Die irritierte Kampfmaschine

Zwei Stunden im Autoscooter: "The Bourne Supremacy"

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Da jagt er wieder: Gedankenzerknirscht rast Jason Bourne auf der Suche nach seiner verlorenen Identität und den schmutzigen Geheimnissen seiner Vergangenheit durch Europa. Zwischen den vielen Verfolgungsjagden, die den Film dominieren, und wohl auch deshalb so schnell geschnitten sind, damit man die Fehler beim Dreh genauso wenig bemerkt, wie Ungereimtheiten und Gedankensprünge der Story, präsentiert der Film Europa als Themenpark.

Langsam versinkt sie vor unseren Augen und ward nicht mehr gesehen… wie eine kleine Meerjungfrau schwebt Franka Potente durchs Wasser, hinab ins Nichts. Schon nach zehn Minuten ereilt sie in The Bourne Supremacy der Filmtod - das zu verraten, ist nur fair, damit sich diejenigen, die allein wegen ihr eine Eintrittskarte kaufen wollten, das Ganze noch mal überlegen. Aus Hollywood ist die Deutsche heimgekehrt, und wenn man will, kann man ihren Kurzauftritt in diesem Film als Symbol und Schlussstein ihrer amerikanischen Karriere betrachten: Ein lauter Auftakt, und ein leises, schnelles, kaum sichtbares Verschwinden.

Auch sonst ist The Bourne Supremacy, zu Deutsch Die Bourne Verschwörung, nur vorgeblich ein Agenten-Thriller, in Wahrheit dagegen eher ein Film über das amerikanische Verhältnis zu Europa - interessant vor allem durch das, was er sozusagen zwischen seinen Bildern verrät.

Drecksarbeit und Russenmafia

Um die Handlung kurz zu resümieren: Bourne, der von Matt Damon gespielte Ex-CIA-Agent leidet weiterhin unter Gedächtnisverlust. Im ersten, von Doug Liman inszenierten und weitaus stimmigeren Film nach Robert Ludlums Bestseller-Vorlage von 1980, einem gradlinig erzählten Spionagethriller aus der Endzeit des kalten Krieges, wurde er in Südfrankreich mit einer Totalamnesie ans Land gespült, und suchte verzweifelt nach seiner wahren Identität. Er könnte ein Geheimdienstler sein, oder ein weltweit gesuchter Terrorist, wahrscheinlich irgendetwas dazwischen. Während ihm die gesamte Polizei Westeuropas auf den Fersen war, und überdies zwielichtige Gestalten nach seinem Leben trachteten, bildete eine junge Wissenschaftlerin seine einzige Stütze. Bei dieser nostalgischen, auch stilistisch im besten Sinn altmodisch umgesetzten Story ging es im Gegensatz zu älteren Spionagestoffen, nicht mehr wirklich um die Konfrontation mit dem weltanschaulichen Gegner, sondern um die Feinde im eigenen Lager, um innere Konkurrenz und die tödlichen Gegnerschaften, die aus zuviel Nähe entstehen, aus gemeinsam geteilten Geheimnissen. Nicht das Spektakel stand im Mittelpunkt, sondern die Gefühle, mit denen die Figuren der Gewalt begegnen.

Am Ende durfte Bourne immerhin sicher sein, dass er kein weltweit gesuchter Terrorist ist - zuvor allerdings hatte der Film ausreichend klar gemacht, dass die Unterschiede zwischen jenen und den kaltblütigen Spezialisten, die für die Geheimdienste der freien Welt die Drecksarbeit verrichten, nicht besonders groß ist. Darin hob sich The Bourne Identity wohltuend ab von all den ideologisierenden Heldenliedern, die das Post-11-September-Kino der USA auf die Arbeit der CIA und anderer US-Regierungsinstitutionen sang, so als hätte es die Skandale der vergangenen Dekaden nie gegeben, als wüsste man nicht um Verstrickungen in verfassungs- und menschenrechtswidrige Aktionen.

Diesmal nun sind erstaunlicherweise die Reihen dichter geschlossen. Es gibt wieder Schwarz und Weiß, für die Grautöne dazwischen ist weitaus weniger Platz als im ersten Teil. Zwar wird Bourne weiterhin von zwei Seiten gejagt, bösen Terroristen und zugleich von seinen alten Arbeitskollegen, die sich mit guten Gründen auch nicht sicher sein können, dass Bourne immer noch auf ihrer Seite steht. Zusätzlich verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass, wie es sich für einen Spionagefilm gehört, der Geheimdienst grundsätzlich korrupt und von Agenten durchsetzt ist, die für "die andere Seite" arbeiten, oder überhaupt ihr eigenes Spiel spielen. Die Bösewichter des Films sind dabei im weitesten Sinn der modischen Gattung "Russenmafia" zuzuordnen. Kaum verhüllt spielt der Plot überdies auf die Yukos-Affaire an: Der eigentliche Schurke im Hintergrund ist ein Ölmagnat, dessen Interessen in Konflikt mit denen seiner Moskauer Regierung geraten sind.

