Elfriede Jelinek erhielt den Nobelpreis für Literatur

Ein Gespräch mit der die Öffentlichkeit und die Medien meidenden Schriftstellerin, die sagt: "Sicher wäre es besser gewesen, gar nichts von sich preiszugeben."

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Gestern wurde der Nobelpreis für Literatur des Jahres 2004 der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek verliehen: "für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen".

Sie "verspüre eigentlich mehr Verzweiflung als Freude", sagte Jelinek und werde auch den Preis nicht persönlich entgegen nehmen. Sie wolle nicht "als Person an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden". Sie werde jetzt schnell "abtauchen". Für sie sei, so erklärte sie gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur apa, der Preis auch nicht "als Blume im Knopfloch für Österreich".vorstellbar: "Ich bin zu dieser Regierung auf völliger Distanz. Und ich bin mir nicht sicher, ob sich alle, die sich jetzt mit mir freuen, auch wirklich freuen."

Diese Bemerkungen sind Anlass, ein Gespräch mit Jelinek in Telepolis zu veröffentlichen, in dem es um ihr Verhältnis zu Medien und zur Öffentlichkeit geht, aber auch um Sexualität und Mann und Frau.

Von den Verwundungen...

Frau Jelinek, wie kaum eine andere Autorin meiden Sie öffentliche Auftritte. Trotzdem sind Sie permanent in den Medien präsent. Warum nur diese mediale Präsenz? Warum nicht auch die persönliche Nähe zu Ihrem Publikum?

Elfriede Jelinek: Dieses Zurücktreten ist natürlich schon eine Folge von Medien-Katastrophen, die mir passiert sind. Die will ich jetzt so gut wie möglich um jeden Preis vermeiden. Sie sollen sich nicht mehr wiederholen.

Sie ziehen sich jetzt vor den Medien zurück?

Elfriede Jelinek: Ja! - Was ich ursprünglich nicht gemacht hatte, weil ich sehr zurückgezogen lebe und auch eine gewisse Arglosigkeit Leuten gegenüber habe, die auf mich zukommen. Ich habe aber dann plötzlich gemerkt, dass ich in diesem sehr von 68er-Solidarität inspirierten, positiven Wunsch, etwas zu erklären oder zu vermitteln, mir mehr geschadet habe, als wenn ich mich von Anfang an verweigert hätte. Dann hätte es eben geheißen: Ich bin arrogant und unzugänglich. Aber im nachhinein wäre mir das immer noch lieber gewesen, als die Interpretationen zum Teil durch Dummheit und Indolenz - das passiert eben - in eine falsche Richtung gedrängt zu haben. Vor allem bei Lust hat sich das verheerend auf die Rezeption ausgewirkt, die erst jetzt mühsam im zweiten Anlauf - über die Uni her - ins richtige Fahrwasser kommt.

Warum ich keine öffentliche Auftritte suche, hat wieder andere Gründe. Ich lese meine Sachen öffentlich nicht, weil ich ein so tiefes Schamgefühl empfinde, wenn ich meine Texte - im Übrigen auch allein für mich lesend - diesem exhibitionistischen Akt aussetzen würde. Zum anderen finde ich öffentliche Lesungen lächerlich. Niemand sollte vorlesen. Das ist ein Voyeurismus. Mir hat Ch. Enzensberger einmal gesagt, 68 haben wir einmal geglaubt, dass wir wenigstens die Dichterlesungen hätten abschaffen können. Nicht einmal das ist uns gelungen. Literatur ist nicht dazu da, kollektiv rezipiert zu werden. Das steckt dahinter, dieser Voyeurismus, und dem will ich wirklich nicht erliegen.

Kann man sich denn als Schriftstellerin, die permanent auf Medien angewiesen ist, auf den medialen Transport Ihrer Texte, so einfach ausklinken und verschwinden, wie das Th. Pynchon, dessen Gravitiy's Rainbow Sie mit ins Deutsche übersetzt haben, in Excellenz vorexerziert hat?

Elfriede Jelinek: Pynchon wird wieder auftauchen eines Tages, wie er unlängst gesagt hat. Ich denke sogar bald. Sein Verschwinden wird nicht für sein ganzes Leben Gültigkeit haben. Einem B. Strauss, der das viel konsequenter, von Anfang an intelligenter gemacht hat, wird das auch nicht vorgeworfen. Er lässt sich überhaupt nicht mehr fotografieren, nimmt nicht einmal mehr den wichtigsten deutschen Literaturpreis entgegen und lässt seine Büchner-Preisrede von seinem Lektor verlesen. Da sagt auch niemand, dass sich da jemand verweigert. Ich finde schon, dass man als Frau in einer anderen Weise von der Öffentlichkeit verlangt und eingefordert wird. Die Frauen sind diejenigen, die angeschaut werden. Das ist etwas, wo man eindringt. Sozusagen mehr Körper hat als ein Mann, der sich selbst vergeistigt und damit den Geist in die Flasche zurückziehen kann.

Sie würden auch Ihre Privatheit und Intimssphäre nicht mehr in dieser Häufigkeit und Konsequenz vor den medialen Voyeuristen und ihrem Beifall klatschenden Publikum ausbreiten und sich damit dem medial aufbereiteten Terror der Intimität ungeschützt und nackt ausliefern?

Elfriede Jelinek: Das nie wieder. Das ganz bestimmt nie wieder.

Was mich, ehrlich gesagt, sehr erstaunt und irritiert hat?

Elfriede Jelinek: Gut! - Da könnte man noch vieles darüber sagen, was ich nicht vorhabe. Aber auch das, worüber ich scheinbar bereitwillig Auskunft gegeben habe, ist nur eine weitere künstliche Oberfläche, was zwar mit mir zu tun hatte, aber nicht ich bin. Wie ich wirklich bin, weiß niemand. Das habe ich sehr gut verborgen. Genau wie Pynchon sagt, "im Legen von Spuren, hinter denen man verschwinden kann." Wenn Sie jetzt von einer Zeitschrift kämen, hätte ich Ihnen dies sicher abgeschlagen. Es ist wirklich für ein Buch, und das ist etwas anderes. Ich hoffe, dass es eine andere Gründlichkeit hat.

...einer (mediatisierten) Kunstfigur...

Stand vielleicht hinter allen diesen Selbstinszenierungen, diesen Masken, Rollen und Zeichen auch die Absicht, eine im Sinne J. Baudrillards "hyperreale Kunstfigur" schaffen zu wollen, in der Fiktion und Wirklichkeit, Erzählung und Realgeschichte, Künstler- und Lebensgeschichte so ineinander verschmelzen, dass die Differenz zwischen Wahrheit und Fälschung, echtem und falschem Ich nicht mehr auszumachen ist? Dieses Basteln an einer kunstvoll-künstlich angelegten gelungenen Synthese aus Kunst und Leben, Medien und Kunstfigur, kam mir in den Sinn, als ich viele Ihrer Interviews las.

Elfriede Jelinek: Das war nicht mein Programm. Aber das ist es geworden. Ich habe nicht von Anfang an vorgehabt, jetzt erfinde ich mich für die Medien einmal. Viele dieser Dinge, die da vorkommen, sind einfach falsch. Es ist erstaunlich, was für Idioten man trifft. Man kann den Leuten wörtlich einen Satz diktieren und sie schreiben es nicht. Oder sie verstehen es nicht. Das kommt noch dazu. Es ist einfach unmöglich, - das weiß ich wirklich nach schmerzvollen Erfahrungen -, jemanden etwas zu sagen und zu erwarten, dass er das dann auch schreibt. Es kommen oft die unglaublichsten Sätze heraus (Lachen). Selbst wenn man es nur einer Person sagt. Aber jetzt abgesehen davon. Es ist einfach eine Blödheit von mir, obwohl ich mich immer mit Medientheorien beschäftigt habe und ein ganzes Buch darüber geschrieben habe. Sogar zwei, wenn man es genau nimmt. Ich bin selbst erstaunt über meine Arglosigkeit.

