"Linke Seite" wird von Rechts wegen geschlossen

Private Abmahnung statt regulärer Strafverfolgung ist nun auch ein politisches Kampfmittel geworden

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Es wird immer gefährlicher, seine Meinung im Web kundzutun – und erst recht die anderer Leute. Auch beziehungsweise gerade Ein-Mann-Projekte werden mit einstweiligen Verfügungen in der eingespielten monströsen Höhe einer halben Million Mark belegt

Von Rechten im Netz ist seit eh’ und je viel zu hören und zu lesen. Die Linken dagegen waren lange gar nicht online und sind auch kaum online vernetzt – ihre wilde, teils extremistische oder Staatsparteien-Zeit lag vor dem WWW und heute verkündet Bundeskanzler Schröder, der ja einer Linkspartei angehört, mitunter Dinge, die genauso von einem CDU-Politiker kommen könnten. Ist die Zeit der Hausdurchsuchungen und Molotovs also vorbei?

Ein paar Idealisten träumen zumindest auch heute noch von "Freiheit und Champagner für alle" und stecken ihre Freizeit in Polit-Infoportale. Dort geben sie – ebenso wie ein journalistisches Erzeugnis wie Telepolis – durchaus nicht nur ihre eigene Meinung wieder, die so ausführlich wohl auch niemand interessieren würde, sondern eben auch die der Nachrichten-Zulieferer, der Autoren, mit denen man wohl im Großen und Ganzen, aber keinesfalls immer auch im Detail übereinstimmen wird. Und ebenso wie bei einem Verbraucher-Forum wie Ciao, einem Gemeinschaftsblog wie Dotcomtod oder jedem öffentlichen Forum wird es hier und da Einträge geben, die nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen: Mindestens die kritisierte Person oder Institution ist naheliegenderweise oft nicht einverstanden.

Stunk im Forum

Querschlagende und stänkernde Forenteilnehmer, die jede Gelegenheit, andere abzumahnen und zu verklagen, begierig wahrnehmen, haben selbst Juristenportale zu Fall gebracht: Wenn der Inhaber, der sein Geld und seine Zeit investiert, als Dank selbst in Prozesse verwickelt oder gar von einer Hausdurchsuchung heimgesucht wird, weil ein technisch unbeleckter Staatsanwalt auf diese Art glaubt, an die zur IP-Nummer gehörende Person zu gelangen, die das strittige Posting abgesetzt hat, dann macht er sein Forum üblicherweise schleunigst zu. Nur große Firmen können so etwas überstehen, Einzelpersonen haben dagegen üblicherweise noch wichtigere Dinge im Leben als ein Forum, ein Gästebuch oder eine Webseite.

Vom Instrument des Juristenkleinkriegs entwickelt sich die Abmahnung und die einstweilige Verfügung jedoch inzwischen zum Universalwerkzeug gegen unliebsame Personen und zum Mittel der Unterdrückung von Meinungsäußerungen. Angestoßen hat diesen neuen Verwendungszweck der Abmahnung abgesehen vom Dauerbrandstifter Markenrecht, mit dem erstmals Elf gegen Greenpeace vorging, doch auch ein Entsorgungsunternehmen gegen Gegner von Atommüllstransporten, eigentlich der Verband der deutschen Phonoindustrie, der in Foren und Portalen nach alten, vergessenen Einträgen forschen lässt, die sich zu einem jener Programme äußern, von denen man seit dem 13. September 2003 eben nicht mal mehr reden darf, weil man mit ihnen legal erstandene CDs illegalerweise auch im Auto anhören kann, wo doch der Kopierschutz genau dieses verhindern soll. Dann wird ein Streitwert von 250.000 Euro angesetzt – in der alten Währung glatt eine halbe Million – und gleich acht verletzte arme Plattenhersteller benannt, um die Abmahnkosten "zur Abschreckung" auf 5000 Euro hochzutreiben (Das neue Geschäftsmodell der Plattenindustrie?).

