"Rakete zu den Planetenräumen"

Raketentechnische Visionen im Zeitraffer - Teil 1

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Die erste Anwendung für Raketen war das Schießpulver, das wahrscheinlich schon im dritten Jahrhundert vor Christus verwendet wurde. Seit dem 11. Jahrhundert nach Christi haben das Schießpulver und die Nutzung von Raketen eine besondere Bedeutung für die chinesische Militärtaktik. In Europa wurden Raketen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts genutzt. Erste Versuche mit militärischen Raketen fanden im Jahr 1668 in Deutschland statt. Während des I. Weltkrieges wurden Raketen ohne großen Erfolg von Flugzeugen aus eingesetzt, um wasserstoffgefüllte Ballone abzuschießen. Erst als mit Flüssigkeiten angetriebene Treibstoffe erfolgreich genutzt werden konnten, gelang es wesentlich leistungsfähigere Raketen zu designen.

"Die Rakete zu den Planetenräumen" von Hermann Oberth

Einer der bedeutendsten Pioniere im Forschungsgebiet der Raumfahrtwissenschaften war Hermann Oberth. Mit seinen Büchern "Die Rakete zu den Planetenräumen" (1923) und "Die Wege zur Raumschifffahrt" (1929) schuf er die wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung von Raketen und die bemannte Raumfahrt. Angeregt von dem Buch "Reise um den Mond" von Jules Verne begann Oberth bereits als Schüler des Gymnasiums erste Raketenentwürfe vorzunehmen. In den Jahren 1928 bis 1929 war Oberth in Berlin wissenschaftlicher Berater von UfA-Regisseur Fritz Lang zur Produktion des ersten Raumfahrtfilms der Welt: "Frau im Mond". Von Hermann Oberth stammt der visionäre Satz:

Denn das ist das Ziel: Dem Leben jeden Platz zu erobern, auf dem es bestehen und weiter wachsen kann, jede unbelebte Welt zu beleben und jede lebende sinnvoll zu machen.

Wie kein zweiter Raumfahrtpionier erkannte Oberth die wirtschaftliche Bedeutung der Raumfahrt sowie deren Bedeutung für die Globalisierung des Planeten.

Schubproduktion im Vakuum und Mehrstufenprinzip

Der bedeutendste Raketenpionier in den Vereinigten Staaten war Robert Hutchings Goddard, der 214 Raketenpatente besaß. Nach ihm wurde das Goddard Space Flight Center der NASA benannt. Goddard entwickelte nicht nur die mathematische Theorie des Raketenantriebs, sondern er bewies auch, dass Raketenantriebe im Vakuum Schub produzieren können, was die Raumfahrt letztendlich erst möglich macht. 1916 begann Goddard seine Arbeiten zur Entwicklung einer Rakete mit Flüssigtreibstoff, wobei er Forschungsgelder vom Smithsonian Institute erhielt. Im März 1926 testete Goddard erfolgreich die erste Rakete mit flüssigem Treibstoff.

Robert Goddard mit der ersten Rakete mit flüssigem Treibstoff. Foto: Nasa

Sein russischer Gegenpart war Konstantin Tsiolkovski (1857-1935), der parallel zu Goddard die Theorie eines flüssigen Raketenantriebs entwickelte. 1903 formulierte er seine berühmte Raketengrundgleichung und 1929 eine Theorie über mehrstufige Raketen.

Im Jahr 1929 führte Hermann Oberth in Deutschland erste erfolgreiche Versuche mit einem Raketenmotor für Flüssigtreibstoffe, der "Kegeldüse", durch, wobei ihm Studenten der TU Berlin assistierten. Einer dieser Studenten war Wernher von Braun, der später technischer Direktor des ersten Raketenversuchszentrums in Berlin-Kummersdorf und anschließend in Peenemünde wurde.