Woher speiste sich aber dann dieser Optimismus, in diesem voyeuristisch-obszönen Spiel mit den Medien als Souverän und Sieger hervorzugehen?

Elfriede Jelinek: Das eine bin ich, das andere sind die Überbauphänomene. Das weitere ist auch das gut erzogene Mädchen, das Leuten Rede und Antwort steht, wenn es etwas gefragt wird. Meinem Charakter fällt es oft schwer, nein zu sagen und etwas schroff abzubiegen. Bloß zu lavieren, ist immer schlecht. Wenn ich von Anfang an besser gelernt hätte, meine Bedürfnisse durchzusetzen, wäre das nicht passiert. Das ist wirklich ein Defekt.

Kann man wirklich sagen, dass es ein Defekt ist? Ich hatte eher den Eindruck, dass Sie als eine der ersten Medienfrauen das vor sich hinwuchernde Selbstlaufsystem der Medien zuzüglich zu ihrer Geilheit nach Bildern und Sensationen sehr früh durchschaut haben und ganz bewusst dieses Medien-Image gesucht haben, um es bis an seine Grenzen auszureizen.

Elfriede Jelinek: Man kann etwas durchschauen und trotzdem darauf hereinfallen. Wenn man selbst etwas verursacht, dann ist man doch sehr ausgeliefert, selbst wenn man etwas - auch im nachhinein - durchschaut, auf was man da eigentlich hereingefallen ist. Ich habe jetzt erst begriffen, dass man diese Leute erst gar nicht an sich herankommen lassen soll. In dem Moment aber, wo man die Türen aufmacht, sind sie immer stärker. Dazu habe ich lange Jahre der Erfahrung gebraucht.

Kann es denn nicht auch sein, dass Sie ab einem bestimmten Moment gesagt haben, gut, wenn das schon so funktioniert, dann liefere ich Ihnen einen herrlich inszenierten, großangelegten Fake? Die Jelinek, den größten Fake der deutschsprachigen Literaturgeschichte?

Elfriede Jelinek: Schön wäre es gewesen! - Das hätte mir gut gefallen. Dann hätte ich wenigstens eine gewisse lustvolle Befriedigung gehabt. Leider habe ich davon nur Ärger gehabt. Und leider habe ich das zu keinem Moment in der Hand gehabt. Dazu bin ich zu wenig selbstbewusst und zu schüchtern. Da muss man mehr Power haben. Meine Rache ist eben die, dass in dem Maße, wie ich mich preisgegeben habe, ich schon genau gewusst habe, was ich sage. Natürlich habe ich mich auch stilisiert als Abwehr letztlich. Wenn man etwas literarisiert, dann gibt es schon ein Übermaß an Künstlichkeit, das mit der realen Existenz nichts zu tun hat.

Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, geschahen diese Strategien des Tarnens, Täuschens und Verstellens auch, um sich so etwas wie einen "letzten Eigenwert" an Wahrheit, Bewegungsfreiheit und körperlicher Unversehrtheit zu erhalten.

Elfriede Jelinek: Sicher wäre es besser gewesen, gar nichts von sich preiszugeben. Das wäre der bessere Weg gewesen. Wie bei Pynchon. Aber bei ihm hatte das einen anderen, spielerischen Effekt. Hier haben aber auch alle mitgespielt. Ihm ist es gelungen, Komplizen wie sogar seinen Lehrer Nabokov, der sich an ihn angeblich "nicht erinnern konnte", auf seine Seite zu ziehen. Mir ist es nicht gelungen, andere zu Mitspielern meines Verschwindens zu machen.

Ist die Organisierung des Verschwindens evtl. für Männer leichter zu verwirklichen als für Frauen?

Elfriede Jelinek: Sollte man einerseits annehmen. Der Voyeurismus auf Frauen ist sicher stärker, auch der sadistische Aggressionsakt des Schauens, "droit de regards", das Recht der Männer. Andererseits sind Männer natürlich mehr Subjekt als Frauen, und ein Subjekt hat es signifikant nicht so leicht zu verschwinden. Die Frau hat dieses Vampiristische, des "Immer-wieder-Auftauchens", wie ich es in Krankheit beschrieben habe. Aber sie verschwinden schon leichter. Sie sind einfach nicht so wichtig im Grunde genommen.

Finden Sie?

Elfriede Jelinek: Ganz sicher!

Ich finde das nicht. Ich würde auch widersprechen, wenn Sie von Frauen behaupten, sie würden sich, wenn sie sich in die Kunstproduktion hineinbegeben, entsexualisieren und Begehren von sich abziehen, während Männer sich dadurch aufladen.

Elfriede Jelinek: Aber genau das macht die Männer noch wichtiger. Den Männern wird eben beides möglich gemacht. Ihre Sexualität durch ihr Schaffen in einer dialektischen Wechselwirkung zu steigern.

Ich denke, eher das Gegenteil ist der Fall. Frauen laden sich geradezu auf mit Erotik, wenn sie Kunst produzieren. Im Vorfeld habe ich darüber mit mehreren Frauen gesprochen und sie haben mir recht gegeben.

Elfriede Jelinek: Viele haben mir schon widersprochen. Ich glaube es trotzdem (Lachen). Frauen werden erotisiert - für Frauen sicher. Für Frauen bin ich auch ungeheuer erotisierend. Das erotische Interesse von Frauen steigt ungeheuer, weil man für Frauen durch schöpferische Produktivität sexuell aufgeladen wird. Aber für Männer nicht. Das kann ich Ihnen versichern. Für Männer bekommt man eher etwas Monströses, würde ich sagen.

Aber kann das Monströse nicht auch sexualisierend wirken?

Elfriede Jelinek: Das erweckt nicht Begehren. Es erweckt höchstens den Wunsch, etwas zu überwinden, einen aggressiven Akt, etwas auszulöschen, eine Person zu annihilieren. - Für Frauen bin ich stark erotisch aufgeladen, das würde ich unterschreiben.

...mit Lust am (weiblichen) Masochismus...

In vielen Interviews werden Sie auch immer wieder einmal nach dem Anteil an "weiblichen Masochismus" gefragt, der sich hinter Ihren Schriften verbirgt. Einem großen Teil bewegter Frauen gilt die Rede von einem "femininen Masochismus" als eine Erfindung der Männerherrschaft. Für eine vergleichsweise geringe Fraktion stellt dagegen der "Masochismus nichts anderes als eine Form der politischen Rebellion" (Kathy Acker) dar. Gemeint ist damit, dass der eigentliche Souverän in diesem Kampfspiel das Opfer ist, das den vermeintlichen Täter bei seinem Tun kühl beobachtet und mit seiner (doppeldeutigen) Botschaft: "Schlag doch zu" sein verschlüsseltes: "Fuck you" zurückspiegelt. Ist das eine Geste, die sich auch bei Ihnen wiederfindet?

Elfriede Jelinek: Wenn man diese Aufsätze zum Masochismus hernimmt, dann ist der Masochist der, der den Sadisten dadurch trägt, dass er spricht und damit formelle Akte setzt, wie Verträge abschließt. Er bestimmt, wann es genug ist mit irgendwelchen Gesten; während der Sadist in dieser Trockenheit, Direktheit und Verbissenheit seiner Begierde - wie Sartre in Das Sein und das Nichts über den Sadismus, den ich zum Teil auch zitiert habe, schreibt - eigentlich unkreativ ist. Wie überhaupt Frauen, wenn sie sich überhaupt ein Herrenrecht anmaßen können als Unterlegene, durch das Sprechen gegen die Aggression angehen können. Es ist auch oft so, dass Vergewaltigungsopfer beschreiben, wie sie einfach durch das Sprechen mit dem Aggressor die Aggression haben abbiegen können.