Statt Strafanzeige: Abmahnung

Ebenso läuft es nun aber seit neuestem bei Politik-Portalen. Sind diese etwas ab vom Mainstream, so sind Anzeigen und Hausdurchsuchungen nichts Unbekanntes, auch wenn diese später zu keinem Ergebnis führen. Oliver Barthel, der seit nun 5 1/2 Jahren aktive Betreiber von linkeseite.de hatte deshalb eigentlich schon vor 1 1/2 Jahren die Schnauze voll und wollte abschalten: Er hatte immer gehofft, dass er neben Anerkennung für sein vielgelesenes Infoportal zu linken Ideen und Aktionen auch Helfer bekommen würde, die aktiv mitwirken und ihm Arbeit abnehmen würden; stattdessen bekam er jedoch nur Infotexte geschickt und zwei Stunden später eine Beschwerde, wenn diese noch nicht online waren. Die Genossen sind halt auch nur Menschen und als solche erstmal faul. Immerhin die Unkosten wurden durch Spenden teils gedeckt, wenn auch zu dem Preis jeder Spendensammlung: Lästereien und der Verdacht, sich nur bereichern zu wollen.

Doch jetzt brachte ein von linkeseite.de veröffentlichter Demoaufruf der Antifa-Gruppe Frankfurt/Oder erneut Ärger ins Haus: Darin war gesagt worden, die Märkische Oder-Zeitung habe in ihrer Berichterstattung rechtsextreme Gewalttaten verschwiegen. Der Verlag konterte ohne Anruf oder auch nur vorherige Abmahnung sofort mit einer einstweiligen Verfügung, die vom Landgericht Berlin ohne mündliche Anhörung erteilt wurde. Ein Gesprächsbedarf mit Oliver Barthel besteht auch jetzt nicht, ließ ihm die Zeitung auf seinen Anruf ausrichten, man hasst ihn dort offensichtlich so sehr, dass man seine Meinung lieber auf die gebührenintensive Art per Gericht durchsetzt. Die Antifa-Gruppe als Urheber der Meldung wurde dagegen bislang angeblich nicht kontaktiert, gab ihre eigene Internet-Adresse jedoch schleunigst wieder auf: Selbst Steinewerfen ist inzwischen nun mal juristisch ungefährlicher als eine Website ins Netz zu stellen.

Risiko ist auf größeren Portalen mittlerweile unkalkulierbar

Die entstandenen Kosten liegen zwar diesmal voraussichtlich "nur" bei etwas über 1000 Euro, doch das eigentliche Ziel ist nun erreicht, Oliver Barthel mag endgültig nicht mehr: "Mit 25.000 bis 30.000 Seiten auf linkeseite.de, deren Inhalt ich nicht hundertprozentig nachprüfen kann, ist das Risiko viel zu groß – wären die nicht gekommen, hätte es ein anderer getan", relativiert er den Grimm auf die Märkische Oder-Zeitung.

Und Solidarität ist auch bei den Genossen nicht zu finden: Der Urheber der problematischen Meldung, die Antifa-Gruppe Frankfurt/Oder, linkte selbst fleißig auf die von ihr doch als unausgewogen eingestufte Zeitung, im Gästebuch der Website wird heftig gepöbelt, weil Barthel sich nicht zum ersten Mal über Finanzprobleme äußerte und ein offensichtlich notgeiler Besucher gab das Spendenkonto von Oliver Barthel gar auf einer Sexsite ein, um ihm die Rechnung anzuhängen. Barthel sieht eine Fortsetzung des Projekts in Deutschland nun nicht mehr als realistisch an:

Der größte Fehler war, das Hosting von linkeseite in Deutschland. Auch wenn es zu Beginn beabsichtigt war, hat sich dieses durch die veränderte Gesetzeslage als grundlegend falsch herausgestellt, denn dadurch ist das ganze Projekt personell und technisch angreifbar geworden.

