Handys machen unselbstständig

Der nützliche Begleiter macht abhängig

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Handys sind aus unserer Realität gar nicht mehr weg zu denken, es gibt in den Industrienationen keinen Platz mehr, wo es nicht gerade klingelt oder jemand neben einem am Telefon spricht. Das nervt und darüber hinaus kostet es die Mobilfunknutzer nicht nur viel Geld, sondern auch einen Teil ihrer Selbstständigkeit.

In dem neuen Hollywoodstreifen Cellular, der im September in amerikanischen Kinos anlief, hat Kim Basinger als hilflose Frau nichts als ihr Handy. Von Entführern niedergeschlagen, erwacht sie im Kofferraum eines Autos und wählt irgendeine Nummer, denn glücklicherweise haben die Verbrecher ihr Mobiltelefon übersehen. Am anderen Ende der Leitung ist ein junger Mann, der alles daran setzt, ihr zu helfen. Das Handy steht als eigentlicher technischer Superstar im Mittelpunkt der Geschichte.

Chris Evans in "Cellular" (Bild: Richard Foreman/New Line Productions)

Ohne Zweifel hilft ein mobiles Telefon immer wieder in schwierigen Momenten. Menschen, die überfallen werden, Unfälle oder Herzinfarkte erleiden, oder sich in anderen Notfallsituationen befinden, können sofort Hilfe rufen. Handys machen das Leben sicherer und das ist sehr sinnvoll.

Wegweiser Handy

Die mobilen Kommunikationsgeräte werden ständig weiterentwickelt und bieten immer mehr spezielle Erste-Hilfe-Services wie Notrufknöpfe für Kinder, ältere oder behinderte Nutzer, Extras wie GPS-Ortungsgeräte oder Zusatzgeräte wie Herzfrequenzmesser, die sofort automatisch über das Handy einen Arzt rufen, wenn das Herz seinen Taktschlag gefährlich verändert.

Selbst wer sich in einer Stadt verläuft, kann sein Handy bald als Wegweiser benutzen. Die Universität Bonn hat eine Software entwickelt, die es möglich macht, durch Digitalfotos die abgebildeten Gebäude zu identifizieren – weitgehend unabhängig von Blickwinkel und Lichtverhältnissen. Noch ist das Modell ein Prototyp, aber bald soll es möglich sein, einfach ein Gebäude zu knipsen, das Bild an eine Service-Nummer zu schicken, und dann auf dem Handy-Display den Stadtplan mit der eigenen Position zu sehen. Einer der Entwickler, Jens Külzer, erklärt:

Momentan gibt es keine verlässliche Methode, sich mittels Mobilfunk in Innenstädten zu orientieren. Selbst die Positionsbestimmung per GPS funktioniert nur, wenn das Handy einen mehr oder weniger freien Blick auf die GPS-Satelliten hat. Bei engen Straßen und hohen Gebäuden stößt dieses Verfahren daher aufgrund von Abschattungen und Spiegelungen des Satellitensignals an Fassaden schnell an seine Grenzen. Und auch die Positionsbestimmung mithilfe der aktiven Mobilfunkzelle ist ziemlich ungenau.

Das Fotohandy als Fremdenführer

Über Handy immer in Verbindung

Inzwischen gibt es weltweit mehr Mobil- als Festnetzanschlüsse, international nutzen mehr als eine Milliarde Menschen Mobiltelefone. Mit Hilfe von Handys bleiben Leute in Verbindung und in vielen Fällen sind die kleinen Geräte sehr nützlich. Allerdings wird sehr viel mit ihnen telefoniert und längst sie auch zur lästigen Seuche geworden. Auf der Straße, in der Bahn, im Laden – überall kann man sich dem zwangsläufigen Belauschen fremder Intimitäten kaum entziehen (Handy-Gespräche in der Öffentlichkeit und der Zuhörzwang). Kaum eine Veranstaltung, bei der nicht ein Handy klingelt, obwohl vorab gebeten wurde, alle auszuschalten.

Frankreich hat jetzt die Konsequenz gezogen: Industrieminister Patrick Devedjian gab bekannt, dass Theater- und Kinobetreiber künftig Störsender installieren dürfen, um die vielen unerwünschten Klingeltöne technisch zu unterbinden (Les salles de spectacle pourront brouiller les téléphones mobiles).