Drückt sich in einer derart stilisierten "masochistischen Lust" nicht auch jener Wunsch bzw. jene Sehn-Sucht nach Erlösung aus, den das Opfer artikuliert, wenn sein (symbolischer) Tod zum höchsten Einsatz einer Gabe wird, auf die es keine Antwort mehr gibt?

Elfriede Jelinek: Sie meinen diese Selbstvergeudung, die bei Bataille auch immer passiert, diesen Potlatch der Batailleschen Frauen, den Sie sozusagen als Gegenentwurf zu mir setzen? Ich sehe die Batailleschen Frauen nicht als Frauen. Selbstvergeuden kann sich nur jemand, der sich hat. Die Frauen haben sich nicht. Deswegen ist das für mich eine männliche Projektion.

Mich interessiert in der Pornographie stärker die de Sadesche Variante. Ich bin auch eine Moralistin. Bei mir ist es eher ein sozialer bzw. gesellschaftlicher Entwurf, eigentlich eine Machtfrage und ein allgemeiner politischer Protest. Von dieser persönlichen Vergeudung glaube ich, wie gesagt, dass es ein Mythos ist. Die Frau ist nicht diese Unerschöpfliche, die sich so vergeuden kann. Die Frau hat zwar diese Möglichkeit, sich zu reproduzieren. Bei Bataille ist ja auch die Mutter sexuell und erotisch ungeheuer aufgeladen. Aber diese Möglichkeit hat sie auch in der Machtfrage immer. Für mich sind die sich selbstvergeudenden Frauen Batailles eigentlich Männer. Es gibt noch einen Text - er fällt mir nicht ein -, wo ich sagen würde, dass nicht Frauen, sondern Männer gemeint sind. Vor allem bei homosexuellen pornographischen Schriftstellern ist das ganz deutlich für mich. Mit Pornographie meine ich aber jetzt die literarische, nicht die kommerzielle.

War das auch der Grund, warum es Ihnen nicht gelungen ist, einen "weiblichen Sinn des Obszönen" mit sich selbstverschwendenden Frauen zu schaffen, weil es einfach immer Männer werden müssen? Zumindest eine kleine, aber wichtige Gruppe um die Verlegerin Claudia Gehrke bemüht sich ja sehr, diesen Diskurs zu durchbrechen, und die Frau in Umkehrung Ihrer Aussage "zum Subjekt des Genusses ihrer Sexualität" zu machen.

Elfriede Jelinek: Weil es nicht stimmt. Als Frau weiß ich, dass das nicht stimmt. Wahrscheinlich ist das der Grundwiderspruch, der zwischen uns herrscht. Ihre Meinung werden Sie hoffentlich einmal artikulieren. Es ist schon interessant, es begegnet mir ja auch immer, dass ich einfach ein anderes und sehr viel hoffnungsloseres Frauenbild habe. Ich habe wirklich oft das Gefühl, dass Männer versuchen, ihren Mythos von der Frau für sich noch zu retten. Ich kann das nicht. Selbst als Frau nicht.

Man kann auch nur lachen über die verzweifelten Versuche anderer Frauen, die Frau als Subjekt ihrer Lust, als Herrin ihrer Lust, auch als Herrin über männliche Lust zu retten. Es ist bis jetzt immer kläglich schief gegangen. Wieso gibt es denn keine literarisch relevante weibliche pornographische Literatur? Die Claudia Gehrke hat es versucht. Es ist sehr verdienstvoll, was sie macht und auch sehr wichtig. Ästhetisch sind diese Versuche aber total missglückt. Ich habe mich damals sehr an der PORNO-Kampagne engagiert. Sicher nicht immer mit den richtigen Bundesgenossinnen. Aber ich würde das jederzeit wieder tun. Dazu stehe ich.

Aber diese Gegenbewegung, die sagt, Frauen müssten noch lustvoller werden und erotische Literatur dem entgegensetzen, ist einfach misslungen. Wenn etwas im Sein nicht stimmt, dann kann es auch in der Überbauproduktion, also im Bewusstsein nicht stimmen. Es ist keine einzige Geschichte von diesen Geschichten, jetzt nicht nur aus literarischen Gründen, nicht gelungen, weil die Frau nicht Subjekt ihrer Lust ist. Die besten, wie die Pauline Réage haben das auch erkannt. Deswegen stimmt auch Die Geschichte der O ästhetisch. Auch wenn die Behauptung umgeht, dass ein großer Teil der Phantasien von einem Mann verfasst worden ist. Aber auch eine Anais Nin ist kläglich gescheitert. Wobei ich überhaupt meine, dass ihre Kinderbiographie noch am interessantesten ist.

Sie sagen also voraus, dass C. Gehrke mit ihren Bemühungen, "eine neue erotische Kultur zu schaffen" scheitern wird? Sie macht dieses Jahrbuch Mein heimliches Auge schon seit einigen Jahren und ist sehr stolz, dass jetzt mehr Frauen mitschreiben als Männer.

Elfriede Jelinek: Das kenne ich nicht. Ich kenne das PORNO-Konkursbuch extra und PORNOST, hrsg. von Brigitte Classen, einer guten Freundin von mir. Auch das ist total untergegangen für mich. Da ist jede billige kommerzielle Pornographie besser, als das, was da produziert worden ist.

Zumindest ist Claudia Gehrke mit ihren Büchern sehr erfolgreich.

Elfriede Jelinek: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin auch sehr erfolgreich gewesen mit meinem Buch (Lachen). Aber deswegen stimmt das trotzdem ästhetisch nicht für mich, was da produziert wird.

...eines (unmöglichen) Begehrens...

Wenn wir schon bei Lust und diesem weiblichen Gegenentwurf zu G. Batailles Geschichte des Auges sind, dem jegliche erniedrigende und entwürdigende Darstellung der Frau fehlt, wenn es um "die Lust um der Lust willen" geht, d.h. um die Überschreitung von Verboten oder Gesetzen...

Elfriede Jelinek: ...der Mann erniedrigt sich und wird erniedrigt, ob es der Priester ist oder der Offizier...

...ist Ihr Buch zu einer wahren Hasstirade auf das männliche Geschlecht geworden. Mir war ehrlich gesagt, nach Vergleich dieser beiden Texte, - wobei ich zugeben muss, bei Lust nur die ersten 20 Seiten geschafft zu haben -, nicht ganz klar, warum diese Suche nach einem "weiblichen Sinn des Obszönen" in diese depravierende und demütigende Sicht der Frau umschlagen musste.

Elfriede Jelinek: In der Sexualität spiegeln sich die Machtverhältnisse der Gesellschaft am reinsten und unverstelltesten, wie auch de Sade gefunden hat. Wenn Bataille die Männer demütigt, so ist das natürlich der uralte Wunsch des Herrn, gedemütigt zu werden. Und zwar aus der Sicht einer Frau. Das ist der geniale Trick Batailles. Er beschreibt die weiblichen Herrscherinnen fast wie in einer Rollenprosa mit dem Blick des Mannes, der eine Frau ist, die den Mann demütigt. Bataille muss sich nicht als Gedemütigter beschreiben, sondern er kann die Männer durch das Prisma der Frauen als Gedemütigte beschreiben. So hat er seinen doppelten Triumph. Der Triumph des Masochisten.

Es ist eine Tatsache, dass zu Dominas vor allem Männer, aber auch Frauen gehen. Die anderen, die sowieso immer gedemütigt wurden und werden, kriegen keinen Kick davon. Das ist die Realität, solange die Machtverhältnisse in der Gesellschaft so sind. Und Lust war eher ein gesellschaftlicher Entwurf, kein privater. Manchmal ist es schon neurotisch, wie ich das Private immer wieder wegreiße.