Wernher von Braun

Wernher von Braun (1912-1977) war der wohl bedeutendste Raketendesigner des 20. Jahrhunderts. Besonders beeinflusst wurde er vom Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" von Hermann Oberth. Bereits im Alter von 22 Jahren hatte von Braun seinen Doktortitel in Physik und zwei Jahre später leitete er das Entwicklungsprogramm für militärische Raketen. Als das Raketenforschungszentrum Kummersdorf 1936 zu klein wurde, zog das Forschungsteam um Wernher von Braun nach Peenemünde um. Seine bedeutendste Entwicklung während des Krieges, die A4-Rakete (später auch als Vergeltungswaffe V2 bekannt), flog erfolgreich im März 1942, wobei die Leistungsfähigkeit bis 1945 immer weiter verbessert werden konnte. 1944 beschossen die Nazis mit der V2 London und verursachten schwere Schäden. Neben dem Einsatz von Kontinentalraketen forschte das Team um von Braun auch an der Entwicklung von Interkontinentalraketen.

Wernher von Braun in einer Fernsehsendung von Disney. Bild: Nasa

Nach dem Krieg wurde von Braun beauftragt die Arbeit des 1945 verstorbenen amerikanischen Raketenpioniers Goddard in White Sands, New Mexiko, fortzusetzen. 1960 wurde er zum Direktor des Marshall Space Flight Centers der NASA berufen. Dort entwickelte er die leistungsstärkste Rakete, die bisher gebaut wurde, die Saturn V-Trägerrakete, die die Apollo 11-Besatzung im Jahr 1969 erfolgreich zum Mond brachte.

Das Konzept der Raumgleiter

Nachdem die Amerikaner Ende der sechziger Jahre das von John F. Kennedy proklamierte Wettrennen zum Mond gewonnen hatten, war der logische nächste Schritt die kommerzielle Nutzung des Weltalls. Um dies zu erreichen, musste die Transportpreise für Nutzlasten in einen Orbit drastisch gesenkt werden. Deshalb wurde ein wiederverwendbares Transportsystem geplant: der Space Shuttle.

Die ersten Studien für ein wiederverwendbares Raumfahrzeug begannen 1968. Eine davon beschrieb das spätere Space Shuttle: ein teilweise wiederverwendbares System, bei dem zwei Feststoffraketen als Starthilfe dienen und ein Treibstofftank vor Erreichen des Orbits abgesprengt wird. Durch Budgetkürzungen bei der NASA von 5,9 Milliarden im Jahr 1965 auf 3,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 1972 konnte nur das billigste Konzept realisiert werden. Das Projekt startete am 15.3.1972. Die Aufträge gingen anders als früher an die Firmen, welche die günstigsten Angebote abgaben, nicht an die Firmen mit der größten Erfahrung in diesem Gebiet. So baute die Feststoffbooster Thiokol und nicht die für die Herstellung größerer Booster erfahrenere United Technologies.

Start des ersten Space Shuttle im Jahr 1981. Bild: Nasa

Vorschläge wie der von Wernher von Braun statt Feststoff-Boostern solche mit flüssigem Treibstoff einzusetzen, wurden ebenso wie der Einbau von Schleudersitzen zur Rettung der Besatzung bis 12 km Höhe oder der einer abtrennbaren Kabine abgelehnt. Bei späteren Tests im Januar 1979 explodierte ein Hochdruckpumpe, später bereiteten die Hitzeschutzkacheln Probleme und im Januar 1981 wurde beim Betanken ein Loch im Sauerstofftank entdeckt.

Das Space Shuttle war durch die Explosion der Kosten das erste bemannte US Raumfahrzeug das ohne jede Sicherheitseinrichtung für die Besatzung startete. Ursprünglich sollte der Space Shuttle für einen Startpreis von 10.5 Millionen US-Dollar pro Flug starten und um den Faktor 10 billiger sein als eine konventionelle Rakete. Doch bereits bei den ersten Erprobungsflügen 1981/82 überschritt der Startpreis die Höhe von 70 Millionen US-Dollar und der Missionspreis kletterte nach Abschluss der Tests sogar auf 260 Millionen US-Dollar. Letztendlich kam es dann, wie es kommen musste.

