Chip im Gehirn oder biologisches Gehirn in der Maschine

US-Wissenschaftler wollen den Hippocampus durch einen Chip ersetzen, andere trainieren Rattenneuronen zum Steuern von Flugzeugen in Computersimulationen

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In der Neurotechnologie gibt es zwei Entwicklungen, die sich ergänzen, aber auch in unterschiedliche Richtungen laufen. In der einen Richtung wird versucht, beispielsweise durch Implantation von Chips biologische Funktionen zu ersetzen oder - futuristischer - durch eine Art von neuronalem Plug-In die kognitiven Kapazitäten zu erweitern. In der anderen Richtung versucht man, technische Systeme mit Gehirnen aus lernfähigen biologischen Neuronennetzwerken zu steuern.

Petrischale mit Rattenneuronen, die über Elektroden eine Zwei-Weg-Kommunikation mit einem Computer haben, um zu lernen, einen Flugsimulator zu steuern. Bild: University of Florida

Ein technisches Plug-In entwickelt Theodore Berger vom Center for Neural Engineering an der University of Southern California (Chip als Ersatz für Gehirnareal). Er will einen Chip realisieren, der den Hippocampus, ein u.a. mit der Bildung des Langzeitgedächtnisses verbundenes Gehirnareal imitiert und als Prothese ersetzen kann. Um zu einer Kopie des Hippocampus zu gelangen, untersuchten die Wissenschaftler die neuronalen Aktivitätsmuster des Hippocampus von Ratten, den sie Schnitt für Schnitt analysierten. Die Neuronen wurden durch zufällig vom Computer erzeugte Signale stimuliert. Aus den daraus folgenden Aktivitätsmustern ergaben sich bestimmte mathematische Funktionen, die jedes zufällige Input-Muster auf dieselbe Weise wie die biologischen Neuronen verarbeiten sollen, zumindest mit einer Genauigkeit von 95 Prozent.

Die Forscher interessiert nicht, welche Informationen der Hippocampus verarbeitet, sondern nur, mit welchen Schemata er dies macht. Ob allerdings ein solcher künstlicher Hippocampus bei Menschen, deren Hippocampus durch Alzheimer, einen Gehirnschlag oder eine Kopfverletzung beschädigt wurde, tatsächlich funktionieren würde, ist fraglich, schließlich dürfte sich auch die Arbeitsweise des Hippocampus durch Erfahrung verändern und sich dadurch individualisieren. Schließlich ist das Areal nicht nur am Gedächtnis beteiligt, sondern etwa auch am Erkennen von Gesichtern oder am räumliches Lernen und Orientieren. Man wird also gespannt sein dürfen, ob auch bei Ratten, deren Hippocampus durch den Chip ersetzt wurde, Verhaltensveränderungen zu erkennen sind. Noch steht dieser Versuch aus, gleichwohl gibt sich Berger optimistisch:

Wenn man herausfindet, wie der Input verändert wird, dann hat man die Prothese. Dann könnte ich diese in das Gehirn eines Menschen implantieren, um ihn (den Hippocampus) zu ersetzen, und ich kümmere mich nicht darum, was dieser anschaut. Ich habe den beschädigten Hippocampus durch den elektronischen ersetzt, und er wird den jeweiligen Input genauso wie die Zellen des biologischen Hippocampus in den entsprechenden Output verwandeln.

Die Wissenschaftler wollen zunächst bei Ratten und dann bei Affen untersuchen, ob ein im Gehirn implantierter Mikrochip das Tier genauso handeln lässt, wie mit dem biologischen Hippocampus, wenn man diesen zeitweise deaktiviert. Das Forschungsprojekt wird neben der National Science Foundation auch von der Navy und der Darpa finanziert.

Das Team von Thomas DeMarse geht genau umgekehrt vor. Hier wird nicht eine technische Prothese in ein biologisches Gehirn verpflanzt, sondern ein biologisches Gehirn soll dazu dienen, kraft seiner Lern- und Anpassungsfähigkeit unbekannte Fahrzeuge oder Roboter selbständig zu steuern, um Missionen auszuführen, die für Menschen zu gefährlich sind. Damit soll die Funktionsweise von neuronalen Netzwerken besser verstanden werden, um Gründe für Krankheiten wie Epilepsie zu erkennen und diese dann womöglich gezielt und nichtinvasiv behandeln zu können.

