte. Doch stockte der Bauprozess bald, weil wirtschaftliche Probleme und Auseinandersetzungen mit England und Frankreich dazwischen kamen. Erst bei einer Istanbulreise im Jahre 1898 konnte der deutsche Kaiser die Pläne mit Sultan Abdul Hamid II. erneuern. Deutsche Banken waren nun auf sein Geheiß zur Finanzierung des Weiterbaus angetreten, den Auftrag für die Bauausführung bekam die deutsche Baufirma Philipp Holzmann.

Nachdem alle Verträge unter Dach und Fach waren, entstand in Istanbul mit der "Société Impériale Ottomane du Chemin de Fer de Bagdad" die Bagdadeisenbahngesellschaft, die das Projekt innerhalb von weniger als 10 Jahren verwirklichen wollte. Von Konia sollte die Strecke über Adana, Mosul, Samarra, Bagdad bis nach Basra am Indischen Ozean fortgeführt werden.

War die "Bagdadbahn" im Machtvakuum der Imperien geboren worden, so ist ihre Vollendung auf Grund geo-politischer Konflikte zunächst im embryonalen Stadium verhaftet geblieben. Die Wirren des Ersten Weltkriegs verhinderten, dass das Vorhaben planungsgemäß abgeschlossen werden konnte.

Die Reichweite der "Bagdadbahn" bis ins obere Mesopotamien, sowie deren Abzweigungen im westlichen Teil der arabischen Halbinsel, waren zu diesem Zeitpunkt allerdings beachtlich genug, um als Bedrohung empfunden zu werden. Sie wurde zum strategischen Ziel von Angriffen, die das Netzwerk des osmanischen Reiches lähmen sollten. Mit "Lawrence of Arabia" (1962) schrieb sich diese Phase der Bagdadbahn in die Kulturgeschichte ein.

David Leans monumentaler Wüstenfilm zeigt mehrere Attacken der von den Briten unterstützten "arabischen Armee" auf die osmanischen Bahnlinien. Diese Attacken, die als wichtige Erfolge gegen das osmanische Reich dargestellt werden, sind die einzigen Momente im Film, in denen Spuren des türkischen Feindes prominent zu Tage treten. Denn abgesehen von den verhältnismäßig langen Sequenzen, die die "Bagdadbahn" zeigen (Schienen, Lokomotiven, Waggons und Passagiere), wird das Osmanische Reich nur in seltenen Momenten mit spärlichen Aufnahmen von Bombern, Festungen und Soldaten ins Bild gerückt.

So bezeichnend für den Status des Osmanischen Reiches diese Abwesenheit ist, so vielsagend sind Leans Bahnepisoden. Sie führen schließlich vor, wie eng verzahnt die Modelle "Imperium" und "Bahnnetz" gewesen sind. Ja, wie wichtig letzteres für die Entfaltung und das Fortbestehen des ersteren gewesen ist. Der Regisseur suggeriert, dass die erfolgreichen Angriffe auf das Netz, den Fall besiegelt haben.

Die letzten Schienen der "Bagdadbahn" sind schließlich erst nach dem Ersten Weltkrieg gelegt worden. Und als die Strecke Istanbul-Bagdad 1940 erstmals befahrbar wurde, war das Osmanische Reich bereits seit knapp 20 Jahren zerfallen.

Die Ausstellung "Bagdad- und Hedjazbahn" ist in Berlin vom 7. Oktober 2004 bis zum 9. Januar 2005 im Vorderasiatischen Museum zu sehen.