Die Shuttle-Katastrophen

Am 28. Januar 1986 explodierte der Space Shuttle Challenger nach 72 Sekunden Flug. Der in mehreren Teilen gefertigte Booster hatte Dichtungsringe aus Gummi, die beim Start verbrannten. Aus Kostengründen wurde auf die Produktion eines sichereren, aus einem Stück gefertigten Feststoff-Boosters oder Booster mit flüssigem Treibstoff verzichtet. Das Management der NASA hatte das Leben der Astronauten dem Kostensenkungsvorgaben und dem Ziel einer Erhöhung der Startrate geopfert.

Challenger-Katastrophe, Bild: Nasa

Die Kostenexplosion hatte vor allem zwei Ursachen: Erstens sind Space Shuttle-Missionen bemannt und zweitens war das Space Shuttle zu komplex, so dass nie eine hohe Startrate erreicht werden konnte. Diese Fehler führten zu einem 32-monatigen Unterbrechung des Shuttle-Programms und ermöglichten den kommerziellen Siegeszug des unbemannten europäischen Ariane-Raketenprogramms.

Doch die Hiobsbotschaften für die amerikanische Raumfahrt sollten nicht abreißen. Am 1.2.2003, 17 Jahre nach dem Challenger-Unglück, verglühte das Schwesterschiff Columbia beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Auch dieses Unglück hätte vermieden werden können, wenn man nach der Beschädigung eines Panels die Astronauten mit einem intakten Shuttle aus der internationalen Raumstation ISS abgeholt hätte, anstatt ihr Leben erneut der Ignoranz und Arroganz des NASA-Managements zu opfern. Mit diesem Unfall scheint das Schicksal des Shuttle besiegelt und eine Stillegung des Programms spätestens bis zum Jahr 2010 als sicher.

Das Venture-Star-Projekt

Das Space Shuttle konnte Wegwerfraketen wie die dreistufige Saturn V nur bedingt ablösen. Das Abwenden von der klassischen Trägerrakete in den USA hat dazu geführt, dass die Europäer heute bei dieser Technologie die Führerschaft haben. Dagegen haben die Amerikaner bei der Raumgleiter-Technologie die Nase vorne.

X-33. Bild: Nasa

Ursprüngliche Entwürfe sahen ein zweistufiges Raumfahrzeug nach dem deutschen "Sänger-Konzept" vor, bei dem ein bemanntes und senkrecht startendes Raketenflugzeug den eigentlichen Raumtransporter in die oberen Atmosphärenschichten trägt und danach wie ein gewöhnliches Flugzeug auf einer Piste landet. Der Raumtransporter startet von dieser fliegenden Startrampe in eine Erdumlaufbahn durch und landet nach dem Wiedereintritt wie das heutige Space Shuttle.

Doch dann entschied man sich 1996 bei der NASA für ein einstufiges Konzept: den wiederverwendbaren "Venture Star". Der X-33 ist ein sogenanntes "Reusable Launch Vehicle" (RLV), welches erhebliche Kosteneinsparungen für Raumtransporte verspricht. Das Ziel beim X-33-Projekt ist es die Kosten von 10.000 US-Dollar auf 1.000 US-Dollar/pro Pfund Nutzlast für niederere Umlaufbahnen zu senken.

Im Gegensatz zum Space Shuttle gibt es bei der "Venture Star" keine Trennung zwischen Rumpf und Tragflächen, weshalb es sich hierbei um ein Nurflügler-Konzept wie beim Stealth-Bomber B2 handelt. Da der Auftrieb bei vollen Tanks für ein horizontales Abheben nicht ausreicht, startet das "Venture Star"-System wie eine klassische Mehrstufenrakete oder das Space Shuttle ebenfalls senkrecht. Eine ferngesteuerte, unbemannte X-33-Version könnte sogar zu einer ernsten Herausforderung für die heutige Ariane 5-Trägerrakete avancieren. Derzeit wird unter der Bezeichnung X-38 ein Mini Shuttle entwickelt, das CRV (Crew Return Vehicle), das als Rettungsboot für Astronauten der ISS dienen soll.