"'Old Europe' in zwei Stunden"

Die Hauptantriebsquelle aller Umtriebe des Films ist aber - und hier wird die Story leider endgültig dünn - nicht hohe Politik oder schlichte Kriminalität, sondern ganz persönliche Rache eines Gangsters und die Identitätssuche der Hauptfigur, die im Laufe des Films mehr und mehr zu einer Suche nach Erlösung wird. Die Vorstellung, dass man sein Gedächtnis fast total verlieren kann, die Instinkte aber perfekt funktionieren, macht dabei den ganz speziellen Reiz dieses Heldencharakters aus. Zudem entspricht dies aktuell beliebten Mythologien vom "Körpergedächtnis" - ungeachtet mancher wissenschaftlicher Fragwürdigkeit.

So hetzt Bourne, gejagt von zwei Seiten, dabei selbst Jäger seiner Vergangenheit, nach der gewaltsamen Vertreibung aus dem indischen Touristenparadies Goa mit zehn Pässen, hundert Erinnerungsfetzen und tausend Spezialkenntnissen - die er im rechten Moment so perfekt abrufen kann, als wäre er eine Computerfigur, die gerade neue Software erhalten hat -, durch Europa. Dieses Europa gleicht einem großen Themenpark: Neapel, London, Amsterdam, Moskau, vor allem aber München und Berlin werden besucht. Diese Schauplätze unterscheiden sich übrigens nicht besonders, alles sieht irgendwie ähnlich aus - so ungefähr muss der Kontinent auch einem Touristen aus Übersee erscheinen, der einen zeitknappen Roundtrip gebucht hat: "'Old Europe' in zwei Stunden."

Nur von Berlin sieht man mehr. Mitunter nehmen die Akteure zwar unmögliche Landwege zwischen Bahnhof Zoo und Friedrichstraße, die kurzerhand zu einem Berliner Stadtbahnhof zusammengezurrt wirken, ansonsten ist die Stadt gut mit einbezogen. Sie steht in diesem Film für zweierlei: Ein wenig einfach als das letzte Relikt des realexistierenden Sozialismus - denn auch die meisten "Moskau"-Szenen wurden zwischen den Plattenbauten im Osten der deutschen Hauptstadt gedreht. Vor allem aber ist Berlin für den Film weiterhin Hauptstadt des Kalten Kriegs, ein Tummelplatz der fortdauernd überaus aktiven Geheimdienste und ihrer nur vermeintlich überholten Rituale - fast nebenbei erzählt The Bourne Supremacy, wie die CIA sich so benimmt in einer fremden Hauptstadt - und damit ist sie der echte, einzig wahre Inbegriff des alten Europa, "das" Gegenbild zum sauberen, moralisch reinen Selbstbild der Neuen Welt.

Traumatisierter Superheld

Bourne hat hier, so erfahren wir, einst ein besonders schmutziges seiner vielen schmutzigen Geschäfte erledigt: Bei einem "legitimen" Auftragsmord "musste" er auch noch die unschuldige Ehefrau des Opfers, die zur unliebsamen Zeugin geworden war, beseitigen. Mühsam setzt sich Bourne diese unbequeme Wahrheit im Laufe des Films Stück für Stück zusammen, sucht Schauplätze auf, die dann, wie die Madeleine bei Monsieur Proust zum materiellen Auslöser für innere Bilder werden. Doch was lösen sie wirklich aus? Man sieht, dass er Albträume hat, von schlechten Erinnerungen gepeinigt ist, zumal er diese nicht zu einer konsistenten Autobiographie zusammenfügen kann - ein leidender, traumatisierter Superheld. Der Film sucht diesen Erzählstrang noch atmosphärisch durch Anklänge ans Noir-Kino zu stärken, an die Dunkelheit des Kalten Kriegs. Doch mit dem realsozialistisch-dokumentarischen Grau in Grau des Settings geht das expressionistische Schwarz-Weiß der Hauptfigur nicht wirklich zusammen.

Bourne immerhin ist ein von dunklen, ihm selbst unerklärlichen Kräften Getriebener, ganz bei sich nur, wenn er sich verloren hat, wenn er sich ganz unbewusst von seinen antrainierten Instinkten leiten lässt, auf den puren Reflex reduziert ist. Das innere Leiden an sich selbst, dass tiefe Nicht-in-eins-sein mit seinem Körper in der übrigen Zeit, macht ihn zu einem romantischen Helden: Eine irritierte Kampfmaschine, ein gefühlsechter Terminator, ein legitimer Nachfolger von Frankensteins Schöpfung. Aber nur einmal sieht man einen kurzen Moment, in dem diese Kluft zwischen Körper und Ich, beziehungsweise den zwei Ichs Bournes, einen bildlichen Ausdruck findet.