Die Leute, die das gekauft haben in so großer Zahl, haben das aus einem großen Missverständnis heraus getan, zu dem ich leider auch stark beigetragen habe. Leider. Darüber werde ich lange nicht hinwegkommen. Das ist fast eine Lebenskatastrophe.

War vielleicht der Hass auch deswegen so groß, weil Sie die Männer eigentlich lieben?

Elfriede Jelinek: Ich würde nicht sagen, dass ich Männer hasse. Ich würde sagen, dass ich Macht hasse, die von Männern repräsentiert wird. Ich bin Opfer wie jede Frau. Vielleicht bin ich nicht das Opfer eines Mannes, der mich besoffen prügelt und vergewaltigt. Sondern ich bin das Opfer der patriarchalischen Kultur, die genauso brutal ist, wenn sie auch sanft die Peitsche schwingt. Ich unterliege wie alle anderen Künstlerinnen ihrer Kultur, die den Frauen keine großen Kunstschöpfungen zutraut. Meine Bücher liegen im Hugendubel am Frauentisch - alle.

Sicher nur ein winziges Beispiel, das aber schlagend ist. Ich ärgere mich jedes Mal. Ich stehe dazu und bekenne mich zum Sozio-Feminismus. Aber dass diese Bücher in diesen Reservaten liegen, wo auch Bücher liegen, die nichts mit Frauenfragen zu tun haben, wie diese "Lockvögel" - das ist es. Das sind Demütigungen, die gehen bis ins Kleinste und Privateste, die sich ein Mann wahrscheinlich nicht einmal vorstellen kann. Ich habe heute mit Ria Endres, die eine Uraufführung in Bremen hatte, telefoniert. Was die mir für Geschichten erzählt. Was die sich von Journalisten alles sagen lassen muss mit welcher Verachtung! - Wieso die Regisseurin, die sehr gut ist, dieses blöde Stück gemacht hat? - Na ja, weil es von einer Frau ist, aus weiblicher Solidarität. - Das ist eine unglaubliche Unverschämtheit. Wie eine Frau, eine sehr renommierte Schriftstellerin, sich so etwas sagen lassen muss. Das ist eine endlose Empörung. Wenn Frauen mir sagen, dass ich ein schiefes Bild von der Gesellschaft male, belügen sie sich.

Über das weibliche Begehren sagen Sie, es könne sich nur in der Auslöschung realisieren. Deshalb ließe sich auch die weibliche Lust nicht zusammen mit einem Mann steigern; deshalb wäre auch nichts mehr möglich zwischen den Geschlechtern, weil das eine Begehren immer das andere zum Verlöschen bringe. Mich würde interessieren, von welcher Lust Sie hier sprechen, wenn Sie vom Verlöschen des Begehrens in diesem Zusammenhang sprechen?

Elfriede Jelinek: Wenn ich gesagt habe, zwischen den Geschlechtern ginge nichts mehr, so war das sicher überspitzt formuliert. Ich spreche von der Lust des Sekundären. Damit meine ich nicht Lust an der Unterwerfung, sondern Lust in der Unterwerfung. Wenn sich das weibliche Begehren nur dadurch realisieren lässt, dass es sich auslöscht in dem Moment, wo es sich selbst in einem aktiven Akt zu einem zu Begehrenden machen muss - sich gleichzeitig aus sich herauswerfen und wieder zurückholen - , würde ich das so definieren. Jedenfalls ist der Frau nicht gestattet, in der Lust ein begehrendes Subjekt zu sein. Alles andere ist Lüge. Davon bin ich überzeugt. Wenn Frauen mir mit großer Aggressivität begegnen und sagen: Wir können doch Typen aufreißen. Wir können es doch! - Das stimmt nicht. Sie können es nur, indem sie sich gleichzeitig auch wieder verleugnen und verneinen.

Funktioniert dieses Erstarren des Begehrens aber nicht auch umgekehrt. Ich erinnere an Das Bad der Diana (P. Klossowski), bei der der Jäger Aktaion, nachdem er sich seinem Objekt der Begierde genähert und es nackt und ungeschützt erblickt hatte, in einen Hirsch verwandelt wird. Konkret gefragt: Gilt dieses Auslöschen des Begehrens nicht für beide Geschlechter?

Elfriede Jelinek: Gut! - Aber das war eine Göttin, die er betrachtet hat, keine sterbliche Frau. Göttner-Abendroth hat beschrieben, wo der Mythensprung, der Übergang ist. Genauso wie in den antiken Tragödien, welche Übertretung jetzt die größere ist, wenn die eigentlich periphere Übertretung des Gattenmordes von Orest nach altem Recht durch die viel größere Übertretung des Muttermordes gesühnt wird. Hier sieht man schon, wie die Übertretungen, die Wertsysteme angelegt sind. Selbst wenn man nicht sagt, dass es eine Göttin ist, so war es doch die Frau zu einer Zeit, wo Frauen ihre Macht noch hatten. Diese haben sie aber längst verloren. Vielleicht werden sie diese wieder bekommen. In der jetzigen Phase des Umbruchs kann ich mir schon vorstellen, dass der Frau wieder mehr Macht zuwachsen wird, nachdem von den Männern alles zerstört worden ist.

Das klingt gar nicht so hoffnungslos?

Elfriede Jelinek: Ja! - Aber ich werde es nicht mehr erleben. Insofern ist es doch wieder hoffnungslos. (Lachen). Ich wollte, ich würde es noch erleben. Ich habe das aber für mich abgeschrieben. Solche Veränderungen dauern lange. Die wichtigsten Kulturleistungen, denke ich, sind sowieso eher von Frauen gemacht worden. Nur zählen diese nicht. Die Männer haben sie sich angeeignet.

Wie könnte denn diese verschüttete Macht wiederangeeignet werden?

Elfriede Jelinek: Indem die Welt so herunterkommt, dass es nicht mehr weitergeht. Diese krasse Vergeudungswirtschaft hat alles kaputt gemacht. Frauen sind sicher nicht friedfertiger. Es ist untersucht worden. Sie sind es nicht. Im Kollektiv gesehen sind die Hervorbringungen von Frauen nicht in dem Maße organisierend aggressiv. Im militärisch-industriellen Komplex gibt es keine Frauen. Jetzt erst kommen langsam Frauen in die Forschung, in die Informatik zum Beispiel. In der praktischen Anwendung gibt es sie - als Gruppe - nicht.

Ich habe nicht das Gefühl, dass Frauen, wenn sie in solche Organisationen eintreten und das Zepter wieder in die Hand nehmen würden, entbrutalisierend wirken würden. Mein Eindruck ist eher, dass sie sich den dort herrschenden Strukturen erst recht unterwerfen.

Elfriede Jelinek: Zumindest scheinen sie kein großes Interesse zu haben, sich überhaupt dort hineinzubegeben. Es ist nicht so. Wenn da gute Frauen wären, würden sie doch eingestellt. Frauen haben kein Interesse, in so einem Bereich zu arbeiten. Es gibt hier - ich will nicht mythologisieren - eine kulturelle Schamgrenze. Organisation von Vernichtung auf breitester Basis ist nicht unbedingt ihre Praxis.

Ich möchte noch einmal zum Begehren zurückkommen, von dem wir jetzt leicht abgeschweift sind. Zum Verfehlen des Begehrens in jedem Fall. Ich glaube, wir sollten uns nicht mit der hoffnungslosen Botschaft Lacans, sich mit dem Verfehlen des Begehrens, der Mangelsituation, der Kastration, dem Gesetz oder dem Todestrieb abfinden und uns mit ihm arrangieren. Ich würde in diesem Fall für G. Deleuze plädieren, der nicht von einem zu wenig, sondern von einem zuviel an Begehren ausgeht. Wäre es da nicht hilfreicher, für eine "Positivität des Begehrens" einzutreten und "neue Formen des Begehrens" zu erproben.