Wer manuell freischaltet, lebt gefährlich

Das Absurde dabei: Gerade weil Oliver Barthel kein Forum anbot, wo die Meldungen direkt nach dem Posten erscheinen, sondern diese vor der Veröffentlichung zunächst kontrollierte und sich so Arbeit aufhalste, um allzu radikale Ausfälle verhindern zu können, ist er für die Meldungen rechtlich haftbar. Der Streitwert liegt im konkreten Fall zwar "nur" bei 5100 Euro und auch die 250.000 Euro sind nur ein mögliches Maximum der Ordnungsstrafe, falls sich auf der Seite noch mal irgendwo eine Äußerung des Zensurverdachts bei der Märkischen Oder-Zeitung findet. Doch können nun Beleidigungen oder falsche Verdächtigungen in einem Forum nicht nur zur Strafanzeige führen, sondern mit der einstweiligen Verfügung auch zu einem Zivil-Schnellverfahren, bei dem sich der Richter üblicherweise nur wenige Minuten mit dem Fall beschäftigt und dann normalerweise die Forderung des Antragsstellers 1:1 durchreicht oder sogar noch etwas draufsetzt und sogar einen Gesetzesbruch anordnet.

Damit wird das Risiko unkalkulierbar – eine ungeliebte Seite kann durch eine organisierte Abmahnwelle schnell außer Gefecht gesetzt werden. Wie Oliver Barthel Telepolis berichten konnte, ist seine Abmahnung kein Einzelfall: Ortsverbände der NPD haben sich in den letzten Wochen ganze Batterien von ihnen missfallenden Sites abmahntechnisch vorgeknöpft und auch diverse andere Politik- und Anarchieportale wurden weder von der Staatsanwaltschaft, noch vom Verfassungsschutz, sondern privat- beziehungsweise zivilrechtlich von Anwaltskanzleien angegangen. Absurd ist dabei, wenn so auch immer wieder gerade Seiten, die Rechtsradikalismus anprangern, dran glauben müssen mit dem Vorwurf, sie würden diesen fördern wollen.

Wege in die Netzzensur

Der Staatsanwalt und die Polizei hat also durchaus nicht an Gefahr verloren – so kann man für eine Satireseite, die so schlimme Dinge verspricht, wie die Webseite der CSU am Telefon vorzulesen (Berufsverbot für Mediendesigner?), wenn diese für den direkten Zugriff in Nordrhein-Westfalen gesperrt wird, eine Vorstrafe kassieren, was dann bei der Jobsuche tatsächlich nicht gerade vorteilhaft ist. Ein anderer Aufklärer, Professor Thomas Stricker, konnte bereits trotz zweimaligen Freispruchs seine Karriere nach Abschluss des Strafprozesses vergessen. Auch die allgemein durchaus anerkannte und nicht extrem radikale Plattform Indymedia wurde nun offline gegangen. Doch vervielfachen sich mit den privaten Hilfssherriffs die Gegner aufs Unermessliche: Praktisch jeder kann mittlerweile mit genügend Mühe einen Grund finden, einen anderen abzumahnen und zu klagen und sobald es um Online geht, den Streitwert und die Strafe bei Zuwiderhandlung auf 250.000 Euro setzen – für ein Flugblatt wären solche Summen dagegen undenkbar.

Auch Dotcomtod scheint – obwohl oder vielleicht gerade, weil es zwar an Aufmerksamkeit der Netzgemeinde verloren hatte, doch bei den Anwälten inzwischen "beliebter" gewesen sein soll als zu seinen Hochzeiten – nun Geschichte zu sein: Seit Freitag früh präsentiert die einstige Gallionsfigur Lanu dort – nun als Einzelkämpferin – ihr eigenes privates Weblog. Die Anwälte wird es freuen, wie ein Kommentator anmerkt: Sie könnten sich nun unauffällig nachträglich für all die knackigen Sprüche auf Dotcomtod revanchieren, eine Empörung der Netzgemeinde wird dies nicht mehr auslösen – die einstige Macht ist weg, doch das Risiko bleibt. Jede nicht kommerzielle und stromlinienförmige Website ist den Abmahnern schließlich eine Website zuviel. Auch und gerade, wenn es nur um verletzte Gefühle geht und nicht um Revolution.