Ansonsten hat Bourne das Fürchten nicht gelernt, aber auch nicht, unter dessen Abwesenheit zu leiden; er staunt nicht über die Gewalt, ist nicht überrascht über sich selbst - er möchte sich nur von seinen Erinnerungen befreien, und auf diese Weise einfach seine Ruhe haben. Einen Sinn für das, was der Hauptfigur in diesem zweiten Bourne-Film fehlt, bekommen wir Zuschauer ganz zwingend erst durch die drei Nebencharaktere, die von Franka Potente, Julia Stiles und Oksana Akinshina (die man in Lukas Moodyson's Lilja-4-Ever bewundern konnte) gespielt werden - ein toller Cast, den der Film bis auf wenige Szenen zugunsten der "Production Values" verschenkt. In ihren Gesichtern immerhin spiegeln sich Schrecken und Erschrecken.

"I killed them, this was my Job." - Sachzwang und Verbrechen

Bei Bourne macht sich das erwachende Gewissen nur in körperlicher Aktion, nicht in einem wirklichen Schulderkennen, einem spürbaren Verarbeitungsprozeß bemerkbar. Immerhin, wenn auch plakativ: Bourne tötet nicht mehr, sieht noch im Verräter-Bösewicht den Leidenden. Doch der tötet sich dann selbst - schön für uns. Bourne geht dafür nach Moskau zur Tochter, deren Eltern er einst umbrachte, und gesteht "I killed them, this was my Job." Die Verteidigung des Verbrechens mit Sachzwängen.

Aber was hilfts? Wie weit ist dieser Bourne eigentlich von der Banalität des Bösen entfernt, die man in anderem Zusammenhang bemerkt hat? Man stelle sich nur einmal vor, ein ehemaliger KZ-Wärter würde mit dem Satz "I killed them, this was my Job" einer Auschwitz-Waisen unter die Augen treten, mit der einzigen Entschuldigung, dass er sich heute auch nicht wirklich gut erinnert, und daher gar nicht mehr versteht, was er damals gemacht hat, bzw. der Entschuldigung, dass er ja selbst durch das Geschehen irgendwie traumatisiert ist. Also echt, nee…

Am Ende ist Bourne der Aufklärung seiner dunklen Vergangenheit wieder ein Stück näher gekommen - eine Zwischenetappe zum drohend sicheren dritten Teil. Und der Zuschauer hat einen Film gesehen, der ein bisschen wirkt, wie ein James Bond ohne Bond-Girls und Drinks, dafür mit skrupulöser Moral und Message. Und im Gegensatz zu den auch nicht immer überzeugenden Bond-Filmen sind die vielen Verfolgungsjagden, die den halbwegs funktionierenden, hinter all seiner Oberfläche aus Krach und Bombast aber letztlich ziemlich lahmarschigen und redundanten Film dominieren, derart schnell und unübersichtlich geschnitten, dass sich von Minute zu Minute der Verdacht verstärkt, dass Regisseur Paul Greengrass damit nur von Dreh-Fehlern und Gedankensprüngen der Handlung ablenken wollte. Schon das pseudodokumentarische und einseitig antibritische Tendenzstück Bloody Sunday, mit dem Greengrass überraschend und für viele unverständlich 2002 die Berlinale gewann (ex aequo mit Hiyao Miazakis Spirited Away), trieb diesen Stil auf die Spitze, war aber hinter der oberflächlichen Mixtur aus Dogma und MTV-Style auch stilistisch uninspiriert.

Wenn der Film kein Herz hat…

Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Je unübersichtlicher und chaotischer ein Geschehen, um so wichtiger ist es, dass der Zuschauer den Überblick behält. Gerade um den Eindruck zu haben, man sei ganz involviert, ganz "reingezogen", braucht man ein Raumgefühl. Man muss wissen, wo man selbst steht, also die Kamera, die in diesem Fall als das "innere Auge" des Betrachters fungiert. Man vergleiche alles nur einmal mit der grandiosen Szene, in der Tom Cruise in Michael Manns Collateral als Killer eine Diskothek betritt und sich dort, zwischen den Tanzenden, seinem Opfer nähert, während Bodyguards auf ihn zukommen und versuchen, ihn auszuschalten. Dort behält man immer den Überblick, während man ihn hier immer wieder verliert - weil Michael Mann seine Inszenierungen durchdacht und offenbar sorgfältig geplant hat, was man von Greengrass nicht behaupten kann. Offenkundig ist ihm zu seinen Figuren und ihrer Geschichte nicht wirklich etwas eingefallen. Und wenn ein Film kein Herz hat, hat er auch keinen Verstand und dann sieht man dies auch den Actionszenen an. Schnell, schneller, am schnellsten, wird geschnitten, von Anfang an gibt der Film Vollgas, aber ohne je seine Richtung zu kennen - und so wirkt der vorgeblich ambitionierte Stil wie Ausrede und Tünche. Das Ergebnis ist allzu oft ein unzusammenhängender Bildsalat, eine Tour-de-Force. Am Ende fühlt man sich, als sei man zwei Stunden lang im Autoscooter gefahren.