Elfriede Jelinek: Daraus würde eine Positivität des Nicht-Begehrens folgern, die Wunschlosigkeit des Nicht-Begehrens. Das hört sich fürchterlich an. - Jetzt wo der Kapitalismus gesiegt hat, ohnehin nicht. Der Kapitalismus hat sein System durchgesetzt, das sich nur durch dauerndes Begehren am Leben erhält. Er kann es nicht ertragen, wenn sein Profit kleiner wird. Der Profit muss immer größer werden, immer weiter wachsen. Fast etwas Pflanzenhaftes.

Aber warum folgen Sie gerade hier dem "Diskurs eines Herrn" (Lacan)?

Elfriede Jelinek: Das ist mir dann aber nicht bewusst. Mich haben bei Lacan besonders die frühen Sachen sehr interessiert (Le cas Aimée, Le crime des saurs Papin). Vor allem die kriminalistischen. Kriminalfälle sind typische Ventile, in der die Gesellschaft ihre Brutalität zusammenballt, die dann aus den Dingen hervorschießt. Ansonsten habe ich Lacan kaum gelesen, muss ich gestehen.

...ohne Liebe?...

Wenn es schon nicht zu einer Begegnung, sondern immer zu einem Verfehlen der Geschlechter kommen muss, könnte es dann wenigstens in Ihren Augen zu einer gegenseitigen Annäherung und Anziehung kommen, etwa auf der Ebene der Sprache, der Liebe, oder der Verführung? Baudrillard zufolge produziert zumindest "die Verführung den Schein, um so dem Begehren des anderen auszuweichen" und dessen Zwecksetzung zu durchkreuzen?

Elfriede Jelinek: Vielleicht! - Eva Meyer hat dieses Wie es euch gefällt geschrieben. Dort spricht ein Mann ununterbrochen zu einer Frau. Er versucht, sie in seinem Sprechen einzufangen und zu umzingeln. Obwohl beide am Schluss etwas davon haben, ist sie dieses Mal die Stärkere. Hier zeigt sich diese neue Art des Spielerischen, Unentschiedenen und Unentschlossenen.

Meine literarische Technik ist dagegen eine der Überzeichnung und der Übertreibung. Deswegen ist das nicht mein Fall. Meine Arbeit schildert die Dinge sehr scharf, mit scharfen Schlagschatten und durchaus einseitig. Genauso wie Th. Bernhard es vor seinem Tod gemacht hat. Inzwischen finde ich, dass er nicht übertrieben hat. Absolut realistische Abbilder der österreichischen Gesellschaft (Lachen).

Von meinen literarischen Intentionen her, kann ich mich der Wirklichkeit mit dieser Ungerechtigkeit nur in der Schwarz-Weiß-Technik stellen. Auch ein de Sade hatte Gesellschaftsvisionen. Die Sachen de Sades sind einerseits auch vollkommen wahnwitzig und gerade durch die Masse der gebrauchten und verbrauchten Körper völlig unrealistisch, aber als Gesellschaftssyndrom und -topos in ihrer Schärfe oft zutreffend. Was ich kann, ist schreiben. Und was ich kann, sind diese überspitzten, zum Teil auch satirischen oder, sagen wir, sarkastischen Schilderungen.

Bei de Sade ist es aber doch auch so, dass der Libertin, der diese Techniken am Körper des anderen oder auch an sich anwenden lässt, dies nur im Einverständnis mit dem anderen macht, da nur dann sein Genuss die höchste Stufe erreicht, die ihm maximale Lustbefriedigung verschafft.

Elfriede Jelinek: Nun gut! - Aber die Libertins, die sich die Körper aneignen, sind immer nur wenige - hohe Richter, hohe Aristokraten, die hohe Geistlichkeit. Sie sind diejenigen, die sich diese Heere von Körpern aneignen. Es gibt zwei Klassen von Libertins: die kleinen, die irgendwann einmal auch Opfer werden; und die, die sich immer die Körper aneignen.

Sie würden das durchaus als realistische Beschreibung dieser Gesellschaft akzeptieren?

Elfriede Jelinek: In aller ihrer Massierung. Der Feudalismus an seinem Ende war von einer so ungeheuerlichen Diskrepanz zwischen Besitzenden und Besitzlosen offenbar geprägt, dass nur die ungeheuerlichsten Bilder dem, wenn auch nur paradigmatisch als Gleichnis, gerecht werden konnten. Das macht die Größe de Sades aus. Wenn feministische Theoretikerinnen sagen, dass er selbst Frauen geschändet und missbraucht hat, und das wirklich zu seiner Lust geschrieben hat, ist das nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es ein großer literarischer und moralischer Entwurf.

Aber noch einmal zurück zur Liebe, weil mich das doch sehr interessiert. Wenn sie im Anschluss an I. Bachmann von der Unmöglichkeit der Liebe sprechen, weil sie nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist, müssen Sie, um überhaupt das aussprechen zu können, einen Begriff von Liebe im Kopf haben. Können Sie mir den nennen?

Elfriede Jelinek: Wenn die Frau als Unterlegene dieser Gesellschaft überhaupt eine Möglichkeit der Kreativität oder Liebe besitzt, dann ist es die zu Kindern. In Malina ist die Mutter im Traum die Komplizin des Vaters. Sie wird dadurch noch schrecklicher als der Vater, weil sie dem Kind die unbedingte Solidarität verweigert. Dieses Schlupfloch, das die Natur der Frau belassen hat, und worauf sie in allen Definitionen immer fixiert wird, ist das Gebären. Ich habe kein Kind. Ich könnte mir aber denken, dass das die unbedingteste Liebe ist. Das zeigt sich auch. In der Philosophie taucht sehr selten die Liebe des Vaters zu Kindern und Söhnen auf. Ich glaube bei Lévinas. Zwischen Männern und Frauen kann ich mir das schwer vorstellen. Das ist eine andere Art von Ungleichheit.

Ist es denn nicht gerade unser unvermeidlicher Weg, das "Unmögliche zu wollen", wie G. Bataille sagt, und dem unabschließbaren, unstillbaren Begehren ohne Wenn und Aber nachzugeben?

Elfriede Jelinek: Wollen kann man es auch politisch (Lachen). - Im Moment schaut es nicht so aus, als ob es uns sehr viel gebracht hätte. Im Blochschen Sinn, dieses utopische Moment, das man immer etwas anstrebt, von dem man weiß, dass es sich nicht erreichen lässt.

Für meine Literatur - nicht für mein Leben, davon rede ich nicht - ist es schon interessanter, die Täter und die Opfer immer wieder zu benennen, und erst einmal diese schreckliche Ungleichheit aufzuheben, bevor man sich auf die Schilderung von Gefühlen einlassen kann.

Wäre es denn ein gangbarer Weg für Sie, ähnlich wie K. Acker zu versuchen, den ganzen theoretischen Ballast von Freud, Lacan etc., der, so mein Eindruck, neben sehr viel Einsichtigem, auch ebensoviel Reaktives enthält, und unser Reden, Wünschen und Handeln knebelt, abzustreifen und "neue Mythen romantischer Liebe" zu schaffen?

Elfriede Jelinek: Viele kommen jetzt auf die neuen Mythen. Ich finde es aber falsch, wenn man als Frau, die selbst schon eine männliche Projektion, ein Mythos ist, jetzt neue weibliche Mythen schaffen wollte. Ob uns das weiterbringt, neben die alten Götter nun Göttinnen zu stellen, weiß ich nicht.