Während Theodore Berger die Flexibilität des biologischen Gehirns zu vernachlässigen scheint, erklärt DeMarse, dass Computer zwar sehr schnell Daten verarbeiten können, aber die Flexibilität des Gehirns nicht erreichen. So können sie beispielsweise bislang unbekannte Gegenstände in vorhandene Kategorien einordnen. DeMarse will mit seinem Projekt die Regeln verstehen, nach denen neuronale Netzwerke beispielsweise Muster erkennen können, um diese dann in neuartige Computersysteme zu integrieren. Es ist vor allem der Weg, der seinen Ansatz von dem Bergers unterscheidet.

Das Gehirn aus Rattenneuronen steuert den Jet bei gutem Wetter. Bild: University of Florida

Die Wissenschaftler der University of Florida entnahmen einer Ratte ungefähr 25.000 Nervenzellen, die sie in einer Petrischale kultivierten. In der Mitteilung der Universität wird allerdings nicht gesagt, aus welchem Teil des Gehirns diese Zellen stammen. Die Zellen wurden mit 60 Elektroden am Boden verbunden. In der Nährlösung haben die Zellen allmählich synaptische Verbindungen ähnlich wie in einem lernenden Gehirn aufgebaut und so ein biologisches neuronales Netzwerk gebildet, das bestimmte Aktivitätsmuster zeigte, also zu "rechnen" begann.

Über die Elektroden, die eine Zwei-Weg-Kommunikation ermöglichen, erhält das neu entstandene "Gehirn" zunächst Impulse von einem Computer, auf dem ein Flugsimulator mit einem F-22-Kampfjet läuft. Angeblich lernte durch einen nicht näher beschriebenen Feedback-Mechanismus das "Gehirn" allmählich, das Flugzeug nicht nur wie zu Beginn zufällig zu bewegen, sondern tatsächlich zu steuern. Im Augenblick kann es das Flugzeug auch schon unter schlechten Wetterbedingungen wie Stürme auf einer geraden Bahn halten, so dass es nicht schwankt oder sich um sich selbst dreht.

Das Forschungsprojekt wird von der National Science Foundation finanziert. Hier geht es um das "erste wirkliche Reverse Engineering" des Verhaltens von Zellen aus dem Kortex, die außerhalb des Gehirns untersucht und auf einem Chip kultiviert werden. Die Hoffnung ist, "erstmals zu verstehen, wie diese Zellen als ein funktionales technisches System auf der Schaltkreisebene arbeiten". Dazu eben gehört, dass man das neurnale Netzwerk allgemeinen Lernaufgaben wie Vorhersage, Kontrolle oder Klassifikation aussetzt, die auch bereits mit künstlichen neuronalen Netzwerken angegangen wurden. Und an dieser Stelle könnte eben der Flugsimulator ins Spiel kommen.

In der Pressemitteilung der University of Florida wird zwar einerseits das Ziel angegeben, unbemannte Fahrzeuge von biologischen Systemen steuern lassen zu können, andererseits aber versucht man, diese eher auf militärische Anwendungen orientierte Ausrichtung hintanzustellen. Man will nur ein mathematisches Modell finden, das reproduzieren kann, wie Neuronen "rechnen". Das aber wäre dann eben auch vielseitig einsetzbar und könnte sowohl Anstöße für die Künstliche Intelligenz oder eben auch für Cyborg-Systeme mit trainierten biologischen Gehirnen geben.

Jose Principe, Professor für "electrical engineering" und Direktor des Computational NeuroEngineering Laboratory an der University of Florida, der zusammen mit DeMarse die NSF-Finanzierung des Projekts erhalten hat, ist beispielsweise auch an Darpa-Projekten beteiligt, die in ähnliche Richtungen gehen, beispielsweise an einer biologisch inspirierten Steuerung von Roboterarmen. Bei der Forschungsabteilung der Darpa ist man allgemein auch an Gehirn-Maschine-Schnittstellen interessiert. Daher wird auch das Hippocampus-Projekt unterstützt und fördert man Forschung über Human Assisted Neural Devices oder Biologically Inspired Multifunctional Dynamic Robots (BIODYNOTICS).