Kim Basinger in "Cellular" (Bild: Richard Foreman/New Line Productions)

Seit Jahren studieren Psychologen bereits das Verhalten der Handy-Nutzer, ob nun bei der Balz der Singles (Mit den Handys in den Geschlechterkampf) oder anhand der Banalitäten, die Paare einander ständig ins Ohr flüstern (Was Paare per Handy besprechen).

Längst ist das Mobiltelefon nicht nur als Schuldenfalle umstritten (Jugendliche auf Dauerempfang – Handy Statussymbol und Schuldenfalle), sondern auch als potenzielles Suchtobjekt (Ohne geht's nicht: Neue Suchtgefahren! – mit Selbsttest). Universitäten widmen sich dem Handy in allen theoretischen und praktischen Aspekten (Handytechnik und Modernisierungstheorie).

Risikoverhalten und Autonomie

Grundsätzlich überwiegt die Macht des Mythos der ständigen Erreichbarkeit die Qualität des Abschaltens, das Recht auf Ruhe. Gesundheitlich machen sich immer mehr Menschen Sorgen, ob das mobile Telefonieren ihnen schaden könnte – dabei stehen allerdings meist die Sendemasten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit (Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwäche durch Mobilfunkantennen) und nur selten das eigene Gerät (Langjährige Handy-Nutzung erhöht Risiko für Ohrtumor). Bekannt ist auch, dass Telefonieren beim Autofahren ein Unfallrisiko darstellt (Riskantes Multitasking). Aber dass Menschen sich zunehmend in riskante Situationen begeben, weil sie das Handy in einem Gefühl von Sicherheit wiegt und dass uns das technische Hilfsmittel überhaupt immer unselbstständiger macht, wird erst langsam zum Thema.

Gegenüber der New York Times, die sich kürzlich dieser Fragestellung annahm, erklärte Christine Rosen, Autorin eines langen Artikels zu den sozialen Konsequenzen der Handy-Manie:

Handys fördern eine seltsame Abhängigkeit. Das Handy untergräbt etwas weiter, was in der amerikanischen Gesellschaft bereits schwindet: die Eigenständigkeit.

Our Cell Phones, Ourselves

Das Handy stets zur Hand müssen wir gar nicht groß darüber nachdenken, wie wir ein Problem selbst lösen – wir rufen einfach schnell jemanden an, der sich damit auskennt. Der omnipräsente Telefonjoker.

"Wir sind weniger autark als jemals zuvor," meint Mark Federman, Chefstratege des McLuhan Program in Culture and Technology der University of Toronto, "nicht weil wir weniger unabhängig wären, sondern weil wir miteinander in sehr vielen Verbindungen stehen." Er betrachtet das nicht als negativ, sondern als wertneutrale Feststellung, als automatische Folge der technologischen Innovation. Die Leute sind heute vernetzter denn je und Entscheidungen in Dialogen vorzubereiten, ist ja grundsätzlich etwas Positives.

Angst und Überwachung

Sicher ist, dass das Handy eine Art künstliche Nabelschnur für überängstliche Partner (Beziehungskiller Handy?) oder Eltern darstellen kann. Die Kinder bekommen ein Mobiltelefon geschenkt, um dann immer erreichbar zu sein, eine Form der Überwachung. James E. Katz, Kommunikationsforscher an der Rutgers University, der sich nur mit schnurloser Kommunikation beschäftigt, vertritt die Meinung, dass dieses Verhalten weder das Selbstbewusstsein der Kinder, noch die Autorität der Eltern stärkt:

Eltern, die davon ausgehen, dass sie ihre Kinder jederzeit erreichen können, wenn sie wollen, sind dadurch bezüglich der Streifzüge ihrer Kinder nachgiebiger.

Ausreden wie "der Akku war leer" werden entsprechend immer beliebter. Aber für die Eltern, die das schon zu oft gehört haben, gibt es ja zum Glück einen passenden Handydienst, um den Aufenthaltsort der Kinder zu orten. Mit Trackyourkid können sie unbemerkt ermitteln, ob ihr Nachwuchs gerade Schule schwänzt oder nachmittags wirklich beim Nachbarskind sitzt, wo es Hausaufgaben machen wollte.