Wir sollten uns eher der Mithilfe verweigern. Meine Arbeit ist ein geradezu fanatisches Beenden der Mythen, ganz im Bartheschen Sinn. Den Dingen ihre Geschichte wieder zu geben oder ihnen die Maske der Unschuldigkeit herunterzureißen. Die Liebe beschreibe ich sehr oft, aber ich beschreibe sie immer als ein Arbeitsverhältnis im ehelichen Vertrag eines Herr-Knecht Verhältnisses. Das bringt die Leute wohl am meisten gegen mich auf, wenn ich diesen liebsten Mythos von allen geradezu zwanghaft zerstören muss.

...die (verschwundenen) Frauen...

Über die Frau sagen Sie, sie hätte "keinen Ort" in dieser gesellschaftlichen Realität. Sie komme in den Repräsentationssystemen des Denkens und der Kunst nicht vor. In Frontstellung zu L. Irigarys Definition der Frau als "Spiegel des anderen Geschlechts", behaupten Sie, dass in diesem Spiegel nichts zu sehen wäre. Ist diese Nicht-Existenz nicht auch gerade das große Plus der Frau? Denn wenn sie nicht existiert, nicht sichtbar gemacht werden kann, und nur in den Zwischen- und Randzonen aufblitzt, kann sie realiter auch nicht von den phallozentrischen Diskurssystemen einverleibt und unterdrückt werden. Müsste man, von daher gedacht, nicht viel stärker für den Erhalt dieser Unsichtbarkeit eintreten, anstatt den Wünschen nach weiblicher Repräsentanz bzw. Identität oder Subjektivität nachgeben?

Elfriede Jelinek: Ich glaube, es wäre eine Gratifikation von mir, wenn sie in diesen Zwischenräumen auftauchen könnte. In der Krankheit habe ich das Bild des Vampirismus gefunden. Etwas, was nicht ganz tot und nicht ganz lebendig, nicht ganz da und nicht ganz fort ist. Wie Eva Meyer so schön sagt: Die Frau, die immer wieder auftaucht, beschäftigt, wie sie ist, mit dem Verschwinden. Das ist ein schönes Bild. Ich würde mich auch gerne daran freuen können (Lachen). In die Freude mischt sich aber immer, wenn man die Realität der Frauenbewegung betrachtet, ein Wermutstropfen. Sie taucht in den romantischen Liebesentwürfen als Objekt zwar immer wieder auf. Dem steht aber eine solche Missachtung gleichzeitig gegenüber. Leider kann ich keine positiven Entwürfe liefern.

...am Ende eines Selbstzerstörungsprozesses...

Sie haben schon auf das Vampir- und Zombiehafte der modernen Frau, wie Sie sie in Ihrem Endzeitstück Krankheit oder Moderne Frauen charakterisieren, hingewiesen. Interessant fand ich, dass Sie sie den untoten Marionetten- und Maschinenfrauen L. Sacher-Masochs bis ins Detail nachstellen. Kann dieser ambivalente Entwurf der modernen Frau, die sich willentlich entkörperlicht, entwirklicht, von ihrem realen Körper getrennt hat, als der von Ihnen einzig für möglich gehaltene Weg fortschreitender Emanzipation der Frau gelesen werden? Denn trotz ihres erstarrten Blicks, ihrer Mimesis ans Tote, die nachts ihr Grab verlässt und das schale Blut der Männer trinkt, hat sie sich zumindest von ihrem biologischen Sein, der Gebärfunktion, der stärksten Form ihrer Knebelung, befreit.

Elfriede Jelinek: Wenn einem Sacher-Masoch ein wohliger Schauer über den Rücken läuft, oder wenn die Frauen aus dem Grab kommen und die Männer aussaugen, so ist das der Beweis dafür. Der Masochist ist der bestimmende Teil. Er versucht, seine Phantasien möglichst unter Kontrolle zu halten bzw. die Fantasien des Partners zu bestimmen. Meistens geht es in diesen Herr-Knecht Verhältnissen der Ehe nicht darum, dass der Masochist die Seele bestimmt und das mit aller brutalen Gewalt.

In der Klavierspielerin scheitert E. Kohut nicht an der Beschreibung, wie sie gerne unterdrückt werden möchte. Sie scheitert, weil sie sich die Herrschaftsrolle anmaßt und gleichzeitig Subjekt und Objekt sein will. Das durchschaut sie nicht. Damit löst sie bei einem ganz normalen jungen Menschen einen Sadismus aus, dem sie dann unterliegt.

In den meisten anderen Verhältnissen geht es aber nicht um rituelles Spiel, um ritualisierte Erkenntnisse oder Sprache. Sondern es geht, wie in Lust beschrieben, um das Sein. Und das ist nach wie vor brutal.

Was aber doch erstaunt, ist, dass diese Abstraktionsbewegung von der neuesten Frauenbewegung mitforciert und mitvollzogen wird. Genaugenommen beteiligen sich Frauen mit an dieser Enteignung ihres Körpers, wenn eine Vordenkerin wie L. Irigary ein "Recht auf Virginität", auf Reinheit und Unversehrtheit, und damit eine neue Form ihrer sozialen und kulturellen Codierung fordert.

Elfriede Jelinek: Mein Mann, der Techniker ist und Freude hat an allem, was machbar ist, sagt das auch. Frauen würden sich dadurch befreien. Ich sehe das nicht so. Die Männer werden nicht Ruhe geben, bis diese letzte Bastion, wo Frauen noch Macht und Herrschaft ausüben, gefallen ist und sie selbst gebären können. Diese Verbundenheit mit dem Kind ist eine wirkliche Macht, auch wenn man die Frauen nicht auf ihre biologische Funktion reduzieren oder fixieren darf. Genauso eine Macht, wie die katholische Kirche, die Frauen entsetzlich unterdrückt, gefoltert und verbrannt hat, und nicht einmal zum Altardienst zuläst. Die evangelische Kirche ist da anders. Die großen spirituellen Erfahrungen, die die Körper aus sich herausreißen, hat nur die katholische Kirche. Man denke nur an eine Teresa von Avila oder andere große Mystikerinnen.

Wenn wir schon bei der hl. Teresa sind. Nach Lacan ist die Frau das Geschlecht, "dass nicht eins", sondern mehr, vieles ist. Sie ist nicht vom Gesetz der Kastration betroffen, schreibt sich folglich nicht in sein Gesetz ein und situiert sich außerhalb von Kastration, Subjektivität und Sublimation. Jenseits der phallischen Ordnung wäre ein anderes Begehren in Form eines anderen Genießens möglich und denkbar. Was wäre für Sie dieses "Mehr", was für Sie das "andere Genießen" der Frau, und wie könnte frau in dieses Jenseits gelangen?

Elfriede Jelinek: Da müsste ich nachdenken. Das ist schwierig. Zur Zeit Teresas von Avila war der Glaube an Gott noch so - auch bei ihrem Lehrer Johannes von Kreuz, dem ich ein Motto für Lust entnommen habe -, dass diese Äußerste sexuelle und a-sexuelle Vereinigung, nämlich die Vereinigung der Seelen mit Gott, noch möglich war. Von diesen spirituellen Erfahrungen ist man inzwischen etwas abgekommen. Es gibt Sekten, und es ist unglaublich, wie Leute hinter den wahnwitzigsten Gebilden herlaufen, weil sie offenbar diese Spiritualität vermissen.

Wahrscheinlich ist die Frau ein Wesen, bei dem im Inneren Dinge vorgehen, vor denen der Mann Angst hat. Eines der zahllosen Beispiele, wo ein Mann in panische Angst verfällt, weil er die Säfte nicht sehen kann, die im Körper einer Frau sind, dokumentiert der frz. Historiker Michelet. Man muss sie aufschneiden, um zu sehen, was drinnen ist. Ihre Lust ist nicht durch den Phallus repräsentierbar. Etwas was nach innen geht, sich innen abspielt, und worauf die Gesellschaft keinen Zugriff hat, könnte ich mir schon vorstellen. Ich sehe aber nur wenige Möglichkeiten zu diesen Erfahrungen in diesem jetzt gesiegt habenden kapitalistischen System. Immer wieder haben Frauen dazu Zugang. Da müssten sich die Frauen aber, mit einer anderen Art von Macht und Verbundenheit untereinander, zu einem kollektiven Körper verbinden, um das zum Tragen zu bringen.

Gäbe es denn für Sie ein "anderes Genießen"?

Elfriede Jelinek: Ich habe durchaus solche starken spirituellen Erlebnisse gehabt. Ich war sehr katholisch und bin auch so erzogen worden. Bis in die Pubertät habe ich sehr intensive Gotterlebnisse gehabt. Von diesem Versenken in sich habe ich schon eine Ahnung. Vielleicht wird das die Frau wieder hinführen, einfach loszulassen von diesem krallenden Griff nach Erfolg, nach Selbsterfahrung und Ratgebern. Nichts verdeutlicht krasser ihre Unterlegenheit, als diese wahnsinnige Menge an Büchern, wo Frauen alles über Männer erfahren. Das kaufen keine Männer. Die Herrscher brauchen nichts über sich zu erfahren, der Diener muss sich damit beschäftigen. Von diesem Wunsch, in die Männer einzudringen, abzulassen, und in sich einzudringen, das vielleicht.

Aber gibt es die repressive Funktion des Phallus noch? Der Phallus ist doch auch schon längst dekonstruiert. Dieser Allmachtsanspruch und die dahinter verborgene Manneskraft ist doch eher bescheiden und kläglich, und hält lange nicht das, was ihr angedichtet worden ist. Vielerorts gibt es doch Klagen von Feministinnen über einen hysterisierenden Mann, der aus Angst vor der begehrenden Frau buchstäblich seinen Schwanz einzieht?

Elfriede Jelinek: Das ist aber nicht Angst vor dem Begehren, sondern Angst vor einer Frau, die sich mehr anmaßt, als das Patriarchat ihr zugestehen will. Wenn Feministinnen oder frauenbewegte Frauen das beklagen, beklagen sie genau das, was ich sage. Ihre Überschreitung wird durch Entzug des Phallus bestraft. Schaut man sich die Vergewaltigungsstatistiken an, so ist das Land mit der höchsten Kultur auch das Land mit den höchsten Vergewaltigungsziffern. Hier kann man nicht sagen, dass der Phallus seine Macht verloren hätte. Das ist die Realität. Wenn man sich diese Statistiken anschaut (Lachen), dann könnte noch etwas mehr Dekonstruktion stattfinden.

Das andere ist eine Enklave, in der wir uns bewegen und in der wir, wenn wir uns zuviel anmaßen, mit dem Entzug des Phallus bestraft werden. Das ist eher eine Marginalie.

...wo nichts mehr geht (?)...

Über die Hoffnungslosigkeit, was das Aufhalten dieses Entwirklichungsprozesses, und damit auch die Veränderung unseres gesellschaftlichen Seins angeht, über das Verstopfen von Schlupflöchern und die Dekomponierung des Subjekts, haben wir schon gesprochen. Auch darüber, was die Umkehrung des spiegelbildlichen Blicks aus der Opferperspektive und die daran anknüpfende Suche nach einer "positiven Ordnung des Weiblichen" betrifft.

Mich würde interessieren, wie sie bspw. diese eigensinnigen Bewegungen einer Eva Meyer, die uns von einer Autobiographie der Schrift, einer immer wieder neuen, aber jedes Mal anderen Selbstschreibung des Lebens erzählt, im Gegensatz zu ihrer eigenen "Thanatographie der Schrift", die nur noch das Bezeugen "ewigen Scheiterns" zulässt, einschätzen würden. Ich frage das auch, weil Sie ihr das erwähnte Theaterstück übereignet haben.

Elfriede Jelinek: Die Eva ist für mich eines der wenigen positiven Beispiele. Sie hat auch in der Theorie so eine Anmut. Sie ist die einzige Frau, wo ich sagen würde, das könnte der neue Mensch sein. Sie beherrscht es, ohne Hass und Aggression die Dinge einzuschreiben.

Ich kann das nicht. In mir steigt immer nur Wut hoch. Ich kann immer nur dreinschlagen. Ich kann nicht differenzieren. Das ist eine literarische Methode gegen die andere. Beurteilt man sie, so muss man sich schon in den ästhetischen Rahmen dieser Technik begeben und kann mir nicht vorwerfen: Das ist übertrieben. Sie sind eine Übertreibungskünstlerin oder Übertreibungstaktikerin. Nun schließt das aber nicht aus, dass theoretisch auch etwas gefunden wird. Ich hoffe, dass es dann und wann zum Tragen kommt und wirklich ins gesellschaftliche Sein durchschlägt. Ich beschäftige mich sehr mit proletarischen Quellen. Vielleicht unterscheidet mich das auch von vielen Autorinnen. Mich interessiert, wie die Menschen wirklich leben.

Das ist im Übrigen, wie ich finde, wirklich ein Kennzeichen vieler frauentheoretischer Arbeiten. Proletarische Frauen kommen nicht mehr vor. Sie sind verschwunden.

Elfriede Jelinek: Das ist entsetzlich. Mich interessiert in erster Linie das gesellschaftliche Sein, wobei es mir auf das ganz unten ankommt, wo das Begehren des anderen und die Aggression, die aus der Frustration der Machtlosigkeit kommt, sich durcharbeitet, bis unten eben etwas ist, wo es nicht mehr weitergeht. Das sind die Frauen, die ihre Kinder...,wo eine Mutter ihre äußerste Liebe gegen das Kind kehrt, weil sie die Aggression weitergeben muss, ihr Körper diese nicht mehr abfangen kann.

In Ihren Übereignungen taucht auch an exponierter Stelle der Name J. Baudrillards auf. Er gilt nach einem bösen Wort eines Kritikers als der "Gassenhauer des Posthistoire", wo nichts mehr geht, nichts Gravierendes mehr möglich ist, weil alle Befreiungen schon eingetreten, schon realisiert sind: politische Befreiung, Befreiung der Produktiv- und Destruktivkräfte, Befreiung der unbewussten Triebe, sexuelle Befreiung, Befreiung der Frau etc. Glauben Sie auch, das die Katastrophe uns schon überholt hat, der "point of no return" überschritten ist? Für Sie auch der Punkt, wo nichts mehr geht, insbesondere auch für die Frauenbewegung?

Elfriede Jelinek: Ich finde, es geht schon lange nichts mehr (Lachen). Diese Endzeit dauert schon lange. Ich sehe nicht, wie man da herauskommen kann. Im Moment weiß ich eigentlich nicht weiter. Im Moment kann man eigentlich auch nicht schreiben. Ich sehe, ganz im Pynchonschen Sinn, die Entropie im fortschreitenden Maße. Die Unordnung, den Wärmetod des Universums. Alle Moleküle haben die gleiche Temperatur. Ein entropischer Prozess hat eingesetzt mit diesem Ende der Geschichte.

...in Zukunft auch für die Frauenbewegung?

Vom Feminismus wird auch gesagt, er wäre vorbei. Sicher liegt das zum Großteil an seiner Etablierung und Institutionalisierung im öffentlichen Raum, weil bestimmte Kämpfe nicht durchgehalten und weitergetrieben, sondern von einem reformistischen und egalitaristischen Feminismus vereinnahmt wurden. Ist für Sie die Frauenbewegung auch an ihr Ende gekommen? Gibt es für Sie noch Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnen würde?

Elfriede Jelinek: Nein! Im Gegenteil! - Ich habe jetzt erst in der Weltwoche ein Interview mit einer Schweizer Prostituierten gelesen. Sie sagt dort, dass durch die Gewaltpornographie Männer, die nie sehr phantasievoll waren, jetzt plötzlich für das selbe Geld, das sie sonst für einen Normalfick bezahlt haben, Extras wollen. Aber nicht solche, die sie sich selbst ausgedacht hätten, - sie können sich nicht einmal ein Geburtstagsgeschenk für Frauen ausdenken - , sondern die sie in diesen Filmen gesehen haben. Auch in der Prostitution fände eine unglaubliche Brutalisierung statt. Die Mädchen hätten richtig Angst. Die Professionellen der Provinz würden vor den Männern flüchten, weil diese dermaßen brutal und anspruchsvoll sind. Sie sagt auch, sie fände es unglaublich, das dazu nicht mehr Feministinnen gehört würden. Das sagen Prostituierte, die sich bis vor kurzem noch sehr abgesetzt und gesagt haben: Wir wüssten nicht, wie das Leben ist. Die Männer werden immer zu uns kommen. Wenn die Brutalisierung so weiter gedeihen wird, wird man nach den Feministinnen noch schreien.

Solange sich an diesen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen nichts Grundlegendes ändert, wird es immer Platz und Arbeit für Feministinnen geben.

Man kann nicht sagen, dass durch Reformen alles besser geworden ist. In der alten DDR, wo jetzt die Neukapitalisierung und "Kolonialisierung" durch den Westen abläuft, bricht die ganze Textilindustrie, in der nur Frauen beschäftigt sind, zusammen. Legionen von Frauen, die zwar nicht viel Spaß hatten im Sozialismus, aber zumindest gewöhnt waren, das Geld zu verdienen und ihre Kinder zu versorgen, stehen auf der Straße. Eine Demütigung für eine Frau, von einem Mann abhängig zu sein. Im Grunde ist nichts verwirklicht. Da nützen auch die ganzen Quoten nichts.

Nach einem schönen Satz Batailles ist Freiheit nicht, solange es nicht die Freiheit ist, hart an der Grenze zu leben, "wo jedes Verstehen sich auflöst". Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt in einen performativen Selbstwiderspruch zu verfangen, möchte ich Sie fragen, welche Bedeutung Freiheit für Sie heute als Frau noch hat?

Elfriede Jelinek: Das ist das Auflösen, das schöne Selbstauflösen. Diese Ungeheuerlichkeit des Opfers, die ihm seine Größe gibt, wenn er sich selbst auflöst. Aber nur, wenn er etwas ist. Jemand, der gezwungen wird, sich aufzulösen, hat keine Größe. Es vernichtet ihn als Subjekt, das er nie gewesen ist. Es hat nichts von diesem Opfer Christi, der das meiste, was es gibt, für die Menschheit opfert. Ein ungeheuerliches Bild. Der größte Potlatch, sich selbst als Gott hinzuwerfen für den Vater, damit die anderen erlöst werden.

Für mich kann es das nicht sein. Ich habe als Frau keine Größe. Ich bin schon hingeworfen. Ein wertloses bzw. niederes Jeton, das nicht hoch im Kurs steht. Es kann nur in der anderen Richtung weitergehen. Die Frauen müssen versuchen, ein Subjekt zu werden, das sich gleichberechtigt neben den Signifikanten stellen kann. Nicht das Bezeichnete zu sein, sondern das, was selbst bezeichnet. Wenn das geschehen ist, kann die Größe darin liegen, sich wiederaufzulösen.

Aber verbirgt sich hinter diesem Streben nach Gleichberechtigung, endlich ein vollwertiges und anerkanntes Subjekt dieser Gesellschaft zu werden, nicht die perfideste Form der Unterdrückung? Foucault zeigt in seiner "Genealogie des Subjekts" sehr schön die historische Abfolge der verschiedenen Subjektivierungsbewegungen, wie sie sich durch die Dispositive der Macht- und Wissensformen konstituiert haben und wie Subjekte produziert werden.

Elfriede Jelinek: Für mich bedeutet Subjekt nicht per se Unterdrückung. Es bedeutet, eine Entität zu sein. Hier würde die einzige Macht darin bestehen, sich aus diesen Zusammenhängen auszuklinken. Es könnte sein. Als Idee ist es schön. Mein Subjektbegriff ist nicht so negativ.

Ich ziele darauf ab, weil die Forderung nach Gleichheit oder Gleichstellung eben auch das Akzeptieren von Hierarchien, in die man eingebunden wird, das Hinnehmen von fremdbestimmten Arbeits- und Lebensformen, impliziert.

Elfriede Jelinek: Ich habe meinen Feminismus immer als politischen gesehen. Die Emanzipation der Frau, die über die politische Emanzipation läuft. Es hat sich jetzt gezeigt, sie lässt sich nicht realisieren. Es war ein Irrtum, den viele gern verdrängen. Eine Utopie, von der ich glaube, dass sie nicht möglich ist. Im Grunde muss man das alles jetzt neu definieren. Vielleicht haben Sie recht. Nachdem sich herausgestellt hat, dass diese Gleichheit von emanzipierten Wesen nicht zu verwirklichen ist, muss man von einem anderen Subjektbegriff ausgehen. Ich habe immer wütend gegen Leute gekämpft, die mit der menschlichen Natur argumentiert haben und gesagt haben, es gibt nichts Gleiches, der eine ist intelligenter oder stärker. Ich habe mich immer wahnsinnig aufgeregt. Jetzt bin ich überrollt.

Wahrscheinlich ist auch alles gar nicht wahr, was ich gesagt habe. Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Vielleicht habe ich es nur noch nicht bemerkt. Welche Schlüsse ich daraus ziehen soll, weiß ich noch nicht. Es kann sein, dass ich wirklich andere Sachen machen werde, da man in dieser gähnenden Situation Sozialismus oder Gleichheit nicht mehr haben kann. Sie werden nie siegen. Sicher wird es eine neue Bewegung geben. Eine neue Linke wird sich konstituieren. Ich werde nicht mehr dabei sein. Anschauen werde ich mir es schon. Nach dem Scheitern dieser doch sehr großen Utopie kann man nicht so weiterschreiben , wie ich es bisher getan habe.

Darf ich zum Schluss fragen, an was Sie zur Zeit arbeiten?

Elfriede Jelinek: Zwei Sachen. Ich versuche ein Stück zu schreiben über die Sprache der Pornographie. Nachdem ich ein heiliges Stück über Heidegger geschrieben habe, muss ich nach dem hohen Ton Heideggers, ein kleines, schmutziges und privates Stück schreiben. In der Prosa eine Gespenstergeschichte, in der es nach dem Zerfall der Reiche um das Unheimliche der Heimat geht, was ziemlich heideggerhaft ist.

Was meinen Sie hier mit "Sprache der Pornographie"?

Elfriede Jelinek: In der Lust ging es mir um die literarische Pornographie. Jetzt beschäftige ich mich mit der kommerziellen Pornographie. Nach dem Sieg des Kapitalismus, geht es nur noch um die Konsumtion von Körpern - übrigens in beide Richtungen, von Männern zu Frauen, und von Frauen zu Männern. Alles das, worüber wir jetzt eineinhalb Stunden gesprochen haben, ist dort aufgehoben. Es gilt nur noch, möglichst viele Körper so angenehm wie möglich zu konsumieren. Sozusagen ein wirkliches Posthistoire.

Das Gespräch wurde am 22. Februar 1992 in ihrer Münchener Wohnung geführt